32. Kapitel

»Du hast doch wohl nicht geglaubt, dass du mir so leicht entkommen könntest, schon gar nicht, nachdem ich von dem Jungen gekostet habe.« Moses schwebte, getragen von einem Netz aus Schatten, von der Decke herunter. Uniformierte Beamte drangen durch sämtliche Eingänge des Gebäudes ein. Sie waren mit automatischen Waffen ausgestattet.

Rogue stand mit gezücktem Revolver zwischen Gabriel und dem Dämon. »Was denn, hat das New York Police Department einen Sonderverkauf an die Hölle gemacht?«

»Der Fürst der Finsternis hat viele Verbündete.« Moses landete lautlos auf dem Boden. Das Netz aus Schatten glitt durch den Raum und verschloss alle Ausgänge. Diesmal würde es keine Fluchtmöglichkeit geben. Vater Zeit versuchte zu entkommen, aber ein Schatten schlang sich um seine Knöchel und hob ihn kopfüber in die Luft. Dann trugen die Schatten ihn zu Moses und hielten den heftig zappelnden Vampir vor ihm fest. »Ah, selbst die Vampire verweigern dem Fürsten der Finsternis den Gehorsam, hm?«

Vater Zeit lächelte Moses an. Er wirkte vollkommen klar. »Was geschehen soll, wird geschehen.«

»Allerdings«, sagte Moses, bevor er den Schatten befahl, Vater Zeit den Kopf abzureißen. Der tausend Jahre alte Vampir war bereits Staub, noch bevor er den Boden berührte.

»Er hatte nicht das Geringste damit zu tun!«, schrie Rogue, während er zusah, wie der Wind die Reste seines alten Freundes davonwehte.

»Es spielt keine Rolle, was er getan hat und was nicht, Magus. Jetzt ist er jedenfalls ein Passagier auf der Jihad, und wenn du ihm nicht Gesellschaft leisten willst, schlage ich vor, dass du zur Seite trittst, während ich meine Belohnung einstreiche«, sagte Moses zu Rogue.

»Ich habe deine Belohnung, Dämon!« Rogue feuerte beide Pistolen ab. Die erste Kugel traf Moses in den Bauch, aber bevor auch die anderen ihn durchlöchern konnten, verschmolz er mit den Schatten. Ein Officer wollte den Helden spielen und bekam eine Kugel ins Gesicht. Der Mann segelte zurück und prallte gegen die anderen Beamten.

Sie erwiderten das Feuer und verfehlten Rogue nur knapp, als dieser durch den Raum hechtete. Unterwegs schoss er zwei weitere Polizisten nieder, aber die anderen stürzten sich auf ihn. Er wusste, dass er in einem so begrenzten Raum keine großen Chancen gegen die Schatten hatte, deshalb musste er den Kampf unbedingt nach draußen verlagern. Als würden seine Gebete erhört, packte einer der Schatten ihn am Kopf und schleuderte ihn durch eines der verrammelten Fenster hinaus auf die Straße.

Gabriel ging hinter einigen Kisten in Deckung, als die Polizisten eine Salve abfeuerten. Er wollte gerade eine bessere Position suchen, als Schatten sich um seine Beine schlangen und ihn zu Fall brachten. Gabriel hob den Arm, um den Nimrod zu beschwören, aber im selben Moment schlang sich ein Tentakel aus Schatten um seine Handgelenke, zog seine Hände über seinen Kopf und hob ihn die Luft. Er sah hilflos zu, wie Moses aus den Schatten heraustrat und sich ihm näherte.

»Im Gegensatz zu Riel bin ich auf die Tricks des Bischofs vorbereitet.« Moses streckte die Hand aus und schleuderte Gabriel gegen eine Mauer. Dann riss er ihn vom Boden hoch und warf ihn in eine Ecke. Moses rief die Schatten zu sich, die Gabriel mit sich zogen. »Heute Nacht werde ich deinen Kopf und deine Waffe dem Lieblingssohn präsentieren.«

»Tut mir leid, aber der Jüngling ist bereits vergeben«, sagte Asha von ihrer Position auf der Galerie. Die Luft um sie herum knisterte vor Magie, während ihre Hände glühten.

