011
10
Berserker aus Kristall
Gorian, Sheera und Torbas folgten Meister Thondaril auf den höchsten Turm von Felsenburg, um einen besseren Überblick zu bekommen. Wieder ließ Thondaril die Linsen entstehen. Eine schimmernde Wand hatte sich hinter der dritten Gebirgskette gebildet, und auch in den anderen Gebieten befand sich das Feuergeflecht auf dem Rückzug. Der Herzschlag des glutroten Adergeflechts war nur noch ganz leise wie aus weiter Ferne zu hören.
Gleichzeitig walzte der Eispanzer aus Nordosten heran. Auch wenn er längst nicht so hoch war und bedrohlich wirkte wie in jenen Gebieten, in denen die Magie Morygors mehr Feuchtigkeit aus dem Boden ziehen und zu Eis gefrieren lassen konnte, so war es doch allenfalls noch eine Frage von einem halben Tag, wenn nicht weniger, bis das ganze Gebiet zwischen den Bergen und dem nordöstlichen Horizont zu einer eisigen Ödnis geworden war.
Doch Aggr und Paggr hatten den Kampf gegen die Feuerdämonen keineswegs spurlos überstanden. Als ihr Frosthauch endlich versiegte, waren sie deutlich geschrumpft. Sie reckten die Arme empor, wobei sich die Mäuler in ihren Pranken weit öffneten, und zum ersten Mal sandten sie Gedanken aus, deren Sinn sich Gorian offenbarte. Er verstand zwar nicht, was die Gedankenstimmen der beiden Kristallbrüder sagten, aber es war ihm sofort klar, dass es sich dabei um Zaubersprüche der Caladran handelte.
Strahlen aus Schwarzlicht schossen daraufhin vom Schattenbringer herab und fuhren in die Prankenmäuler der Eisriesen.
Die Kristallwesen wuchsen wieder, gaben grunzende Laute von sich, mit denen sie offenbar ihr Wohlbefinden zum Ausdruck brachten, und ihre bläulich schimmernden Augen leuchteten stärker als zuvor.
Wieder spürte Gorian, dass auch Sternenklinge und der Rächer auf die Kräfte des Schattenbringers reagierten.
Er griff zum Schwert. Sein Instinkt für Gefahren paarte sich in diesem Augenblick mit der Kunst der Vorausahnung, wie sie die Schwertmeister im Kampf zu praktizieren pflegten.
Aggr – der mutigere der beiden Kristallbrüder – richtete die Mäuler an den Enden seiner Arme auf jene Turmspitze, auf der Gorian und seine Gefährten standen.
Gorian stieß einen Kraftschrei aus, richtete das Schwert aus Sternenmetall gerade in dem Moment auf Aggr, als aus dessen Prankenmäulern mit Schwarzlicht gemischter Frosthauch austrat und innerhalb eines Augenaufschlags die gesamte Turmspitze einhüllte. Auf alle hatte diese Magie eine vollkommen lähmende Wirkung.
Auch Gorian wurde von einer Kälte erfasst, wie er sie nie zuvor verspürt hatte. Hinzu kam das Gefühl der Ohnmacht, der Schwäche und des nahen Todes, ähnlich wie er es in jenem Moment empfunden hatte, als er am Speerstein von Orxanor von seinem eigenen Dolch verletzt worden war.
Die Klinge seines Schwertes glühte auf. Er umklammerte den Griff mit beiden Händen, spürte, wie eine unwiderstehliche Kraft an der Klinge riss, und er selbst wurde von dieser Macht emporgerissen und einem Katapultgeschoss gleich auf Aggr zugeschleudert.
Rasend schnell überwand er die Distanz, und als er den Frostgott erreichte, drang Sternenklinge bis ans Heft zischend in das rechte Auge des Kristallriesen ein. Blaues Licht, gemischt mit zuckenden Fetzen aus schwarzen Schatten, zuckte um ihn herum, und goldfarben sprühte es aus dem Stichkanal von Sternenklinge heraus.
