8

Olafs Gesicht war grau, seine Augen waren gerötet und tränten. Kalter Schweiß glänzte auf seine Oberlippe. Seine Wangen und seine Kleider hingen schlaff an ihm herunter.

Seine Bauchschmerzen hatten sich verschlimmert, er konnte nicht länger im Laden arbeiten. Er saß den ganzen Tag in der Nähe des Feuers und sah Zarabeth bei der Arbeit zu. Immer wieder stöhnte er auf und eilte nach draußen, die Arme um den Bauch geschlungen. Freunde kamen zu Besuch, doch da er mit ihnen weder trinken noch essen, oder mit ihnen scherzen konnte, da die Krämpfe ihn schweigsam machten, und er an nichts Anteil nahm, kamen sie seltener vorbei, manche blieben ganz fort. Die Frauen besuchten Zarabeth, gaben ihr Ratschläge, warfen Olav traurige Blicke zu und schüttelten die Köpfe.

Olav beobachtete Zarabeth. Es war Mittag, und sie kochte eine fade Suppe für ihn. Haferschleim und weiches Brot für einen alten, zahnlosen Greis, dessen Eingeweide nur stinkende Flüssigkeit von sich gaben. Feuchte Locken umrahmten ihr Gesicht. Sie war sehr in sich gekehrt, nie erhob sie die Stimme gegen ihn, auch dann nicht, wenn er ungeduldig herumlamentierte, vor Schmerz und Angst und hilfloser Schwäche. Er vermochte sie nicht zu begatten, wie ein Mann seine Frau begatten sollte. Und seine Angst wuchs mit jedem Tag.

Lotti spielte zu ihren Füßen, stapelte Brettchen aufeinander, zählte sie laut mit ihrer ekelhaft lallenden Stimme und stapelte sie von neuem. Das Spiel wiederholte sie in einem fort, bis er am liebsten laut geschrien hätte vor ohnmächtigem Zorn; doch er schwieg. Er hatte nicht die Kraft zu schreien.

Hin und wieder beugte Zarabeth sich zu der Kleinen hinunter und streichelte sanft ihr Gesicht, sprach leise mit ihr, lächelte sie zärtlich an. Ihm schenkte sie nie ein freundliches Lächeln. Sie war zwar seine Frau, doch das hatte keine Bedeutung.

Ein böser Krampf ließ ihn aufstöhnen, er taumelte aus dem Raum, vornübergebeugt wie ein alter Mann. Zarabeth hob stirnrunzelnd den Kopf. Seit der Hochzeit vor zwei Wochen war er krank, sah aus wie ein alter Mann, verfiel zusehends, war gebrechlich und abgezehrt und nörgelte an allem herum. Zuerst hatte Olav geglaubt, seine Eingeweide rebellierten gegen die großen Mengen Met und Bier, die er an seiner Hochzeitsfeier in sich hineingeschüttet hatte. Doch die Schmerzen in seinen Eingeweiden hörten nicht auf, und er litt unter Darmblutungen.

Er konnte sie nicht beschlafen. Eines Nachts hatte er ihr befohlen, sich vor ihm zu entkleiden. Er wollte sie anschauen, sie liebkosen; es war sein Recht als ihr Ehegatte. Sie hatte sich strikt geweigert.

Keith und Toki kamen jeden Tag; der Sohn, um seinem Vater im Geschäft zu helfen, und Toki, um über den alten Mann zu lästern und sich hinter seinem Rücken über ihn lustig zu machen. Sie verhöhnte den siechen Greis und seine süße, junge Braut, die er nicht beschlafen konnte, die kein Kind von ihm tragen würde.

Zarabeth rührte in der Suppe und zerdrückte die Rüben, die sie darunter gemischt hatte. Olav konnte die Suppe löffeln und schien mit einigem Appetit zu essen, obwohl er dabei mürrisch in sich hineinfluchte. Sie hatte die alte Unga um Rat wegen Olavs krankem Magen gefragt. Sie hatte ihre schuppige Haut am Arm gekratzt und gemurmelt, Zarabeth solle ihm gestoßenen Knoblauch und geriebene Zwiebel, eingewickelt in gekochte Lorbeerblätter, verabreichen. Zarabeth verursachte die Mixtur Übelkeit, doch sie hatte es damit versucht. Und seltsamerweise hatte sein Zustand sich danach ein wenig gebessert. Inzwischen hatte die Arznei aber ihre Wirkung verloren.

