20. KAPITEL
“Mom, gehst du zu einem Date?”
Andrew lag auf dem Bauch auf Julias Bett und hatte sein Kinn in die Hände gestützt, während er sie interessiert beobachtete.
“Es ist kein Date.” Julia holte den schwarzen Blazer aus dem Schrank und hielt ihn vor sich, um sich im Spiegel zu betrachten. “Steve und ich essen nur gemeinsam zu Abend.”
“Grandma sagt, es ist ein Date.”
Das war klar, dachte Julia. Am gestrigen Nachmittag, nachdem sie sicher sein konnte, dass Coop nicht da war, hatte Grace einen Zwischenstopp an der “Hacienda” eingelegt, um Steve zu treffen. Vom ersten Moment war offensichtlich gewesen, dass sie sehr erfreut war über den neuen Gast. Umso erfreuter war sie, als sie erfuhr, dass Steve und Julia gemeinsam ausgingen.
“Wenn es kein Date ist”, bohrte Andrew nach, “warum tust du dann dieses Zeug auf die Augen? Jimmys Schwester macht das immer, wenn sie mit ihrem Freund weggeht.”
Beunruhigt darüber, dass sie es mit dem Lidschatten übertrieben haben könnte, sah Julia in den Spiegel. Sie fand das zwar eigentlich nicht, dennoch feuchtete sie einen Finger mit der Zunge an und strich leicht über ihre Augenlider, bis nur noch ein Hauch von grün zu sehen war.
“Und?” sagte sie, drehte sich um und schnitt eine Grimasse. “So besser?”
Andrew grinste.
Julia wandte sich wieder dem Spiegel zu. Gott sei Dank muss ich mir nicht allzu viele Gedanken darüber machen, was ich anziehen soll, dachte sie, während sie ein anderes Jackett aus dem Schrank nahm und es der gleichen strengen Begutachtung unterzog. Das “Raging Bull” in der Cannery Row war die Verkörperung des Lässigen, mit Sägemehl auf dem Boden, lauten Gästen und großen Steaks. Egal, was sie anziehen würde, alles wäre passend.
“Magst du ihn?” fragte Andrew plötzlich.
“Wen?” Sie sah ihn ahnungslos an und tat so, als wisse sie nicht, wovon er sprach.
Andrew verdrehte die Augen. “Du weißt doch, wer. Steve.”
Die Frage überraschte sie nicht. Andrew hatte mehr als einmal eine Bemerkung fallen lassen, wie sehr er sich wünschte, Steve könnte für immer in Monterey bleiben. Seine Anhänglichkeit an den Reporter machte ihr aus einem einzigen Grund Sorgen. Irgendwann würde Steve wieder abreisen, und dann würde er Andrew damit wehtun.
Sie warf ihre Jacke auf einen Stuhl, auf dem bereits drei andere lagen, und setzte sich zu ihm aufs Bett. “Ja, ich glaube, ich mag ihn”, antwortete sie. “Und du?”
“Ich mag ihn sehr”, sagte Andrew ehrlich. “Er ist cool. Er erzählt mir Geschichten von seinem Hausboot in Florida, und wie es einmal fast gesunken ist, und wie er und sein Freund ins Wasser springen mussten.” Er lachte. “Er ist lustig.”
Mit einer raschen Bewegung setzte er sich auf die Bettkante und begann, mit seinen Turnschuhen gegen den Bettkasten zu treten. “Tante Penny sagt, dass er ein Prachtkerl ist.” In seinen Augen war etwas Schelmisches zu sehen. “Findest du auch, dass er ein Prachtkerl ist?”
Julia musste unwillkürlich lachen. “Weißt du überhaupt, was das Wort bedeutet?”
“Na klar. Jimmys Schwester sagt es immer. Sie sagt, dass sie nur mit Prachtkerlen ausgeht.”
