VON DER grauen windgefegten Meeresplatte bis auf Postenstellungen zurückgezogen, schob sich das Gros der Armee mit wachsender Stärke in das Zentrum Deutschlands und nach Süden. Es legte einen dichten Schleier über die kaiserlichen Erblande, stieg die Grenzberge hinauf.

Als die Fühlungnahme der Fürsten und Stände begann, die Proteste gegen die Anwesenheit und das grenzenlose Wuchern dieses Armeekolosses in allen Gauen schrillten, glomm im Süden plötzlich ein Funke auf, der sich im Augenblick zur Lohe entwickelte.

Ein Reichslehen jenseits der Alpen, Mantua, war durch den Tod seines Inhabers erledigt, die Nachfolge umstritten. Der Großneffe des Verstorbenen, ein junger Herzog von Nevers, glaubte nicht der Belehnung durch den Kaiser und Entscheidung des Rechtsstreites zu bedürfen. Da nahm der Römische Kaiser, Ferdinand der Andere, Mantua und das zugehörige Montferrat in Sequester, und der Oberst eines Infanterieregiments, Graf Johann von Nassau, wurde als sein Sequestrationskommissar nach Mantua geschickt. Der junge Herzog leistete dem kaiserlichen Kommissar nicht Folge, gehetzt von Richelieu, der hinter ihm stand und einen Sprung in die Lombardei tun wollte. Der Römische Kaiser fragte in diesem Augenblick den Generalfeldhauptmann, ob er zu einem Zug nach Oberitalien bereit wäre, zur Exekution gegen Mantua.

Die Armee wurde formiert. Geschwollen fuhr es aus dem Prager Hauptquartier über das Reich, das Klagen dunstete wie eine Wiese in der Morgendämmerung: man habe Krieg, möge jeder still sein, Kaiser und Reich sei beleidigt. Die alte Armee wuchs wieder; der Herzog brauchte zwei Armeen, eine zum Kampf, eine zu Kontributionen. Regimenter aus Schwaben marschierten südwärts, besetzten die Pässe der Graubündner Alpen, hingen wie eine Wetterwolke über Italien. Über das Meer war man nicht herübergekommen; die Alpen konnten nicht aufhalten. Und wie der junge Nevers noch schwankte, erschien der französische König Ludwig selbst mit einem starken Heer, rückte gegen die Stadt Susa und besetzte sie. Sie überschritten, eine neue Kriegsmacht, die Brücke der Dora; Richelieu, der schmächtige kinnbärtige Mönch, von allen Waffengattungen bejubelt, ließ im grellen Märzsonnenschein am Brückenkopf sein geharnischtes Roß voltigieren, zwei Pistolen trug er am Sattelbug, das lange Schlachtschwert an der Seite, den wallenden blauen Federhut. Pinerolo fiel, die Alpenpässe wurden geöffnet, das Heer stürzte an, zehntausend Mann, gejagt von ihren Marschällen Créqui, Schomberg, La Force.

Losgelassen die Kaiserlichen hinterher, unter dem Grafen Collalto. »Der Herr Bruder ziehe Menschen an sich«, schrieb der Böhme, »das Reich hat genug, ich vermag nicht zu bewältigen, was zu mir kommt. Je mehr ich aufnehme an kräftigen Männern, um so sicherer wird der Widerstand im Lande hinschmelzen; vor dem Knurren und Keifen alter Weiber und Kanaillen fürchte ich mich nicht.«

Kompagnienweise wurden die Söldner bei den ersten Scharmützeln verschlungen. Aus Wallensteins Quartier flogen der Kriegskommissar Metzger und der Rittmeister Neumann her; ein neues Lied hatte angefangen. Sie drängten gewaltig den schlachtengierigen strategielüsternen Collalto zu Attacken; hielten verschlagen mit Artillerie und Harnischen zurück. Sie reizten durch verräterische Meldungen den Franzosen zu Angriffen; worauf die deutschen Verluste wuchsen.

Und Ludwig, wie er triumphierte über die albernen vielgerühmten Wallensteiner. Er machte sich anheischig, sie in fünf Monaten mit Stumpf und Stiel in Italien auszurotten. Und so gewiß war er seiner Sache, daß der noch ängstliche junge Herzog von Nevers, der Prätendent, die kaiserliche Fahne in Casale einzog. Die friedländischen Regimenter, deren Verluste furchtbar waren, meuterten nicht; die Landschaft blieb üppig, Ortschaft um Ortschaft wurde ihnen zur schonungslosen Plünderung mit Gütern und Menschen preisgegeben, zur Reizung und Betäubung.

In Prag wiegte sich Wallenstein; Patente für neue Truppenkörper flogen aus seiner Kanzlei; er hieß sie für einige Monate die Zügel im Reich etwas schlaffer halten, der Kaiser brauche ein Heer, der italienische Krieg verschlinge Massen, man müsse locken, locken. Mit rasenden Pfeifen, Heerpauken durchzogen die Werber die Landschaften, fuhren Wagen voll des besten Geldes, jagten in die Wälder zu den neuen Siedlungen der Vertriebenen; schlugen eine gute Musik, bunte Schärpen, wilde Hüte, Macht über Männer und Weiber. Möchte wer von den Verkommenden arm und Knecht sein. Der Krieg in der italienischen Ebene war ein Schlund, er schluckte und spie in die Gräber.

Bassewi ging den harten Herzog an. Der gab zurück: »Jammere Er nicht, Bassewi. Er hat keinen Grund, über diesen Tod zu klagen, wo kein Deutscher einen Finger aufheben würde, wenn sein ganzer Stamm an einem Tage weggerafft würde. Wir kommen von der Stelle. Oder zweifelt Er?« Der weißhaarige Jude schüttelte mit weiten starren Augen den Kopf: »Ich werde nicht zweifeln, daß dem Herzog von Friedland irgendein Erfolg ausbleiben wird. Ich werde nicht daran zweifeln. Ich würde glauben, wenn der Herzog von Friedland ein Jude wäre, würde die arme Judenschaft morgen nach Palästina wandern können und das Reich Salomos neu begründen.« Wallenstein lachte kräftig: »Hinbringen könnte ich euch schon; aber der Großherr in Konstantinopel würde euch verspeisen. Es wäre kein so schlechter Gedanke eines Christen, euch hinzubringen.« Der Jude runzelte die Stirn: »Bewahre mich Gott. Ich bin zufrieden, daß Ihr uns wohlgesinnt seid.«

Zwischen seinen grellgeputzten Vogelhäusern und Fischteichen spazierte Friedland mit seiner schönen Frau, im Vergnügen über das milde Winterwetter.

Sein Vetter, der klobige Oberst Graf Max Wallenstein, führte neben der Herzogin ein Bologneserhündchen an der Leine. Friedland stand auf dem Kies, seinen Stock vor sich im Boden einstampfend: »Hätt’ ich geglaubt, daß die Dinge bei Mantua solchen Verlauf nehmen. Der Mund wird denen im Reich gestopft. Schaff mir Leute heran, Max; die Deutschen gehören nach Italien. Hast du bemerkt, was der Franzose macht. Er will ein Feind Deutschlands sein. Der! Richelieu, der überfeine, glaubt uns in der Tasche zu haben. Sein Pater Joseph, der Kapuziner, er und der Tölpel Ludwig haben uns schon. Eine Freude! Er bringt unsere Feinde um, jeden Tag hundert mehr; wie gut sich die Menschen eignen zu unserer Bedienung. Und wir – wir haben jeden Tag ein Stückchen Sorge weniger.« Gepeinigt pfiff die Herzogin ihrem tanzenden Hündchen; sogar Graf Max sah betroffen an seinem Zobelpelz herunter. Wallenstein prahlte, mit seiner knöchernen Linken heftig gestikulierend: »Wir werden stärker; aber er kriegt den Kaiser nicht herunter. Er kann es anstellen, der besessene Seidenspinner, wie er will, er tut uns einen Dienst. Die Franzosen, Max – die haben mir gefehlt.« Er zotete vor der erblassenden Herzogin von der vortrefflichen Franzosenkrankheit, die sein Heer befallen hätte. Sprudelnd zog er die Arme der zu Boden blickenden Frau an sich.

In dem kleinen astronomischen Kabinett, in einem Flügel seines Palastes, mußte bei Fackelschein der paduanische Astronom Argoli mit seinem sanftmütigen schmeichelnden Schüler, dem Johann Baptist Zenno, die Aussichten des Feldzugs berechnen. Pläne auf Pläne legte er ihnen vor, sie hatten die glückbringenden Tage anzugeben. Die unermeßliche Nacht blickte zu ihnen herein. Erregt vor sich murmelnd, ging Friedland unter der Bronzetafel, in die sein eigenes Horoskop eingegraben war: »Tiefsinnige, melancholische Gedanken macht Saturn, die menschlichen Gebote werden verachtet. Jupiter folgt. Der Mond steht im Zeichen der Verworfenheit.« Friedland stellte sich unter Knurren und Lachstößen neben Argolis Fernrohr: »Ich bin ein frommer Christ, Argoli. Du weißt, was ich gestiftet habe. Man wird mich nicht für teuflisch halten, weil du mir die Geheimnisse Gottes deuten sollst.«

Die unaufhaltsam über die Lombardei niederströmende Menge breitete sich aus. Von der Schweizer Grenze blühend Gebiet neben Gebiet, das Herzogtum Savoyen, Piemont, das spanische Mailand, die große Republik Venedig von Bergamo bis Belluno, Gradisca. Was geneigt war, sich aufzubäumen, bäumte sich auf. Im Süden der Staat des gewaltigen, von Civitavecchia bis zum Castelfranco herrschenden Papstes Urban.

Er hatte mit Ruhe den deutschen Krieg toben sehen; jetzt brüllte er über das Vordringen der Männer aus dem fluchwürdigen Lande, das die Ketzerei geboren und großgezogen hatte. Der brutale spanische Botschafter Gasparo Borgia fuhr stolzgebläht zur Audienz beim Heiligen Vater, der ihn nicht zuließ; aber feierlich holte der Kardinalstaatssekretär Francesco Barberini, der Nepot, die bayrische Kreatur Crivelli aus seinem Quartier ab zum Papst.

