29. KAPITEL
Hammond schüttelte den Kopf, noch bevor Steve ausgesprochen hatte. “Ich weiß, was Sie von mir wollen, aber die Mühe können Sie sich sparen. Kein Richter wird einen Durchsuchungsbefehl auf der Grundlage so schwacher Beweise ausstellen. Ian McDermott ist ein angesehenes Mitglied der Gemeinde. Er spielt zwar nicht in der gleichen Liga wie Charles Bradshaw, aber er kommt ihm ziemlich nahe.”
“Diese Reifenspuren …”
“Das kann alles Mögliche gewesen sein – der Gärtner, ein Lieferant, ein Besucher, der ein paar Meter zu weit zurückgesetzt hat. Und falls Sie auf die Idee kommen, mich zu fragen, ob ich dort nicht auch ohne Durchsuchungsbefehl auftauchen könnte”, fügte er an, “dann vergessen Sie das ganz schnell. Ich mag Sie, aber nicht so sehr, dass ich Ihretwegen meine Marke aufs Spiel setze.”
Steve nahm die Dose Cola hoch und trank einen Schluck. “Ihre Marke steht nicht auf dem Spiel, wenn Sie Bens Wagen und Ben Rosenthal finden.”
“So hoch pokere ich nicht, tut mir Leid.” Hammond holte ein Tütchen Süßstoff aus der Schublade, riss eine Seite auf und ließ den Inhalt in seine Tasse Kaffee fallen. “Was haben Sie eigentlich mit Gleic Éire? Warum sind Sie so fest entschlossen, diese Leute zu finden? Ich dachte, dass Sie sofort nach Hause abreisen würden, sobald der Mord an Paul Bradshaw aufgeklärt ist.” Plötzlich war da ein Funkeln in seinen Augen. “Oder gibt es etwas … oder sollte ich besser sagen: Gibt es jemanden in unserem schönen Städtchen, von dem Sie sich nicht losreißen können?”
Steve ließ die Bemerkung unkommentiert und stellte stattdessen auch eine Frage: “Glauben Sie wirklich, dass Edith Donnovan Paul umgebracht hat?”
“Die Waffe ist in ihrem Garten gefunden worden. Und es handelt sich tatsächlich um die Tatwaffe, wie die ballistische Untersuchung ergeben hat.”
“Sie haben meine Frage nicht beantwortet.”
Hammond schlürfte an seinem Kaffee. “Was ich glaube, ist unwichtig. Wir haben gute und eindeutige Beweise. Wir haben sogar ein Motiv.”
“Und das wäre?”
Hammond zuckte mit den Schultern. “Wir geben es ohnehin bald bekannt, also kann ich es Ihnen auch schon jetzt sagen. Edith liebte ihren Boss. Sie bestreitet das genauso hartnäckig wie den Mord an ihm, aber zwei ihrer Kollegen haben erklärt, dass sie verrückt nach Bradshaw war und er es wusste. Da er sie nicht für voll genommen hat, wurde Edith laut ihren Kollegen nach und nach zu einem Albtraum. Ich verwette mein Geld darauf, dass es ihr nach Jahren der selbstlosen Hingabe nicht mehr gereicht hat, nur jeden Morgen von Paul begrüßt zu werden. Dann hat sie ihm ihre Liebe gestanden, er hat sie abblitzen lassen und da ist sie ausgerastet.”
Steve fragte sich, ob das Hammonds Worte waren oder die des ehrgeizigen Staatsanwalts. “Einfach so?” fragte er. “Sie ging abends zu ihm nach Hause, fand die Waffe und erschoss den Mann, den sie liebte.”
Hammond hob wieder die Schultern. “So was kommt vor. Darum nennt man so etwas ja auch vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit.”
Steve war noch immer nicht überzeugt. “Und woher wusste sie, wo er seine Beretta aufbewahrte?”
“Kommen Sie, Steve. Sie wusste alles über den Mann, sogar, was er am Morgen gefrühstückt hatte. Aber selbst wenn sie nichts von der Waffe wusste und die Aussagen der Kollegen nichts weiter sind als Tratsch am Arbeitsplatz, bleibt es eine Tatsache, dass die Tatwaffe in ihrem Garten gefunden wurde.”
Und das, dachte Steve, ist genau der Punkt, auf den sich der Staatsanwalt im Verfahren stützen wird.
Während Steve langsam seine Beine nebeneinander stellte, sah Hammond ihn durchdringend an. “An Ihrer Stelle würde ich keine Dummheiten machen”, sagt er scharf.
Steve reagierte mit einem unschuldigen Blick. “Zum Beispiel?”
