25
Magnus sprang aus dem Bett, griff nach seiner Hose und sprang hinein: »Rasch, Zarabeth, zieh dich an und warte hier, bis ich weiß, was passiert ist.«
Er war weg, und Zarabeth hörte aufgeregte Rufe und Schreie. Dann roch sie Rauch. Das Langhaus brannte.
Sie war im Nu angezogen und rannte in den großen Raum. Die Rauchschwaden wurden dichter, das Dach stand in Flammen. Die dicken Balken hielten noch stand, aber wie lange noch?
»Zarabeth! Rasch, bring alle hier raus. Rette, was zu retten ist!«
Sie konnte nicht klar denken, sie handelte. Sie gab Anweisungen, versuchte die Menschen zu beruhigen, bewegte sich rasch, versuchte möglichst flach zu atmen, um den immer dichter werdenden Rauch nicht tief einzuatmen. Männer, Frauen und Kinder, jeder trug Sachen, Töpfe und Schalen, Stühle und Kisten, Decken und Kleidung nach draußen. Zwei Frauen schleppten den hohen
Webstuhl hinaus und sämtliche Webschiffchen und Eldrids Spinnrocken.
Eldrid! Wo war sie?
Zarabeth rannte zurück in die Schlafkammern. Alle waren leer. Bis auf eine. Eldrid lag vom Rauch bewußtlos auf dem Lehmboden. Zarabeth packte sie unter den Achseln und schleifte sie hinaus in den Hauptraum. Dort traf sie zum Glück auf einen Mann, rief ihm zu, er solle mit anpacken. Er warf sich die alte Frau über die Schulter wie einen Sack Rüben. Zarabeth griff die restlichen Kochtöpfe, spornte die anderen an zu tragen, was sie schleppen konnten. Alles Tragbare wurde nach draußen geschafft. Der Rauch war nun sehr dicht geworden und ihr schmerzender Hals entzündete sich und brannte wie Feuer. Sie hustete, ihre Augen tränten. Magnus war plötzlich an ihrer Seite und packte ihren Arm. »Komm, du mußt dich in Sicherheit bringen.«
»Dein Stuhl!«
Einer der Männer rief herüber, er werde ihn holen.
Da entdeckte sie die neue Tunika für Magnus über ihrem Stuhl hängen, entwand sich seinem Griff und rannte los, um sie zu retten.
Magnus war ungehalten, doch als er das triumphierende Lächeln auf ihrem rauchgeschwärzten Gesicht sah, mit dem sie den blauen Stoff hochhielt, konnte er nur den Kopf schütteln.
Sie waren nun alle im Freien. Die Bewohner von Malek standen in kleinen Gruppen herum und sahen fassungslos zu, wie das Langhaus in Flammen aufging. Die kleineren Hütten im Umkreis waren aus Lehm oder Stein erbaut, doch auch ihre Strohdächer hatten schnell Feuer gefangen. Die Hitze wurde immer stärker.
Zarabeth blickte in die Runde, versuchte Köpfe zu zählen, um sich zu vergewissern, daß alle Bewohner gerettet waren. Eldrid hustete, nach frischer Luft ringend. Gott sei Dank, sie war am Leben. Dann entdeckte Zarabeth den alten Hollvard, den Torwächter. Er lag seitlich zusammengesackt, aus seinem Rücken ragte ein Pfeil. Zwei andere Männer, ebenfalls Wachtposten, lagen in seiner Nähe, auch sie ermordet.
Nun erst wurde ihr klar, was passiert war. Sie wandte sich an Magnus, der gerade Anweisungen erteilte. Als er damit fertig war, packte sie ihn am Ärmel.
