4. Kapitel

Ontario, Kanada

Das Hauptquartier der Titus-Corporation war im Geschäftsviertel von Ontario beheimatet. Das gewaltige, sechsundsechzigstöckige Gebäude war im Umkreis von einigen Blocks das einzige, das nicht der Stadt gehörte. Das Büro und die Wohnung des Vorstandsvorsitzenden Maxwell Titus lagen im obersten Stockwerk und konnten nur mit einer speziellen Schlüsselkarte betreten werden. Den größten Teil der Zeit leitete Titus in diesem Refugium im obersten Stock seine Geschäfte, aber heute Nacht gab er sich dem Vergnügen hin.

Der Mann, der in den letzten hundert Jahren als Maxwell Titus oder Maxwell Titus jr. bekannt gewesen war, entspannte sich in seinem extragroßen Jacuzzi. Sein Hinterkopf lehnte an dem kühlen Marmor. Er war gut gebaut, hatte muskulöse Arme und eine tonnenförmige Brust. Seine nackte Haut war makellos bis auf eine kleine rosafarbene Narbe unmittelbar über seinem Herzen. Er hatte ein attraktives Gesicht, dessen sauber gestutzter schwarzer Bart bereits von den ersten grauen Haaren gesprenkelt war. Obwohl er rein äußerlich erst Ende dreißig oder Anfang vierzig zu sein schien, hatte er weit länger gelebt. Maxwell Titus hatte mehr gesehen, als er in Erinnerung behalten konnte, angefangen beim Aufstieg und Fall von Königreichen bis hin zu der Verdrängung der Pferdekutsche durch das Automobil. Aber ganz gleich, wie sich die Welt um ihn herum auch veränderte, Maxwell Titus blieb in der Mitte seines Lebens gefangen.

Noch bevor er das leise Klopfen hörte, spürte er die Gegenwart eines Menschen vor der Tür. »Kommen Sie rein, Flag!«, rief er, ohne sich die Mühe zu machen, sich selbst oder seine Ladys zu bedecken. Die Erste hatte blasse Haut und Haare in der Farbe eines Sonnenaufgangs, der von geschmolzenem Gold durchdrungen war. Ihre Gefährtin bildete einen augenfälligen Kontrast zu ihr mit ihrer zimtfarbenen Haut, den schokoladenbraunen Augen und ihrem Haar, das so schwarz war, dass es kein Licht reflektierte. Maxwells Gespielinnen waren wunderschön, so schön sogar, dass man seinen freien Willen aufs Spiel setzte, wenn man sie zu lange anstarrte. Sie waren Vampire. Titus hatte sie im Rotlichtbezirk von New Orleans aufgelesen, wo sie sich als Huren verkleidet hatten und Touristen und jenen auflauerten, die dem Übernatürlichen gegenüber ahnungslos waren. Sie hatten gefürchtet, ihr Leben als Aasfresser zubringen zu müssen, bis sie Titus begegnet waren. Der Lieblingssohn des Fürsten der Finsternis hatte ihnen Unterkunft, ein Ziel und Macht gegeben, sehr viel Macht.

Der Mann, der jetzt zögernd den Raum betrat, war knapp über einen Meter achtzig groß und so dünn wie ein Besenstiel. Sein blondes, fast weißes Haar reichte ihm bis auf den Rücken und fiel über seine Schultern. Seine kleinen blauen Augen hinter der Metallbrille wanderten von dem nackten Trio zu seiner Krawatte, die er sorgfältig zurechtrückte.

»Meister«, sagte Flag mit einem deutlich britischen Akzent, während er seinen Blick auf die Fliesen gerichtet hielt.

»Dich bringt doch wohl ein bisschen nackte Haut nicht in Verlegenheit?«, spottete Titus und liebkoste Ravens Brust.

»Selbstverständlich nicht. Ich habe nur nicht erwartet, Euch indisponiert vorzufinden.«

»Selbst der Lieblingssohn von Belthon hat sterbliche Bedürfnisse.« Er küsste zuerst Helena, dann Raven. »Ladys, lasst uns allein.«

»Ja, Lord Titus«, antworteten sie gleichzeitig. Die beiden nackten Frauen glitten aus der großen Wanne und bewegten sich zur Tür. Ihre gierigen Blicke verschlangen Flag beinahe, als sie an ihm vorbeigingen, aber sie hüteten sich, den Magus unaufgefordert zu berühren.