Der Papst schnob gegen ihn: das Haus Österreich ist der Kirche abtrünnig geworden, daß es keinen Fürsten mehr achtet; maßlos übermütig, mischt es sich in die Verhältnisse Italiens ein, mit gräßlichen Massen des Abschaums aller Nationen bewirft es den blühenden Boden der Lombardei; die Züchtigung Gottes wird nicht ausbleiben; von solchem Treiben des Hochmuts wendet sich der Gerechte ab.

Mit donnernder Stimme warnte er vor Eingriffen in seinen Machtbereich; der Papst sei vom Heiligen Geist selbst auf den Stuhl gehoben, er habe die Pflicht, die Gerechtsame Gottes wahrzunehmen. Die Verbrecher würden es so lange treiben, bis das Breve der Verdammung an den Kirchentüren angeschlagen werde und er alle Kreatur gegen sie aufrufe.

Der Gesandte des Wiener Hofes wagte sich zum Protest in den Vatikan. Der achte Urban, auf seinem Stuhl sitzend, ein ungeschlachter graubärtiger bäurischer Mann in weißseidener Soutane, einen roten breitkrempigen Filzhut auf dem glühenden Kopf, übergoß ihn mit ätzenden Worten: »Die höchste Richtergewalt liegt beim Kaiser. Wie aber kann ich richten, kommt nicht mein Amt und Richterspruch von Gott? Wie kann ich mich vergreifen, wie darf ich es an Gottes Geschöpfen? Denn diese Menschen sind vielleicht kaiserliche Untertanen oder kaiserliche Unterworfene, aber sie sind auch Gottes Geschöpfe. Und wir wissen doch, daß wir im letzten Augenblick gleich sind vor dem himmlischen Herrn, gleich die Richter und Gerichteten. Sie werden beide nicht leicht zu schleppen haben. Fürchten sich die Herren dieser Welt, daß sie sich nicht gar zu viel aufbürden! Der Triumph des Rechtes wird nicht ausbleiben.«

An das umstehende Kolleg wandte er sich, sich schüttelnd vor Abscheu, den Gesandten keines Blickes mehr würdigend: »Es gibt Menschen, die ihre Machtgelüste auf das schamloseste, auf das tiefste beleidigend maskieren. Sie wagen es, mit dem Schein der Frömmigkeit sich zu schmücken. Es ist schwer zu verstehen, wodurch sich diese Menschen, wenn sie richten, von Mördern unterscheiden und von Dieben, von Räubern. Die lombardische Erde wird davon zeugen. Ich will nicht mehr davon sprechen, es ist uns ein grausiges Geschick, daß dies in die Zeit unseres Wirkens hineinschlägt.«

Wie er sich wand, seine Flüche auswürgte, die Befestigungen an seiner nördlichen Grenze beschleunigte, Söldner anwarb, klangen die herrischen Wünsche aus dem Reich herüber: der Kaiser Ferdinand der Andere, der geliebte Sohn der Kirche, begehre sich krönen zu lassen vom Heiligen Vater; Urban möge ihm entgegenziehen bis Bologna oder Ferrara. Auch sollten die Lehensrechte des Kaisers über Montefeltro und Urbino untersucht werden. Das Schrecklichste an Drohung, was man im Vatikan vorausgesehen hatte, kam aus dem Hauptquartier des übermächtigen Böhmen: man möge sich nicht sperren in Italien; Rom sei vor hundert Jahren schon einmal geplündert worden, inzwischen wäre es noch viel reicher geworden.

Und während alles an der Nord- und Ostgrenze des Reiches ruhig blieb, die Armada bändigend mit eisernen Netzen über Deutschland lag, Italien aufschäumte, wurde im Triumph in die Wiener Hofburg der uralte Karmeliterpater Dominicus a Sancta Maria eingeholt, der in der Entscheidungsschlacht am Weißen Berge den Siegeswillen der Ligisten hochgehalten hatte. Er wollte daran erinnern, daß alle Macht und Übermacht des Kaisers nur errungen sei durch die Kirche, die Fürsprache ihrer Gebete. Der Kaiser sollte ehrerbietig sein und ablassen von dem Mordanschlag auf die heilige Mutter. Nach wenigen Tagen erkrankte der schwache Mönch, von der langen Reise angegriffen, starb unter Ferdinands Augen. Abends fand das Leichenbegängnis von der Hofburg nach dem Karmeliterkloster statt unter den Klängen aller Glocken; Ferdinand und seine Familie warteten in der Karmeliterkapelle.

An diesem Abend suchte durch den langen unterirdischen Gang der Kaiser seit langem wieder den Fürsten Eggenberg in seinem Hause auf. Er erklärte, es sei bei der überwältigenden Wendung der Dinge, bei dieser sichtbaren Erhebung des Hauses Habsburg durch Gott und die allerseligste Jungfrau notwendig, an die Sicherung des Erreichten zu denken. Er sei ein Mensch, hinfällig. Er wolle seinen Sohn neben sich sehen. Eggenberg möge die Nachfolgerfrage, die Wahl zum Römischen König, in Angriff nehmen.


ES GAB in den europäischen Ländern unzählige Orden von Männern und Frauen, die das Wunder des Jesus von Nazareth vereinte. Die erneuerten alten Orden der Dominikaner, Franziskaner, Benediktiner, die Kapuziner, Theatiner, die Kampforganisation der Jesukompagnie. Die Feuillantinen, Frauen, die maßlosen Bußübungen oblagen, so daß sie zu Massen hinstarben und der Papst einschreiten mußte, Nonnen und Mönche, die Tag- und Nachtwache sich auferlegten, Stillschweigen, unaufhörliches Anbeten des Mysteriums der Eucharistie. Die Nonnen von der Schädelstätte, die die Regel des Benediktus beobachteten: durch unausgesetztes Beten am Fuße des Kreuzes Buße zu tun für die Beleidigungen, die dem Heiland angetan waren, sie auszulöschen, wenn sie je auszulöschen waren. Der Orden von der Heimsuchung des Franz von Sales und der Johanna von Chantal, der vor Entzückungen warnte; man müsse durch Arbeit beten. Die Ursulinerinnen, die Männerkongregation von Saint-Maur. Über allen schwebte ein Hall des Schreis, der am Tiber von den fürstlichen Anhängern des Barberini und dem römischen Pöbel ausgestoßen wurde beim Gerücht, daß der deutsche Kaiser sich nach Rom durchkämpfen wolle, um sich vom Papst salben zu lassen, und daß ein neuer Ferdinand Römischer König werden solle: »Ghibellinen! Ghibellinen!« An der Moles Hadriani, den neronischen Wiesen, an der neuen Mauer Urbans, am Kapitol, Lateran, an den Thermen des Diokletian und des Caracalla, von der Scala santa, am Palazzo Caffarelli, Massimo, Farnese. Wühlen in allen Gliedern der Kirche: man wolle dem Papst zu Leibe, es ginge wider den Vatikan. Wutausbrüche des gestachelten Urban, umgedeutet in ängstliche Klagen um den Bestand der Kirche.

Ein Fanal war der vom Papst genehmigte Raub der Asche der großen Gräfin Mathilde aus Mantua, die eine Freundin Gregors im Kampf gegen den salischen Kaiser Heinrich war: man werde sich wehren, sich nicht totquetschen lassen. Und aus tausend Rinnsalen quoll nach Deutschland der Haß.

Wallenstein schickte Truppen durch Graubünden, schwere Belagerungsartillerie ließ er mit Mauleseln herüberschleppen. Eines Tages riefen in Rom Mönche und Laien aus, was in Prag und Wien allen bekannt war: daß der Herzog von Friedland sich selbst an die Spitze der italienischen Armee zur Aufrechterhaltung der Kaiserlichen Hoheit in Italien stellen werde. Sie kreischten frenetisch in Rom: »Die Barbaren kommen! Die Goten!« Man stellte sich dem tollwütigen verfinsterten Papst für Schanzwerk Geschützguß Kugelguß zur Verfügung. Er reiste mit dem Kardinalstaatssekretär und dem venezianischen Botschafter an die nördliche Grenze seines Gebiets. Hundert römische Edle, gewappnet in leichten Eisenpanzern, die Pferde unter klirrenden Plättchenpanzern, ritten seiner Karosse vorauf; eine starke Rotte Schweizer Gardisten, blaue Wämser, Piken, Birnenhelm mit aufgebogener Krempe aus blauem Eisen, prächtige Offiziere in rotem Samt umringten ihn. Außerhalb Roms sprengte der Papst, auf seinem schwarzen riesigen Gaul ragend unter einer goldgestachelten Stahlkappe, in einem schwarzen Panzerhemd mit Samtkragen und Ringpanzerbeinkleid, Bronzeplatten vor dem gewölbten Leib, vor den Knien Platten mit Stacheln, seine Stimme tobte, er drängte vorwärts. Französische Offiziere trafen aus Grenoble ein.


