3. Kapitel

Tagsüber wimmelte es in der riesigen Bibliothek des Hunter College normalerweise von Studenten, aber abends war es wie in einer Geisterstadt. Nach Einbruch der Dunkelheit hielten sich nur selten Studenten in dem Gebäude auf, und schon gar nicht am Freitagabend. Das galt allerdings nicht für Gabriel Redfeather. Die Bibliothek war einer seiner Lieblingsorte, vor allem am Abend. Er hatte mit dem Nachtwächter eine Abmachung getroffen: Er gab seiner Tochter kostenlos Nachhilfe und durfte dafür die Bibliothek auch nach Ende der Öffnungszeiten benutzen. In diesen ruhigen Stunden konnte sich Gabriel in aller Ruhe seinen Forschungen widmen.

Gabriel war ein ausgewiesenes Genie. Er hatte zahllose Stipendiatsangebote von Universitäten im ganzen Land erhalten, sogar aus dem Ausland, aber er hatte sich entschlossen, das Hunter College zu besuchen. Sein Hauptfach war Geschichte, aber seine Liebe galt der Linguistik. Schon als Kind hatte Gabriel sich dafür interessiert, und diese Begeisterung hatte ihn bis in seine jungen Erwachsenenjahre begleitet. Hunter war zwar nicht die beste Universität in New York, aber sie war angesehen und hatte einen etwas kleineren Campus als einige andere Universitäten der Stadt, was ihm gefiel. Außerdem musste er während des Studiums auf dem Hunter College nicht allzu weit weg von zu Hause, was ihm erlaubte, seinem betagten Großvater zu helfen.

Gabriel setzte sich auf einen der kleinen Holzstühle und blätterte ein Buch über südamerikanische Kulturen durch. Zurzeit stellte er Nachforschungen über einen lange vergessenen Stamm an, der angeblich in den Bergen Argentiniens gelebt hatte. Gabriel betrachtete Fotos von Wandzeichnungen und machte sich Notizen in einem Block in dem Versuch, die Sprache zu entziffern, als plötzlich die Lichter flackerten und dann erloschen.

»Mist!«, fluchte er. Es war vollkommen dunkel in dem Raum, bis auf einen schmalen Lichtstreifen aus dem angrenzenden Flur. Als er aufstand, um nach einem Lichtschalter zu suchen, hörte er Schritte. »Wer ist da?« Niemand antwortete.

Gabriel tastete sich an Tischen und Stühlen entlang, bis er ein Bücherregal erreichte. Er lehnte sich mit dem Rücken daran und suchte die Dunkelheit nach dem Eindringling ab. Das einzige Licht spendete der kleine Lichtstreifen unter der Tür. Gabriel bemerkte, wie jemand durch den Streifen trat und hinter den Regalen mit Quantenphysik verschwand. Sein Herz schlug schneller. Er rieb sich die Handflächen an den Jeans ab, um den Schweißfilm zu entfernen, der sich darauf gebildet hatte. Dann sah er sich nach einer Waffe um, bezweifelte aber, dass Webster’s Unabridged Dictionary ihm viel nützen würde, trotz seiner Dicke.

Er starrte erneut in die Dunkelheit und machte einen letzten Versuch. »Also gut, das ist nicht komisch. Zum letzten Mal, wer ist hier?« Als Antwort auf seine Frage stürzte sich ein Schatten auf ihn. Die Zeit schien plötzlich nur noch zu kriechen. Der dunkle Schatten wurde langsamer, und Gabriel konnte den Umriss eines Mannes erkennen. Er packte zu, erwischte eine Handvoll Kleidung und drehte seinen Körper in die Richtung, in die sich der Schatten bewegte. Der Schwung des Sprungs beförderte den Schatten über Gabriels Kopf, und er krachte gegen den Tisch, an dem er gerade gearbeitet hatte. Gabriel machte sich nicht die Mühe zu versuchen, seinen Angreifer zu identifizieren, sondern rannte zum Ausgang. Unmittelbar davor flammte plötzlich das Licht auf.

Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich auf die Helligkeit eingestellt hatten, aber dann erkannte er die Gestalt eines Mannes in der Tür. Gabriel wirbelte herum, um zum zweiten Ausgang zu laufen, und erstarrte. Auf dem Boden neben dem umgestürzten Tisch lag Gabriels guter Freund Carter.