»Hollvard«, keuchte sie, »er wurde umgebracht! Mit ihm noch zwei andere Männer.«
»Ja. Bleib hier in der Umzäunung. Wir holen Wasser vom Viksfjord herauf. Es wird nicht viel nützen, aber vielleicht können wir das Vorratslager und das Badehaus retten.«
Im nächsten Augenblick war er weg, und Zarabeth stand da, hilflos und schwach. Hollvard war ermordet worden! Aber von wem? Der alte Mann, der von Anfang an gut zu ihr gewesen war, auch zu der Zeit, als sie noch das Sklavenband trug.
Und dann wußte sie es und begann vor Wut zu zittern. Langsam ging sie durch die Menge, prüfte die Gesichter, sprach den Leuten Mut zu, beschwichtigte sie.
Ingunn war nicht da, und Zarabeth hatte es geahnt.
Kurz darauf fand sie Ragnar neben einer der Vorratshütten. Er hatte einen tiefen Schwerthieb in der Schulter, und sein Wams war blutgetränkt. Sie schrie vor Entsetzen und Wut auf und fiel auf die Knie neben ihm. Er war am Leben, hatte aber durch den tiefen Hieb viel Blut verloren. Sie rannte zum Brunnen, hob im Laufen Magnus neue Tunika auf. Einer der Männer zog gerade einen vollen Eimer hoch. Sie tauchte das weiche Tuch ein und wrang es im Laufen aus. Wieder bei Ragnar angekommen, säuberte sie die Wunde, so gut sie es vermochte, und preßte den Stoff darauf, um die Blutung zu stillen.
Sie war sich ihrer Tränen nicht bewußt, als Magnus ihr seine Hand sanft auf die Schulter legte und beruhigend sagte: »Komm, Zarabeth. Die Männer sollen Ragnar weiter weg tragen, wo weniger Rauch ist.«
Eine Stunde später standen die Bewohner von Malek immer noch in kleinen Gruppen herum und starrten in die rauchenden Trümmer des Langhauses und auf die Ruinen der Lehmhütten ohne Dächer. Die Palisadenumzäunung war unversehrt. Doch alles andere war zu rauchendem Schutt verkohlt.
Fünf Tote waren zu beklagen. Ragnar war am Leben, und Eldrid kümmerte sich um ihn.
Die Tiere waren in Sicherheit gebracht worden, und die Felder waren nicht beschädigt, doch das Anwesen innerhalb der Umzäunung war nahezu restlos zerstört. Zarabeth suchte mit Blicken ihren Ehemann. Er sprach ruhig mit einem Sklaven, einem jungen Mann, dessen Augen vom Rauch gerötet waren. Magnus redete mit anderen Leuten, dann sonderte er sich ab und stieg zum Föhrenwald hinauf. Dort blieb er stehen und sah sich die Vernichtung von oben an.
Er stand lange dort vor den Trümmern seines Besitzes. Viele Jahre fleißiger Arbeit und Sorgfalt waren zunichte gemacht. Sie hätte ihm gerne gesagt, daß nur Häuser und Balken zerstört waren. Sie hatten fast alle Gegenstände aus dem Langhaus retten können, sogar seine schwere Truhe. Sie würde ihm helfen, alles wieder aufzubauen. Die Ernte war unversehrt, sie waren am Leben, sie hatten ihren Besitz gerettet. Und sie hatten einander.
Zarabeth wandte den Kopf. Sein Ausdruck von Ohnmacht und hilfloser Wut war ihr unerträglich. Es war kurz nach Tagesanbruch, und bald würden die Leute hungrig sein. Sie befahl einigen Männern, Steine zu einer Feuerstelle aufzuschichten. Dann ließ sie lange Holzpfosten in den Boden rammen, an deren Spitze tiefe Kerben eingeschlagen wurden. In diese Kerben wurde eine Querstange gelegt und Ketten daran befestigt. Nun konnte Zarabeth ihre Töpfe an den Ketten aufhängen. Sie konzentrierte sich ganz auf die Arbeit, um nicht nachdenken zu müssen.
Ragnar war am Leben, doch jeder wußte, daß es schlecht um ihn stand. Eldrid blieb bei ihm, wischte ihm das Gesicht mit nassen Tüchern, gab ihm schluckweise Wasser zu trinken und wartete auf Helgi und ihre Arzneien.
