ZEHN

ICH FASSE MICH kurz und gedenke nicht, mich zu wiederholen, also hört mir gut zu. Ich werde Euch jetzt die Verteidigungsstrategie erläutern, die auf Grundlage aller Berichte der hier Versammelten und in Zusammenarbeit mit den militärischen Führern aller Völker unter Leitung des Magus erarbeitet wurde. Nur mit dieser Strategie können wir gegen den übermächtigen Gegner bestehen. Nur konstruktive Kritik bitte!«

General Asduvarluns Worte waren militärisch knapp und unmissverständlich. Er trug eine graue Uniform, die stahlgrauen Haare waren zu einem langen Zopf geflochten. Seine Augen blickten streng, die Lippen waren fest zusammengekniffen. Wenn man ihn so sah, war jedem klar, warum man ihn den eisernen General nannte. Als der Magus neben ihm bestätigend nickte, blickte Asduvarlun dankbar zu ihm hinüber, lächelte aber nicht. Seit der Schatten des Grauens sich über die acht Völker gelegt hatte, lächelte er noch weniger als sonst.

»Gut, wenn es keine Fragen gibt, werde ich jetzt die Strategie erläutern.«

Die Sitzordnung im Versammlungssaal löste Verwunderung aus. Nicht Gavrilus und Zarak saßen zu beiden Seiten des Magus, sondern General Asduvarlun und der Druide Allan Sirio. Die Könige waren an den Rand gedrängt, ihre Rollen beschränkten sich zunächst aufs Zuhören. Der ganz in Schwarz gekleidete Zarak ließ keine Gefühle erkennen, sein Gesicht glich einer Maske, und neben ihm saß ebenso angespannt sein Sohn. Viyyan Lise wirkte in seinem türkisgrün schillernden Seidengewand etwas fehl am Platz, was den ganz staatsmännisch auftretenden Präsidenten der Gnomenrepublik, Ghadril Thaun, zu einem strafenden Blick veranlasste. Der Zwergenführer, der Große Bergwerker Gurthrud Hunn, hatte seine Machtinsignien – Eisenkrone und Spitzhacke – bei sich und wirkte noch grimmiger als sonst. Mindestens ebenso finster blickte der erste General des Goblinreichs, Zardos Kuray, mit all seinen Rangabzeichen und Orden. Die beiden Feenköniginnen Gethra und Gibrissa saßen rätselhaft lächelnd nebeneinander und glichen einander vollkommen, was den Betrachter verwirren konnte. Der düster blickende Große Wächter der Dämonen, Shybill Drass, schien fast mit seinem Stuhl zu verschmelzen.

Gavrilus Sulpicius war nicht wiederzuerkennen, er wirkte wie ein Schatten seiner selbst. Der Elbenkönig war so schwach, dass seine Söhne ihn am Eingang zum Versammlungssaal fast hätten stützen müssen.

Das ewige Versprechen hatte die letzten Kräfte des alten Mannes aufgezehrt, tiefe Schatten verdüsterten sein Gesicht und selbst die kleinste Bewegung schien ihn zu ermüden. Alfargus wich nicht von seiner Seite, er wirkte fast grimmig entschlossen, den Vater zu verteidigen. Mit Amorannon Asduvarlun hatte Gavrilus über das Vorgefallene noch nicht gesprochen.

Im Saal war jeder angespannt und ernst, nur Allan Sirio strahlte die übliche Souveränität und Gelassenheit aus. Hinter dem Stuhl des Magus hatte man ein Bambusgerüst aufgebaut, an dem General Asduvarlun und der noch nervöser und hektischer als sonst erscheinende Oberst Seridien eine Karte der acht Reiche befestigten, auf der rote und schwarze Nadeln sowie Linien und Pfeile zu sehen waren. Der General begann zu sprechen.