Toki betrat den Raum mit einer Selbstverständlichkeit, als sei sie die Hausherrin. Und das würde sie auch bald sein, wenn Olav starb, da Zarabeth keine Rechte hatte. Olav hatte mit Sicherheit beim Ältestenrat von York bestimmt, daß seine irdische Habe auf seinen Sohn überging. Lotti hielt sich an ihrem Rockzipfel fest, und Zarabeth bückte sich und tätschelte dem Kind beruhigend den Kopf. Seit jener Nacht hatte Lotti sich von Toki ferngehalten.

»Der Alte sieht aus wie ein lebender Leichnam. Ihm fehlt nur noch das Leichentuch.«

»Ich finde, heute sieht er etwas besser aus«, sagte Zarabeth. »Aber diese seltsame Krankheit ist hinterhältig und gemein.«

Toki hob die Schultern und warf einen Blick in die Suppe, die Zarabeth zubereitete. »Wieder so ein fader Brei für den alten Tattergreis? Gräßliche Vorstellung, so etwas essen zu müssen.«

Zarabeth rührte schweigend in der Suppe.

»Ist er immer noch nicht mit dir ins Bett gegangen?«

Der lange Holzlöffel kam zum Stillstand. Langsam drehte Zarabeth sich zu ihrer neuen Schwiegertochter um, die einige Jahre älter war als sie. »Misch dich nicht in Dinge, die dich nichts angehen, Toki. Ich möchte nicht mit dir darüber reden. Hör auf, über Olav zu schimpfen.

Ohne ihn würdet Keith und du verhungern, das hast du mir selbst gesagt.«

Zarabeth wandte sich ab, aus Furcht vor ihrem eigenen Zorn. Sie hatte sich an die Eintönigkeit des Lebens gewöhnt, sie pflegte ihren kranken Ehemann, ertrug schweigend Tokis schlechte Laune und Keiths ständige Fragen nach dem Gesundheitszustand seines Vaters. An Magnus dachte sie nur nachts, wenn sie nicht schlafen konnte. Der Schmerz über seinen Verlust ließ nicht nach und erfüllte sie mit quälender Trauer und Verzweiflung. Sie hoffte, die Zeit würde ihre Seelenwunden heilen. Vielleicht würde sie ihn bis zum Herbst vergessen haben. Noch stand ihr sein Gesicht klar vor Augen; sie spürte seine Kraft, wie er sie im Arm hielt, hörte den Spott in seiner Stimme, die Zärtlichkeit und seine Kühnheit, Dinge auszusprechen, die ihr vor Erstaunen und Entzücken den Atem raubten.

Sie schüttelte den Gedanken an ihn ab. Keith und Toki waren wie üblich zum Nachtmahl erschienen. Toki meckerte wie immer. Lotti zupfte an Zarabeths Kleid, um auf sich aufmerksam zu machen. Zarabeth bückte sich zu ihrer kleinen Schwester hinunter.

Die Kleine hatte sich einen Schiefer von einem Holzbrettchen in den Finger gezogen. Zarabeth zog den Holzspan heraus, blies die kleine Wunde und tröstete das Kind. Toki saß in Olavs großem, geschnitzten Stuhl, beklagte sich über das schlechte Essen, das ihr wieder vorgesetzt werden würde, behauptete, das Kind sei dumm und verdiene ihre Aufmerksamkeit nicht.

Zarabeth erhob sich langsam. Toki würde nie damit aufhören. Nie. Tokis Mund schwieg nie still, ihr Jammern und ihre böse Reden hörten nie auf. Zarabeth strich sich das feuchte Haar aus dem Gesicht und holte tief Luft, um die Beherrschung nicht zu verlieren. Sie haßte Streit, aber so durfte es einfach nicht weitergehen. »Du hast kein Recht, in Olavs Stuhl zu sitzen, Toki. Auch wenn er krank ist, ist es immer noch sein Stuhl. Und ich verbiete dir, böse über meinen Ehemann oder meine Schwester zu sprechen. Hast du mich verstanden?«