Am frühen Nachmittag kamen Magnus Eltern, mit kaum einem halben Dutzend Leuten. Mattias und Glyda waren nicht mitgekommen. Bald wußte man den Grund. Die Gehöfte mußten streng bewacht werden. Dafür hatte Mattias zu sorgen. Niemand wollte einen Überfall Orms auf sein unbewachtes Anwesen riskieren.
Zarabeth wurde Zeuge eines Gesprächs zwischen Magnus und seinem Vater. Der alte Mann raufte sich die Haare.
»Bei Thor, daß meine eigene Tochter uns das antun konnte! Wie konnte sie so etwas tun? Hat Orm eine solche Macht über sie?« Er erwartete keine Antwort. Er fluchte kopfschüttelnd vor sich hin.
Helgi fragte Zarabeth mit leiser Stimme: »Hat niemand Verdacht geschöpft? Hat keiner etwas bemerkt?«
Zarabeth dachte nach. »Nein«, sagte sie schließlich. »Seit unserer Rückkehr war sie in sich gekehrt, blieb meist für sich. Sie hat keine bösen Reden mehr gegen mich geführt. Sie machte keine spitzen Bemerkungen. Ragnar war hinter ihr her, hänselte sie, gab ihr Anordnungen, aber sie schien sich nicht dagegen aufzulehnen. Wenn ich jetzt nachdenke, war sie zu still, als warte sie auf etwas.«
»Aber warum?« Helgi schlug sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. »Wenn sie bei ihm bleiben wollte, wenn sie Norwegen mit ihm verlassen wollte, hätte sie dich doch nicht zu retten brauchen! Sie hätte nicht Vortäuschen müssen, daß sie ihn zusammenschlägt, um mit dir zu fliehen.«
»Ich war überzeugt, daß sie ihn heftig geschlagen hat, Helgi. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Aber sie schien völlig aus dem Häuschen zu sein, als er vortäuschte, er begehre mich und nicht sie. Er hat sie damit gequält. Ich glaubte, sie schlug ihn, um ihn zu strafen, nicht um mich zu retten. Sie wollte ihm damit heimzahlen, daß er sie gedemütigt hat. Aber das habe ich wohl zu dem Zeitpunkt nicht durchschaut.«
»Aber warum diese Täuschungsmanöver, um nach Malek zurückzukehren? Warum?«
»Ich sage dir den Grund, Mutter.« Magnus stand mit versteinertem Gesicht vor seiner Mutter. »Orm kam zu der Überzeugung, daß Zarabeth ihm zu große Scherereien machte. Sie würde sich ihm nie freiwillig ausliefern. Er hätte sie töten müssen. Und es ging ihm eigentlich darum, Rache an mir zu nehmen, nicht, sie zu vergewaltigen oder zu töten. Er wollte auch mehr Reichtum, bevor er Norwegen verließ. Er muß uns knapp auf den Fersen geblieben sein. Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht, warum er nicht gegen mich gekämpft hat, denn er hatte schließlich nur zwei Männer bei sich und ich fünf. Er mag verrückt sein, aber er ist kein Dummkopf. Er hatte nie den Plan, gegen mich zu kämpfen. Entweder er hat Kontakt zu Ingunn aufgenommen, als wir bereits wieder in Malek waren — oder es war alles ein Täuschungsmanöver und im voraus sorgfältig geplant.«