Weil Andrew so bezaubernd aussah, ergatterte sich Julia von ihm einen schnellen Kuss. “Ich schätze, dass manche Frauen Steve als Prachtkerl betrachten würden. Ich sehe ihn nicht wirklich so.”
Die Tatsache, dass sie gerade wie gedruckt gelogen hatte, und das auch noch gegenüber ihrem Sohn, ließ Julias Wangen erröten.
Bevor die Unterhaltung zu heikel wurde, gab sie Andrew einen kumpelhaften Klaps auf den Po. “Wie wäre es, wenn du jetzt nach unten gehst und auf Grandma wartest? Die muss jeden Augenblick da sein.”
“Okay.” Er rannte aus dem Zimmer.
Nachdem er gegangen war, tauschte Julia ihre schwarze Hose, die zu schick aussah, gegen eine ausgebleichte Jeans, die mehr zum “Raging Bull” passte. Sie beschloss, die blau gestreifte Bluse anzubehalten, streifte den schwarzen Blazer über und schob die Ärmel nach oben, um ein wenig legerer auszusehen.
Für jemanden, der sich keine Gedanken über sein Aussehen macht, gibst du dir verdammt viel Mühe, Mädchen.
Nein, eigentlich doch nicht, sagte sie sich, während sie ihr Haar bürstete. Nicht wirklich. Immerhin würde sie heute Abend zum ersten Mal seit ihrer Scheidung von Paul wieder mit einem Mann ausgehen. Sie war einfach etwas unschlüssig, weiter nichts.
Aber wenn wirklich weiter nichts war, wie erklärte sie sich dann diese verwirrenden Gefühle, die sie immer empfand, wenn sie an Steve Reyes dachte? Im einen Moment Verärgerung, im nächsten Übermut und freudige Erwartung.
Von ihrer plötzlichen Besessenheit wegen ihrer Kleidung völlig abgesehen.
Zum Glück gingen sie nur ins “Raging Bull” und nicht zu irgendeinem romantischen, abgelegenen Restaurant mit Kerzenlicht, wie Penny vorgeschlagen hatte. Dann hätte Julia Grund gehabt, sich Sorgen zu machen.
Was Steve anging, so würde sie ihn schnell wieder in die richtige Richtung lotsen, sollte er auf andere Ideen kommen, die über gutes Essen und angenehme Unterhaltung hinausgingen.
Schließlich war sie kein naiver Teenager mehr. Auch während ihrer Ehe mit Paul war ihr mehr als ein Romeo untergekommen, und sie hatte immer gewusst, wie sie mit ihm umgehen musste.
Nachdem das geklärt war, ging sie den Inhalt ihrer schwarzen Handtasche durch, warf ihren Lippenstift hinein und zog den Reißverschluss zu. Spontan nahm sie die Flasche Joy, die Penny ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, und sprühte ein wenig von dem teuren Parfüm hinter ihre Ohren.
Während sie sich weigerte, ihre letzte Handlung zu analysieren, machte sie das Licht aus und ging aus dem Zimmer.
Das “Raging Bull” war wie immer überaus gut besucht, als Steve und Julia um kurz nach sieben eintrafen. Da Julia eine der Kellnerinnen kannte, wurden sie schnell zu einem Tisch für zwei Personen im hinteren des Teil des Lokals gebracht. Die Kaugummi kauende Blondine nahm den Bleistift, den sie sich hinters Ohr gesteckt hatte, und deutete auf eine Schiefertafel, auf der die Tagesgerichte mit grüner Kreide geschrieben standen, nahm die Getränkebestellung auf und zog sich zurück.
Mit einem Blick auf die voll besetzte Bar und den konstanten Fluss an Besuchern, die ins Lokal drängten, nickte Steve zustimmend. “Sieht nach einer guten Wahl aus.”
“Wenn man Steaks mag und über den Lärm hinweghören kann, dann ist man hier genau richtig.”