Toki verschränkte ihre dünnen Arme vor der Brust und feixte. »Du Schlampe! Du glaubst, mich von oben herab behandeln zu können, weil dir hier alles gehört, aber nicht mehr lange. Du wirst hier nicht für immer die Hausherrin spielen. Nicht einmal mehr einen Monat, schätze ich. Der alte Mann wird dich nie besteigen. Du wirst kein Kind von ihm zur Welt bringen. Du wirst Keith nichts wegnehmen, was ihm zusteht. Der närrische, alte Tölpel lebt nicht mehr lange. Bald hat er Asche im Mund, und die Würmer nagen ihm das Fleisch von den Knochen, und dann wirst du verhungern, du und dieses idiotische Balg!«

Zarabeth war todmüde, ihr Zorn war verraucht. Sie schüttelte nur den Kopf. Doch dann fuhr sie beim Klang von Olavs wutentbrannter Stimme herum.

»Du elendes Miststück!« Er betrat den Raum, seine Schultern gerade, sein graues Gesicht vor Zorn gerötet. »Ich verbiete dir, so mit Zarabeth zu sprechen! Du zänkisches Weib. Bei Odins Wunden und Freyas Güte, ich hab nie wirklich geahnt, was mein Sohn ertragen muß. Oder hütest du deine niederträchtige Zunge bei ihm? Ich wette, daß du das nicht tust. Wie lange quälst du Zarabeth schon? Und sie schützt dich durch ihr Schweigen, du elendes, wertloses Stück Dreck. Bei Thor, du bist diejenige, die sterben sollte!«

»Vater, du tust ihr Unrecht«, eilte Keith seiner Frau zu Hilfe, der gerade den Raum betrat. »Toki macht sich nur Sorgen, ob du auch die richtige Pflege bekommst. Sie traut Zarabeth nicht, weil sie die Tochter der streunenden Hure Mara ist. Sie macht sich Sorgen, weil Zarabeth jung und nichtsnutzig ist und es nur auf deinen Reichtum abgesehen hat. Sie will . . .«

Weiter kam Keith nicht. Zarabeth stürzte sich auf ihn, ihre Finger krallten sich um seine Kehle, und sie schrie: »Du bist es nicht wert, ihren Namen auszusprechen. Meine Mutter war keine Hure! Noch ein Wort, und ich bringe dich um!«

Zarabeth spürte, wie Olavs Hände sie wegzogen. Toki schrie gellend, Lotti kauerte angstvoll in einer Ecke, und Keith stand einfach da, mit bleichem Gesicht.

Olav zog Zarabeth kraftlos zurück. Er musterte zuerst Toki, dann seinen Sohn. Dann sagte er mit gefährlich leiser Stimme, die keinen Widerspruch duldete: »Ihr beide verlaßt mein Haus. Ich bedaure dich, Keith, denn du bist schwach und jämmerlich, dir von dieser Frau sagen zu lassen, welche Gedanken deinen Kopf, und welche Gefühle dein Herz erfüllen sollen. Ich an deiner Stelle würde sie gehörig verprügeln. Vielleicht würde ich sie wegen ihrer giftigen Zunge totschlagen. Da ich aber nicht du bin, und du in den Augen der Welt ein erwachsener Mann bist, wirst du dein Los ohne meine Einmischung ertragen. Ihr beide seid nicht länger in meinem Haus willkommen. Geht jetzt auf der Stelle und laßt euch nie wieder hier blicken.«

»Vater, nein. Das kannst du nicht . . .«

Olav hob müde die Hand und schüttelte den Kopf. »Geh Keith, und schaff mir diese widerliche Hexe aus den Augen.«

Toki schwieg zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie zitterte vor Wut, aber sie hielt den Mund, wohl wissend, daß jedes weitere Wort ihr nur schaden konnte. Sie mußte ihrem Ehemann untertan sein, obgleich der Tölpel unfähig war, auch nur einen einzigen Walroßzahn ohne Verlust zu verkaufen. Sie würde ihn später zur Rede stellen; sie würde ihn davon überzeugen, daß er Frieden mit seinem Vater schließen müsse und zwar schnell. Davon hing alles ab.

Andernfalls könnte Toki nicht jeden Abend Gift in das Essen des alten Mannes träufeln.