»Um der drohenden Gefahr zu begegnen, müssen wir nach Angaben des Magus an zwei Fronten kämpfen. Die Gruppe der acht muss zum Unbezwingbaren Hort vorstoßen und den Weißen Stein zerstören. Aber damit diese Mission gelingen kann, dürfen wir anderen nicht untätig bleiben. Wir werden eine vereinte schlagkräftige Armee zusammenstellen, jedes der acht Völker wird die gleiche Zahl Soldaten aufbieten«, verkündete Asduvarlun. »Statt der gemeinsamen Streitmacht, die eher einer bunt zusammengewürfelten Truppe glich, wird nun das größte und mächtigste Heer zusammentreten, das wir aufbringen können. Ein vereintes Heer der acht Reiche, das auch dazu beitragen soll, dass sich die Bevölkerung wieder sicherer fühlt. Auch die Führung wird zu gleichen Teilen unter den Völkern aufgeteilt. Ich selbst werde den Oberbefehl übernehmen, so hat es der Magus bestimmt, doch der Große Rat kann darüber natürlich noch ruhig und sachlich diskutieren. Bei allem Respekt vor unseren Königen und Staatsoberhäuptern muss eines klar sein: Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen und Erfahrung kann mehr zählen als jede Art von Macht. In der Stunde der Gefahr ist ein mutiger, kampferprobter Soldat, selbst von niedrigem Rang, mehr wert als alle Könige und Beamten zusammen.«

Aufgeregtes Stimmengewirr erfüllte den Saal, wie immer hatte Asduvarlun deutliche Worte gefunden, dabei aber jede Spur von Polemik vermieden.

Der General wartete ab, bis die Geräusche abebbten und sich die Blicke wieder auf ihn richteten, dann schlug er sich mit dem Zeigestock auf die Handfläche und fuhr fort: »Der Krieg ist nicht mehr aufzuhalten, meine Herrschaften. Es ist ein Krieg, der anders sein wird als alle, die Ihr bisher geführt habt, mit Regimentern in Reih und Glied, mit Fahnen und Fanfaren. Nach allem, was wir bislang erfahren haben, scheint unser jetziger Feind auf eine andere Art zu kämpfen. Es wird auf einen breit angelegten Guerillakrieg hinauslaufen, mit vielen Scharmützeln, überfallartigen Angriffen aus dem Hinterhalt, bei denen sich die Kämpfer genauso schnell wieder zurückziehen, wie sie gekommen sind. Und mit dieser Taktik werden sie uns ständig unter Druck setzen. Wir wissen nicht, wie groß die Streitmacht des Feindes ist, der hinter den Gremlins steht, wir haben nicht die leiseste Ahnung, wer er ist und wo er sich versteckt, darüber können wir nur Vermutungen anstellen. Allerdings können wir einige seiner Schachzüge vorhersehen: schnelle, unerbittliche Angriffe oder langwierige Belagerungen, mit denen er unsere Kräfte allmählich zermürben will. Mit dieser Taktik kämpfen sie bereits im Dämonenreich und an der Großen Mauer in der Ebene. Eine genaue Vorhersage, wo und wann der Feind zuschlagen wird, ist also nahezu unmöglich. Es gibt daher nur eine Lösung: Wir müssen ständig in Alarmbereitschaft sein, und das in allen Reichen, aber besonders dort, wo der Feind bereits zugeschlagen hat. Doch wir müssen ebenso darauf vorbereitet sein, unsere Kräfte in einem Punkt zusammenzuziehen. Lisannon, die Fähnchen bitte.«

Oberst Seridien zog einige rote Fähnchen aus einem Beutel an seinem Gürtel und steckte sie eilfertig in verschiedene Punkte auf der Karte. Dhannam erkannte die Grenzmauer in der Ebene zwischen dem Gnomen- und dem Faunenreich und Shilkar, die Stadt der Schwarzen Hexer.

Asduvarlun nickte. »Das hier sind die Gebiete, wo die Gefahr im Augenblick am größten ist«, erklärte der General und zeigte mit dem Stock auf die markierten Stellen. Trotzdem sollten wir uns nicht allein auf diese Regionen konzentrieren, sondern in allen acht Reichen ein engmaschiges Sicherheitsnetz knüpfen. Lisannon, die blauen Fähnchen.«

»Sofort.« Lisannon steckte vier blaue Fähnchen in die Landkarte, jedes einzelne markierte die Mitte eines angenommenen Quadranten – Nordwest, Südwest, Nordost, Südost.