Steve hatte seinen Hunger vergessen und lehnte sich zurück, um Julia zu betrachten, während die die Gerichte auf der Tafel studierte. Auch wenn sie das Gegenteil behauptete, war Julia Bradshaw eine schneidige und mutige Frau. Ihre ansprechendste Eigenschaft aber war die Liebe zu ihrem Sohn. Irgendetwas geschah mit ihr, wenn Andrew ins Zimmer kam, etwas Wundervolles und Bewegendes, das Steve nie langweilig wurde. Gleichzeitig wurde ihm auf schmerzhafte Weise deutlich, wie sehr ihm eine eigene Familie fehlte.
Die Kellnerin kehrte Augenblicke später mit zwei Flaschen Bier zurück – ohne Gläser – und stellte ein Schälchen Erdnüsse auf den Tisch.
Nachdem sie beide New York Strips, medium, bestellt hatten, nahm Steve seine Flasche und stieß mit Julia an. “Auf morgen – und auf Ihren ersten Kurs, der ganz sicher ein Erfolg werden wird.”
“Danke.”
“Nervös?”
“Ein wenig.” Sie nahm einen Schluck. “Das ist Neuland für mich, das ich eigentlich erst hatte betreten wollen, wenn ich mich mit dem Gasthaus etabliert hatte.”
“Das wird ein Erfolg werden. Wir feuern Sie alle an, müssen Sie wissen. Penny, Frank, Ihre Mutter. Nicht zu vergessen Coop. Der ist so stolz auf Sie, der könnte fast platzen.”
Julia nahm eine Erdnuss aus dem Strohkorb und drückte sie auf. “Er ist ein typischer Vater, aber ich weiß dieses Vertrauensvotum zu schätzen. Nicht nur seines, sondern das von allen.”
Steve trank wieder einen Schluck Bier. “Ich habe heute Charles in der 'Hacienda' gesehen”, sagte er beiläufig. “Ich wollte nach unten kommen, für den Fall, dass er Ihnen die Schuld dafür gab, dass ich ihn so aus der Fassung gebracht habe. Aber er sah nicht aus wie jemand, der auf Streit aus war, darum bin ich dann doch oben geblieben.”
Sie nahm die Erdnuss in den Mund. “Charles hat sich zur Abwechslung mal von seiner besten Seite gezeigt.”
“Wie kommt das?”
Sie straffte ein wenig ihre Schultern. Wenn Steve nicht so wachsam gewesen wäre, hätte er die Bewegung wohl kaum wahrgenommen. Während sie in die Ferne starrte, beschloss er, sie nicht zu bedrängen. Sie hatte ein Recht auf ihre Geheimnisse, so wie er ein Recht auf sein Geheimnis hatte.
“Er kam vorbei, um sich zu entschuldigen”, sagte sie nach einer Weile.
“Tatsächlich? Wofür?”
Als sie nicht antwortete, wurde ihm klar, dass mehr hinter Charles' Besuch steckte, als er bislang angenommen hatte. Aus eigener Neugier und aus dem Gefühl heraus, dass sie reden musste, hakte er vorsichtig nach. “Wenn Sie darüber reden möchten, ich kann ziemlich gut zuhören.”
Julia lächelte. “Er hat sich nicht für seine öffentlichen Unterstellungen entschuldigt”, sagte sie, nachdem sie sicher war, dass sie niemand belauschte. “Und auch nicht dafür, dass er mir gedroht hat, Andrew wegzunehmen, obwohl ich das Gefühl habe, dass er sich unterschwellig schon entschuldigt hat.” Sie atmete tief durch. “Er wollte sich für das entschuldigen, was sein Sohn mir angetan hat, während wir verheiratet waren.”
Steves Augen verengten sich. “War er untreu?”
Sie lachte. “Ich wünschte, es wäre so einfach.” Als er sie weiter ansah, sagte sie leise: “Paul hat mich geschlagen.”
Steve presste die Kiefer aufeinander. “Wiederholt?”
Sie nickte.