Doch sie durfte Keith nicht einweihen, den zimperlichen Schlappschwanz. Nein, sie würde eine Geschichte erfinden, um sich seine Zuneigung zu erschleichen, und später würde er ihren Weitblick erkennen und sich dankbar erweisen. Es war dumm von ihr gewesen, Zarabeth anzugreifen, wenn der Alte sich vorne im Laden aufhielt. Das durfte nicht wieder Vorkommen. Nun mußte sie die Reumütige spielen und Zarabeth um Vergebung bitten.

Nachdem Toki und Keith gegangen waren, nahm Olav schweigend sein Nachtmahl ein. Er aß langsam Löffel um Löffel, wie um zu prüfen, ob die Suppe ihn krank mache. Dann aß er eine zweite Schüssel davon. »Schmeckt erstaunlich gut«, sagte er und setzte die Schale an den Mund, um die Brühe zu schlürfen.

Lotti lachte über seine Schmatzlaute, und er lächelte sie an, statt sie wie sonst mit kaum verhohlenem Abscheu anzusehen.

»Ich bete zu Gott, sie möge dir bekommen, Olav.«

Zarabeths Gebete wurden erhört. Am nächsten Tag wurde er nur einmal von blutigem Durchfall geplagt. Den Tag darauf gar nicht. Er konnte wieder lachen und arbeitete sogar eine Stunde im Laden. Und am Abend sah er Zarabeth an, und sie las seine Gedanken. Er wollte sie haben, und bald wäre er wieder kräftig genug, um sie zu nehmen. Sie schluckte schwer. Ertragen, sie mußte es ertragen. Sie hatte keine andere Wahl. Sie sah ihn an, während er im Wohnraum einige Otterfelle sortierte. Er hatte sich verändert, behandelte sie und Lotti freundlicher, war milder und umgänglicher geworden. Das hatte etwas mit Tokis bösartigem Angriff zu tun, und, wie Zarabeth vermutete, auch damit, daß ihn das Gespenst des Todes gnädiger stimmte. Doch der Gedanke, daß er sie besteigen, sie berühren würde, versetzte sie in lähmendes Entsetzen.

Sie durfte sich ihm nicht verweigern. Er war ihr Ehemann, und er hatte das Recht, sie zu nehmen.

Am folgenden Tag sagte er beim Mittagsmahl: »Ich war beim Ältestenrat. Ich habe den Ratsherren erklärt, daß mein Sohn nicht länger mein Sohn ist. Ich habe erklärt, daß im Falle meines Todes alle meine irdischen Güter auf dich übergehen.«

Sie blickte ihn erstaunt an. »Aber wieso, Olav? Das ist nicht recht! Du kannst Tokis törichte Worte nicht deinem Sohn anlasten. Gewiß, sie bringt Ärger mit ihrer scharfen Zunge und ihrer Bosheit, aber Keith ist dein einziger Sohn. Und er ist dein rechtmäßiger Erbe. Er hat nicht deine Talente und nicht deinen Geschäftssinn. Er braucht dich.«

»Du hast ein zu gutes Herz, Zarabeth. Er ist ein erwachsener Mann und für sich selbst verantwortlich. Mein Entschluß steht fest. Ich werde ihn nicht ändern.«

»Aber du hast die Heirat mit Toki verfügt. Er war nicht sehr erfreut, aber er hat sich gehorsam deinem Willen gebeugt. Wie kannst du ihn jetzt dafür bestrafen?«

Olav gefiel dieser Vorwurf nicht, doch er schwieg. Tokis Eltern hatten ihm viel Gold gebracht, doch das war von Keith binnen eines Jahres für törichte Unternehmungen verschleudert worden. Ihre Worte gaben ihm zu denken. Andererseits schien sein Gesundheitszustand sich zu bessern, und er mußte sich vorläufig keine Gedanken um seine Hinterlassenschaft machen.

In dieser Nacht lag Zarabeth steif und starr im Bett neben Lotti und horchte, wie Olav sich im Wohnbereich zu schaffen machte. Er würde zu ihr kommen und sie auffordern, sich zu ihm zu legen. Sie wußte es und bereitete sich darauf vor, doch als er das Bärenfell beiseiteschlug, stellte sie sich schlafend.

»Nun Zarabeth, es ist Zeit. Ich weiß, daß du wach bist. Komm zu mir, und ich zeige dir Dinge, die dir Freude bereiten.«

Sie erhob sich, gezwungen, ihre eheliche Pflicht zu erfüllen. Sie trug ihr Nachthemd, das ihr nur bis zu den Knien reichte, und fühlte sich entblößt und beschämt und hilflos. Sie hatte ihr Haar zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr über den Rücken hing. Er nahm ihre Hand und führte sie in seine Schlafkammer. Sein breites Bett war aus schweren Eichenplanken gezimmert und mit weichen Pelzen und Wolldecken belegt.