“Zum Beispiel nachts zu McDermotts Haus fahren und die Verdächtigungen auf eigene Faust überprüfen. Wenn Sie das nämlich machen und ich nur einen einzigen Anruf von dem Mann erhalte, der einen Eindringling meldet, dann sorge ich dafür, dass Sie die Höchststrafe bekommen.”
Steve zerdrückte seine leere Dose und warf sie in den Papierkorb neben Hammonds Schreibtisch, dann stand er auf. “Danke für die Cola, Detective. Nächstes Mal gebe ich eine Runde aus.”
Julia warf Steve ein Lächeln zu, als sie den Hörer auflegte. “Schönen Gruß von Andrew.”
Steve schien völlig gedankenverloren, als er nickte. “Wie geht es ihm?”
“Wunderbar. Er hat einen Fisch gefangen, aber der war nicht groß genug. Coop konnte ihn überreden, ihn wieder ins Wasser zu werfen.” Sie drehte sich in ihrem Sessel um. “Hammond wollte nichts davon wissen, stimmts?”
“Nein. Offenbar ist McDermott auch so ein wichtiger Bürger, der nur mit Samthandschuhen angefasst werden darf.”
Julia hörte aufmerksam zu, während er ihr von seinem Gespräch mit dem Detective erzählte. Da sie Steve mittlerweile sehr gut kannte, konnte sie fast erraten, was er als Nächstes machen würde. Er hatte es ja bereits angedeutet.
“Wir brauchen nur ein paar Beweise mehr, sonst nichts”, sagte sie und hoffte, dass ihr Vorschlag ihn besänftigen würde. “Tim hat doch gesagt, dass er in ein paar Tagen mehr über McDermott weiß, nicht wahr?”
“Ich werde nicht noch ein paar Tage warten.”
“Steve.”
Er hatte sich gegen die Kochinsel gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. “Ich fahre noch mal hin, Julia. Ich werde diesen verdammten Wagen finden.”
Julia sprang aus ihrem Sessel auf. “Bist du verrückt?” rief sie. “Du willst dich in McDermotts Haus umsehen, nachdem dich Hammond ausdrücklich davor gewarnt hat?”
“Ich will nicht in sein Haus”, berichtigte er sie. “Ich will auf sein Grundstück. Um ganz genau zu sein: Ich will in den Hain hinter dem Gewächshaus.”
“Das ist trotzdem verrückt. Was ist, wenn das Grundstück gesichert ist? Wenn McDermott es von zwei riesigen Rottweilern bewachen lässt?”
“Dann nehme ich ein paar Knochen mit.”
Julia schlug mit der flachen Hand auf den Tresen. “Hör auf, Witze zu reißen, verdammt! Das ist eine ernste Sache. Und eine gefährliche. Ganz zu schweigen davon, dass sie illegal ist. Er könnte dich erschießen, um Gottes willen. Und er wäre auch noch im Recht.”
“Warum sollte er mich erschießen, wenn er nichts zu verbergen hat?” Steve lächelte und wickelte eine ihrer blonden Locken um seine Finger. “Oder bist du dir da nicht mehr so sicher?”
Sie schob seine Hand fort. “Bring mich nicht durcheinander. Tatsache ist, dass es gefährlich ist und dass ich es dir nicht erlaube.”
In seinen Augen sah sie dieses amüsierte Leuchten, das sie mittlerweile so gut kannte und mit dem er sie jedes Mal rumgekriegt hatte. Er stützte seine Hände zu beiden Seiten von ihr und hielt sie so fest, während ihr noch verbliebener Widerstand dahinschmolz.
“Nicht mal, wenn ich dich mitmachen lasse?”
“Oh, fantastisch”, sagte sie halbherzig. “Jetzt bittest du mich auch noch, Komplizin bei einem Verbrechen zu werden. Als wenn ich nicht schon genug Ärger mit der Polizei hätte.”
“Na, komm schon. Du willst es doch, gib es zu.”
Verärgert über diese unerbittliche Seite an ihm, versuchte sie vergeblich, ihn fortzuschieben. “Ich könnte Hammond sagen, was du vorhast”, drohte sie. “Er wird dich schon aufhalten.”
Steve lächelte. “Das könntest du. Aber du wirst es nicht machen.”
Ein letztes Aufbegehren ließ sie trotzig das Kinn heben. “Woher willst du das wissen?”
Er hielt ihrem herausfordernden Blick stand. “Weil du weißt, wie wichtig das für mich ist. Und du weißt, dass ich nicht dort suchen würde, wenn ich nicht verdammt sicher wäre, auch etwas zu finden. So wie bei Mrs. Hathaway.”