“Dieser Hurensohn.”
“Darum habe ich ihn auch verlassen, ich konnte es nicht länger aushalten.”
“Und Charles wusste davon nichts?”
“Niemand wusste es. Außer meiner Mutter.”
“Wie ist Charles dahinter gekommen?”
“Seine Haushälterin hat es ihm gesagt.” Julia nahm wieder eine Erdnuss, spielte aber nur mit ihr. “Ich wusste, dass Pilar intuitiv war, aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass sie unser hässliches, kleines Geheimnis erahnen würde. Sie hat Charles die Wahrheit gesagt, nachdem sie ihn in den 12-Uhr-Nachrichten gesehen hatte.” Sie sah Steve an, ein schwaches Lächeln umspielte ihren Mund. “Das Gespräch hätte ich gerne belauscht. Pilar nimmt kein Blatt vor den Mund, nicht mal gegenüber ihrem Boss.”
Auch wenn er nichts sagte, erinnerte sich Steve gut an Pilar, da Sheila mit viel Liebe von ihr erzählt hatte.
“Pauls Neigung hat Charles sehr schwer getroffen”, fuhr Julia fort, während ihr Essen gebracht wurde. “Er hat es als persönliches Versagen aufgenommen. Sein ganzes Leben lang hat er versucht, seinen Kindern das zu geben, was sie seiner Meinung nach haben sollten: eine gute Ausbildung, gute Erziehung, ein Gefühl von Stolz. Dabei muss er vergessen haben, ihnen das zu geben, was sie am meisten brauchten, nämlich die Freiheit, sie selbst zu sein. Seine Tochter Sheila ging mit zwanzig aus dem Haus, weil ihr Vater sie förmlich erstickt hat. Bedauerlicherweise starb sie drei Monate später.”
Sie sah von ihrem Teller auf. “Aber das wissen Sie bestimmt alles. Wenn Sie in Sachen Gleic Éire recherchiert haben, und davon gehe ich aus, dann wissen Sie, dass Charles' Tochter in New York City bei einem Bombenattentat ums Leben kam, für den Gleic Éire die Verantwortung übernahm.”
Steve mied ihren Blick. Er hasste es, sie zu belügen, aber es war schon zu spät, um noch die Wahrheit über sich und Sheila zu sagen. Julia würde glauben, dass er sie nur benutzt hatte. Anfangs hatte er nichts gesagt, weil seine Vergangenheit niemanden etwas anging. Aber jetzt hatten sich seine Gefühle für Julia verändert, und die Lüge lastete schwer auf seinem Gewissen.
Einen Moment lang war er versucht, alles zu gestehen und sich ihren Zorn zuzuziehen. Doch dann entschied er sich dagegen. Warum sollte er Erinnerungen wecken, die er so schwer hatte verdrängen können? Welchem Zweck würde das dienen?
“Ich weiß von Charles' Tochter.” Er konzentrierte sich auf das Steak, damit er Julia nicht ansehen musste. “Im Gegensatz zu Ihnen kann ich nicht viel Sympathie für ihn empfinden. Es ist schwer, diesen Mann zu mögen.”
Sie lächelte. “Und das sagt ein Mann, der mir vor ein paar Tagen eine Predigt über die Tugend der Vergebung gehalten hat?”
Er lachte. “Touché.”
Steve war sich nicht sicher, wann das Gespräch von den Bradshaws abgedriftet war, um sich ausschließlich auf Julia zu konzentrieren. Jedenfalls erzählte sie im nächsten Augenblick von ihren drei Monaten an der Kochschule, zu dem auch zwei Wochen in der Provence gehört hatten, und sie brachte ihn zum Lachen mit der Schilderung ihrer Abenteuer in der Küche eines temperamentvollen, französischen Kochs.