SIE KROCHEN aus Erdhöhlen herauf, lehmbraune Männer, verkniffene ängstliche Mienen, schmierige Bauernkittel, suchten mit den blinzelnden Augen die flach unter ihnen abfallende Ebene ab, die grünen windgeschützten Gebüsche, winkten, pfiffen rückwärts. Kinder arbeiteten sich hoch, lichtscheu, verschüchtert, Weiber, langzopfig, mit sandigen Hauben, schüttelnd die braunen Röcke in der grauweißen Morgenluft. Der hohe Waldrand belebte sich, das Dickicht zwischen Kiefern und Buchen wurde durchbrochen; leise Pfiffe. Kleine weiße Zelte in Doppelreihen hinten in der Ebene, dünne hohe Lanzen die Dorfhäuschen überragend; das Steinkreuz am Fuße der Berglehne umgestürzt; Pferdewiehern, einzelne Schüsse; Qualm in trüber Schicht unbeweglich über einigen Schindeldächern, weit am andern Ende des Dorfes Wägelchen die Allee aufwärts gezogen. Links am Horizont der Kirchturm von Zittau. Oben schleppten die Männer Spaten und Beilpicken aus dem Wald, wühlten einen angebrochenen Graben auf, tiefer, breiter, zogen ihn, immer still sich bückend, halblaut sich anrufend, im Zickzack über den Hang durch lange Stunden. Vieh blökte im Wald; Weiber Kinder waschend kochend am Feuer, dessen Rauch durch breite hochüberspannte Rinderfelle verteilt zwischen den Baumwipfeln in losen Zügen sich verlor. Kleine Männertrupps, in der Mittagsstunde verstreut sich abwärts lassend, das Dorf umschleichend, umfaßten von zwei Seiten einzelfahrende Wagen, schlugen die Söldner nieder, schleiften die Säcke in die nahen Verstecke, stahlen sich abends wieder hoch.

Bäume gefällt, Palisaden gezogen. Höhlenquartiere, Waldquartiere in der Lausitz. Gemeinden von rachsüchtigen Kompagnien angegriffen, zerschlagen, auf der Flucht bei andern unterkriechend. Aus der Lausitz, in Böhmen sammelten sich wandernde zigeunerartige Scharen, stiegen suchend die Felsgelände der Elbe entlang, zwischen den Rebenpflanzungen, den blühenden Feldern mit Hopfen, Raps, Rüben. Machten offene Städte unsicher, plünderten die Obstwälder bei Leitmeritz; auf den weidenbepflanzten Auen bei Melnik lagen Leichen von Verhungerten; viele Weiber, Kinder blieben in Dörfern zurück. Durch das finstere Moldautal drängten die Massen, ziellos, in einem leidenden Trieb. Dreitausend umschwärmten die Tore Prags. Man wußte nicht, was sie dort wollten. Die Bürgermeister der Alt- und Neustadt schickten Brot in Körben heraus, Wegweiser durch Böhmen. Das Gedränge gab sich nicht; sie wollten herein nach Prag; sie redeten sich ein, der Kaiser wäre da. Als der Verkehr an den Toren erheblich gestört wurde, eine Anzahl Boote auch an der Hetzinsel anlegten, bis vor die große Brücke vordrangen, befahl der Oberst der Garnison, sie zu verjagen. Die Flüchtlinge hatten sich durch ihre Weiber und Kinder verstärkt, wurden durch Peitschenhiebe Hellebarden Salven scharfer Schüsse auseinandergesprengt. Die großen Massen, bestürzt, ohne Fassung, ratlos, verloren sich; nach zwei Tagen fand man im Umkreis Prags keine Rotte mehr. Im Judenviertel der Stadt jubelten manche bei den Schüssen, man stand in starker Hut; die meisten aber schlossen sich in ihren Häusern ein, viele bedeckten weinend die Gesichter.

Eine Welle verlief sich, andere kamen. Sie drängten zum Kaiser um Rettung. Rotten tasteten sich hungernd im Land herum vom Harz her bis nach Schwaben; während manche sich stumpf forttrieben, verfielen andere einem Götzendienst, flüchteten verwildert zu Wald- und Flurgeistern, Kobolden, Marzebillen, Wildschützen, Moosweibchen, schlichen gedrückt um Kreuzessäulen. Wo das Gesindel in die Städte hereinverschlagen wurde, wurde es wieder herausgepeitscht. Gerüchte von Kreuzschändung, Ausübung todbringender Malefize schleppten sie mit sich; man hing es ihnen an, aber vor manchen Städten wurden viele belauert, umstellt, nach kurzem Verhör aufgeknüpft, auch gerädert.

Wie anklagende Chöre erschienen Menschenscharen immer häufiger vor den Toren der größeren Städte; hinter ihnen her ritten Abgesandte ihrer Bischöfe Herren Fürsten, drohend, sie sollten an ihr Werk gehen, auf die Äcker, an die Mühlen, in die Bergwerke, warnend vor der Abwanderung. Sie wollten immer zum Kaiser, wußten nicht wozu. Der Kaiser war mächtig, seine Armada mächtig, er solle Frieden machen. Unterwegs sagten sie sich vor, was sie bedrückte: Kriegslasten auf ihren Schultern, Getreideabgaben, Abgaben für Fallholz, Schweinehafer, Kapaun, Kleinvieh, der dritte Pfennig vom Gemeindeholz, der kleine Zehnt, Salzsteuer, Brennöfen, Mühlen, Wegzoll, Jagdgeld, Marktgeld, Siegelgeld, Heiratsabgaben. Lachten, der Kaiser ist mächtig, er wird noch mehr können als dies. Im Brandenburgischen erschienen sie mit Fahnen, bald tausend stark, demütig in Ehrbarkeit, Schöffen, Ratsmannen und Richter um Speisen bittend, man möchte ihnen nichts antun, sie wollten zum Römischen Kaiser mit Bittschriften. Man gab ihnen, schob sie ängstlich ab. Viele verdarben am Wege. Als sie sich der bayrischen Grenze näherten, ließ sie der Kurfürst durch seinen Kriegskommissar fragen, ob sie dem Bauernaufgebot, den Landfahnen, eingereiht werden wollten. Antworteten sie, sie kämen gerade des Krieges wegen, dessen Beseitigung ihnen am Herzen liege, sie hätten so viel Kontributionen zahlen müssen an Freund und Feind, dazu den großen Zehnt, den kleinen Zehnt, den Schweinehafer, Salzsteuer, Brennöfen, Wegzoll, Kleinvieh, Kapaun. Darauf wurden sie von einer kleinen Söldnerrotte und fünfzig Pferden mühelos versprengt, gefangen, in die Büsche gejagt. In Klöstern fanden manche Zuflucht. Da erfuhren sie, daß der Kaiser alles bewältigen und niederschmettern wolle, Kaiser und Friedland sei ein und dasselbe, auch den Papst wollten sie beseitigen, man müsse beten zur himmlischen Jungfrau, daß der Papst die Oberhand behalte und dazu die ergebenen Fürsten des Reiches.


DIE KAISERIN war mit dem rebellischen Herzog von Nevers verwandt. Sie war an Ferdinand, als die Stifter der Kirche zurückgegeben werden sollten, herangegangen wie Flamme an Holz, hatte um ihn unbändig gewallt. Jetzt erschrak sie. Ein geheimer Stich; von Tag zu Tag stach es tiefer. Sie mußte sich zurückziehen. Was hatte sie getan, wie hatte sie gelebt. In welche Verderbnis trieb sie der Mann neben ihr, in brütender Besessenheit rührte er an Italien. Sie war ihm nichts. Von Mantua fühlte er nichts. Sie keuchte aus dem Schlaf auf, ekelte sich vor schwarzen Männern, die in großen Mänteln nach ihr liefen, hinter ihrem Bett mit Messern und Federhüten vortauchten. Die ekstatische Frau war plötzlich aus ihren Fiebern gerissen. Erkühlt unter dem unfaßbaren Schrecken, die Horden Friedlands, des Schlächters, könnten über ihre süße Heimat kommen. Sie besann sich mit hereinbrechendem Wohlgefühl auf ihre sonnenklare Jugend; es war ein Blick durch den Spalt eines finsteren Zimmers.

Widerstrebend strich sie um Ferdinand, näherte sich ihm. Sie zwang sich ab, zu betteln für ihren Vetter Nevers und ihre Stadt. Lauschend kniete sie vor Ferdinand, dem dunklen Mann, horchte gepeinigt in ihn hinein. Es war keine Frage um Mantua, sondern um ihn.

Ferdinand in sakraler Ruhe verstand nichts. In eherner Überlegenheit hing er über den Parteiungen in seiner Umgebung, sah grau auf das Gezänk herunter, mißtrauisch, gefühllos. Er schenkte, schenkte. Was für Jesuiten geschah, betäubte die Patres selbst. Cäsarisch duldete er nicht, daß man ihm danke. Er sagte aus seiner Starre heraus der Mantuanerin, der junge Herzog werde zu seinem Recht kommen, nach erfolgtem Spruch und nicht früher werde die Belehnung erfolgen. Sie flehte, seine braune schlaffe Hand küssend: »Du hast den Patres so viel gegeben, deine Räte sind reicher als ich.« »Haben meine Räte und die Väter von mir Geschenke erhalten? Ich weiß nichts davon. Sie mögen sich nichts anmaßen.« Sie betrachtete ihn, das Goldene Vlies über der Brust, von unten herauf, der graue zitternde Bart, hörte das rauhe Murmeln. Das war der unverständliche Barbar, der sie durch den galanten Eggenberg aus der Lombardei geholt hatte. Durch ihren Kopf irrte, sie wußte nicht wie, plötzlich und hartnäckig die Erinnerung an ein fremdes Gespräch rechts von ihrem Fenster: »Hast du mich gern, tanze morgen nacht mit mir.« Es waren lustige Kavaliere mit ihren Damen gewesen, die so zueinander sprachen; warum ihr das zarte Geflüster einfiel. Aufgewühlt verließ sie den schnalzenden Kaiser, der ihr wie eine Pagode nachblickte.


VOR EINEM lärmenden Vogelhaus, nahe der Brunnenstube ihres Schlosses Schönbrunn, saß Eleonore in einer Rosenlaube; in Mantel und schwarzen Schleiern gingen zwei italienische Damen draußen auf und ab, Paula Maria a Jesu und Maria Theresia von Onufrio. Sie sagte zum alten Eggenberg: sie habe Zutrauen zu ihm, sie bitte ihn bei der Liebe Gottes, den edlen Frieden zu befördern, soweit er vermöchte. Er fragte sie, vor ihr stehend, bei aller Ehrfurcht mitleidig ihr zuhörend, was sie befehle. Warum man ihn so selten sehe, beim Quintanrennen nicht, bei keinem Reiterkarussell, bei keiner Hetzjagd; er scheine eine Abneigung zu haben gegen sie oder den Kaiser. – Ach, er sei krank. – Nicht so sprechen, ob sie noch Zutrauen zu ihm haben könne; sie bange um ihre Heimatstadt; der Krieg sei ungerecht vom Zaun gebrochen, der junge Nevers sei von Frankreich verführt worden; mein Heiland, und es könne doch nicht so gehen, daß man Italien verwüste, wie man Niedersachsen oder Böhmen verwüstet habe; man könne doch nicht mit aller Welt Krieg führen, mit dem Heiligen Vater; warum denn, warum denn nur.