“Mrs. Hathaway war nicht gefährlich. McDermott könnte es aber sein.”
“Ich werde auf mich aufpassen.” Er rieb seine Nase an ihrer. “Komm schon, was meinst du? Wir könnten so tun, als wären wir Bonnie und Clyde. Ohne Maschinenpistolen.”
“Ich …” Sie starrte auf seinen Mund, der ihrem immer näher kam. “Ich schätze, wenn du dich schon nicht aufhalten lässt, dann kann ich dich ebenso gut begleiten. Vielleicht kann ich dich ja so vor Ärger beschützen.”
Ihr letzter Gedanke, bevor sie in seinem Kuss versank, war der, dass es keine Frau gab, die einen solchen Mann vor Ärger beschützen konnte.
Dank einer dichten Wolkendecke über der gesamten Halbinsel lag McDermotts Haus in tiefer Finsternis, als Steve den Landrover einige hundert Meter vom Grundstück entfernt abstellte.
Neben ihm saß völlig in Schwarz gekleidet Julia, die nervös aussah, sich aber alle Mühe gab, das zu verbergen.
Steve sah sich um, froh darüber, dass er sich nicht wegen vereinzelt vorüberfahrender Wagen Gedanken machen musste. “Da wären wir”, sagte er und sah wieder zu Julia. “Wünsch mir Glück.”
“Du meinst, ich soll uns beiden Glück wünschen, oder?”
Als sie die Beifahrertür öffnen wollte, hielt er sie am Handgelenk fest. “Augenblick mal, Bonnie. Weiter geht es nicht für dich.”
Sie protestierte im gleichen Moment. “Warte. Du hast gesagt, ich könnte dir helfen.”
“Und das machst du auch, indem du im Wagen bleibst und meine Zeit im Auge behältst.”
Im Schein der Innenbeleuchtung blitzten ihre Augen auf. “Deine Zeit? Was bin ich? Etwa dein Trainer?”
Er unterdrückte ein Lächeln. “Unterschätz nie die kleinen Dinge, Darling. Du könntest mir das Leben retten, wenn du die Uhr im Auge behältst.” Als sie sich beruhigt hatte, sah er wieder zum Haus hinüber. “Es sollte nicht länger als dreißig Minuten dauern. Mit etwas Glück gibt es kein Sicherheitssystem rund um das Grundstück, das mir Sorgen bereiten könnte …”
“Und wenn doch?”
Er machte sich nicht die Mühe, ihr zu erklären, dass dies die Sache erheblich erschweren und dass er sich damit befassen würde, wenn es wirklich so war. “Dann renne ich, als wäre der Teufel hinter mir hier. Lass den Motor laufen.”
Julia lehnte sich gegen ihren Sitz. “Das ist doch Wahnsinn. Wie konnte ich mich damit bloß einverstanden erklären?”
“Weil du weißt, dass ich Recht habe, was diesen Typen angeht.”
“Ich hätte dich ans Bett fesseln sollen.”
Er verzog einen Mundwinkel. “Hmm”, sagte er und beugte sich zu ihr. “Warum hältst du den Gedanken nicht fest? Das könnte meine Belohnung sein, wenn ich meine Arbeit gut gemacht habe.”
Sie sah ihn wütend an. “Und wenn du in dreißig Minuten nicht zurück bist?”
Steve gab ihr einen Kuss auf den Mund. “Dann ruf Hammond an”, sagte er, während eine Hand auf dem Türgriff ruhte. “Seine Nummer ist im Handschuhfach.”
Steve brauchte keine fünf Minuten, um McDermotts Grundstück zu erreichen. Er betete, dass es keine Alarmanlage gab, dann ging er weiter und wartete abermals fünf Minuten, um festzustellen, ob sein Eindringen einen stummen Alarm ausgelöst hatte und sich jemand seiner Position näherte.
Als alles ruhig blieb, atmete er erleichtert auf und eilte über die Terrasse hin zum Zypressenhain, um den Reifenspuren zu folgen, die er am Tag bemerkt hatte. Er hoffte, dass er sie trotz der Dunkelheit erkennen konnte.
“Stehen bleiben!”
Dem Befehl folgte das Geräusch, das entsteht, wenn der Hahn einer Waffe gespannt wird, und das Steve in der Bewegung erstarren ließ.
“Hände über den Kopf!”
Steve befolgte die Aufforderung.
“Umdrehen!”
Wieder gehorchte Steve dem Befehl, während das ganze Areal plötzlich hell erleuchtet war.
McDermott, der komplett angezogen war, stand vor Steve und hatte eine Schrotflinte auf seinen Bauch gerichtet.