Es war die Macht des Schattenbringers, der noch immer mit Gorians Waffe verbunden war, die das Schwert mit unbändiger magischer Kraft angezogen hatte. Das wurde Gorian klar, ohne dass er darüber nachdenken musste. Die düstere Energie, die Aggr in sich hineingesogen hatte, damit sie ihn stärkte, war ihm zum Verhängnis geworden.
Aggr taumelte ein paar Schritte zurück. Aus seinem riesigen Maul mit den bläulich leuchtenden Zähnen knisterten Blitze zu Gorian hinauf, erfassten ihn und ließen ihn zucken.
Gorian versuchte all seine inneren Kräfte zu mobilisieren. Seine Augen waren vollkommen schwarz. Er stieß einen weiteren Kraftschrei aus und ließ mit der Macht seines Geistes Rächer aus der Gürtelscheide schnellen. Der Dolch aus Sternenmetall flog in die Höhe. Ein weiterer Kraftschrei folgte, dazu ein konzentrierter Gedanke, in alt-nemorischer Sprache formuliert…
… und Aggrs Kristallkopf platzte auf!
Ein breiter Strahl aus Schwarzlicht drang daraus hervor, traf den sich in der Luft drehenden Dolch und wurde von diesem hinauf zum Schattenbringer gelenkt.
Der Kristallriese begann zu zittern, machte noch einen taumelnden Schritt zurück, fiel dann krachend auf den Rücken, und der schwarze Strahl aus seinem Kopf versiegte.
Alle Kraft kehrt zu ihrem Ursprung zurück. Gorian erinnerte sich an dieses Axiom des Ordens, das ebenfalls dem Ersten Meister zugeschrieben wurde.
Rächer schwebte noch immer in der Luft, allen Naturgesetzen zum Trotz, drehte sich um sich selbst und glühte auf. Dann richtete sich die Spitze nach unten, und er schoss plötzlich mit einer Wucht in die Tiefe, die ebenso gegen die Fallgesetze verstieß wie die scheinbare Gewichtslosigkeit des Dolchs zuvor. Gorian konnte sich gerade noch zur Seite rollen, bevor sich Rächer genau dort in den Kristallkörper des Frostgottes bohrte, wo er gerade noch gelegen hatte.
Zitternd blieb die Waffe stecken, die Gorian zweifellos durchbohrt hätte, hätte er sich nicht schnell genug in Sicherheit gebracht, und zwar genau an der Schulter, an der ihn der Dolch bereits während des Kampfes am Speerstein verletzt hatte. Nur die schwertmeisterliche Kunst der Vorausahnung hatte Gorian davor bewahrt.
Alle Kraft kehrt zu ihrem Ursprung zurück … Offenbar galt dieses Axiom auch in diesem Falle.
Gorian griff nach dem Dolch und zog ihn ebenso wie Sternenklinge aus dem Körper des regungslos daliegenden und all seiner Existenzenergie beraubten Kristallriesen. Das blaue Leuchten des noch intakten rechten Auges war erloschen. Und auf einmal begann Aggr zu schmelzen, die Oberfläche seines Körpers wurde feucht und rutschig.
Gorian steckte sein Schwert ein und benutzte Rächer wie einen Eispickel, um von dem gewaltigen Kristallkörper hinabzusteigen. Selbst mit magischer Unterstützung war das ziemlich heikel, und schließlich rutschte er aus und fiel von Aggrs eckigem Kristallkopf auf den steinigen, von einer dünnen Schicht aus Eis und Schnee bedeckten Boden.
Es gelang ihm, den Sturz mit Magie abzufedern, sodass er mit ein paar blauen Flecken davonkam.
Er rappelte sich wieder auf, seine Augen verloren ihre Schwärze.
»Gorian!«, empfing er Sheeras Gedanken.
»Alles in Ordnung!«, sandte er ihr zurück.
Ein lautes Brüllen ließ ihn aufblicken.
Dutzende von Katapulten nahmen den zweiten der Kristallbrüder unter Beschuss. Der als vorsichtiger und bedächtiger geltende Paggr hatte sich wohl zunächst einige Augenblicke sammeln müssen, nachdem er gesehen hatte, was seinem Bruder widerfahren war.