»Ich nehme an, du hast Nachrichten von Moses«, sagte Titus und erhob sich ebenfalls aus dem Becken. Er zog seinen schwarzen Morgenmantel von einem Stuhl und warf ihn sich über.

»Ein weiterer gescheiterter Versuch.« Flags Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Titus durchquerte den Raum so schnell, dass Flags Blick ihm nicht folgen konnte, und baute sich direkt vor ihm auf. »Du hast mich unterbrochen, um mir zu sagen, dass man versagt hat?«

Flag schluckte und fuhr fort. »Die Nachtwandler wurden vernichtet, und Moses hat den Körper seines Wirts verloren. Glücklicherweise konnte er sich einen anderen beschaffen, aber es wird eine Weile dauern, bis dieser Wirtskörper kampfbereit ist. Wie es scheint, leidet der neue Körper unter schweren Entzugserscheinungen.«

Titus zischte. Flag zuckte vor dem Schwefelgeruch zurück, der aus dem Mund seines Meisters drang. »Wie konnten der sogenannte Herr der Schatten und ein kleines Rudel Nachtwandler von zwei Teenagern besiegt werden?«

»Der Junge wurde getötet, denn er war menschlich, aber das Mädchen ist das nicht – was wir jedoch nicht wussten, bis sie sich verriet. Sie trägt das Mal der Valkrin. Meine Informanten behaupten, sie sei ein Nachkomme von Mercy.«

Titus schüttelte den Kopf, als er an die aufsässige Dämonenführerin dachte. »Ganz gleich, auf welcher Seite Mercy kämpft, sie bereitet mir ständig Kopfzerbrechen.«

»Doch dafür haben wir Judas’ Ring in unseren Besitz gebracht. Einer der Trollsoldaten hat ihn in den Bergen Dakotas entdeckt. In diesem Moment wird er in den Gewölben in Sicherheit gebracht«, fuhr Flag fort.

Judas’ Ring war der Hochzeitsring, der für einen Soldaten der Ersten Wache und Judas’ älteste Tochter während der Belagerung von einer Amazone geschmiedet worden war, ein Diamant, der in einen goldenen Reif eingelassen war und der seinem Träger die Macht verlieh, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Log jemand, wurde er rot, wenn die Person die Wahrheit sagte, grün. Es war zwar nicht das mächtigste der Artefakte, aber zusammen mit den anderen hatte es sehr viel Macht.

Ohne Vorwarnung packte Titus Flag an der Kehle und hob ihn vom Boden, als wäre er ein kleines Kind. Dann quetschte er ihm die Luftröhre zusammen. »Du Narr!«, knurrte Titus. »Was kümmert mich solcher Tand, der nur billige Taschenspielertricks vollführen kann? Ich suche die mächtigste Waffe, das ewige Gefängnis des verfluchten Bischofs, den Nimrod.«

»Nach dem alle Diener Belthons suchen, Lord Titus. Dies hier ist nur ein unbedeutender Rückschlag. Wir wissen, dass das Mädchen die Stadt nicht verlassen hat, und mehrere Rudel Nachtwandler sind ausgerückt und suchen nach ihr. Soll ich die Hexe losschicken, damit sie Moses’ Fortschritte beschleunigt, so dass er seine Suche fortsetzen kann?«

Titus dachte einen Moment lang nach. »Nein. Soll der sogenannte Herr der Schatten eine Weile in der Hölle seines neuen Körpers schmoren. Und jetzt weiter im Geschäft. Bis zum nächsten Vollmond erwarte ich …« Ein scharfer Schmerz in seiner Brust ließ Titus verstummen. Mit zittrigen Beinen taumelte er zum Stuhl und stützte sich darauf.

»Was ist mit Euch?«, fragte Flag nervös.

Titus sah ihn an. Seine Augen glühten rot. »Der Bischof rührt sich.«

New York City

»Was zur Hölle ist ein Nimrod?«, fragte De Mona und starrte auf die Gabel.