Wieder zeigte General Asduvarlun mit dem Stock auf die Karte. »Wir werden vier größere Kampfeinheiten bilden, die sich wiederum in verschiedene Untergruppen gliedern, jede mit einem eigenen Befehlsbereich. Das zentrale Kommando und Hauptquartier wird hier auf der Heiligen Erde eingerichtet. Unter dem Schutz der Druiden werden wir vor dem Feind sicher sein. An der Spitze von jeder der vier größeren Einheiten, die sich aus Soldaten und Zauberern zusammensetzen – nennen wir sie von jetzt an A-Gruppen –, werden je zwei Oberhäupter von den acht Völkern stehen, die friedlich zusammenarbeiten müssen. Das ist unerlässlich für den Erfolg. Lisannon, die Liste.«

Der Oberst wühlte in einem Stapel von Karten und Dokumenten hinter sich. Nach einer Weile hielt er dem General ein Pergament hin, das mehrere Namen enthielt, die teilweise durchgestrichen oder überschrieben waren; die endgültige Entscheidung hatte man mit roter Tinte vermerkt.

Asduvarlun zeigte die Liste herum und erklärte: »Die Wahl und Zusammenstellung der vier Einheiten und ihrer Anführer erfolgte in enger Absprache mit dem Magus.«

Der nickte zustimmend und meinte ergänzend: »Änderungsvorschläge werden nicht akzeptiert. General, bitte verlest, wer mit wem eine Einheit bildet.«

»Gut. Südwestlicher Quadrant: die Feenköniginnen Gethra und Gibrissa mit dem Großen Bergwerker Gurthrud Hunn. Südöstlicher Quadrant: Gnomenpräsident Ghadril Thaun mit dem Gildenführer der Faune Viyyan Lise. Nordwestlicher Quadrant: der erste General des Goblinreiches Zardos Kuray mit dem Großen Wächter der Dämonen Shybill Drass. Nordöstlicher Quadrant: der Elbenkönig Gavrilus Sulpicius und der Menschenkönig Zarak Fudrigus. Die Leitung des Hauptquartiers hier auf der Heiligen Erde liegt in Händen des hier anwesenden Allan Sirio und bei mir.«

Im Saal war es totenstill geworden. Die unfreiwillig zu Partnern gewordenen Vertreter der Völker starrten einander misstrauisch, ja sogar ablehnend an. Der Magus schien mit Absicht die Vertreter der Völker miteinander verbunden zu haben, die einander am wenigsten leiden konnten.

Amorannon Asduvarlun rollte das Pergament wieder zusammen. »Wie der Magus bereits gesagt hat: Diese Zusammensetzung erfolgte in einer bestimmten Absicht, die Einheiten stehen deshalb unwiderruflich fest.« Er gab Lisannon Seridien das Pergament zurück, der es wieder zu den anderen Unterlagen legte. »Noch Fragen?«

Beinahe gleichzeitig schossen die Hände von Zarak Fudrigus und Gavrilus Sulpicius in die Höhe, woraufhin die beiden Könige einen giftigen Blick wechselten.

»Bitte, König Zarak«, sagte Gavrilus seufzend. »Ihr zuerst.«

Zarak erhob sich, dabei starrte er Amorannon Asduvarlun herausfordernd an, doch der General verzog keine Miene. »Darf man erfahren, welche Absicht Eurer Entscheidung zugrunde liegt?«, fragte König Zarak missmutig. Es war ihm deutlich anzuhören, dass er mit der Wahl nicht einverstanden war.

Asduvarlun ließ sich davon jedoch nicht beirren. »Sicher«, antwortete er knapp. »Habt einen Augenblick Geduld. Und Eure Frage, Majestät?« Er wandte sich an Gavrilus.

Der Elbenkönig sah verlegen zu Zarak hinüber und sagte kaum verständlich: »Ich wollte das Gleiche fragen.«

Asdurvarlun setzte schon zu einer Antwort an, doch ein Zeichen des Magus ließ ihn innehalten. Der General trat einen Schritt zurück.