Da stand im Schatten am Pfosten der Laube Hans Ulrich Eggenberg; auf den Stock stützte er die linke Hand mit dem blausamtenen Hut; auf dem hohen steifen Mühlsteinkragen bewegte sich sein weißbärtiger Kopf wie auf einem platten Teller; das spanische Goldene Vlies über der Brust blitzte unter dem Spiel des Sonnenlichts; er lächelte für sich, seinen Stock entlang blickend; er hätte sich niemals unterfangen, gefährliche kriegerische Praktiken anzuspinnen; die Dinge hätten den schweren Lauf selbst genommen; wie schwer sei es, ihnen zu gebieten.

Sie saß gerade auf ihrem Stuhl, die Augen zwinkernd; die schwarzen Haare gescheitelt, zu einem Knoten in den Nacken herabfallend, aus dem senkrecht nach oben eine mächtige vornübersinkende Reiherfeder stieg. Sie ballte die Hände in den weißen Reithandschuhen über den zusammengedrückten Knien; ihr gelbes Kleid lag in vielen Falten lose weit um sie: er hätte sie geholt aus Mantua, ihm sei sie in Vertretung des Kaisers angetraut; an ihn hänge sie sich. Habe man Glauben, um an der Gerechtigkeit und dem Glück zu zweifeln; es müsse verhindert werden, daß aus ihrer Geburtsstadt eine Trümmerstätte werde; sie könne es nicht zugeben, und wenn sie –. Dabei bückte sie sich, hob eine Hand vor das Gesicht, richtete sich rasch hoch, sah starr seitlich in einen Winkel. Als wenn sie sein Kind wäre, studierte Hans Ulrich ihr Gesicht, die trotzig aufsteigende Feder über den hilflosen zerrissenen zitternden Mienen; rasch, geschäftsmäßig erklärte er: es sei nicht Schuld des Kaisers, wenn es zu diesem Krieg gekommen wäre, lose Stücke hätte noch kein Habsburger unternommen. Schlimm sei es, daß der junge Nevers sich habe von Frankreich zu respektloser Haltung erregen lassen; vielleicht sei es möglich, ihn von Frankreich zu trennen. – Sie wolle, äußerte sie, nicht von Schuld und Unschuld reden; man möchte ihr nicht ihre Geburtsstätte nehmen; sie habe, brach sie aus, so viel opfern müssen, als sie Italien verließ, man möge doch an sie denken. Stand auf, reichte ihm, der seinen Hut fallen ließ, die eisige Hand, blieb vor ihm stehen. Er lächelte herzlich, erwiderte ihren Händedruck; es sei schwer, rasche bindende Versprechungen zu geben, es sei allen im Lande schmerzlich, den Heiligen Vater gegen sich zu sehen; er nehme Gott zum Zeugen, daß er den edlen Frieden nach Kräften fördern werde; Friede müsse werden, schrecklich wüte die Christenheit gegeneinander, vielleicht arbeite man für niemand anders als den Großtürken in Stambul. Sie freute sich, heftiger seine Hand umklammernd. »Mir ist ja nicht mehr gegeben«, flüsterte sie, schon den Rock raffend, »als Euch meine Wünsche zu sagen.«


DIE DURCH den kaiserlichen Wunsch nach Wahl seines Sohnes zum Römischen König entstandene Sachlage wurde im hohen Rat erörtert.

Da saßen die, die verzaubert waren vom Herzog zu Friedland, und lachten. Man solle den Herzog lassen, sagten sie, und den Papst und Frankreich; es sei das Beste, was der Geheime Rat jetzt tun könne; das Spiel sei vorzüglich im Gange; sie hätten den Vorteil, gänzlich außerhalb der Partie zu stehen, einzugreifen, wenn es ihnen gut dünke. Welche Entwicklung aber die deutschen Dinge durch ihn nehmen würden, das sei geradezu phantastisch abzusehen, ja phantastisch. Sie spiegelten sich in diesen Gedanken. Friedlich saß der verwachsene Graf, gelbweiß von Gesichtsfarbe, mit den Fingern spielend im Lehnstuhl, lächelte überlegen, gähnte viel. Die Wahl zum Römischen König würde ihnen wie eine Frucht zufallen.

Der lange Stralendorf brauchte mit Hinweis auf Trautmannsdorf die Wendung vom friedländischen Anhang am Hofe; schreiend, der Wagen sei verfahren, er hätte genug dagegen rebelliert; wälze die Verantwortung dafür ab. »Wofür? Wofür?« spöttelte der Bucklige, »für den Sieg Habsburgs?« Brüsk warf sich der steife glattrasierte Mann im Stuhl zurück.

Im violetten Seidenmantel, das schwermütige olivfarbige Gesicht mit den starken Brauen auf die beringte weiße Hand gestützt, blickte Slawata gegen den Ofenwinkel, der mit einem blaugrünen Gobelin verhängt war. Seine blauen Augen schweiften zu Trautmannsdorf, der sich in seinen Stuhl verkroch, gingen oft hin; er sprach anders: es bestände keine Aussicht, den kaiserlichen Wunsch nach legaler Regelung der Nachfolge durchzuführen, denn die Kurfürsten seien über die Gewalttätigkeiten im Reich, die Verarmung, den drohenden Umsturz erbittert. Dennoch müsse die Nachfolge des Kaisers gesichert werden. Man müsse also die Kurfürsten eventuell zwingen.

Stralendorf leicht höhnisch: »Wie denn, Herr Graf?«

»Durch dieselbe Gewalt, die sie zur Erbitterung gebracht hat.« Dazu klatschte leise der Bucklige, dem Böhmen zuwinkend, Beifall.

Es sei wohl auch das beste, so zu verfahren, höhnte Stralendorf weiter, in anderer Hinsicht. Man käme dann zur Klarheit überhaupt über die Herrschaftsverhältnisse im Reich; zum Beispiel in Pommern, in Brandenburg, in den meisten Kreisen mit kleinen Landesfürsten. Da würde sich herausstellen, wer herrsche. Trautmannsdorf jubelte fast: natürlich, so sei es, es würde fesselnd bis zum äußersten werden; Konsequenzen über Konsequenzen könnten gezogen werden: wie notwendig – er wandte sich armeausstreckend an alle Herren –, nicht einzugreifen, um nichts zu verderben oder zu komplizieren; das beste, diese Frage der Nachfolge nur in die öffentliche Diskussion zu werfen, an diesem Punkt könnte sich der Streit auf das bequemste entzünden: nun hätte man den Zankapfel in der konzentriertesten Form, alle Kräfte würden aufgerufen, und – nun, man würde sehen.

Ihm fehle, klammerte stolz Stralendorf seinen Degen zwischen die Knie, die Munterkeit und der leichte Sinn, um Angelegenheiten des Kaiserhauses in solcher Weise zu behandeln. Slawata hob sein dunkelblondes Haar mit der Linken von den Schultern ab, als wenn er seinen Nacken kühlen wolle; er betrachtete sinnend einen Sprecher nach dem andern, lief gebunden dem Gespräch nach: man hege doch gleichmäßig die schuldige Treue und Liebe gegen den Kaiser; nun möge man sich auch nicht trennen in den Mitteln, die Treue zu erweisen. »Ich schlage vor«, sagte er gedämpft, »einen Kurfürstentag einzuberufen zur Königswahl. Im übrigen dem Herzog freie Hand zu lassen, wie man es bisher getan hat. Weigern sich die Kurfürsten, den jungen Ferdinand zu wählen, so nimmt der Kaiser dies zur Kenntnis, wie er anderes zur Kenntnis genommen hat. Aber ignoriert es.«

»Liebster«, legte sich Trautmannsdorf vor, »wie kommt Ihr zum Ziele. Der junge König von Ungarn wird nicht Römischer Kaiser vom Ignorieren.«

Still legte Slawata beide Hände in den Schoß, senkte den Kopf, seine braune Haut wurde blasser, seine Augen funkelten einen Moment, bevor sie sich auf die Finger richteten: er schob Silbe um Silbe zwischen den Zähnen durch und stellte die Gegenfrage an alle Herren, was wohl dann geschehe, wenn der Kaiser dem Herzog von Friedland freie Hand wie bisher lasse und die Kurfürsten die Königswahl ablehnten; die löblichen Kurfürsten können belfern und keifen, die Zähne sind ihnen ausgebrochen!

Rasch wandte sich Slawata mit einem eigenartigen Lächeln an Trautmannsdorf, das sei der Streit auf der Höhe und – er flüsterte – noch mehr: der Sieg Habsburgs auf der Höhe. Vielleicht ernenne dann der Kaiser den neuen König.