»Ich weiß es nicht.« Gabriel untersuchte das Objekt weiter. »Wenn ich die Inschrift richtig gelesen habe, nennt man diesen Dreizack so. Hat Ihr Vater Ihnen irgendetwas darüber gesagt, vielleicht, wie er in seinen Besitz gekommen ist?«

»Mein Vater hatte einen Antiquitätenladen, deshalb war es nicht ungewöhnlich, dass er einige kostbare Dinge mit nach Hause brachte, um sie in unserem Kellergewölbe zu verstauen«, antwortete sie. »Vor etwa einem Monat kam er aus Afrika mit irgendwelchen Sachen zurück, die er dort von einem anderen Antiquitätenhändler erstanden hatte. Von da an passierten seltsame Dinge.« Sie verstummte, während sie über die letzten Tage nachdachte, die sie mit ihrem Vater verbracht hatte. »Mein Vater war jemand, der nicht einmal bei einem Streit seine Stimme erhob. Deshalb war ich ziemlich geschockt, als ich eine Waffe in seinem Schlafzimmerschrank fand. Und ich meine damit nicht die typische ›Beschütze-dein-Heim-und-deine-Familie‹-Knarre, sondern ich rede von einem M16, einem verdammten Sturmgewehr. Dann sagte er mir, dass wir unser Haus in Queens verkaufen würden.«

»Vielleicht fand er ja nur das Viertel nicht mehr sicher genug und wollte wegziehen?« Gabriel versuchte, seinen eigenen Worten zu glauben.

De Mona sah ihn abschätzig an. »Gabriel, mein Vater hatte unser Haus gebaut, als er erfuhr, dass meine Mutter mit mir schwanger war. Selbst als sie uns verließ und unsere ganzen Ersparnisse mitnahm« – die Verachtung in ihrer Stimme war unüberhörbar –, »wollte er das Haus nicht verkaufen. Irgendetwas in Afrika muss ihn erschüttert haben.«

Gabriel nickte, während er seine Untersuchung der Gabel fortsetzte. »Und das hier«, er hielt den Dreizack hoch, »hat er auch aus Afrika mitgebracht?«

De Mona zuckte mit den Schultern. »Das habe ich jedenfalls angenommen, weil ich es vor drei Tagen zum ersten Mal sah. Als ich ihn fragte, was es ist, hat er nur geantwortet, dass es einigen alten Freunden in der Kirche gehörte und dass wir es zurückgeben würden, sobald wir umgezogen wären.«

»Ich nehme an, Sie wissen nicht, wer diese Freunde waren oder welche Kirche er meinte?«

»Nein.« Das war nicht die ganze Wahrheit.

»Und wieso sind Sie damit zu mir gekommen?«, wollte Gabriel wissen. Er machte Anstalten, den Dreizack wieder in den Beutel zu legen, zögerte jedoch. Obwohl das Metall angelaufen war, fand er das Objekt wunderschön.

»Der Name«, erwiderte sie. »Mein Vater hat immer wieder den Namen Redfeather genannt. Und zwar meistens, wenn es um etwas Unbekanntes ging; das war ein anderes Hobby meines Vaters. Er sagte oft, der einzige Mensch, der mehr über die uralten Geheimnisse wüsste als er, wäre dieser Redfeather. Er wollte sich wegen dieser Mistgabel mit Ihrem Großvater beraten, bevor er sie der Kirche zurückgab. Da ich diesen Redfeather nie kennen gelernt habe, habe ich den Namen gegoogelt und bin auf Sie gestoßen. Allerdings scheine ich ein oder zwei Generationen danebenzuliegen.«

»Großvater.« Gabriel nickte. »Mein Großvater weiß sehr viel über sehr vieles. Er könnte uns vielleicht ein bisschen mehr darüber verraten.« Gabriel warf einen Blick auf seine Uhr. »Wahrscheinlich ist er noch wach.«

»Sie glauben, Ihr Großvater könnte uns weiterhelfen?« Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit.

»Finden wir es heraus.« Er schob die Gabel in den Jutesack zurück.

Als sie die Bibliothek verließen, fiel De Mona sofort die Stille auf. Sie sah sich in der Dunkelheit um; es war keine Menschenseele in Sicht. Sehr merkwürdig für einen Freitagabend in New York, vor allem auf einem Universitätscampus. Ein Kribbeln lief ihr über Arme und Hals, und ihre Haut zog sich zusammen.