»Aus welchem Grund nahm er nicht den direkten Weg zum Fjord und zu seinem Boot? Ich weiß es nicht. Zarabeth sagte, daß Ingunn ihn ständig drängte, sich zu beeilen, weil ich hinter ihm her sei. Es gibt zu viele Fragen und keine Antworten. Noch nicht. Aber ich weiß, daß all meine Juwelen gestohlen sind. Mein Gold- und Silberschmuck und sämtliche Münzen sind verschwunden. Ich hatte sie in einer Schatulle hinter einem ausgehöhlten Balken im Langhaus aufbewahrt. Ingunn brauchte nur so lange abzuwarten, bis bei der Feuersbrunst allgemeine Panik ausgebrochen war, um dann seelenruhig die Schatulle aus ihrem Versteck zu holen. Hätte jemand sie gefragt, was sie dort zu schaffen habe, hätte sie nur antworten müssen, sie bringe die Schatulle für mich in Sicherheit.«
»Aber ihr hättet alle zu Tode kommen können!« Helgi wandte sich ab, Scham und Zorn waren ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Und Orm wartete draußen vor der Umzäunung auf die Juwelen und Münzen, die sie ihm brachte. Er tötete
Hollvard und hat auch die anderen ermordeten Männer auf dem Gewissen.«
Seine Mutter stand immer noch fassungslos da, und Magnus nahm sie in die Arme. »Wir können von Glück sagen, daß Orm nicht versuchte, Zarabeth ein zweites Mal zu entführen. Vielleicht wartete er auf einen günstigen Augenblick, als die Häuser lichterloh brannten, ob sie sich von mir entfernte. Doch das geschah nicht. Der Schweinehund hat in aller Ruhe zugesehen, wie mein Anwesen in Schutt und Asche sank. Ingunn muß dafür bestraft werden. Sie ist nicht mehr meine Schwester. Sie ist ebenso mein Feind, wie Orm es ist. Den Göttern sei Dank, mein Boot haben sie nicht in Brand gesteckt. Etwa ein Dutzend Männer arbeiten immer noch daran. Deshalb hatte Orm keine Chance, das Schiff zu zerstören. Ich schwöre, daß ich die Bestie umbringe, ehe der Sommer zur Neige geht.«
Zarabeth fühlte sich bedrückt von seinem Haß, seinem Schwur, der unerschütterlichen Ausdauer, die er bei den Aufräumarbeiten an den Tag legte. Er packte zu wie kein Zweiter.
Am Abend eines sehr langen Tages, als alle um die Feuerstelle im Freien saßen, warm eingepackt in die Decken, die Helgi mitgebracht hatte, fühlte Zarabeth sich so erschöpft wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie konnte nicht reden vor Müdigkeit. Sie legte sich hin, den Kopf auf Magnus' Oberschenkel gebettet und hörte den Gesprächen zu.
Sie spürte seine starken Muskeln unter ihrer Wange und dachte daran, was er vor wenigen Stunden mit ihr gemacht hatte. Er hatte ihr die Lust einer Frau verschafft, und ihre Gefühle loderten wild auf, rissen alle Schranken ein, die sie gegen ihn aufgebaut hatte. Doch in ihre Lustschreie hatten sich die Angstschreie der Menschen gemischt . . . Sie schauderte. Magnus streichelte ihr sanft den Arm, während er seinem Vater zuhörte.