Stralendorf donnerte mit der Faust auf den Tisch, zitterte am ganzen Leib, blickte mit verzerrten Mienen gräßlich auf den böhmischen Grafen; der Bucklige warf sich bewundernd, den Mund offen, den Kopf schüttelnd, hin und her im Sessel; der dicke Questenberg blies mit menschenfresserischen Grimassen glücklich unter seinen struppigen Schnurrbart, saß geschwollen, glotzäugig, als hätte ihn einer gestreichelt, am kurzen Quertisch. Stralendorf japste: »Das nennt Ihr das Y und X im friedländischen Abc. Wir sind erst in der Mitte. Kurfürsten ohne Kur ist noch lange nicht das letzte, den Römischen König schüttelt er so aus dem Ärmel, wie er die Mecklenburger Herzöge verjagt hat; dann kommt – der Kaiser selber. Wer soll den wählen, als derselbe einzige Kurfürst – Wallenstein. Herr Slawata, Ihr dachtet auch einmal anders über Euren Vetter. Dann kommen die Schwerter gegen den Geheimen Rat, dann ist das Abc zu Ende.«

Questenberg knurrte bissig gegen ihn her: »Will man uns den Braten versauern, soll es doch nicht gelingen. Kommt sein Schwert gegen uns, so wird es sich nur bestimmte Hälse suchen.« »Es wird sie suchen, Herr Questenberg, Euren und meinen, wie die liebe Sonne, die über Gerechte und Ungerechte scheint.«

Ganz unhörbar hatte Eggenberg seinen Stuhl zurückgeschoben; lautlos klemmte er seine ungehefteten Faszikel unter den Arm, stieg hinter der Stuhlreihe auf Zehen vorbei. Wie ihn Trautmannsdorf, sich umwendend, anstarrte, bei der Hand faßte, wehrte er ab; es gelang ihm weiterzugehen, bis der Querbaum der Questenbergschen dicken kurzen Arme sich vor ihn legte. Hans Ulrich schien seinen Gram beiseite tragen zu wollen. Leidend bat er Questenberg: »Lieber, laßt mich.« Sie standen um ihn; er blieb einsilbig dabei, wolle gehen.

An dem kleinen Treppengeländer bedrängten sie den freundlich behäbigen Fürsten, der den Kopf schüttelte: »Wir werden uns alle besinnen müssen. Wir werden unsere Gutachten schriftlich vorlegen. Die Zeit drängt. Der Kaiser wird eine höhere Instanz um Einsicht bitten müssen. Das ist alles.« Was der Verwachsene, der seine Einfälle nicht zügeln konnte, nicht gefährlich fand; es sei schließlich allemal das beste und das letzte, den lieben Gott um Einsicht zu bitten; sie seien, lächelte er fast frivol, ja nicht verpflichtet, als Geheimer Rat den Himmel überflüssig zu machen. »Wie denkt Ihr, Slawata?« Eggenberg wollte sich mit kurzem Nicken verabschieden, da drückte ihn Questenberg auf einen Stuhl, setzte sich neben ihn. »Weh unserm kaiserlichen Herrn«, stöhnte matt zusammenfassend Eggenberg, »er wird sich verlassen sehen von uns allen, mag der Schutzgeist Habsburgs ihn nicht vergessen.« Und bezwungen von seinem Gefühl kniete er, Hut und Faszikel vor sich auf die Diele legend, neben seinen Stuhl hin, betete, während auch die andern die Köpfe senkten, das Rosenkranzgebet. Sie bekreuzigten sich, standen nebeneinander. Auf der kleinen Treppe Eggenberg: »Habsburg hat eine schwere Stunde vor sich. Was war es für ein Geist, der unserem gnädigen Herrn dies eingegeben hat, an sein Ende zu denken und die Nachfolge zu bestimmen. Ich weiß es nicht. Ich kann nicht bei euch bleiben, liebe gestrenge Herren.«

Slawata, mit Trautmannsdorf und Questenberg allein, sanft höhnend: »Der Kaiser schütze sich vor seinen Freunden. Man will ihn um den Sieg, um das lauterste gerechteste Symbol des Siegs bringen.«

Sie gingen. Trautmannsdorf schlang ihm einen Arm um die zuckende Hüfte: »So ist mein Herr Slawata von seinem alten lästerlichen Haß ins friedländische Lager abgeschwenkt. Ich hör’: mit Pfeifen und Flöten.«

»Mit Pfeifen und Flöten. Noch vergnügter, noch üppiger. Warum sollt’ ich’s leugnen. Ob ich ihn liebe, weiß ich nicht. Aber es kränkt mich, wenn ich sehe, wie man ihn kränken und hindern will.«

Und heftig atmend, gequält den Arm Trautmannsdorfs duldend, ging er mit den schwatzenden zweien. Zum Äußersten herausfordern hatte er Friedland wollen. Er wollte ihn locken, er wollte sein Teil daran haben, an der Entwicklung dieses Geschicks. Dunkel wie Wunder, halb Glück, halb Entsetzen, bewegten sich Gefühle in ihm, hoben sich, senkten sich, verrauschten. Er wies sie ab, verbarg sie sich. Sie drangen ihm manchmal über die Lippen und trieben ihn zu Handlungen. Er fühlte, daß er sich einem Strudel näherte, aber er konnte dem Geheimnis nur folgen, dieser Sehnsucht zu Wallenstein.

Der Weg, den Fürst Eggenberg in der Stifterfrage beschritten hatte, mußte weitergegangen sein. Vergänglich Ferdinand, vergänglich Friedland. Habsburg bestand. In seiner Bibliothek hielt Eggenberg eine bunte Chronik in den Händen, ein Buch, das er liebte; las von den Staufenkaisern, wie ihre Welt riesenhaft aufgebaut und mit ihnen zusammengesunken war. Die vergeblichen Kriege mit dem Papst. Ecclesia triumphans. Unmerklich sicher hatte sich Habsburg ausgedehnt. Reichtümer fielen ihm wie einem spielenden Kinde zu.

Der Kaiser machtgeschwollen. Er konnte das Haus in den Abgrund reißen. Eggenberg wiegte das alte Buch zwischen den Knien. Zurückdrücken den Kaiser.

Die Gutachten durchlas der Kaiser, forderte dann den Fürsten Eggenberg vor sich.

Er faßte es als ein himmlisches Zeichen auf, daß der Kaiser ihn trotz der Einhelligkeit der anderen Gutachten rufen ließ. Zum Nachgeben den Kaiser zu bewegen, war keine Möglichkeit. Eggenberg sah, daß diesem Mann gegenüber kein Argument verfing. Und mit seherischer Klarheit gab Eggenberg selber plötzlich nach.

Der Regensburger Tag sollte stattfinden.

Aber als Ferdinand den Alten, der ihn starr ansah, umarmte und freundlich an sich drückte, ihn vielfach lobte und über die vermeintliche Niederlage wegtäuschte, mußte sich der Fürst seufzend entziehen. Scham füllte ihn ganz aus. Ein Verräter, ein giftiger Judas war er. Denn der Kaiser sollte zur Schlachtbank. Er würde keinen Triumph erleben. Er würde alles selbst entscheiden müssen – den ungeheuren Entscheid im Streit der Kurfürsten gegen Friedland, und er wird – nachgeben. Wie er in München vor Jahren dem Bayern nachgegeben hat. Das war dem alten Eggenberg, während er den lächelnden Kaiser, seinen Freund, starr anblickte, klar.

Die Kurfürsten werden kommen, das alte Reich muß zerstört werden: er wird es nicht befehlen können.

Friedland wird sich über die Kurfürsten werfen, der Kaiser wird sich neben die Fürsten stellen.

Rasch mußte sich Eggenberg von dem herzlich bewegten Kaiser, der ihn mit Konfekt beschenkte, verabschieden.

Jubel im Geheimen Hofrat.

Ein kurzer grimmiger Ligatag fand in Mergentheim statt. Die Herren und ihre Gesandten sahen sich nach eintägiger wütender Klage über das Zugrundegehen des Reichs einem kaiserlichen Vertreter gegenüber, der von ihnen Einberufung und Beschickung eines Kollegialtages zwecks Wahl eines Römischen Königs verlangte.

Sie gellten ihm ihr Nein und ihre Verzweiflung entgegen. Sie gellten von dem eigenmächtig begonnenen italienischen Krieg, von seinen grenzenlosen Menschenopfern, Kosten. Frankreich würde sich gereizt im Westen Deutschlands erheben.

Bis sie auf einen Schlag plötzlich verstummten; es war die Parole aufgetaucht: zustimmen der kaiserlichen Einladung und nicht zustimmen dem Wunsch, einen Habsburger zu wählen.

»Den Kaiser fassen, gegenschlagen.«

Wie sie sich voneinander verabschiedeten, wußten sie: entweder sehen wir uns auf dem nächsten Tag als Sieger wieder, oder dies war unsere letzte Tagung.

Die Finsternis dieser Beratungen verbreitete sich nicht nach München. Der Bayer hatte eine gute Stunde. »Der Kaiser will seinen Gegnern im Reich das Siegel seiner Macht aufdrücken; noch eine Stunde, und er bedarf der erlauchten Kurfürsten nicht mehr.« Maximilian hing vor Richel in seinem Sessel, bedeckte seine Augen mit den Händen: »Ich danke der himmlischen Jungfrau für die Gnade jetzt und immer; sie will uns wieder Freiheit geben und uns den Entschluß erleichtern.« Dann: »Jetzt, du mußt verstehen, Richel, jetzt hat sich der Kaiser in unsere Hände gegeben. Er drängt sich selbst an den Ort des Gerichts hin. Denn wir werden seinen Sohn nicht wählen. Bis wir sicher sind, daß er klein beigibt.« Als Richel nach einigem Stillschweigen den Namen Wallenstein aussprechen wollte, stand Maximilian auf. Und Richel erkannte diesen Mann. Er sah in dem marmorfeinen Gesicht denselben höllischen Ausdruck, den es getragen hatte, als Kaiser Ferdinand, von der Frankfurter Krönung in München eingekehrt, neben Maximilian die schöne und reiche Kapelle verließ; im fast schweigenden Hin und Her wurde dann dem Kaiser die Führung im kommenden Krieg abgerungen. Und als der Kaiser unterschrieben hatte, war es an einem Montag, dem herzoglichen Gerichtstag, gewesen, daß der Kaiser eine volle Stunde in der Sommerstube eingeschlossen mit Max verweilte. Die flüsternde, beschwörende Stimme des Habsburgers; die knappen, befehlerischen Sätze Maximilians, Hinfallen eines Degens. Jähe Abreise des gebrochenen Kaisers.

Ordonnanzen gingen an die französische Gesandtschaft. Charnacé traf ein. In größtem Geheim wurden unter ständiger Korrespondenz mit Fontainebleau Verabredungen getroffen.


