Die Siebentägige Belagerung
Im siebzehnten Jahrhundert fegte eine übernatürliche Anomalie über ganz Europa hinweg und hinterließ eine Spur aus Chaos und Tod. Schließlich kam sie in Neapel zum Stillstand, wo sie sich als ein Sturm manifestierte, der sogar die Sonne auslöschte. Die Einwohner nannten ihn den Dunklen Sturm.
Die Wucht dieses Orkans war so gewaltig, dass sie einen Riss in der Dimensionsbarriere erzeugte, die das Reich der Menschen und der Dämonen voneinander trennte, was die Mächte der Hölle auf die Erde losließ. Die Dämonen verbreiteten Angst und Vernichtung bei dem Versuch, im Menschenreich Fuß zu fassen.
Die Anführer der Provinzen, die in der Nähe des Risses lagen, entsandten Truppen, die gegen diese neuen Feinde kämpfen sollten. Sie wurden allesamt abgeschlachtet oder dem Willen dieser dunklen Kreaturen unterworfen, die durch den Riss gedrungen waren. Nachdem ihre Streitkräfte fast vollständig aufgerieben worden waren, erkannten die Anführer der Großen Nationen, dass es mehr als nur gewöhnlicher Soldaten bedurfte, um dieser Bedrohung Herr zu werden. Emissäre all jener Länder, in welche die Dämonen eingefallen waren, versammelten sich im Vatikan, um eine Audienz bei dem guten und weisen Papst Alexander X. zu erbitten.
Der Papst war eine unerschütterliche Säule, was die Inbrunst seines Glaubens anging, aber selbst er begriff, dass es mehr als nur Gebete brauchte, um diese Invasion zurückzudrängen. Es wurde neben dem Wort Gottes auch Stahl benötigt, um diese Feinde zu vertreiben. Papst Alexander entsandte daraufhin seine zwölf vertrauenswürdigsten Kardinäle in die entferntesten Winkel der Erde, um Krieger um sich zu scharen, die reinen Herzens, unerschütterlichen Glaubens und von der Hand ihres Gottes berührt waren, auf dass sie sich gegen diese Bedrohung stemmten. Diese zwölf Männer leisteten jeder einen Schwur vollkommener Geheimhaltung und Loyalität auf die Kirche und bildeten fortan den Orden der Ritter Jesu. Außer ihren gottgegebenen Talenten wurden sie mit einem der bestgehüteten Geheimnisse des Vatikans ausgestattet, mit den Waffen der Ersten Wache.
Die Erste Wache hatte aus zwölf römischen Soldaten bestanden, die mit Jesus und seiner Mission sympathisiert und ihn heimlich beschützt hatten, bis sie schließlich entdeckt und wegen dieses Verbrechens hingerichtet wurden. Ihre Waffen waren ihr wertvollstes Gut gewesen, und so glaubte man, dass die Kraft ihres Glaubens in ihnen ruhte. Mit diesen Kriegswerkzeugen ausgerüstet, waren die zwölf Ordensritter zur letzten Waffe der Kirche geworden, aber der dreizehnte war es, aus dem sie ihre Stärke zogen.
Bischof Michael Francisco.
Der Bischof war Alexanders Lieblingsschüler innerhalb der Kirche und einer seiner besten Hauptmänner auf dem Schlachtfeld. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, der Bischof sei ein blutrünstiger Fanatiker, der sich höchst brutaler Methoden bediene, um das Wort seines Papstes zu verbreiten, doch weil er Alexanders Gunst besaß, wagte es niemand, sich ihm in den Weg zu stellen. Und jetzt war er auserwählt, die Ritter Jesu anzuführen. Dafür erhielt er einen der größten Schätze der Kirche, den Nimrod, einen mit Juwelen besetzten Dreizack, dem eine unermessliche Macht innewohnte.