»Ein solches Leid dürfen Kinder ihrem Vater nicht antun«, sagte Harald. »Wie viele Männer wirst du nach Danelagh mitnehmen, Magnus?«
»Ich kann die Verfolgung noch nicht aufnehmen. Zuerst müssen wir Malek wieder aufbauen. Es muß alles gesichert sein, bevor der Winter kommt. Sonst haben wir keine Überlebenschance.«
»Mattias, ich und viele unserer Männer werden dir beim Wiederaufbau helfen.«
»Dafür danke ich dir, Vater.«
Zarabeth wachte auf, steifgelegen auf dem harten Untergrund. Doch Magnus Körper wärmte sie. Seine Hand wölbte sich um ihre Brust, ihr Kopf ruhte auf seinem Oberarm. Sie schmiegte sich enger an ihn, er küßte ihre Schläfe und flüsterte: »Nein, mach das nicht. Ich kann dich jetzt nicht nehmen.«
Lächelnd wandte sie ihm ihr Gesicht zu. »Wie wird es weitergehen, Magnus?«
»Wir werden alles wieder neu aufbauen. Ich verspreche dir, daß es dir im Winter an nichts fehlen wird, Zarabeth.«
»Ich wünsche mir nur, daß du im Winter bei mir bleibst.«
Sein Geschlecht schwoll vor Freude über die Worte. Er drückte sie an sich, seine Arme schlangen sich zärtlich um sie. »Wenn der Schnee dir über den Kopf reicht, wirst du mehr wünschen als nur meine Wärme.«
»Vielleicht. Ich bete auch, daß Egill dann wieder bei uns ist. Magnus, es tut mir so leid. Wenn ich nicht hierher gekommen wäre, wenn Ingunn mich nicht so schrecklich gehaßt hätte . . .«
»Ich bezweifle, daß das irgendeinen Unterschied gemacht hätte«, sagte er scharf. »Blöke nicht herum, Zarabeth. Ich erlaube nicht, daß du dir Schuld daran gibst, was hier geschehen ist.«
»Und ich erlaube nicht, daß du mich mit einer Ziege vergleichst, Magnus.«
»Ja, mein Schäfchen.« Er küßte sie auf den Mund und drückte sie an sich. »Ich habe großes Verlangen nach dir, das spürst du auch, denn ich kann meine Gefühle schlecht verbergen. Wir werden alles Versäumte nachholen, das verspreche ich dir, Zarabeth.«
Die Männer begannen sich zu regen. Magnus stützte sich auf die Ellbogen und blickte auf das abgebrannte Langhaus, und wieder kochte der Zorn in ihm hoch. Sein Großvater hatte das Haus gebaut und es bei seinem Tod an Magnus weitergegeben. Nun lag es in Schutt und Asche. Aber es war nur Holz, Lehm, Sand und Stroh. Das alles war zu ersetzen, ein Menschenleben nicht.
Magnus sagte laut zu Zarabeth: »Ich bete darum, daß Ragnar überlebt.«
Ragnars Zustand verschlimmerte sich trotz Helgis heilsamer Kräuterumschläge. Sein Körper wurde vom Fieber geschüttelt, und er redete wirres Zeug. Zarabeth wachte an seinem Lager, kühlte ihm Gesicht und Hände mit nassen Tüchern und betete unentwegt. Am nächsten Abend wurde er ruhig, sein Atem ging flach, und Helgi sagte: »Er schläft. Ich glaube, er wird es überstehen.«
Zarabeth erhob sich, unendliche Erleichterung überkam sie. Gleichzeitig hob sich die Erde ihr entgegen, sie wankte, als würde sie von unsichtbaren Händen gestoßen. Alles drehte sich um sie, und sie sank bewußtlos zu Boden.
Als es um sie dunkel wurde, hörte sie Magnus schreien. Sie konnte nicht antworten, denn die Finsternis hüllte sie ein.
»Das muß die Erschöpfung sein«, sagte Harald und blickte auf seine Schwiegertochter, die leblos in den Armen seines Sohnes lag. Magnus saß in seinem Stuhl und hielt Zarabeth auf dem Schoß.
»Ich hätte nicht zulassen dürfen, daß sie so schwer arbeitet, nach dem, was sie in Orms Gefangenschaft durchgemacht hat.«
»Unsinn«, warf Helgi ein. »Zarabeth ist kein empfindliches Pflänzchen. Das ist sie bei Gott nicht.«
»Was ist es dann, Frau?«
Helgi lächelte über den unwirschen Ton ihres Gatten. »Du erträgst es wohl nicht, nicht alles zu wissen, stimmt's Harald?« entgegnete sie und tätschelte Zarabeths Stirn mit einem feuchten Tuch. »Ihr Männer müßt immer das letzte Wort haben, wollt immer alles besser wissen. Diesmal irrt ihr euch beide.«
»Bei den Göttern, Frau, ich werde dich züchtigen, wenn du deine Zunge nicht hütest!«
Wäre Magnus nicht so besorgt gewesen, hätte er gelacht. Der Gedanke, daß sein Vater die Hand gegen seine Frau erhob, war geradezu kläglich. Helgi lächelte, sie kannte ihren Ehemann ebenso gut wie Magnus.