EINE SCHWERE Erregung bemächtigte sich in diesen Tagen, in denen die Einberufung eines Kollegialtages zu Regensburg beraten wurde, des ganzen Volkes. Die Professoren der Tübinger Universität beobachteten nächtliche Schlachtordnungen am Himmel, beschrieben das Kriegsgetümmel, hörten das Rasseln der ansprengenden Kürassiere. Bauern verbreiteten Gerüchte, sie hätten Kämpfe einzelner deutscher Stämme und Fürsten gegeneinander gesehen am Himmel, Wagen mit Stangen seien gefahren, Sturmleitern wurden geworfen. In Dillingen trug ein Rechtsbakkalaureus sein Traumgesicht vor: der Kaiser ermordet von Wallensteinischen Kroaten.

Vom Reichserzkanzler, dem Mainzer Erzbischof Anselm Kasimir, wurde auf das Drängen des Kaisers das Ausschreiben zu einem Kollegialtag nach Regensburg erlassen. Da fuhr der Bayer wieder auf den Heiligen Berg Andechs in einer unbezwinglichen Spannung. Auf die nackten Altarstufen hingepreßt, betete er in einer krampfhaften Aufwühlung; er dachte an die Schweißtropfen Christi auf dem Ölberg, der Dornen, die sein heiliges Haupt umgaben, der Schläge, die er in der Geißelung litt, der heißen Zähren, die er vergoß, der Seufzer, die er tat, der süßen Rosen seiner fünftausend Wunden. Er flehte, geknechtet verwirrt auf den Bahnen des Gebets laufend, Herr Jesus möchte durch die flüsternden, perlenden, quirlenden Brunnen, die aus all seinen heiligen Wunden sprudelten, so reichlich, seine arme durstige Seele zu erquicken geruhen.

Schwarz stand im Schatten auf einem Seitenaltar das mannshohe Kreuz mit dem sinkenden Heiland: anblicken sein verwundetes Herz, ringen um die Erlösung; anblicken die rechte Hand, die Sünden zu erkennen gab; anblicken die linke, den rechten Fuß, den linken Fuß, Barmherzigkeit, Buße, Gerechtigkeit. »Gnade, Herr Jesus!« Maximilians Pferde jagten wieder herunter nach München. Stöhnend saß der Kurfürst vor dem Jesuiten Contzen, wischte sich den Schweiß von der Stirn, beruhigte sich nicht. Und während Contzen den Entschluß des Bayern, die Franzosen an sich zu ziehen, maßlos lobte, durchzuckte den Kurfürsten der Gedanke: mit Wallenstein selbst in Verbindung treten! Wallenstein im letzten entscheidenden Augenblick vom Kaiser abziehen, ihm Mecklenburg und was er sonst hatte anerkennen. Ihm Reichsfürstenwürde zugestehen!

Sich Wallensteins bemächtigen!

Woher diese Verwirrung! Woher diese Befehle, dieser Zwang!

Maximilian erblaßte unter der Raserei dieser Gedanken. Sie waren wahnwitzig; seine Augen wurden matt. Halb ohnmächtig sank er seitlich über die Lehne seines Sessels. Und dann, als der ängstliche Jesuit ihn aufrichtete, drückte der verwirrte Fürst seinen Arm. Er ließ sich von Contzen hochziehen, und wie er auf den unsicheren weichen Füßen stand, fiel er umarmend gegen die Brust Contzens, mit den Zähnen klappernd, wimmernd, an allen Gliedern zuckend. Schritt um Schritt führte Contzen den verzerrt blickenden Kurfürsten in die Nachbarkammer vor den kleinen Marienaltar. Da beruhigte sich der Fürst; der Leibkammerdiener konnte gerufen werden, Contzen wurde mit einem unverständlichen Lächeln entlassen. Der Fürst wankte in die Schlafkammer.

In derselben Nacht besprach Maximilian mit dem Pater im tiefsten Vertrauen das Notwendige. Staunend, ergriffen hörte der Pater die Pläne des Bayern. »Rede Ehrwürden sanft mit dem Böhmen. Er ist jähzornig. Warte Er einen guten gleichmäßigen Tag ab. Melde Er der Herzoglichen Durchlaucht meine Zuneigung und Wohlmeinung. Wenn sich Irrungen und Zwietracht gelegentlich zwischen unseren Heeren gehalten haben, so werde das in Zukunft sich beheben lassen. Wage Er sich offen damit heraus, daß der Franzos sich an mich herangemacht hat. Die friedländische Partei ist in Kürze verloren. Wir haben beide Macht, ich und der Böhme. Es wird sein Schade nicht sein, wenn wir uns gut im Reich miteinander verhalten.« Erst frühmorgens, als es im Hof der Burg von den Wagen des abreisenden Jesuiten rasselte, legte Maximilian sich auf dem Bett zurück. Fast augenblicklich verfiel er in einen betäubten Schlaf. Nicht einmal die Zeit fand er, den Rosenkranz aus der Hand zu legen; der klapperte neben dem Bett auf die Diele.

Die Freudigkeit, Glückseligkeit, Munterkeit des Fürsten, die langen folgenden Tage; eine Bräutigamsunruhe und zwangsartige Rastlosigkeit. Seine Drechseleien ließ er liegen, er gedachte seiner verflossenen Italienfahrt, ihn trieb es aus München fort. Die feierliche Donnerstagsprozession machte er noch mit, selbst barhäuptig im Zuge mit einer brennenden Kerze vor dem ganzen Hofstaat; dann wurde Alexander Abondius, der Florentiner Bildhauer, in die Residenz befohlen; der Kurfürst reiste mit ihm ins Land, Verdunk, der Kunstkämmerer und Guardaroba, folgte, eine Handvoll Hatschiere. In Nürnberg stand das neue Pellerhaus, reiche Front, prächtig die vier Stockwerke, Fenster bei Fenster, hoch die Giebelfassade; Galerien des Hofes, Säulengänge. Sie ritten in der heißen Augustsonne, von Ratsmännern geleitet, durch die langen Gassen, über Märkte und Plätze. Teppiche von den farbig bemalten Balkons, Stockwerk vor Stockwerk sich herausschiebend, überschattend die tieferen Fenster, Dächer von Zinnen umgeben, vorgekragte Ecktürmchen. Das Nassauerhaus. Der junge Abondius lobte den Herkulesbrunnen zu Augsburg, die Nymphen, Wasserspeier. Der Wittelsbacher fragte nach Kurieren, drängte, von Süßigkeit und Schrecken erfüllt, zurück.

Wie sie vor München am Isartor erschienen, meldete der starke Torwächter, es seien gestern nacht fünf kaiserliche Obersten angekommen, die der wohledle gestrenge und hochgelehrte Herr Bartholomäus Richel empfangen und in ihr Quartier zum Goldenen Kreuz geleitet habe. Mit Staunen sah sich Maximilian am nächsten Morgen in seiner Audienzkammer sitzen, Ehrengeschenke des Herzogs von Friedland in den Händen drehen, die metallenen Schalen und Krüglein befühlend, hinstellend, ihnen an die Kehle fassend. Er hielt, während die Offiziere Abschied nahmen, einen Arm über die Metallwölbung, zwei Finger in die Höhlung hinein; es schien ihm, zwischen Entsetzen und Gelächter schwebend, als ob er mit Wallenstein spräche. Und sonderbar war ihm dabei, als ob er in einer Unwirklichkeit lebe, hier säße; ihn mußte etwas verzaubert haben, eine leise Angst schwelte über ihm: wenn das Spiel erst zu Ende wäre. Und während die Türen geöffnet wurden, Kammerdiener, Oberstkämmerer erschienen, ihn zur Messe einzukleiden und abzuholen, passierte ihm, daß er gedankenlos dastand, nicht wußte, was er dachte, nicht einmal, was mit ihm geschah. Saß gebannt in seiner Residenz; wie in Scham vermochte er nicht hinüber zu seinem Vater; ließ viele Stunden am Tag unbesetzt, man wußte nicht zu welchem Zweck. Die Depeschen kamen. Contzen meldete übergroße Freundlichkeit des Generals, dabei die gänzlich fehlende Geneigtheit, das Geringste von Maximilians Plan zu verstehen; er, Contzen, müsse natürlich aufs äußerste vorsichtig sein und sich vor direkter Deutlichkeit bewahren; der Herzog sei ergötzt von dem Zugeständnis in Sachen Mecklenburgs, aber bisher hätte sich nicht einmal eine Andeutung des bayrischen Plans ermöglichen lassen; nun wolle er noch nicht verzagen vor diesem absonderlich treuen Diener des Kaisers. Gleich hinterher ritten aus dem friedländischen Hauptquartiere zwei Offiziere ein: sie sollten vertraulich verhandeln über das Verhalten der Armeen zueinander; wie weit die Liga abzurüsten gedenke; die beiden Herren waren sehr aufgeräumt, schienen die Auffassung aus Gitschin mitzubringen, die Kurfürsten täten den ersten Schritt zur Unterwerfung. Richel bearbeitete sie kühner, wagte gleichnisweise von einer Abschwenkung Friedlands von Habsburg zu reden, da Wallenstein selbständiger Reichsfürst sei, auf der Fürstenbank mit den andern säße und sich wie sie seiner Haut zu wehren hätte. Taube Ohren, Unwillen über das ärgerliche Beispiel. Richel verblüfft vor dem Kurfürsten: er stände vor einem Rätsel; man könne es Treue nennen, es sei auch Borniertheit. Oder Friedland sei auf noch Höheres aus, etwa gegen den Kaiser.