Moses erkannte sofort die Signatur aus schwarzen und goldenen Fäden, die ihre magische Energie durchsetzten. »Wie ich schon deinen Schwestern sagte, dies hier geht euch nichts an.«

»Das sehe ich leider anders. Die Mächte der Finsternis sind nicht die einzigen, die sich für den jungen Mann interessieren, den du gerade versuchst umzubringen.« Sie sprang graziös von ihrem luftigen Standort und blieb in sicherer Distanz zum Herrn der Schatten stehen. Sie hatte genug von seinen Tricks gesehen und hütete sich, ihm zu nahe zu kommen.

Moses betrachtete sie amüsiert. »Wie du meinst.« Er drehte sich zu einer seiner Kreaturen um, einem Officer, der eine Pumpgun in der Hand hatte. »Bring diese Hexe um, und dann hilf mir bei dem, was von diesem Ritter noch übrig ist.«

»Mit Vergnügen.« Der Beamte hob das Gewehr und feuerte.

Asha wob geschickt ein Symbol in die Luft und errichtete eine unsichtbare Barriere, unmittelbar bevor die Schrotkugeln sie erreichten. Die Geschosse prallten gegen die Barriere und fielen harmlos zu Boden. Dann zog sie eine scharfe silberne Scheibe aus ihrer Weste und schleuderte sie auf den Beamten. Die Scheibe beschrieb einen weiten Bogen, schlitzte seine Schulter auf und kehrte zu Asha zurück.

Der Mann untersuchte den Schnitt auf seinem Arm und sah die Hexe dann stirnrunzelnd an. »Es braucht schon etwas mehr, um deinen kleinen Hintern zu retten, Süße«, erklärte er.

Asha hob die Scheibe über den Kopf und ließ das Blut des Beamten über ihr Handgelenk und ihren Arm fließen. »Manchmal erzeugt auch etwas Kleines eine große Wirkung.« Sie beschwor ihre Macht, und ihre blutigen Hände begannen zu glühen. »Komm schon, mein Großer. Blute für Mama.«

Zuerst passierte nichts, doch dann spürte der Officer ein Kribbeln in seinem Arm. Es verstärkte sich zu einem Pochen und schließlich zu einem scharfen Brennen. Zu seiner Überraschung strömte das Blut wie ein Schwall seinen Arm hinunter. Er versuchte es mit der Hand zu stoppen, doch der Fluss wurde nur stärker. Schon bald hatte er so viel Blut verloren, dass er nicht mehr stehen konnte. Sein Blut bildete Lachen vor den Füßen der anderen Beamten, während ihr Partner vor ihren Augen verblutete.

»Wenn ihr verschwindet, muss das nicht wirklich hässlich werden«, warnte Asha sie.

Ein Beamter mit einer kleinen Maschinenpistole trat vor. »Du kleine schwarze Hexe, ich werde dich wegpusten für das, was du Sarg angetan hast!«

Asha runzelte bei seinem rassistischen Kommentar die Stirn. Dann rieb sie das Blut zwischen ihren Handflächen, bis beide Hände rot und glitschig waren. Sie spürte, wie die Energie des toten Polizisten in ihre Hände sickerte, und genoss das Gefühl. Schließlich begann das Blut auf ihrer Haut hell zu strahlen. »Ich habe euch eine Chance gegeben, aber jetzt ist es zu spät.« Ihre Stimme war erfüllt von Macht.

Die Beamten versuchten ihre Waffen zu heben, aber sie war bereits bei ihnen. Geschickt wich sie ihren Tritten und Schlägen aus und hinterließ auf jedem von ihnen den Abdruck einer blutigen Handfläche. Bevor die Beamten sich erholt hatten, stand Asha auf der anderen Seite des Raumes. Das unnatürliche Funkeln in Ashas Augen flößte den Männern Angst ein, und dazu hatten sie auch allen Grund.