»Was stimmt mit dem Mädchen also nicht?« fragte Harald schließlich. »Wenn du schon eine alleswissende Hexe bist.«
»Sie trägt Magnus Kind.«
Magnus ließ Zarabeth beinahe fallen. Er glotzte seine Mutter an. »Ist sie schwanger?«
»Ja, ich denke schon. Wenn sie wieder zu sich kommt, werde ich sie fragen. Es gibt ganz einfache Anzeichen, weißt du, mein Sohn.«
Er saß da, drückte seine bewußtlose Frau an die Brust, versuchte sich zu erinnern, wann sie ihre letzte Monatsblutung gehabt hatte. Das war noch nicht lange her. Damals, als Lotti ertrunken und Egill verschwunden war. Er hob den Kopf und schaute seine Mutter an, die ihren Ehemann angrinste.
Er sagte langsam: »Ich habe Angst.«
Helgi vergaß das Geplänkel mit ihrem Mann. Sie kniete neben Magnus' Stuhl und strich Zarabeth das wirre Haar aus dem Gesicht. Was für eine wunderbare Farbe und so seidig und voll. Zarabeths Augenbrauen waren einen Ton dunkler, ein sattes Rotbraun, und ihre Wimpern waren lang und dicht und von gleicher Farbe. Ihre Wangenknochen waren ausgeprägt, ihre Haut glatt und sehr hell. Helgi dachte an ein kleines Mädchen, das aussah wie ihr Sohn und auch wie Zarabeth, und sie schüttelte den Kopf über ihre dummen Gedanken. »Warum? Sie ist anders gebaut als Dalla, Magnus. Sie hat ein breites, gebärfreudiges Becken.«
»Ich weiß nicht. Wenn ich sie ansehe, denke ich nicht ans Kinderkriegen.«
Sein Vater lachte. »Das verstehe ich sehr gut. Wärst du mit dieser alten Hexe verheiratet, würdest du anders reden.«
»Pah! In deinem Haar sind mehr graue Strähnen als in meinem, alter Mann!«
Magnus blickte auf die rauchenden Überreste seines Heims, das Lachen seiner Mutter klang ihm in den Ohren. Was im Leben auch geschah, wieviel Haß, wieviel Trauer, wieviel Schrecken das Leben auch vorzuweisen hatte, es gab immer etwas Neues, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Er lehnte seine Stirn an Zarabeths Stirn. Er hatte sie gesehen, hatte sie begehrt, hatte kaum einen Gedanken an ihre Wünsche verschwendet. Er war ein Ausbund an Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, was er sich vom Leben wünschte, er hatte nie daran gezweifelt, daß er sie bekommen würde. Wenn sie ihn mit Absicht betrogen hatte, so hatte er nichts anderes verdient. Und er hatte ihr bislang nur Schmerz und Demütigungen zugefügt.
Nun wuchs sein Kind in ihrem Leib heran. Das war ein furchterregender Gedanke, und gleichzeitig erfüllte er ihn mit unbändiger Freude. Er spürte die Nässe seiner Tränen auf seinem Gesicht.
Zarabeth wachte auf, und sein Gesicht war ganz nah bei ihr. Er blickte sie forschend und besorgt an. »Was ist passiert? Wo bin ich? Ich liege hier auf deinem Schoß und —«
»Du bist in Ohnmacht gefallen.«
Langsam hob sie die Hand, und ihre Finger berührten seine Wange. »Sind das Tränen?«
»Ja.«
»Aber wieso? Ich war nur müde, einfach erschöpft.