»Dann werden wir gleich zwei Fragen auf einmal beantworten«, sagte der Magus und erhob sich. »Bei allem, was wir tun, sollte eines unmissverständlich klar sein: Wenn wir auch nur den Hauch einer Chance haben wollen, müssen wir uneingeschränkt zusammenarbeiten. Selbstverständlich habe ich großes Vertrauen in jeden Einzelnen von Euch, aber wenn untereinander rivalisierende Völker gezwungen sind, gemeinsame Entscheidungen zu treffen, ist das die beste und schnellste Lösung, ihre kleinen Differenzen beizulegen. Außerdem bietet diese Zusammenarbeit die Gelegenheit, den anderen stets im Auge zu haben; so muss keiner unliebsame Überraschungen von einem seiner Gegner fürchten. Ich hoffe, mit meiner Antwort Klarheit geschaffen zu haben. Die Entscheidung, meine Entscheidung, steht fest und ich habe nicht die mindeste Absicht, auch nur einen Deut davon abzuweichen.«

Die Blicke, die Gavrilus und Zarak tauschten, während der Magus wieder Platz nahm, sprachen Bände: Keinem der beiden war wohl bei dem Gedanken, Seite an Seite gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen. Dhannam schaute zu Elirion Fudrigus hinüber, der kerzengerade, die Hände im Schoß, auf seinem Sessel saß. Elirion erwiderte den Blick kalt und schneidend, scharf wie eine Messerklinge. Seine zusammengekniffenen Lippen zuckten wütend.

Vom Thronfolger des Menschenreiches konnte er den ersten Schritt zu Versöhnung und Freundschaft gewiss nicht erwarten. Doch Dhannam bemerkte schnell, dass der hasserfüllte Blick Elirions nicht auf ihn, sondern auf seinen Bruder gerichtet war. Alfargus starrte den Prinzen des Menschenreiches zornig an, seine Hände hielten die Lehnen des Sessels so fest umklammert, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Die unüberbrückbare Feindseligkeit der beiden war offenkundig, und Dhannam hoffte inständig, dass sie sich nach der Versammlung voneinander fernhalten würden.

Der Magus nickte General Asduvarlun aufmunternd zu, woraufhin Dhannam seine Aufmerksamkeit wie alle anderen wieder dem eisernen General zuwandte. »Habt Ihr dem noch etwas hinzuzufügen, General?«

»Nur eines noch«, antwortete Asduvarlun leise mit einer leichten Verbeugung und wandte sich wieder an die Versammlung. »Ich halte es für unerlässlich, dass die jeweiligen Führer der A-Gruppen durch eine noch zu bestimmende Zahl untergeordneter Einheiten ständig ihr Gebiet kontrollieren und darüber regelmäßig an das Oberkommando hier auf der Heiligen Erde berichten. Wie gesagt, werden Meister Sirio und mein Stellvertreter Oberst Seridien hier Stellung beziehen. Die Berichte dieser B-Gruppen, wie wir die über die Quadranten verteilten Unterposten ab jetzt nennen wollen, müssen in regelmäßigen Abständen erfolgen. Auf diese Weise werden wir stets über die aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten und können weitere Schritte planen.« Der General reichte den Stab an Oberst Seridien und verneigte sich knapp vor dem Auditorium. »Wenn es keine weiteren Fragen gibt, dann danke ich für Eure Aufmerksamkeit. «

»General, wir haben zu danken«, sagte der Magus. »Ihr habt hervorragende Arbeit geleistet. Jetzt haben wir doch eine gewisse Hoffnung auf Erfolg und so kann ich beruhigt die Verteidigung der acht Völker in Eure Hände legen. Ich sehe, die Versammlung löst sich auf, und würde gern in einer etwas intimeren Runde die Details der Mission der acht besprechen.«

Obwohl sich auch Elirion, Dhannam und Alfargus von ihren Stühlen erhoben hatten, machte keiner der Königssöhne Anstalten zu gehen. Die beiden Elbenprinzen flankierten schützend ihren Vater und Alfargus beugte sich zu ihm hinunter und wirkte plötzlich besorgt.

»Vater, wünschst du, dass Dhannam und ich an deiner Seite bleiben?« So wie er die Frage stellte, war klar, dass er sich ein »Ja« erhoffte. Zum einen hätte er gerne gewusst, was da besprochen wurde, zum anderen wollte er seinen Vater ungern allein lassen.