Mit dem Blut schrieb Asha eine Rune auf den Boden und legte ihre Hand darauf, um ihr Macht zu verleihen. »Wie es beim Volk meiner Mutter war, und dem der Mutter meiner Mutter, ist das Blut die Essenz von Leben und Tod. Nun, Gentlemen, ich schenke euch Letzteres: Sterbt!« Das Wort löste bei jedem der Beamten einen starken Herzinfarkt aus, als die Blutmagie von Ashas Vorfahren ihr Werk vollbrachte. Einer nach dem anderen stürzten sie zu Boden, aus allen Körperöffnungen blutend. Sie starben langsam und qualvoll. Asha hätte es auch schneller machen können, aber sie wollte, dass sie litten.

»Armselig!«, sagte Moses, während er sich dem benommenen Gabriel näherte. Er spürte die Macht, die der Jüngling ausstrahlte, und sie berauschte ihn. Man hatte ihm befohlen, den Jungen für die Armee der Finsternis zu fangen, aber Moses hatte seine eigenen Pläne. Ein Tentakel löste sich von dem Band, das Gabriel hielt, und schob sanft den Ärmel von Gabriels Mantel hoch.

Als Moses die glühende Tätowierung sah, riss er die Augen auf. »Was für ein Trick ist das?«, rief er. Da Gabriel nicht antwortete, hämmerte er ihn wütend gegen die Wand. Dann beugte sich Moses so weit vor, dass sich ihre Nasen fast berührten. »Du trägst das Mal, aber du bist nicht das Gefäß. Riel ist ein Lügner und ein Narr.«

Gabriel stieß einen leisen Laut aus. Zuerst glaubte Moses, der Junge würde schluchzen, aber als das Keuchen lauter wurde, begriff er, dass es Gelächter war. Moses versuchte, dem jungen Mann mit den Schatten das Genick zu brechen, doch das Band aus Schatten löste sich in einem knisternden Lichtbogen aus Blitzen auf. »Du bist der Narr.« Gabriels Stimme klang viel zu ruhig. Wie durch Magie erschien der Dreizack in seiner Hand. Er pulsierte heftig.

Moses fuhr entsetzt zurück, als er den Gewittersturm in Gabriels Augen sah. »Der Bischof ist zurückgekehrt?« Moses wich immer weiter zurück.

»Und er bringt den Sturm.« Gabriel richtete den Dreizack auf ihn und ließ seine Macht frei.

Asha konnte nur mit Mühe Moses’ Körper ausweichen, der durch das Lagerhaus flog und gegen eine Wand krachte. Eine Seite seines Gesichts war vollkommen verbrannt, und in seiner Brust klaffte ein riesiges Loch. Schattententakel zuckten wild aus den Wunden des Dämons. Gabriel trat durch die Trümmer, den Nimrod fest in der Faust. Ein Polizist, der noch nicht tot war, umklammerte Gabriels Hosenbein. Der Junge warf dem Mann einen gleichgültigen Blick zu, bevor er ihm mit dem Absatz das Gesicht zertrümmerte.

»Ich wollte nur meinen Großvater finden.« Er feuerte einen Lichtblitz aus der Spitze des Dreizacks auf den sich am Boden windenden Dämon ab. »Ich habe nicht danach verlangt, dass dieses Ding zu mir kommt.« Erneut feuerte er auf den Dämon und schleuderte ihn gegen eine andere Wand. »Ich habe um nichts von alldem hier gebeten!« Gabriel schleuderte den Dreizack mit aller Kraft. Die beiden Spitzen der Gabeln verfehlten Moses Kiefer nur knapp, als sie sich in die Wand gruben und seinen Hals dort festnagelten.

»Junge, wir müssen hier weg!« Asha packte Gabriel am Arm. Er drehte sich zu ihr um und starrte sie an, als würde sie in einer unverständlichen Sprache reden. »Mann, hörst du mich nicht?« Etwas rollte gegen Ashas Fuß und erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war ein schwarzes, röhrenförmiges Objekt, an dessen Ende ein rotes Licht blinkte. Sie blickte auf die Körper der Beamten, und derjenige, der sie eine schwarze Hexe genannt hatte, grinste. Als er ihr den Mittelfinger zeigte, sah sie den kleinen silbernen Ring, der daran baumelte, und im selben Moment wurde ihr klar, was dieses Objekt an ihrem Fuß war.

»Scheiße!« Mehr bekam sie nicht heraus, bevor der ganze Raum von Flammen erfüllt wurde.