Sonst nichts.« Sie lächelte dünn. »Das Leben war in letzter Zeit ein wenig aufregend und nicht sonderlich vorhersehbar.«
Er küßte sie sanft auf den Mund. »Bist du früher schon mal in Ohnmacht gefallen, Zarabeth?«
Sie schüttelte den Kopf. »Unsinn, Magnus, ich bin kein zerbrechliches Püppchen.«
»Das sagt meine Mutter auch.«
»Und warum hast du geweint? Stimmt etwas nicht mit mir? . . . O nein! Was ist mit Ragnar?«
»Er wird wieder gesund. Hast du ein breites Becken?«
»Wenn du mich aufstehen läßt, kann ich mal nachsehen.«
»Halt still.« Er zog sie ein wenig höher und legte seine gespreizte Hand auf ihren Bauch. Bis zu den Beckenknochen blieb reichlich Abstand. »Ich glaube, das genügt. Ich werde meiner Mutter von meinen Nachforschungen berichten und sie fragen, was sie davon hält.«
Zarabeth versuchte, seine Hand wegzuschieben. »Magnus, überall sind Leute! Sie beobachten uns!«
»Ich bin dein Ehemann. Sollen sie ruhig zuschauen.«
»Laß mich aufstehen. Mir geht es gut, und es ist kindisch, auf deinem Schoß zu sitzen in diesem Stuhl . . .« Sie hatte sich beim Sprechen aufrecht hingesetzt. Sie sah ihn an, und plötzlich wurde ihr Gesicht sehr bleich. »O jeh«, sagte sie schwach und sank in seinen Arm zurück. Plötzlich stand Angst in ihren Augen. »Was ist mit mir los? Beinahe wäre ich wieder in Ohnmacht gefallen. Mir ist ganz mulmig . . .«
»Du trägst mein Kind.«
». . . und übel ist mir auch. Diese Übelkeit hatte ich schon mal, und ich dachte, das käme, weil ich solchen Hunger hatte, oder wegen meiner Angst vor Orm, oder weil . . . Was?«
Er grinste. »Nein, rühr dich nicht. Das macht mir zu große Angst. So ist es brav, halt schön still. Du bekommst ein Kind von mir.«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an, fassungslos.
Nein, das hier war unwirklich. Wirklichkeit war, daß Lotti ertrunken und Egill verschwunden war; Wirklichkeit war auch, daß sie nackt auf der Erde lag und Orm über ihr . . . »Ich bekomme ein Kind? Bist du sicher?«
»Ja.«
Seine Augen funkelten vor Vergnügen, das Blau so strahlend, daß sie den Blick nicht wenden konnte.
»Ich habe noch nie ein Kind gehabt.«
Sie klang so hilflos und furchtsam und seltsam verloren.
»Nur Lotti. Sie war mein Kind.«
»Zarabeth, wir werden Lotti nie vergessen. Ihr Platz bleibt in unserem Herzen. Sie war ein besonderer Mensch, und wir werden sie nie vergessen. Sie wird immer bei uns bleiben.« Er holte tief Luft. »Ich kann nicht mit Sicherheit davon ausgehen, daß Egill noch am Leben ist. Ich wäre ein Narr zu versprechen, daß wir ihn finden und zurückbringen. Wenn er wie Lotti gestorben ist, werden beide Kinder in unserem Herzen bleiben. Dieses Kind . . . Wir werden beten, daß es zu einem starken Mann heranwächst und gesund und glücklich wird wie seine Eltern.«
Sie bettete ihre Wange an seine Brust, er legte sein Gesicht an ihren Kopf.
»Was wird geschehen?« fragte sie mit gedämpfter Stimme.
Magnus öffnete den Mund, als hinter ihm ein wütendes Gebrüll laut wurde. Er fuhr herum, hielt Zarabeth an sich gedrückt und sah, wie Ragnar versuchte, auf die Beine zu kommen. Eldrid versuchte, ihn auf das Lager zu drücken. Doch er brüllte und fluchte und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Er stieß Eldrid unsanft von sich, richtete sich auf und stand auf schwankenden Beinen.