Es rankten sich viele Geschichten um diesen Nimrod, deren verbreitetste wohl auch der Wahrheit am nächsten kam. Er war angeblich von Heiligen geschmiedet und mit den Tränen von Engeln gekühlt worden. Die Waffe war ein Geschenk an Neptun gewesen, den wahren König der Stürme und den Hüter der Meere. Neptun besaß diesen Nimrod beinahe ein Jahrtausend lang, was ihm die Aufmerksamkeit und schließlich die Feindschaft von Thanos einbrachte, dem Gott des Todes.
Der eifersüchtige Thanos rekrutierte einen jungen ägyptischen Kriegsherrn namens Ezrah und seine Piratenmannschaft, die Sheut, die Neptun den Dreizack entwenden sollten. Es gelang Ezrah tatsächlich, den Nimrod zu stehlen, aber er wurde von den Tempelrittern gefangen genommen, bevor er seine Beute abliefern konnte. Der Ägypter musste zusehen, wie seine Mannschaft im Unterdeck seines Schiffes, der Jihad, eingeschlossen und bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Als das große Schiff nur noch ein rauchendes Skelett war, fesselten die Templer Ezrah an Händen und Füßen und warfen ihn in dasselbe Meer, das er so lange unsicher gemacht hatte. Sie wollten ihn ertrinken lassen, hatten ihre Rechnung jedoch ohne den Totengott gemacht. Thanos hatte seine eigenen Pläne.
Sämtliche Sklaven, die von der Jihad gerettet worden waren, wurden anschließend umgebracht, um das Massaker zu kaschieren, alle bis auf einen trotzigen Jungen, der den Hauptmann der Templer amüsierte. Er brachte ihn in den Vatikan und führte ihn vor Alexander, der damals noch Kardinal war. Dieser war ebenfalls von dem starken Willen des Jungen beeindruckt und beschloss, ihn als Schüler aufzunehmen. Alexander gab ihm den christlichen Namen Michael Francisco und führte ihn auf den Weg Jesu.
Unter Alexander entwickelte sich Michael zum würdigen Katholiken, stürzte sich inbrünstig auf seinen neugefundenen Glauben und stieg rasch bis zum Bischof auf. Obwohl er einer der intelligentesten und lernbegierigsten Studenten unter Alexanders Mündeln war, war dies nur einer der Gründe, warum er zum Anführer der Ritter Jesu bestimmt wurde. Wie Neptun war auch Michael ein Kind des Meeres, und wie die Kardinäle gehofft hatten, erwachte die schlummernde Macht der Waffe in seinen Händen zum Leben. Mit dem Segen seines Heiligen Vaters und gewappnet mit geweihten Waffen führte der Bischof seine Ordensritter in das Auge des Sturms.
Es folgte eine Schlacht von wahrhaft historischen Ausmaßen, die dennoch niemals in die Annalen der Geschichte aufgenommen werden sollte. Sieben Tage und sieben Nächte lang rangen die beiden Parteien miteinander, gewannen weder an Boden, noch wichen sie zurück. In der siebten Nacht jedoch wendeten die Ritter das Blatt, und die Dämonen begannen zu wanken. Der Sieg war nah.
Obwohl der Bischof einer der ergebensten Gefolgsleute des Papstes war, war er nur ein Mensch und daher unvollkommen. Sein Hauptmann und engster Freund Titus arrangierte ein geheimes Treffen zwischen dem Bischof und dem Dämonenlord Belthon. Belthon versprach, dem Bischof die Macht der Götter zu verleihen, falls er dafür einen unheiligen Pakt einginge: Er könnte sämtliche anderen Dämonen in ihr Reich zurücktreiben, würde jedoch Belthon einen kleinen Teil der Welt überlassen. Der Bischof überlegte und kam zu dem Schluss, das sei ein kleines Opfer, gemessen an den Millionen von Seelen, die er mit seiner neu gewonnenen Macht reinigen könnte. Er ging auf das Angebot des Dämonenlords ein, und das führte seinen eigenen Untergang herbei.