»Ich mache dich zu meinem Weib, Zarabeth.« Mit diesen Worten beugte er sich über sie und küßte sie. Sie zwang sich, die Berührung seiner Lippen zu ertragen; versuchte, nicht an Magnus zu denken. Doch er war bei ihr, tief in ihrem Herzen, er war ein Teil von ihr, der nie wieder weichen würde.

»Löse dein Haar. Eine Frau soll ihr Haar nicht streng aus dem Gesicht binden. Das gefällt mir nicht.«

Sie legte den Zopf nach vorn über die Schulter und öffnete das Lederband. Langsam löste sie das Haar. Olavs Finger griffen in die rote Lockenfülle. »Wie weich es ist«, sagte er und hob es an seine Wange. »Rot wie der Sonnenuntergang, der ein nächtliches Gewitter ankündigt, und so zart.« Seine Finger strichen zärtlich durch ihre Locken, und sie stand starr wie Stein.

»Du mußt mich anregen, auch wenn ich lange keine Frau besessen habe. Meine Krankheit hat mich geschwächt und den Hunger meines Körpers versiegen lassen. Zieh dich aus. Das wird meine Männlichkeit zum Leben erwecken.«

Er saß auf seinem Bettkasten, an das Kopfteil gelehnt und verschränkte die Arme vor der Brust. Er beobachtete sie. Sein Herz schlug langsam und regelmäßig. Er hatte die Tierhaut zurückgeschlagen, da er stets fröstelte. Er brauchte auch im Sommer die Hitze des Feuers.

Sie stand im schwachen Schein der sterbenden Glut, ihr Haar umgab ihr Gesicht in einem ungebändigten Kranz.

»Ich kann nicht, Olav.«

Er rührte sich nicht. »Diesmal wirst du dich mir nicht verweigern, Zarabeth. Du hast es einmal getan, und ich war unfähig, dich zu meiner Frau zu machen. Du hast mich gesund gepflegt. Nun mach mich wieder zum Mann.«

Was sollte sie tun? Vergeblich sehnte sie die Betäubung, die Leere herbei, die sie empfunden hatte, nachdem Magnus sie verlassen hatte. Sie hatte Angst und fühlte sich unendlich beschämt und wünschte verzweifelt, daß Olav krank geblieben wäre.

»Nun, Zarabeth?«

Ihre Hände tasteten zu den schmalen Bändern an ihren Schultern. Langsam schob sie die Bänder über die Schultern, bis das Hemd nach unten glitt und ihre Brüste freigab. Er blickte sie an. Sie stand wie versteinert. Plötzlich beugte er sich vor, und seine ausgestreckte Hand berührte ihre Brust. Seine Fingerspitzen waren sanft und weich. Er zerrte das Hemd nach unten bis zur Hüfte. Zarabeth begann vor Angst zu zittern und hoffte, er könne den Ekel in ihren Augen nicht sehen, da sein Blick auf ihre Brüste fixiert war.

»Bei Thors Streitaxt, du bist schön ... so weiß und weich.« Stöhnend preßte er sein Gesicht an ihre Brüste, seine Arme schlangen sich um ihren Rücken. Sie bewegte sich nicht, schloß die Augen, stand nur verkrampft und reglos da. Sein heißer Atem befeuchtete ihre Haut, seine Zunge leckte an ihren kalten Brustspitzen. Er begann zu keuchen und seine Arme festigten sich um sie, zogen sie eng an seinen mageren Körper. Seine Hände tasteten nach ihren Hinterbacken, und er zerrte an ihrem Hemd, um sie völlig nackt zu haben.

»So schön«, ächzte er, dann blickte er in ihr bleiches Gesicht. »Du willst mich nicht haben, Zarabeth, aber du wirst lernen, dich an mich zu gewöhnen. Jetzt werde ich dir meine Männlichkeit zeigen, und du wirst mir helfen, sie aufzurichten.«

Er entblößte sich, und sie sah sein dünnes Geschlecht, schlaffe Hautfalten inmitten von grau gesträhntem Kraushaar.