»Was zum Teufel soll das, Gabe?« Carter lag immer noch auf dem Rücken. Carter war ein eins neunzig großer Junior, der Shooting Guard im Basketballteam spielte. Er hatte ein gutes Herz, war aber in einem Kampf tödlich. Vor anderthalb Jahren wäre Carter fast aus dem Team geworfen worden, doch Gabriel hatte ihm geholfen, seine Noten zu verbessern. Seitdem waren sie Freunde.

»Dieser Idiot hat dich aufs Kreuz gelegt, Carter«, sagte der junge Mann, der neben dem Lichtschalter stand. Vince spielte ebenfalls im Basketballteam, aber Gabriel und er waren keine Freunde. Vince gehörte zu den Studenten, die Gabriel wegen seiner Vorliebe für Bücher häufig lächerlich machten.

»Carter, was zum Teufel ist mit dir los?« Gabriel half ihm auf die Füße.

»Verdammt, Junge, ich wollte dir doch nur einen Streich spielen! Ich bin der Schnellste in der Liga, und du bist mir ausgewichen. Wie zum Teufel hast du das gemacht?« Er rieb sich die Beule, die unter seiner Afro-Frisur wuchs.

Gabriel konnte diese Frage wirklich nicht beantworten. Schon als Kind hatte er sehr schnelle Reflexe gehabt und war immer beweglicher als die meisten Gleichaltrigen gewesen. Er konnte es nicht erklären, es war einfach so. Das – unter anderem – hatte ihn zu einem Magneten in der Artistentruppe seiner verstorbenen Eltern gemacht.

»Carter, wieso lässt du dir das von diesem Trottel gefallen?« Vince schlenderte heran.

»Pass auf, was du sagst, Vince«, warnte ihn Carter. »Ich bin der Einzige, der Gabe beschimpfen darf.«

»Ist schon gut, Mann.« Gabriel warf Vince einen finsteren Blick zu. »Was hattet ihr beiden Witzbolde denn vor?« Er konzentrierte sich wieder auf Carter.

»Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, heute Abend ein bisschen auszugehen. Ein paar Jungs treffen sich im Village in diesem Schuppen namens Sechs-Sechs-Sechs oder so ähnlich.«

»Yeah. Carters Mutter ist übers Wochenende nicht da, also veranstalten wir eine Orgie bei ihm zu Hause«, erklärte Vince.

»Mann, warum hältst du nicht einfach die Klappe?«, fuhr Carter ihn an. »Genau, Mutter Dukes ist weg, also haben wir ein Plätzchen, um einen wegzustecken, wenn wir Glück haben, kapierst du?«

»Ich kann nicht.« Gabriel begann die Bücher aufzuheben, die Carter auf den Boden gefegt hatte. »Ich muss studieren, und Katie braucht meine Hilfe bei einem Projekt, das ihr bevorsteht.«

Carter und Vince wechselten einen vielsagenden Blick. »Gabe, Katie ist vor etwa einer Viertelstunde mit Molly und June losgezogen. Schätze, sie hat euer kleines Date platzen lassen.« Vince legte eine Hand auf Gabriels Schulter, die dieser sofort wegschlug.

»Hör auf damit, Vince!«, fuhr Carter ihn an. »Gabe, es ist Freitag, Mann. Diese toten Kerle sind am Montag auch noch hier. Du musst mal ein bisschen unter Leute.«

Katie hatte ihn schon wieder zum Trottel gemacht. Wie wollte sie durch die Bars und Kneipen ziehen und gleichzeitig in der Bibliothek studieren? Mit dem flehenden Blick ihrer himmelblauen Augen und ihrem engelsgleichen Gesicht übertölpelte sie ihn immer wieder. Er betrachtete die verstreuten Bücher auf dem Boden und beschloss, heute Abend frei zu machen.

»Also gut. Ich räume hier nur noch auf und schließe ab.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war kurz vor 22 Uhr. »Wir treffen uns da um Viertel vor elf.«

»Braver Junge.« Carter tätschelte ihm den Rücken. »Eine Minute lang hast du mir Angst gemacht. Wenn du weiter nur mit diesen toten Jungs rumhängst, findest du dich irgendwann noch mal in einem Kelly-Armstrong-Roman wieder«, scherzte er.