»Stimmt etwas nicht?«, erkundigte sich Gabriel, dem die Veränderung in ihrer Miene aufgefallen war.

»Ich denke nur gerade, wie ruhig es ist.« Sie konzentrierte sich darauf, ihre Kontrolle nicht zu verlieren. »Haben Sie einen Wagen?«

»Mit dem Geld von einem Stipendium? Machen Sie Witze? Was ist los, De Mona?«

De Mona schnüffelte in die Luft und runzelte die Stirn. »Wo geht es zur nächsten U-Bahn-Station?«

»Die ist da drüben auf der Lexington.« Er deutete mit einem Nicken in die Richtung. »De Mona, was haben Sie? Was ist los?«

Statt zu antworten packte De Mona Gabriels Arm und riss ihn zu sich. Ihre Schnelligkeit und Kraft überraschten ihn, während er an De Mona vorbei gegen einen geparkten Wagen flog. Ganz kurz glaubte er, dass sie ihn angegriffen hatte, bis er ein lautes Krachen hinter sich hörte. Als er wieder klar sehen konnte, bemerkte er einen Mann in einem billigen braunen Anzug, dessen Rücken ausgeschnitten war wie bei den Leichen, die man in Bestattungsunternehmen aufbahrte. Die Kreatur richtete den Blick ihrer toten Augen auf Gabriel und zischte, wobei sie abgebrochene, spitze gelbe Zähne zeigte. Gabriel wollte weglaufen, aber ein anderer Mann schnitt ihm den Weg ab.

Er sah gut aus. Sein Gesicht war schmal, er hatte schräge, asiatische Augen, und seine Haut hatte die Farbe von weichem Mondlicht. Sein strähniges Haar war so schwarz, dass es in der richtigen Beleuchtung vermutlich blau gewirkt hätte, und es wehte offen um seine breiten Schultern. Er trug eine schwarze Motorradjacke, die aussah wie eine Rüstung und die Flicken von verschiedenen Kriegen aufwies. Früher einmal war er der Kriegsführer des Totengottes Thanos gewesen, aber jetzt diente er Belthon.

»Ritter!«, brüllte er. »Man nennt mich Riel, Hüter der Toten und Königsmacher. Auf Befehl meines Herrn Belthon bin ich gekommen, um deine Waffe und deinen Kopf zu beanspruchen!« Er schwenkte ein Schwert in einem niedrigen Bogen, was eine unheimliche Spur von grünlichem Rauch zurückließ. Im Licht der Straßenlaterne sah Gabriel das Brandzeichen, das über die Mulde der Klinge verlief. Das Schwert wurde Gift genannt, der brennende Tod, und wer von ihm getroffen wurde, würde genau einen solchen Tod erleiden.

»Ich habe diese Woche schon einen von euch Jungs nach Hause geschickt, Höllenbrut; mach dich nicht zur Nummer zwei«, warnte ihn De Mona.

»Du solltest nicht mit Steinen werfen, kleines Mädchen.« Riel lachte und drehte sich zu der wandelnden Leiche um. »Die Jagd ist eröffnet, und die Beute ist Fleisch!« Riel deutete mit Gift auf De Mona.

»Fleisch!«, schnarrte der Nachtwandler in dem braunen Anzug, bevor er Gabriel mit der Schulter rammte und ihn über die Motorhaube des Autos schleuderte. Gabriel landete auf der Straße. Seine Brille zerbrach, und er hatte das Gefühl, als hätte er sich eine Rippe gebrochen, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was der Nachtwandler mit ihm machen würde, sobald er ihn erreicht hatte. Der Leichnam hatte Gabriel gerade eingeholt, als etwas den Rücken seiner zerfetzten Anzugjacke packte. Die Kreatur drehte sich herum und blickte in zwei im Mondlicht glänzende Augen, die ihn aus dem Gesicht des Mädchens anstarrten. Da Gabriel sie nicht sehen konnte, konnte sie die Samthandschuhe ausziehen. Das bedeutete Ärger für den Nachtwandler.

Als Gabriel auf den Asphalt geprallt war, war der Dreizack über die Straße gerutscht und unter einem Reifen gelandet. Der benommene Junge rappelte sich hoch und wich Riels Schwert aus, als dieser ihn aufspießen wollte. Der Dämon holte erneut aus und versuchte, Gabriel mit seinem verfluchten Schwert in zwei Stücke zu hacken, aber es gelang dem ehemaligen Akrobaten, rechtzeitig zurückzuspringen. Als die Klinge auf den Asphalt traf, hinterließ sie einen Brandfleck.