Nun wurde er mehrere Riesenschritte zurückgedrängt, denn die Katapulte verschossen glühende Metallkugeln, die zischend in den Kristallkörper schlugen. Ganze Stücke wurden aus dem eisigen Leib herausgesprengt.
Gorian spürte sofort, um welches Material es sich bei den Geschossen handelte: Die besondere Aura von Sternenmetall war unverkennbar. Zudem waren die Kugeln von den Bewohnern von Felsenburg magisch aufgeladen worden. Der Namenlose Renegat musste es Oras Bans Männern beigebracht haben, damit sie sich auf diese Weise verteidigen konnten.
Lag die Ruhe, die der Namenlose Renegat trotz der Bedrohung an den Tag gelegt hatte, vielleicht in dem Wissen begründet, wie gut Felsenburg auf einen Angriff seitens der Feuerdämonen und des Frostreichs vorbereitet war?
Weder den Verteidigern von Ameer noch denen der Ordensburg war es trotz des Einsatzes von Magie gelungen, Morygors Horden für längere Zeit standzuhalten. Aber vielleicht war die Caladran-Magie des Namenlosen Renegaten ja stärker.
Gorian suchte hinter dem schmelzenden Körper des toten Kristallriesen Schutz, während weitere magisch aufgeladene Geschosse hoch über ihn hinwegpfiffen und Paggr trafen.
Doch nun war Paggrs berserkerhafte Wut geweckt, er öffnete sein riesiges Maul und hob gleichzeitig die Arme, an deren Pranken sich wieder Mäuler bildeten, und entließ den tödlichen Eishauch.
In Kürze bildete sich eine Eisschicht an der Paggr zugewandten Seite des Massivs von Felsenburg. Die Menschen an den Zinnen erstarrten augenblicklich zu Eis, die Schießhöhlen, in denen die Katapulte standen, wurden von dicken Frostschichten verschlossen, und auch jene Katapulte, die auf den Wehrgängen im Freien standen, würde man für einige Zeit nicht mehr einsetzen können, da ihre Mechanismen vereisten.
Paggr stieß einen dröhnenden, trompetenden Laut aus, eine Mischung aus Wut- und Triumphgeheul. Durch die Katapulttreffer hatte er an Substanz verloren und war noch mehr geschrumpft. Dennoch war er weiterhin riesig.
Gorian kauerte noch immer hinter Aggrs leblosem Kristallkörper, der allerdings schon seine eckigen Konturen verloren hatte und weiter zusammenschmolz. Der Ordensschüler schlich zum Fuß des toten Eisriesen und spähte zu der Felsensäule, deren eine Seite vollkommen von einer dicken Eisschicht überzogen war. Der Feuerkreis, der Felsenburg hatte schützen sollen, war gegen Paggrs Frosthauch wirkungslos, die Flammen waren kaum noch zu sehen, der Kreis selber geschrumpft.
Paggr richtete den Blick seiner blau leuchtenden Augen auf den schmelzenden Leichnam seines Bruders – und sah auf einmal Gorian!
Der Kristallriese stieß einen Wutschrei aus, und erneut erreichte Gorian ein Schwall von Gedanken. Diesmal aber waren sie geordneter, Gedanken, in denen sich Trauer, Wut und blanker Hass auf eine Weise mischten, die von menschlichen Empfindungen nicht weit entfernt waren.
Paggr kniete neben dem immer mehr zerfließenden Körper seines Bruders nieder.
»Aggr! Mein Bruder! Ermordet!«
Er berührte ihn mit der rechten Pranke, woraufhin sie mit Aggrs Kristallkörper verschmolz. Es knisterte, Blitze zuckten, und die kristallinen, eckigen Formen Aggrs stellten sich teilweise wieder her, zerflossen aber kurz darauf erneut. Selbst die Augen leuchteten noch einmal kurz bläulich auf, verloschen jedoch gleich wieder.
Da war einfach keine Lebenskraft mehr in Aggr. Sein eisiger Körper war entseelt, und so viel Magie sein Bruder auch in den toten Körper sandte, er konnte den verloschenen Lebensfunken nicht wieder zünden.