Sie sah, wie er sich berührte, wie er sich verzweifelt bemühte, sich selbst zum Leben zu erwecken, doch seine schlaffe Männlichkeit wollte ihm nicht gehorchen.

Dann blickte er hoch und sah den Ekel in ihrem Gesicht, den Abscheu, den sie nicht zu verbergen vermochte. Wut und Enttäuschung überkamen ihn. »Hat dieser verfluchte Wikinger dir nicht sein Geschlecht gezeigt? Hast du ihn nicht berührt, ihn mit deinen Fingern gestreichelt, ihn nicht in den Mund genommen? War sein Schwanz sehr groß, Zarabeth? Ja, er ist jung und kraftvoll, aber ich sage dir, auch sein Geschlecht ist manchmal so wie dieses. Faß mich an, verfluchtes Weib!«

Sie trat einen Schritt zurück und noch einen. Sie schüttelte den Kopf, bedeckte ihre Brüste mit den Händen. »Bitte, Olav, ich kann nicht. Ich bin noch Jungfrau. Ich habe nie zuvor das Geschlecht eines Mannes gesehen. Auch nicht das des Wikingers. Bitte, du kannst nicht verlangen, daß ich dich jetzt liebkose . . . nicht auf diese Weise.«

Er starrte an sich hinunter; es hatte keinen Sinn. Er war geschrumpft und leblos. Dann sah er zu ihr hoch, sah, daß sie sich ihr Nachthemd wieder hochgezogen hatte. Und er lachte über sich und die Ironie des Schicksals.

»Eine schöne, junge Frau ... sieh dich nur an, dein feuriges Haar, deinen Körper, herrlich jung und weich, deine weiße Haut, und ich kann dich nur anschauen. Ja, du bist eine Jungfrau, Zarabeth, und ich beleidige dich, indem ich dir meine schlaffe Männlichkeit zeige. Geh zu Bett. Ich möchte schlafen. Ich werde meine Kräfte wieder erlangen, du wirst sehen. Ich werde mich auf dich legen und in dich stoßen, und du wirst mich nie wieder so sehen wie jetzt. Ja, ich werde wieder zum Mann, und du wirst dich meinen Wünschen beugen.«

Sie floh, vor Erleichterung wie betäubt.

Magnus stand auf dem hohen Wall vor seinem befestigten Gutshof Malek und blickte nach Westen zum oberen Ende des Gravaktales. Es war Hochsommer, und es gab viel Arbeit auf den Feldern. Bald war Erntezeit, und er würde mit allen seinen Männern und Frauen von Morgengrauen bis zur Abenddämmerung die Ernte einbringen, bis alle erschöpft auf die Strohsäcke sanken. Er blickte zu den steilen, bewaldeten Hängen des Fjordes. Es war ein unbeschreiblich schönes Land, das sanft zum Wasser abfiel, an vielen Stellen steil zum Meer abstürzte, hunderte von Meter tief. Die dicht bewaldeten Berge hoben sich leuchtendgrün gegen das kristallblaue Wasser ab. Seine Heimat! Es gab kein schöneres Land für ihn. Er kehrte jedesmal mit großen Glücksgefühlen in das Tal seiner Geburt zurück, das seit vielen Generationen im Besitz seiner Familie war. Es hatten sich viele Menschen in dem Tal angesiedelt, und bald würden wieder viele Menschen in See stechen, um neues Land zu ernähren. Noch aber war das Land fruchtbar, und das Wetter hatte die Bewohner mit ausreichend Regen und Sonne gesegnet; Weizen, Roggen und Gerste standen hoch und kräftig. Vielleicht würde sein Sohn einmal das Tal verlassen, um neue Länder zu erobern und fremde Menschen zu beherrschen.

Seit seiner letzten Rückkehr hatte sein Reichtum sich erneut vermehrt, doch er hatte keine Freude daran; in ihm war eine düstere Leere, und wilder Zorn stieg in ihm hoch. Er trat nun an den Rand der steilen Felsenklippen, die sein Gehöft begrenzten. Bei Odins Wunden, was war mit ihm nicht in Ordnung, daß sie ihn mit solcher Verachtung strafte? Was war so abstoßend an ihm? War sein Körper häßlich und unansehnlich, daß sie das Lager nicht mit ihm teilen wollte? Vielleicht lag der Grund für ihre Ablehnung auch nur darin, daß sie ihre Heimat nicht verlassen wollte, um in ein unbekanntes, fremdes Land zu reisen. Vielleicht hatte sie ihm nur zu wenig Vertrauen geschenkt. Oder sie hatte ihn von Anfang an belogen.