»Wohl kaum.« Gabriele errötete. Er hatte sich tatsächlich oft als mächtigen Zauberer oder tapferen Werwolf gesehen. »Das sind fiktive Romane; was ich studiere, ist real.«

»Wie du meinst, Mann. Hauptsache du tauchst da auf«, sagte Carter und ging zur Tür.

Vince starrte Gabriel noch einen Moment an, bevor er sich umdrehte und Carter folgte. »Wer weiß?«, rief er über die Schulter zurück. »Vielleicht wirst du heute Nacht sogar flachgelegt.« Sein spöttisches Lachen hallte Gabriel noch in den Ohren, als die beiden schon längst nicht mehr zu sehen waren.

In einer Nebenstraße, nicht weit von dem Ort, wo Gabriel gerade das Durcheinander aufräumte, das Carter angerichtet hatte, kauerte ein alter Mann neben einem Müllcontainer. Sein schmutziger weißer Bart reichte bis in den Schoß seiner verschlissenen Jeans, als er mit gekreuzten Beinen auf dem Boden saß und sich vor- und zurückwiegte. Eine Katze, die den Fehler gemacht hatte, dem Mann zu nahe zu kommen, fauchte und verschwand unter einem Zaun hindurch. Der Mann lächelte, erhob sich und ging zum Eingang der Gasse.

Die Ledersohlen seiner schmutzigen Laufschuhe machten keinerlei Geräusche auf dem Zement. Selbst als er durch die flachen Pfützen ging, die der Regen auf dem unebenen Boden hinterlassen hatte, platschte es nicht einmal. Am Eingang der Gasse lehnte er sich an eine Wand und wartete auf das Unausweichliche.

Er roch sie, bevor er sie sehen konnte. Es war schon eine Weile her, seit er ihren besonderen Duft wahrgenommen hatte, aber er würde ihn überall erkennen. Der Mann verschmolz mit den Schatten um ihn herum und wartete darauf, dass sie vorbeikam.

Sie war eine attraktive junge Frau mit olivbrauner Haut und einem scharf geschnittenen Gesicht. Trotz der weiten, unförmigen Jeans, die sie trug, konnte er sehen, dass sie weibliche Kurven hatte, obwohl es noch einige Jahre dauern würde, bis sie eine richtige Frau war. Ihr dunkles Haar war zu Zöpfen geflochten, und ihre lateinamerikanischen Gesichtszüge erinnerten ihn an eine Prinzessin der Azteken, die er einmal gekannt hatte. Ihre Haltung jedoch war die einer Kriegerin, wie bei ihrer ganzen Familie. Der alte Mann wartete, bis sie ihn fast erreicht hatte, bevor er ins Licht trat.

Er zog die Wollmütze ab, die sein langes weißes Haar ohnehin nur notdürftig bändigte, und verbeugte sich vor ihr. »Was für ein hübscher Beutel! Darf ich Ihnen helfen, ihn zu tragen?«

Das Mädchen wirbelte herum. Die Zöpfe peitschten um ihr Gesicht, und das Messer in ihrer Hand blitzte. Nach dem, was in der letzten Nacht passiert war, wollte sie kein Risiko mehr eingehen. »Mister, wenn Sie so viel wüssten wie ich, würden Sie verschwinden. Dieses Problem wollen Sie ganz bestimmt nicht haben!«, knurrte sie. Er roch die aufkeimende Wut in ihr und trat einen Schritt zurück, weil er wusste, was passieren würde, wenn er sie bedrängte.

»Oh, verdammt, ich hab Sie beleidigt, stimmt’s? Verzeihen Sie einem alten Mann, dass er seine Grenzen überschritten hat, Ma’am. Ich dachte nur, dass Sie bei so einem schweren Bündel vielleicht Hilfe brauchen könnten.«

»So schwer ist es nicht, das schaffe ich schon«, erwiderte sie und ging weiter.