Seine Aufmerksamkeit wandte sich Gorian zu.
»Du Wurm! Mörder!«
Es hätte nicht einmal jener besonderen Art der Vorahnung bedurft, wie sie im Haus des Schwertes gelehrt wurde, um den Angriff des Kristallriesen vorauszusehen. Paggr öffnete das Maul, aber noch ehe sein Frosthauch Gorian erfasste, hatte dieser Sternenklinge hervorgerissen und einen Abwehrzauber gerufen. Er ließ die Klinge wie einen Fächer wirbeln, wobei sie eine bläuliche Spur hinter sich herzog, die sich für einen kurzen Moment zu einem durchsichtigen schimmernden Schirm aufspannte und Paggrs Frosthauch abfing.
Paggr brüllte auf, als er erkannte, dass sein Angriff abgewehrt worden war, und er überschüttete Gorian mit einem so heftigen Schwall von Hassgedanken, dass dieser Mühe hatte, sich gegen ihren bedrängenden Einfluss zu wehren.
Dann spie der Frostgott einen weiteren Eishauch aus, heftiger und kälter als der erste. Zwar gelang es Gorian, auch diesen mittels Magie abzuwehren, aber die pure Kraft, mit der der Eiswind auf den bläulich schimmernden Schirm traf, schleuderte den Ordensschüler fast zwanzig Schritt zurück.
Gorian rollte sich über die Schulter ab, rappelte sich auf und stand im nächsten Moment wieder da, Sternenklinge in der Rechten. Er konzentrierte seine Kräfte. Einen Augenblick lang überlegte er, Rächer oder Sternenklinge nach Art der Schwertmeister gegen seinen Gegner zu schleudern, aber er verwarf den Gedanken schnell wieder. So würde er ein Wesen wie Paggr nicht besiegen können, zumal er diesmal nicht wie bei Aggr die Kräfte des Schattenbringers gegen denjenigen richten konnte, der sie gerufen hatte.
Aber was war, wenn er diese Kraft selbst zu rufen versuchte? Warum sollte ihm das nicht gelingen? Schließlich waren seine Waffen aus dem Metall des geheimnisvollen düsteren Himmelskörpers geschmiedet. Der Kampf gegen Aggr hatte bewiesen, dass er stark genug war, die Kräfte des Schattenbringers immerhin zu lenken.
Gorian konzentrierte seine magischen Sinne auf den Schattenbringer und richtete Sternenklinge in den Himmel. Er spürte ein Vibrieren, das den Stahl der Klinge durchlief, sich über seine Hände, die den Griff umfassten, fortsetzte und schließlich Arme und Schultern erfasste.
Er begann zu zittern. Seine Augen waren von Schwärze erfüllt, aber diesmal tränte ihm die Finsternis sogar als dunkles Blut aus Augen, Nase und Ohren. Gleichzeitig spürte er einen höllischen Schmerz an jener Stelle, wo ihn Rächer im Kampf am Speerstein verwundet hatte. Wahrscheinlich war die Wunde gerade wieder aufgebrochen.
Die Verbindung zum Schattenbringer war allerdings nur schwach, und Gorian wurde von Verzweiflung gepackt. Ihn schwindelte. Alles begann sich vor seinen Augen zu drehen. Offenbar hatte er seine Kräfte überschätzt.
Oder wusste er einfach nicht, wie er sie in diesem Fall wirkungsvoll anwenden musste?
Es blieb ihm keine Zeit mehr, darüber lange nachzudenken. Paggr war so von Wut ergriffen, dass er vollends zum tobenden Berserker wurde. Er stieg über seinen schmelzenden toten Bruder hinweg, sackte in die Knie, und wie ein gewaltiger Hammer sauste seine zur Faust geballte Pranke herab und krachte auf den Boden. Um ein Haar hätte sie Gorian zermalmt. Nur mit knapper Not gelang es ihm, sich rechtzeitig zur Seite zu werfen.