Die Ritter, die dem Bischof treu ergeben waren, folgten ihm blind, nichts von dem Handel ahnend, den Michael mit dem Dunklen Herrscher geschlossen hatte. Als die Dämonen bis auf wenige Horden vernichtet worden waren, beschloss Titus, die Bedingungen des Handels zu verändern. Belthon würde seinen kleinen Sieg bekommen, aber er selbst, Titus, würde es sein, der zum Gott aufsteigen würde. Im Schutze der Nacht nahm Titus den Dreizack und erstach damit den Bischof.
Als Michael blutend auf der kalten, regendurchweichten Erde lag, richtete er einige Abschiedsworte an seinen einstigen Freund. »Hör mich an, und höre gut, denn diese Worte werden dich bis ans Ende deiner Tage verfolgen. Du hast meine Waffe und meine Macht gestohlen, aber beides kann niemals von mir getrennt werden«, verkündete der Bischof höhnisch. Je näher er dem Tode kam, desto stärker wütete der Sturm. »Ich verfluche dich, Titus, Meuchler deines Bruders.« Der Bischof kroch zu Titus, bis er seine Füße erreichte. Ritter und Dämonen wichen zurück, Titus jedoch wankte nicht. Selbst als der Bischof sich aufrichtete und ihm in die Augen blickte, gab Titus nicht nach. »Du hast mich also mit dem Dreizack niedergestochen«, fuhr der Bischof fort. »So wisse denn, dass diese unerbittlichen Zacken auch den Geschmack deines Blutes noch kosten werden. Und wenn dieser Tag kommt, dann werde ich es sein, der in deine Augen starrt, während du deine letzten Atemzüge tust.« Die Augen des Bischofs brachen, und er erschlaffte zu Titus’ Füßen.
Mit einem wissenden Lächeln rief Belthon die Sheut, um die Seele des Bischofs gefangen zu nehmen und zu den anderen zu schaffen, die er während der Belagerung bereits erbeutet hatte. Die Lebenskraft der heiligen Männer würde zum Reich der Toten gebracht, wo sie König Morbius’ finsteren Plänen dienen sollte. Doch als die geisterhaften Dämonen versuchten, der Seele des Bischofs habhaft zu werden, geschah etwas vollkommen Unerwartetes: Der Nimrod erwachte glühend zum Leben. Wie sich herausstellte, war die Waffe noch nicht bereit, sich von ihrem Träger zu trennen. Ritter und Dämonen sahen voller Entsetzen zu, wie der Dreizack die Seele des Bischofs in sich aufsog.
Ein Ritter namens Redfeather, der Repräsentant der Büffeljäger, ergriff den Nimrod und wurde sofort von seiner Macht überwältigt. Er hörte das Flüstern des Bischofs aus dem Großen Jenseits und richtete die Waffe auf den Verräter. Sein Stoß traf das Ziel, und der Nimrod drang tief in Titus’ Brust ein, aber Redfeather war im Umgang mit dem Dreizack nicht ausgebildet, so dass bei dem Stoß die mittlere Zacke des Nimrods abbrach und in der Brust des Verräters stecken blieb. Das setzte die gesamte Magie der Waffe frei, und sie verzehrte alle, Freund und Feind gleichermaßen. Erst als der Blutdurst des Bischofs gestillt war, gab die Waffe Ruhe, sog den Sturm in sich auf und schloss den Riss. Die meisten Dämonen waren vernichtet oder durch den Riss in ihr Reich zurückgesaugt worden. Die wenigen, denen die Flucht gelang, zogen sich bis in die entferntesten Winkel der Welt zurück, wo sie sich neu formierten und auf den Tag vorbereiteten, an dem sie erneut versuchen wollten, die Herrschaft über die Welt der Menschen zu erlangen.
Fast vierhundert Jahre später war ihre Zeit gekommen.