Sie unterhielten sich über eine Stunde lang und tranken Kaffee, während sie Anekdoten über ihre Familien austauschten. Im Verlauf ihres Gesprächs stellten sie fest, dass sie sich beide für Filme aus den vierziger Jahren, für Krimis von Agatha Christie und Erdbeereis begeistern konnten.
“Kommen Sie”, sagte er, nachdem er bezahlt hatte. “Es ist eine wunderschöne Nacht, führen Sie mich durch die Stadt.”
Mit einer Geste, die so selbstverständlich schien, als würden sie sich seit Jahren gut kennen, fasste er ihre Hand und nahm sie unter seinen Arm, während sie das Restaurant verließen.
Die Luft war kühl geworden, und auf dem Fußweg waren zahlreiche Menschen unterwegs, so dass sich Julia näher an Steve kuschelte und an seinem Arm festhielt, eine weitere Geste, die in dem Augenblick völlig natürlich wirkte.
Sie fühlte sich erstaunlich entspannt. Steve hatte es entweder zufällig oder bewusst geschafft, dass sie wenigstens an diesem Abend vergaß, dass sie immer noch unter dem Verdacht stand, ihren Exmann ermordet zu haben.
“Sie lieben es hier, nicht wahr?” fragte Steve, während sie durch das Gedränge aus Touristen und Einheimischen gingen, die jeden Abend herkamen.
“Ja, das stimmt. Es gibt wenige Orte in Monterey, die farbenvoller oder die umstrittener sind als die Cannery Row. Angefangen hat es Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als kleines Fischerdorf der Chinesen. Sehen Sie da drüben die weißen Felsblöcke?” Sie drückte sich enger an ihn, während sie in Richtung Meer zeigte. “Das waren Markierungen für die chinesischen Fischerfamilien, die von Canton aus nach Westen gesegelt waren und schließlich in die Bucht von Monterey kamen.”
“Faszinierend. Und was ist so umstritten?”
“Ein Investor möchte auf dem Standort einer großen Kunstgalerie, die geschlossen worden ist, ein Einkaufszentrum errichten. Die Händler auf der Cannery Row rasen vor Wut. Sie befürchten, dass ein Einkaufszentrum die historische Integrität des Gebietes zerstört.”
“Stellt die Stadt historische Gebäude nicht unter Denkmalschutz?”
“Das ist das Problem. Jeder war der Ansicht, dass die gesamte Cannery Row historischen Wert besitzt und damit geschützt ist. Aber jetzt behauptet die Stadt, dass nur ein einziges Gebäude in diese Kategorie fällt.”
Im Lichtschein des Vollmondes sah Julia Steves Augen funkeln. “Ich muss wohl nicht fragen, auf welcher Seite Sie stehen.”
Sie lächelte zaghaft. “Ich bin in Monterey geboren und aufgewachsen. Ich würde mir wünschen, wenn nicht nur die Cannery Row, sondern die ganze Stadt ihre Einzigartigkeit behalten würde. Ich habe nichts gegen Einkaufszentren, aber sie gehören nicht an diesen Küstenabschnitt.”
“Gehen Sie zu öffentlichen Versammlungen? Machen Sie Ihrer Meinung Luft?”
“Nicht mehr. Nicht, seit ich mich von Paul habe scheiden lassen. Vielleicht mache ich das wieder und mische mich stärker ein, wenn das alles vorüber ist und ich nicht länger des Mordes verdächtigt werde.”
Sie deutete auf ein gelbes Stuckgebäude. “Da drüben ist das La Ida Café. Steinbeck hat es in seinem Roman Die Straße der Ölsardinen in den vierziger Jahren unsterblich gemacht. Im zweiten Stock war früher ein Bordell.” Sie lachte. “Das war einer der beliebtesten Orte der gesamten Halbinsel.”
Ein heftiger, vom Ozean kommender Windstoß ließ sie zittern. Steve nahm den Arm fort, an dem sie sich untergehakt hatte, und legte ihn um ihre Schultern, um sie näher an sich heranzuziehen, während sie weitergingen.