Weich glitt es von Maximilian ab, trübe Augen, ein stumpfes mattes Gefühl behielt er zurück. Schläfrig dankte er Richel; er möge in dieser Sache nichts weiter unternehmen. Er saß ein, zwei Stunden dämmernd auf demselben Stuhl, allein in seiner Kammer; eine Hilflosigkeit hielt ihn befangen; er rekelte sich, seufzte. Ja, nun werde er wieder zu Hause sein, zurück von der Reise. Da lag auf dem Tisch die Rolle Torquato Tassos, die der Dichter ihm in Italien gewidmet hatte. Neue Briefe seiner Bundesverwandten, vom Kölner, vom Bischof von Bamberg. Sie wollten Hilfe; die alte Last, die alten Ketten. Ein glühendes Weh überflutete mitleidlos seine Brust, Gram, tiefer Widerwillen. Wie er an den Kaiser und Friedland dachte, ballte er die Fäuste vor Schmerz, spannte sich auf seinem Sitz hoch, rang sich zur Ruhe.

Maximilian ließ den Wallensteinischen Offizieren erklären, er müsse über die angeregten Punkte mit seinen Bundesverwandten korrespondieren; eisig, wie sonst, gab er Richel den Auftrag, die Herren mit Geschenken zu verabschieden. Sie ritten schmähend ab, die Bayern hätten sie nur aushorchen wollen.

Vervaux, Maximilians Beichtvater, war über Land; Eilboten mußten ihn zurückholen. Der alte Herzog Wilhelm, Maximilian, Vervaux saßen zusammen beim Essen; die stille, gespannte Runde; sie gingen mit dem Kurfürsten auf sein Kapellenzimmer. Der Kurfürst sprach mit einer lieblichen Stimme, die grauenhaft aus seinem leblos sitzenden Körper klang; er bitte sie beide, ihn zu fragen. Er antwortete dann anders als sonst; während er sonst die Worte in seinem Munde sich ansammeln ließ, bis sie vereist und gefroren waren, stürzte er sich auf jede Frage und gab blindlings, lechzend Bescheid, gesangreich. Er wußte zuerst nicht, was er vom Friedländer gewollt hatte, er schien von der Erinnerung gepeinigt zu sein, dann äußerte er, er hätte sich mit einem verächtlichen Menschen eingelassen, mit einem Knecht, einem toten Leibeigenen des Kaisers; ein satanischer Trieb habe ihn plötzlich bewegt, dem er nicht hätte widerstehen können. Er schien eine Bestätigung dafür von ihnen zu verlangen. Ein Ekel vor sich selbst erfüllte sichtlich den Kurfürsten, als hätte er etwas Tiefgemeines berührt. Er bat um Strafe. Vervaux sprach zu ihm. Während der Pater und der alte Herzog sich voreinander verneigten, der Herzog in Glückstränen über seinen Sohn, stand der schnaubend in seinem Schlafzimmer, ließ Läden und Vorhänge schließen. Eine einzige Wandkerze brannte neben der Tür. Der Oberstkämmerer nahm dem stummen Fürsten Seitengewehr Gurt Barett Überkleid Mantel ab; zwei Kämmerer nestelten an dem Wams, zogen es ab; Schuh Hosen Leinenhosen streiften sie herunter, als er auf der gepolsterten Truhe saß; sie schleiften hinaus mit den Sachen. Flüsternd mühte sich der Leibkammerdiener um ihn, zog ihm das Schlafhemd über die zwinkernden Augen. Seidene Pantoffeln; er schüttelte den Kopf, als der Leibbarbier eintrat, ihn mit Tüchern zu frottieren. Unbeweglich, allein stand der bärtige Mann eine Zeitlang im leeren Zimmer im Hemd, vom Bett auf den Boden blikkend, vom Boden auf das Bett. Ließ das Hemd auf die Hüften herab, band es mit den Ärmeln zusammen. Auf dem kleinen polierten Tisch neben seinem Bett stand ein schwarzes vierekkiges Kästchen. Mit ruhigen kalten Fingern, während er tönend, fast schluchzend zu atmen anfing, zog er das Schlüsselchen hervor, das in einem Seidenbeutel an seinem Hals hing. Einen ledernen Stachelgürtel griff er bei den Enden, schlang ihn um die Weichen, zog, zog, sich gegen die Türe schleppend, die brennenden Augen auf das Mariengesicht unter der Kerze gerichtet. Geriet in Atem, stöhnte, sein Mund blieb weit offen stehen. Er konnte sich nicht genug tun. Seine Blicke blind, erloschen; schnürte den Gürtel fest. Nach der kleinen Peitsche mit den Stahlkügelchen tastete er zitternd mit der Linken, die Zähne verbissen, schwarz hüllte sich alles um ihn ein. Klatschend schlug er links herum auf den Rükken. Und während er schlug, flossen ihm die Tränenwasser aus den Augenhöhlen über den Mund auf den Teppich. Von den Flanken rieselte Blut. Es wurde ihm, als ob ein anderer ihn schlug, diese Arme eines Fremden gewalttätige, unbarmherzige, unerbittliche Werkzeuge, unter denen sich sein Körper leidend bog; ächzte, wühlte, bäumte sich, wich aus, fuhr zurück; die Arme ließen nicht nach, ohne Gefühl. Und da war die Hand in der Luft erstarrt, der Hand in der Luft die Peitsche plötzlich entfallen, die Peitsche lag da, er zuckte zurück, zuckte, zitterte; und bevor er erkaltete, wühlte er um sich auf dem schlüpfrigen Teppich, bis seine Finger das lange, feine, vergiftete Stilett in der Scheide berührten, das er immer suchte in der Verzweiflung des Geißelns, auf der Höhe, um das Verderben von sich abzuwenden, um sich zu beruhigen, zur Besinnung zu bringen. Er drehte es, die Scheide löste sich, fiel herunter, er drehte, suchte es durch die Tränen zu erblicken; drehte es. Er hielt es liebevoll an der Brust, drückte es an seinen bloßen Hals, an die gekräuselten Barthaare; lag stöhnend, schnaubend, sich wälzend auf dem Boden; der Stachelgürtel löste sich, krampfartig erbitterte Stöße fuhren durch seinen Leib. Dann schob er sich schnaubend, verwüstet, besudelt, ein Winseln unterdrückend, unmenschlich auf die Knie, in die Höhe, wackelte blutäugig auf dem Schemel. Klingelte später nach Wein.


DER DICKE Rambold von Collalto, Herr von Pirnitz, Deutsch Rudoletz, Tscherna, hielt Mantua blockiert. Er selbst lag schlemmend, trotz seiner Kehlkopfschwindsucht, zu Marignano; seine Untergenerale Gallas und Aldringen regierten die Armee. Der spanische Feldherr Ambrosius Spinola, ein alter Mann, stieß gegen Montferrat, vertrieb die Franzosen, jagte sie in Casale zusammen.

Der Krieg blühte. Neue Truppen führten französische Marschälle heran.

Da wurde dem Herzog zu Friedland, der in Karlsbad zur Kur war, die Nachricht von Wien überbracht, daß zu Regensburg ein Kollegialtag stattfinden werde, da des Kaisers Majestät die Wahl seines Sohnes zum deutschen König fordern werde. Der Friedländer riß in seiner Ritterstube sich den Hut ab, trampelte darauf herum: den Kopf müsse man den Kurfürsten vor die Füße legen. Sie zusammenrufen zu einem Tag! Auseinanderpeitschen die Verschwörer. Er wütete. Man mußte ihm von Wien Kuriere schicken; die Botschaft sollte aufgeschoben werden. Niemand hatte Neigung, die Sache zu betreiben. An Ferdinand selbst schrieb er, zweimal mit stärkster Dringlichkeit, erreichte nichts, als daß der Kaiser lächelnd sagte: »Der Krieger! Er will nichts als Soldaten und Schlachten. Und schon ist ihm nicht wohl, wenn wir andern uns friedlich und verwandtschaftlich zusammentun.«

Die Kur in Karlsbad brach der Friedländer ab, tobend über die kaiserlichen Räte: »Sind nicht genugsam mit Dukaten gestopft, die Herren. Sind sie nicht schlechte Lumpe, so sind sie trunkene Bärenführer. Der deutsche König! Sie erbetteln ihn bei den Pfennigfuchsern. Aber ich will ihnen allen die Suppe versalzen.«

Er verschwur sich, trotz Kaisers und Wiener Räte sollte den Schelmen das Spiel verdorben werden, daß sie seufzen und Tränen vergießen würden. Er bestimmte augenblicklich die Stadt Memmingen, südlich der Donau, nicht weit von Ulm und nicht gar zu weit von Regensburg gelegen, zu seinem Hauptquartier und Truppensammelplatz. Mit größter Beschleunigung, hieß es, sollten alle Regimenter, die aus dem schwäbischen und fränkischen Kreis abkömmlich waren, aufbrechen hierhin. Transporte nach der Lombardei wurden umgewendet; verbreiten ließ er, sie sollten dort in einem Zentralpunkt rasch verfügbar stehen gegen französische Aspirationen auf das Elsaß und als Reserve des italienischen Heeres Collaltos.

Er selbst machte sich, um alles selbst in die Hand zu nehmen, ungesäumt von Karlsbad auf den Weg. Der italienische Krieg hatte plötzlich für ihn kein Interesse mehr. Er war tief erregt.

Siebzehn Sechsspänner trieb er mit sich, siebenundzwanzig Kaleschen zu zwei und vier Pferden, sechzig Gepäckwagen, hundertundfünfzig Berittene; allen voraus sein Kanzler Elz mit hundertundzwanzig Leibrossen, sechsundzwanzig Sechsspännern und Gepäckwagen. Die Gelder für die Reise wurden in Mecklenburg durch Kontribution erhoben. Der Herzog rastete in Nürnberg, wo er die Bitte des Magistrats um Ermäßigung der monatlichen Abgabe von zwanzigtausend Gulden abschlug; in Ulm wurde ihm als Ehrengabe gereicht ein Silberpokal, ein Samtbeutel voll Goldstücke, eine silberne Handkanne und Handbecken, ferner ein Wagen Wein und achtundvierzig Hafersäcke. Sein Quartiermeister bestimmte als täglichen Verbrauch für den Hofstaat schwere Abgaben: neben zahllosen Laib Brot, Schock Eiern Weizenmehl, Roggenmehl, zwei gute Ochsen, zwanzig Hammel, zehn Lämmer, vier Kälber, ein Schwein, zwei Speckseiten, eine Tonne Butter, fünfzehn alte und vierzig junge Hühner, dazu Rheinwein, Franzwein, Kümmel, Koriander, Anis, Zimt, Ingwer. Nach Memmingen streiften Arkebusiere vorauf; sie trieben alles brüllende und blökende Vieh aus der Stadt, schossen Hähne und Singvögel ab, legten Leimruten für Spatzen aus; die Glocken auf den Kirchtürmen banden sie fest. Der Herzog mit seinem Hofstaat, Leibgardisten, Kanonen, astrologischem Gerät rückte an.