Ein weiterer Schlag folgte, Gorian taumelte davon, nur die Ordenskunst der unmittelbaren Voraussicht rettete sein Leben.
Die Arme des Frostgottes wuchsen an und wurden derart lang, dass Paggr wie ein Zerrbild seiner selbst aussah. Während Gorian davonhetzte und den Schlägen immer wieder ganz knapp ausweichen konnte, setzte ihm der Kristallriese nach, versuchte auch, Gorian unter seinen stampfenden Füßen zu zertreten, doch seine Angriffe waren leicht vorhersehbar, und allein diesem Umstand hatte es Gorian zu verdanken, dass er noch lebte.
»Zerquetschen werde ich dich, Mörder!«
Je wütender Paggr wurde, desto schlechter waren seine Schläge gezielt.
Gorian hatte sich bei seiner Flucht immer mehr dem Flammenkreis genähert, den der Maskierte entzündet hatte. Er fragte sich, ob es ihm wohl möglich war, den Feuerkreis einfach zu durchschreiten. Aggr hatte dies versucht und nicht geschafft, aber Gorian war kein magisches Wesen wie die Frostgötter.
Er verharrte dicht vor dem Flammenkreis. Der Kristallriese sank auf alle viere nieder und näherte sich ihm wie eine Katze auf der Jagd. Er bewegte sich langsam und hob die rechte Faust, in der sich gleichzeitig ein Maul und zwei Augen bildeten. Außerdem wuchsen ihm zusätzliche Arme aus dem Leib, manche lang und dünn und mit Spitzen an den Enden. Sie wirkten wie Schlangen aus Eis, und Paggr ließ sie peitschengleich über den Boden schnellen.
Eine davon erwischte Gorian, wickelte sich um seine Beine und riss ihn von den Füßen. Paggr zog ihn zu sich heran.
Doch Gorian durchschlug den eisigen Schlangenarm mit seinem Schwert und befreite sich rasch von jenem Stück, das sich wie eine Fessel um seine Beine geschlungen hatte. Es war nicht weiter schwer, es loszuwerden, denn es schmolz bereits.
Dann richtete Gorian das Schwert gegen den Kristallriesen und konzentrierte noch einmal alle Magie, die er noch in sich wachrufen konnte, in das Metall der Klinge.
Alle Kraft in einen einzigen Moment legen, das war die wahre Kunst der Schwertmeister. Mit der Macht seines Geistes erfasste er die Katapultgeschosse aus Sternenmetall, die überall in der weiteren Umgebung umherlagen, hob sie vom Boden und ließ sie durch die Luft schnellen, wie er es ansonsten mit seinem Schwert oder dem Dolch tat.
Dutzendfach durchschlugen die Metallkugeln den Körper des kristallenen Frostgottes, wobei sie aufglühten und auf absurden Flugbahnen wieder zurückkehrten, um den Eisriesen erneut zu traktieren. Ein paar trafen auch den Sockel der Felsensäule und sprengten ganze Stücke aus dem Gestein. Der Flammenkreis um Felsenburg konnte sie nicht abfangen. Das magische Feuer reagierte zwar, indem die Flammen deutlich sichtbarer aufloderten, aber mehr geschah nicht.
Paggrs Eiskristallkörper wurde von den magisch aufgeladenen Geschossen regelrecht zerschlagen und lag schließlich zerschmettert am Boden.
Aber seine Augen leuchteten noch, die Krater in seinem Kristallleib begannen sich wieder zu schließen, und abgeschlagene Stücke bildeten sich nach.
Gorian musste den Lebensfunken dieses Gottes ebenso auslöschen, wie es ihm bei Aggr gelungen war. Eine zweite Gelegenheit würde er nicht erhalten. Wenn er zu lange zögerte und sich der Eisriese wieder erholte, war alles vergebens.
Gorian fühlte seine Schwäche. Die letzte Attacke gegen seinen Gegner hatte ihm alles abverlangt. Da war keine innere Kraft mehr in ihm. Er konnte sie zumindest nicht spüren, was ihn zutiefst erschreckte, denn diese besonderen Kräfte hatten von Beginn an sein Leben geprägt.