Doch der Elbenkönig schüttelte nur müde sein weißes Haupt und bemühte sich zu lächeln. »Ich danke dir, Alfargus«, entgegnete er, »aber diese Fragen müssen im allerengsten Kreis besprochen werden. Dieses Mal darf es keine Ausnahmen geben. Ruht euch aus, vielleicht müssen wir schon bald aufbrechen.«

»Wie du wünschst.« Alfargus zog sich zögernd zurück, aber man musste kein allzu genauer Beobachter sein, um zu bemerken, dass er verärgert war. Er bedeutete Dhannam mit einer unwirschen Kopfbewegung, dass ihre Anwesenheit nicht mehr erwünscht sei.

Als sie gerade den Saal verlassen wollten, gab auch Zarak Fudrigus seinem Sohn ein Zeichen. Elirion neigte respektvoll den Kopf und folgte den Elbenprinzen.

Alfargus drehte sich kurz um.Wieder kreuzten sich ihre eiskalten Blicke, dann nahm Dhannam den Arm des Bruders und zog Alfargus hinaus. Während des ganzen Weges zu den Häusern des Friedens wechselten die drei jungen Männer kein Wort, doch auch so war die Spannung zwischen den beiden Prinzen der verschiedenen Reiche mit Händen zu greifen, selbst dann noch, als sich Elirion mit einem angedeuteten Gruß auf sein Zimmer in einem anderen Flügel der Häuser zurückgezogen hatte.

Die Sorge und Verärgerung stand Alfargus ins Gesicht geschrieben. Anders als sein Lehrmeister Amorannon Asduvarlun war er noch nie imstande gewesen, seine wahren Gefühle zu verbergen. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, lud Dhannam seinen Bruder ein, in seinem Zimmer noch ein Glas zu trinken, und Alfargus war einverstanden. Dhannam beschloss, das Thema Zarak und Elirion Fudrigus auszuklammern und auch nicht über das zu sprechen, was ihnen ihr Vater über Thix Arnur Velinan und das ewige Versprechen anvertraut hatte.

Die Aussicht, dass seine Schwester Adilean gezwungen sein würde, dieses gewissenlose Ungeheuer zu heiraten, war kaum zu ertragen, obwohl auch er wusste, dass der König keine andere Wahl gehabt hatte. Dhannam hatte noch nie jemandem etwas Schlechtes gewünscht, aber jetzt hoffte er inständig, dass Thix Arnur Velinan nicht lebend von der Mission heimkehren würde und Adilean mit dem Vater ihres noch ungeborenen Kindes glücklich werden konnte, als ob das Böse nie ihren Weg gekreuzt hätte.

Er war sicher, dass der Elbenkönig mit niemandem außer ihnen beiden über das ewige Versprechen gesprochen hatte, vor allem nicht mit Amorannon Asduvarlun. Vielleicht aus Rücksicht und Fürsorge, damit der General unbelastet die Geschicke der gemeinsamen Streitmacht lenken konnte. Hätte er ihn mit der Wahrheit konfrontiert, wäre der Kopf des Oberkommandierenden nicht mehr frei für strategische Entscheidungen gewesen. Dhannam beneidete weder seinen Vater noch Alfargus oder jeden anderen, der die Aufgabe haben würde, Asduvarlun von dem ewigen Versprechen zu unterrichten.

Alfargus stürmte in Dhannams Zimmer, riss sich wütend den roten Umhang vom Körper und warf ihn auf einen Hocker, auf dem sein Bruder schon einen Haufen Kleider abgelegt hatte, die darauf warteten, in den Schrank geräumt zu werden. Dann ließ er sich auf ein kleines Korbsofa in der Ecke sinken, das unter dem Gewicht seines wuchtigen Körpers ächzte.

Wortlos nahm Dhannam zwei Kristallgläser und eine Flasche Pfefferminzlikör aus dem Schrank, selbst wenn er bezweifelte, dass das Lieblingsgetränk der Elben seinen Bruder jetzt besänftigen konnte. Er füllte die Gläser und stellte sie auf den kleinen Korbtisch vor dem Sofa. Alfargus griff sofort zu.

»Ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll«, stöhnte er und leerte das Glas in einem Zug. »Wie hältst du das nur aus? Ich meine natürlich diesen unsäglichen Elirion … Hast du gesehen, wie der mich angestarrt hat? Vielleicht ist er selbst noch nicht mal so übel, aber sein Vater hetzt ihn auf, da bin ich ganz sicher. Und jetzt sollen wir mit denen eine gemeinsame Verteidigungstruppe zusammenstellen? Der Magus wird mit Sicherheit gute Gründe gehabt haben, aber die Menschen werden doch alles tun, um uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen, und unser Vater …« Er goss sich noch einmal ein. »… unser Vater ist am Ende. Ich habe ihn noch nie in einem solchen Zustand gesehen, er ist nicht mehr er selbst. Verdammt!« Heftig setzte er das Glas auf dem Tisch ab.