Julias Körper versteifte sich für einen Moment, dann entspannte er sich wieder. Es war lange her, dass sie einem Mann körperlich so nahe gewesen war. Die Erkenntnis, dass es ihr viel besser gefiel, als sie erwartet hatte, ließ in ihr die Frage aufkommen, ob sie sich auch zu sehr an den attraktiven Reporter gewöhnte.
Als sie schließlich den Landrover entdeckte, atmete sie fast erleichtert auf.
“Vielen Danke für die Führung”, sagte Steve und ging mit ihr zur Beifahrerseite. “Ich hätte mir keine bessere oder reizendere Reiseführerin wünschen können.”
“Meine Mutter hat früher für die Handelskammer gearbeitet. Ich bin gut ausgebildet worden …”
Überraschend griff er an ihr Haar, spielte mit einer Locke, bevor er seine Hand um ihren Nacken legte und Julia sachte an sich zog.
Mit einem leisen, anziehenden Seufzen ließ es Julia geschehen, da sie nicht die Kraft hatte, sich dagegen zu wehren. Der Kuss war zunächst sanft, ein vorsichtiges Abtasten ihrer Lippen, ein Vorschnellen ihrer Zungen. Sie bewegte sich nicht, während sie jede Empfindung in sich aufnahm und es sich gestattete, dass die Hitze in ihr langsam, aber stetig zunahm.
Seine erregende, forschende Zunge war warm und sanft. Plötzlich konnte sie nicht länger still dastehen, nicht mit diesen starken Händen, die sich auf ihrem Rücken auf und ab bewegten und sie näher an ihn heranzogen, als wolle er ihren Körper in seinen aufnehmen.
Als der Kuss vor Verlangen rauer wurde, entstieg ein leises Stöhnen ihrer Kehle. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so empfunden zu haben. Sie konnte sich nicht an dieses süße, brennende Verlangen erinnern, diese perlende Wärme, dieses Entgleiten jener Kontrolle, von der sie sich geschworen hatte, sie nie loszulassen.
O Gott, was machte sie da? Wohin sollte das führen?
Sie nahm ihre ganze Willenskraft zusammen, um sich schließlich von ihm zu lösen. Sie atmete tief und bebend durch und hielt sich noch einen Augenblick lang an ihm fest, um sicherzugehen, dass sie nicht das Gleichgewicht verlor.
“Wenn du erwartest, dass ich mich entschuldige”, sagte Steve mit rauer Stimme, “dann wartest du vergeblich. Das werde ich nicht machen, weil ich dich von dem Tag an küssen wollte, an dem ich dich gesehen habe.”
Sie lächelte und fühlte sich unerklärlich schamlos. “Ich hoffe, ich habe dich nicht enttäuscht. Ich bin ein wenig eingerostet.”
Er nahm ihre Hand und begann, eine Fingerspitze nach der anderen zärtlich zu küssen. “Du hast mich nicht enttäuscht. Und was das Eingerostete angeht, kennst du bestimmt das Sprichwort … Übung macht den Meister.”
Wieder seufzte sie leise. Was immer er da mit ihren Fingerspitzen machte, ihr Körper reagierte auf eine Weise, die ihr den Atem raubte. Sie merkte, dass sie seinen Mund anstarrte und ihn wieder erforschen, wieder berühren wollte.
Bevor sie abermals schwach werden konnte, zog sie ihre Hand zurück. Was war mit ihr los? Ein Kuss, und sie wurde zum sexhungrigen Teenager und ignorierte alle Regeln, die sie für sich aufgestellt hatte, um jetzt jede Vorsicht einfach in den Wind zu schlagen.
“Es ist schon spät”, sagte sie, bekam aber kaum die Worte heraus. “Wir sollten uns auf den Weg machen.”
Sie wartete, fast so, als warte sie auf einen anderen Vorschlag.
Steve aber öffnete nur die Beifahrertür und half ihr beim Einsteigen.