Gabriel tänzelte einmal auf der Stelle und versetzte Riel einen etwas ungelenken rechten Haken. Riel lächelte nur und erwiderte den Schlag mit einem Hieb auf die Brust. Gabriel flog zurück und prallte zweimal auf, bevor er mitten auf der Straße liegen blieb. Noch bevor er den Nebel vor seinen Augen vertreiben konnte, zerrte Riel ihn an seiner Hemdbrust auf die Füße.

»Was für ein Feigling.« Riel schüttelte den verängstigten jungen Mann, als wäre er ein ungebärdiges Kind. »Einer von Gottes Auserwählten zittert im Angesicht des Bösen.« Er zog Gabriel so dicht an sich heran, dass dieser den widerlichen Gestank des Grabes in Riels Atem riechen konnte. »Wo ist dein Gott jetzt?«

Gabriel knurrte, rammte Riel beide Füße gegen die Brust, machte einen Salto rückwärts und landete in der Hocke. Riel schwang erneut sein Schwert, aber Gabriel war schneller und konnte unter einen Wagen kriechen.

»Komm raus, Ritter. Ich habe versprochen, dir einen schmerzlosen Tod zu bereiten«, höhnte Riel.

Gabriel lag unter dem Wagen und zitterte wie Espenlaub. Er war bei seinen Studien des Vergessenen und Unbekannten auf einige unerklärliche Dinge gestoßen, aber nichts davon konnte mit dem mithalten, was er hier gerade leibhaftig erlebte. Er schloss die Augen, als er sah, wie Riel die Stoßstange des Wagens packte und sich daranmachte, ihn anzuheben. Langsam hob sich das Fahrzeug von der Straße, und Gabriel war klar, dass er schon bald schutzlos daliegen würde. »Kann mir bitte jemand helfen?«, wimmerte er und legte die Hände über den Kopf.

Lass mich frei.

Gabriel wäre beinahe aus der Haut gefahren, als er die Stimme hörte. Sie klang, als würde der Sprecher direkt in sein Ohr flüstern, aber außer ihm lag niemand unter dem Wagen.

Lass mich frei und wisse meinen Namen, fuhr die Stimme fort.

Gabriel sah, dass der Dreizack unter dem Vorderrad aus dem Bündel lugte. Wie aus eigenem Willen schoss seine Hand vor und packte ihn. Diesmal fühlte sich die Gabel heiß an, fast so heiß, dass sie ihn verbrannte. Eine Woge von Energie strömte von der Gabel in seinen Arm und legte sich wie eine wärmende Ruhe um sein Herz. Er hielt den Dreizack an seinem zerbrochenen Schaft und rollte sich auf der anderen Seite unter dem Wagen heraus. Wenn diese Kreatur ihn umbringen wollte, dann würde Gabriel zumindest im Stehen sterben.

»Du hast dich also entschieden zu kämpfen?« Riel lächelte. »Gut.« Er sprang über den Wagen und griff Gabriel an.

Gabriel stand da, den Kopf halb gesenkt, und wartete auf den tödlichen Schlag, den der Dämon ihm gewiss versetzen würde. Ein ferner Donner war zu hören, obwohl die Wettervorhersage für diese Nacht klaren Himmel vorausgesagt hatte. Ein Blitz zuckte vom Boden hoch, lief durch den Dreizack und verschwand im Himmel. Das matte Metall der Gabel begann langsam zu glühen und erfüllte Gabriels Körper mit Kraft. Diese Macht pulsierte schon bald so hell, dass Riel zurückweichen musste. Gabriel dagegen machte das Licht nichts aus. Er beobachtete neugierig und doch wissend, wie sich der Dreizack veränderte. Der Schaft wurde länger, bis er doppelt so lang war wie der Arm eines Mannes. Runen erschienen auf seiner Seite. Die beiden Spitzen wurden gerade, während Nachrichten aus Blitzen zwischen ihnen hin und her zuckten. Aus der zerbrochenen Mistgabel war plötzlich ein glühender Dreizack mit ungeheurer Macht geworden.