Dhannam erschrak und sah ihn besorgt an. »Ich wünschte, wir könnten etwas tun«, flüsterte er.

»Das wünschte ich auch«, sagte Alfargus brüsk. »Dieses verdammte Gefühl der Ohnmacht treibt mich in den Wahnsinn, verstehst du? Niemand scheint etwas ausrichten zu können. Das hat mir auch Amorannon gesagt, damals, als er das erste Mal vom Einsatz der gemeinsamen Streitmacht zurückgekehrt ist. Dieser Feind vermittelt dir einfach das Gefühl, dass du keine Chance hast. Die Gremlins sind wie Schatten, sie überfallen einen hinterrücks und töten deinen Nebenmann, bevor du sie überhaupt bemerkt hast. Und dann unser Vater! Ihn so zu sehen, ist beängstigend. Geht es dir nicht genauso?«

Dhannam legte besänftigend die Hand auf die Schulter des Bruders, aber er spürte, dass dieser viele Tausend Meilen von ihm entfernt war und er ihn nicht erreichen konnte. »Ich fühle es auch, Alfargus, aber wenn selbst du nicht stark genug bist, der Gefahr zu begegnen, wer sonst? Das macht mir Angst. Vater, General Asduvarlun und du, ihr wart immer meine Felsen in der Brandung, auf die ich mich blindlings verlassen konnte. Immer, wenn ein Problem zu groß zu sein schien, habe ich euch angesehen und gedacht: ›Die schaffen das, sie sind unbesiegbar.‹ In eurer Gegenwart fühlte ich mich sicher. Und jetzt sehe ich euch drei schwanken. Als ich Asduvarlun heute sprechen hörte, hatte ich den Eindruck, dass auch er nur seine Furcht zu überspielen versuchte. Und wenn selbst der eiserne General Angst hat, was kommt dann auf uns zu?«

Alfargus lächelte bitter, seine Augen starrten ins Leere, während er mit einem Finger den Rand des leeren Glases entlangfuhr. »Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass es irgendetwas gibt, was Amorannon Angst einjagen könnte. Wenn ich zitterte – er war unerschütterlich wie ein Fels. Ich war überzeugt, dass Amorannon nicht wanken würde, selbst wenn die Welt bis in ihre Grundfesten erschüttert würde. Und wenn Sirdar höchstpersönlich vor ihm auftauchen und ihn mit seiner Doppelaxt dazu zwingen wollte, ihm ins Jenseits zu folgen, er würde nicht zurückweichen. Doch jetzt haben wir es wohl mit einem Feind zu tun, der vielleicht wirklich das Ende unseres Zeitalters bedeuten könnte, sogar das Ende von allem, was wir kennen. Die Frage ist doch die, Dhannam: Wird es überhaupt ein Danach geben? Und werden wir es erleben?«

Dhannam erkannte seinen Bruder kaum wieder. Ihm war, als säße er einem Fremden gegenüber, noch nie hatte er so viel Entsetzen in Alfargus’ dunklen Augen gesehen. Er hätte ihn gern beruhigt, aber er wusste nicht, wie. In seinem Kopf waren nur Fragen, eine beängstigender als die andere. Wieder und wieder sah er das ausgemergelte Gesicht seines Vaters vor sich, die ausdruckslosen Augen von Amorannon Asduvarlun, den eiskalten Blick von Elirion Fudrigus und das rätselhafte Antlitz des Magus. Er konnte den Gedanken an die Bilder, die wild auf ihn einstürmten, nicht ertragen. Gequält schloss er die Augen, und als er sie wieder öffnete, spürte er den fragenden, flehenden Blick seines Bruders auf sich. »Ich weiß es nicht, Alfargus«, flüsterte er und seine Finger vergruben sich in der Uniformjacke seines Bruders. »Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen.«

THARKARÚN – Krieger der Nacht
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