Er schlug sich mit der Faust gegen den Schenkel und rieb die schmerzende Stelle hinterher. Er verfluchte das Weib! Er hätte sie einfach auf sein Schiff schleppen und in See stechen sollen. Er hatte ihr Zeit gegeben, und sie hatte ihn hintergangen. Wie töricht von ihm! Er hatte sich ihr gegenüber nicht wie ein Mann verhalten. Sein Vater und seine Brüder hätten jede Frau ausgelacht, die es gewagt hätte, sie zu hintergehen. Jeder andere Mann hätte sich das Frauenzimmer über die Schulter geworfen, sie aufs Schiff geschleppt, und hätte sie noch so sehr geschrien und um sich geschlagen. Ja, er war ein rechter Narr gewesen.

Was war mit ihm nicht in Ordnung, daß sie ihn verschmähte? Noch nie hatte eine Frau ihn zurückgewiesen. Warum Zarabeth? Warum die Frau, die er heiraten wollte?

Er drehte sich um, als er die Stimme seiner Schwester hörte. »Was willst du, Ingunn?«

»Du grübelst. Ich mache mir Sorgen, Magnus. Wir alle machen uns Sorgen um dich, auch deine Männer. Du sprichst kaum, beschimpfst deine Männer mehr als sie es verdienen und prügelst deine Sklaven. Du nimmst nicht einmal Cyra in dein Bett wie früher.«

»Pah! Als ich heimkehrte, habe ich sie ein ums andere Mal genommen. Solange, bis sie kaum mehr gehen konnte.«

»Ja, aber dann hast du sie fortgeschickt. Sie fühlt sich zurückgesetzt. Als habe sie dich irgendwie enttäuscht.«

Er hob die Schultern, ohne Ingunn anzusehen. Er starrte wieder hinaus auf den Fjord. Wieso in Thors Namen nahm Ingunn Anteil an den Gefühlen seiner Sklavin Cyra?

»Es ist eine Frau, nicht wahr? Du hast auf deiner Reise eine Frau kennengelernt. Und sie will dir nicht aus dem Sinn.«

Er lachte. »Ich bin doch kein Knochen, an dem die Hunde unseres Vaters nagen.«

Er spürte ihre Finger am Ärmel seiner Tunika. »Nein, Bruder. Scherze nicht, denn auch unser Vater fragt sich besorgt, was mit dir nicht in Ordnung ist. Er sagte, du beteiligst dich nicht an den Trinkgelagen der Männer und nicht an den Gesängen in der Halle. Er sagt, du läßt den Kopf hängen und brütest stumpfsinnig vor dich hin wie ein liebeskranker Jüngling. Doch er sagt auch, in dir brodle ein wilder Zorn, der keinen Auslaß findet.«

Wieder hob Magnus die Schultern. Alles, was sie sagte, stimmte, doch es war seine Angelegenheit, und er wollte sie für sich behalten. Er war froh, daß die Männer, die über Zarabeth Bescheid wußten, ihren Mund gehalten hatten. Es ging keinen was an, nicht seinen Vater, nicht seine Brüder, und schon gar nicht Ingunn.

Plötzlich breitete sich ein grimmiges Lächeln auf seinen Zügen aus. Er wandte sich mit plötzlicher Entschiedenheit um und spürte, wie ein großer Felsbrocken von seiner Brust polterte. »Ich steche morgen früh in See. Bereite genügend Essen vor für zwölf Männer für eine Reise von dreißig Tagen. Ich werde in Birka Geschäfte tätigen. Vorwärts Ingunn, beeile dich.«

Sie scheute sich, ihm zu gehorchen, aber es blieb ihr keine andere Wahl. Sie glaubte ihm kein Wort. Birka war nicht sein Ziel. Ohne ein weiteres Wort kehrte sie ihm den Rücken, um seine Befehle auszuführen. Sie drehte sich noch einmal nach ihm um. Er stand an derselben Stelle und starrte über den Fjord.

Was mochte er wohl sehen?

Im Schatten der Mitternachtssonne
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