»Das Gewicht eines Gegenstands ist nicht immer physischer Natur!«, rief er ihr nach. Das Mädchen ignorierte ihn und setzte seinen Weg fort. Der alte Mann beobachtete, wie sie in Richtung Campus verschwand und rieb sich die Hände. »Die eiserne Jungfrau begegnet dem Jäger. Das könnte interessant werden«, sagte er, bevor er wieder im Schatten verschwand.

Eine Viertelstunde später hatte Gabriel das Chaos beseitigt, das Carters Streich verursacht hatte. Zum Glück war nichts beschädigt worden. Als er gerade die Bücher, in denen er gelesen hatte, in die Regale zurückstellte, hörte er Schritte im Flur. Er seufzte. »Carter, hör endlich auf, das Arschloch zu spielen. Der Witz ist uralt.«

»Man hat mich schon Schlimmeres genannt«, erwiderte eine weibliche Stimme hinter ihm.

Gabriel fuhr herum. Das war eindeutig nicht Carter! Das Mädchen, das dort stand, war etwa so alt wie er, vielleicht sogar jünger. Sie trug ein schwarzes, eng anliegendes T-Shirt und eine weite Jeans über schwarzen Stiefeln. Während sie einen Zopf hinter ihr Ohr schob, betrachtete sie Gabriel von Kopf bis Fuß.

»Oh … Entschuldigung, ich habe Sie für jemand anderen gehalten.« Er versuchte, seine Verlegenheit zu verbergen, was ihm nicht besonders gut gelang.

»Offensichtlich. Ich wollte Sie nicht so einfach überfallen, aber die Tür war offen.«

Ich darf nicht immer vergessen, die verdammte Tür abzuschließen, dachte er. »Ja. Ich wollte sie auf dem Weg nach draußen zusperren. Die Bibliothek ist geschlossen.«

»Ja, das weiß ich.« Sie kam näher. »Ich suche auch nicht nach einem Buch, sondern nach einer Person. Kennen Sie jemanden namens Redfeather? Ich glaube, er arbeitet hier.«

Gabriel hob eine Braue. »Und warum suchen Sie ihn?«

Ihre Miene verriet Gereiztheit und Ungeduld. »Hören Sie, wenn Sie es nicht sind, dann geht es Sie nichts an. Ich muss ihn finden, es geht um Leben und Tod.«

»Sie brauchen nicht weiter zu suchen.« Er verbeugte sich knapp.

»Sie sind Redfeather?«, erkundigte sie sich misstrauisch.

»Ja, Gabriel Redfeather.« Er reichte ihr die Hand.

Sie betrachtete sie einen Moment lang, als wollte er ihr einen Streich spielen, dann nahm sie sie. »De Mona Sanchez.« Es folgte ein kräftiger Händedruck. »Entschuldigen Sie, ich habe nicht erwartet, dass Sie so jung sind, jedenfalls nicht nach dem, wie mein Vater von Ihnen geredet hat.«

»Ihr Vater?«

»Ja, Edward Sanchez.« Sie wartete auf eine Reaktion. Vergeblich.

Gabriel zuckte mit den Schultern. »Da klingelt bei mir nichts.«

De Mona betrachtete ihn argwöhnisch und versuchte herauszufinden, ob er log. Sie hatte den Mann namens Redfeather nie kennen gelernt, aber ihr Vater hatte ihn immer als einen großen Gelehrten geschildert, und Gabriel wirkte auf sie nur wie ein ganz normaler College-Student. Sie trat noch einen Schritt näher. »Was wissen Sie über Tote Sprachen

Jetzt bekam sie eine Reaktion. Tote Sprachen war der Name einer Internetgruppe, die aus Männern und Frauen bestand, die sich für alte Sprachen interessierten. Gabriel war der Gruppe vor einem halben Jahr beigetreten, hatte jedoch schon bald das Interesse verloren. Es gab nur wenige Mitglieder, die diese Wissenschaft so ernst nahmen wie er, also beschränkte er seine Besuche auf der Website darauf, gelegentlich nachzusehen, ob es etwas Neues gab.

»Ach, darum geht es? Hören Sie, wenn Sie dieser Gruppe beitreten wollen, dann sollten Sie sich an Harvey Klein wenden, er ist der Moderator. Ich kann Ihnen seine E-Mail-Adresse geben, wenn Sie möchten«, bot Gabriel ihr an.