Er entsann sich wieder an jenen Moment, als er im Alter von zwei Jahren im Boot seines Vaters erwacht war und die Augen geöffnet hatte. Die erste Erinnerung seines Lebens, der Moment, in dem alles begonnen hatte. Nur Augenblicke später hatte er den Angriff eines fliegenden Fisches vorhergesehen.
Er hatte damals natürlich nicht gewusst, welch besonderer Natur die Kräfte waren, die in ihm schlummerten. Zu selbstverständlich waren sie für ihn gewesen, zu sehr ein Teil seines innersten Selbst.
Und nun schienen sie fort zu sein. Nicht einmal ein magischer Sinn schien noch vorhanden.
Gorian stand wankend und zitternd da und sah hilflos zu, wie sich der darniederliegende Frostgott wieder zusammenfügte und erholte.
Das durfte nicht geschehen, dachte er voller Verzweiflung und sank auf die Knie.
Im entscheidenden Moment ohne die Macht, das zu tun, was richtig war …
Wie übel musste es das Schicksal mit ihm meinen, wenn dies seine Bestimmung sein sollte.
 
In diesem Augenblick bemerkte er eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Er wandte den Kopf und sah, wie sich eine Gestalt aus dem grauen Stein der Felsensäule schälte. Da anscheinend selbst Gorians Gedanken von einer lähmenden Schwäche befallen waren, dauerte es einen Moment, bis er begriff, dass es sich um den Maskierten handelte.
Der Unheimliche zog ein Schwert und murmelte eine Beschwörung, woraufhin der Flammenkreis auf einer Länge von etwa einem Dutzend Schritt verlosch. Der Maskierte schritt durch die entstandene Lücke und näherte sich dem noch lebenden Kristallbruder. Sein Breitschwert wurde wieder zur Flammenklinge, und mit dieser berührte er Paggrs eisigen Schädel.
Der Frostgott schrie noch einmal auf und sandte einen Schwall Hassgedanken aus, die Gorian schmerzhaft im Kopf dröhnten, da er sich nicht mehr dagegen abschirmen konnte. Gleichzeitig schmolzen Paggrs Überreste, und es dauerte nur Augenblicke, dann war nichts mehr von ihm vorhanden.
Das Flammenschwert des Maskierten verwandelte sich in eine breite Klinge zurück. Er steckte die Waffe ein und drehte sich zu Gorian um.
Dieser wollte etwas sagen, doch ein dicker Kloß verstopfte ihm die Kehle, und so war er nicht in der Lage, einen einzigen Ton hervorzubringen.
Auch der Maskierte sagte kein Wort, sondern deutete nur auf die Felsensäule. Dann durchschritt er wieder die Lücke im Flammenkreis und wiederholte seine Geste. Offenbar sollte Gorian ihm folgen, wohin auch immer.
Seine Beine waren schwer, so als wären sie mit Blei gefüllt. Er steckte Sternenklinge zurück in die Rückenscheide und wandte den Blick zum Horizont, von wo sich der Eispanzer immer näher heranschob.
Heute Abend, dachte er. Heute Abend würden die Horden Morygors Felsenburg erreichen, und wenn das Eis selbst die Felsensäule nicht niederriss, würden es die Leviathane tun.
Er folgte dem Maskierten, und nachdem er die Lücke im Flammenkreis durchschritten hatte, schloss sie sich wieder. Der Maskierte stand vor dem Felsen und schien auf Gorian zu warten.
Gorian zögerte. »Und wie geht es jetzt weiter? Du scheinst ja durch Gestein gehen zu können, aber ich wüsste nicht, dass dies je einem Angehörigen des Ordens möglich gewesen wäre.«
Der Maskierte bedeutete Gorian näher zu kommen und ergriff dessen Hand. Ein Blitz zuckte aus der des Maskierten und tauchte Gorian in eine Aura aus golden schimmerndem Licht.
Noch ehe Gorian sich versah, zog ihn der Maskierte einfach in den Felsen hinein, ohne dass das massive Gestein irgendeinen Widerstand bot.