»Sie sind also nicht der Redfeather, der den berühmten verschollenen babylonischen Text entziffert hat?«

»Doch, das bin ich, aber das war wirklich nicht so kompliziert, wie es klingt. Der Kerl, der den Text ins Netz gestellt hatte, war ein Betrüger. Dieser Text war nur ein Dialekt des Portugiesischen, in den er ein paar Brocken Rumänisch aus dem 11. Jahrhundert eingestreut hatte. Der Text las sich so toll, weil er die Worte absichtlich falsch geschrieben hatte, so dass sie mehr zu sein schienen, als sie in Wirklichkeit waren. Das war eigentlich ein ziemlich einfacher Trick«, schloss Gabriel, als hätte jeder dahinterkommen können.

De Monas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Entweder führen Sie mich an der Nase herum, oder ich habe einen riesigen Fehler gemacht, was mir in letzter Zeit häufiger passiert. Man hat mir gesagt, dass ein Mann namens Redfeather in der Lage wäre, etwas für mich zu übersetzen. Etwas, das mein Vater mit seinem Leben beschützt hat.« Sie warf den Sack auf den Tisch. Gabriel musterte ihn, als wäre darin eine Giftschlange verborgen. »Keine Sorge, es ist kein Anthrax.«

Neugierig löste Gabriel die Stricke des Bündels und warf einen Blick in den Sack. Der Geruch von Nelken stieg ihm in die Nase. Es war merkwürdig, dass jemand einen Jutesack mit Gewürznelken vollstopfte, aber der Gegenstand in dem Sack war noch erstaunlicher. Es war der verrostete Kopf einer Mistgabel, deren Schaft abgebrochen war und deren mittlerer Zinken fehlte.

Er nahm die Gabel in die Hand und sah De Mona an. »Soll das ein Witz sein?«

Sie starrte ihn an, als hätte er sie beleidigt. Dann stemmte sie ihre Knöchel auf die Tischplatte, die sich daraufhin ein Stück durchbog. Gabriel war jedoch so von ihren walnussbraunen Augen fasziniert, dass er es nicht einmal bemerkte. »Mr. Redfeather …«

»Gabriel«, fiel er ihr ins Wort.

»Wie bitte?«

»Mein Name ist Gabriel. Mr. Redfeather ist mein Großvater.«

»Von mir aus.« Sie wedelte mit den Händen. »Mein Vater wurde ermordet, und das hatte etwas mit diesem Ding da zu tun.« Sie deutete mit einem Nicken auf die Gabel. »Ich weiß nur, dass entweder Sie oder Ihr Großvater mir helfen können, herauszufinden, was das eigentlich ist. Helfen Sie mir nun oder nicht?«

Ihre Stimme klang so barsch, dass er fast Angst bekam, aber ihr flehentlicher Unterton berührte ihn. Er hatte seine Eltern ebenfalls auf tragische Weise verloren, deshalb konnte er sowohl ihren Schmerz als auch ihre Wut verstehen. »Ich werde es versuchen.« Er setzte seine Brille auf und untersuchte die Gabel. »Ich kann nichts sehen.« Er drehte sie herum.

»Halten Sie sie ins Mondlicht.« Sie deutete mit dem Kopf zum Fenster der Bibliothek.

Gabriel sah sie misstrauisch an, ging dann jedoch ans Fenster. Er hielt die Gabel hoch, so dass das Licht des Mondes auf den Schaft fiel. Zuerst sah er gar nichts, aber zu seiner Überraschung begann die Gabel schwach zu vibrieren. Dann absorbierte das Metall das Mondlicht, und es wurden Buchstaben sichtbar. »Oh, Mann! Da steht etwas auf der Seite, aber ich kann nicht sagen, was für eine Sprache das ist. Es könnte Aramäisch sein, aber den Dialekt kann ich nicht aus dem Handgelenk bestimmen.« Er drehte die Gabel. »Geben Sie mir einen Tag Zeit, dann ziehe ich meine Lehrbücher zurate und …« Er keuchte, als die Zeichen sich veränderten.

»›Die zwei sind eins, wie es immer sein muss. Ich bin der Nimrod; lass mich frei und wisse meinen Namen‹«, las er laut.