Die Kuriere liefen; der Herzog stellte fest, welche Gesinnung der Wiener Hof, der Kaiser selbst hätten; große Summen wurden durch de Witte angewiesen an den Kaiser selbst, den Abt von Kremsmünster und andere. In aller Stille versammelte sich im Gelände um Memmingen ein großes Heer.

Der Kaiser Ferdinand befahl gegen die Mitte des Jahres, Anstalten zum Aufbruch nach Regensburg zu treffen. Vom Herzog zu Friedland, von den niederösterreichischen Ständen, vom Erzbischof zu Salzburg, aus Böhmen wurden Darlehen erhoben; der Antrieb an Ochsen, Kälbern, Lämmern, Schweinen aus Ungarn begann. Ferdinand nahm die Mantuanerin und seinen Sohn mit, den blassen, ehrgeizigen König von Ungarn, der eifersüchtig auf Wallenstein war.

Wie ein Schnitter, der die Ernte einbringen will, ging der Kaiser, Eleonore sollte mit, weil ein Kaiser mit einer Kaiserin fährt – und sie war maßlos finster und prächtig, sollte jeden der Fürsten beschämen; er wollte sie an seiner Seite mitbringen, die Tochter des Landes, um das er Krieg führte.

Sie fuhr, bezwungen, mit ihm in dem Prunkschiff, verschlossenen Gesichts, aber auf freudig straffen Gliedern, gedachte dem schweigenden Menschen neben sich in Regensburg eine schwere Niederlage zu bereiten. Sie hoffte auf Eggenberg. Von dem Groll der Fürsten auf den Friedländer hatte sie gehört. Ihr Beichtvater hatte sie ganz aufgerichtet. Reitend, in Karossen, auf Schiffen gezogen, hinter ihnen zwischen dem lustigen, erregten Hofstaat Geheimräte, kummervoll seufzend, in aller Munterkeit und dem Glanz bedrückt, zueinander fliehend, heimlich miteinander murmelnd, mit jeder Stunde beklommener.

Der Kaiser hatte nicht abgelassen, auf den Regensburger Tag zu dringen, sein Sohn sollte gewählt werden, es hatte nicht verhindert werden können, obwohl das Drängen und Drohen der Kurfürsten anzeigte, warum sie kommen wollten: nicht seinen Sohn wählen, aber ihn selbst zur Verantwortung ziehen, den Herzog zu Friedland beseitigen; sie drängten auf Abrechnung. Und was hatte man von Wallenstein zu gewärtigen; wie würde der rasende Böhme sich benehmen; man hatte schon schwer Beunruhigendes von seinem Vorhaben in Memmingen gehört. Der weinrote kleine Eggenberg selbst, Triumph der Slawata und Trautmannsdorf, hatte den Stein zur Konferenz aus dem Weg geräumt. Er war umgefallen. Sie wußten nicht, was er tat, Slawata und Trautmannsdorf so wenig wie Ferdinand selber. Als die Kurfürsten und Stände so bereitwillig der Tagung in Regensburg zustimmten, begriff er, daß er klar gesehen hatte. Und er wich nicht; er führte den Kaiser auf die Schlachtbank.

Wie Eggenberg dies geleistet hatte, den Kaiser auf das Schiff nach Regensburg zu bringen, brach er zusammen. Auf der Fahrt schon befielen ihn körperliche schwere Beklemmungen und Ohnmachten. Die Tat war größer als er.

Er verabschiedete sich unterwegs von Ferdinand. In einem Grauen reiste er nach Wien. Die leere Stadt besserte ihn nicht. Nach Luft ächzend fuhr er weiter. Nach Krumau, auf sein Gut Worlik. Die Angst vor dem Kommenden wuchs. Er fuhr, um sich zu verstecken, nach Duino in Istrien. Es war weit. Kuriere würden ihn nicht finden. Durften ihn nicht finden.

Inmitten ungeheurer Viehherden, Wagen voll Bier- und Weinfässer, marschierender Söldnerfähnlein näherte man sich Regensburg, dem Höllenkessel. Noch zuletzt protestierte die Stadt selber; sie hatte angstvoll von den Memminger Gerüchten und sonderbaren Vorkehrungen vernommen; sie schützte ihren beschwerlichen Zustand, ihre Armut vor, eine derart prächtige und riesige Versammlung könne ihr Rahmen nicht fassen. Der Kaiser gab nicht nach; die Kurfürsten gaben nicht nach.

Der Kaiser und sein riesiges Gefolge tauchten in den gefährlichen Bannkreis Regensburgs ein. Die Kurfürsten kamen lange nicht. Sie erschienen auf dem Tag wie unschuldig Verurteilte, die vor aller Welt Schande über ihre Richter bringen wollten. Und wenn er sie auch erwürgte und aufs Rad flöchte, sie wollten es ihm nicht schenken. Mit Entsetzen und dann mit ingrimmigem Vergnügen hatten sie gehört, wie sich Wallenstein auf den Tag rüstete; sie verbreiteten es nach allen Seiten; die Notlage des Reiches lag vor allen Augen. Mit geringer Begleitung stießen sie nacheinander an in den blühenden Junitagen, gehässig und verzweifelt wie magere Wölfe, wollten schlingen oder erschlagen werden.

Der Kurfürst Ferdinand von Köln, der jüngere Bruder des Bayern, fuhr ein, klein, dünn, listig blickend, mit den Lippen und hängenden bebenden Wangen des Schlemmers. In einem bedeckten Reisewagen, achtspännig, der Reichserzkanzler Anselm Kasimir der Kurmainzer, gebücktes graugesichtiges Männlein, den breiten dünnen Mund spannend, das harte Kinn, mühsam gehobene Augenlider. Das violette Käppchen weit rückwärts auf dem nackten erbarmenlosen Schädel. Neben ihm gewaltig im Wagensitz unter dem Bischofshut, golddurchwirkte Schnüre an der Krempe schaukelnd, der phlegmatische Kurtrierer, Philipp Christoph, glotzäugig, mächtige Halswampen, der breite Gürtel über einem gequollenen Leib; die Beine steif vor sich ausgestreckt, ein unerschütterlich schwerer Körper. Der Bayer fuhr an. Er hatte sich gesträubt zu gehen; Herzog Wilhelm hatte ihm weinend abgeraten. Um ihn ging eine starke Leibwache; bayrische Regimenter waren seit Wochen bei Kehlheim Fürth Cham Rain auf Kriegsfuß gebracht, marschfertig; es war besiegelt, daß ihm auf seinen Ruf fünfzigtausend Franzosen zur Seite stehen würden. Mit Maximilian zog Tilly in Regensburg ein, sein Feldmarschalleutnant, dessen Offiziere die Gegend rekognoszierten, der weißbärtige Zwerg, der nicht erlosch.

Ins Quartier des Erzkanzlers, der die Bundesverwandten bei sich hatte, wurden auch die acht Beauftragten des Kurfürsten von Brandenburg und des Sachsen geleitet. Ruhig erklärten die Herren, daß ihre Fürsten nicht kommen würden; die Kriegsnot ließe sie nicht aus ihren Ländern; sie selbst hätten Instruktion, sich an den Beratungen zu beteiligen.

Auf die Frage Maximilians stellte sich heraus, daß sie nicht ermächtigt waren, einer Absetzung Wallensteins zuzustimmen; auch über Bedrängnis protestantischer Stände durch das ligistische Heer klagten sie; Protest sollten sie über die Einziehung evangelischer Güter erheben. Scharf wandte sich der Bayer an die geistlichen Herren: »Man sieht, wir sollen den Herren die Kastanien aus dem Feuer holen. – Und wenn man euren Fürsten den Kurhut vor die Füße wirft?« »Der evangelische Glaube wird nicht untergehen. Wir werden Hilfe finden.« Max höhnte, als sie gegangen waren, die Hände gegen die Herren erhebend: »Sie erhoffen Hilfe von dem Schweden. Der Satan hole die Ketzer.«


STRENG ÜBERGAB Ferdinand in Gegenwart der zitierten Kurfürsten und Gesandten dem Reichserzkanzler die versiegelten Propositionen in der Ritterstube der bischöflichen Burg. Er vermißte den sächsischen Kurfürsten, mit dem er sich über Jagden unterhalten wollte; er hätte sich so lange vom Waidwerk fernhalten müssen. Mit jedem sprach er einzeln, auf dem roten weichen Teppich neben dem Eichentisch gingen sie bedeckt hin und her. Man lachte über den Schweden, von dessen munteren Angriffsgelüsten man gehört hatte. Mitten in den Unterhaltungen tönte von draußen vor der Stiege Blasmusik; der Habsburger freute sich über die Verwunderung der Herren, er hatte seinen Johann Valentini mitgebracht; man setzte sich wieder, trat an die Fenster, hörte schweigend zu. Die Herren flüsterten verwundert; neben dem Bayern stand Ferdinand am Fenster, legte seinen weißgekleideten Arm freundschaftlich auf die Schulter des erbebenden Wittelsbachers. Der Geheimsekretär Doktor Frey erhielt vom Kaiser einen Blick, öffnete die Tür zur Anticamera. Ferdinand begleitete die Kurfürsten, denen sich ihre Kanzler anschlossen, durch das lange blinkende Spalier der Hatschiere an die Stiege, wo man eine Weile die Kapelle anhörte und die warmen Windstöße fühlte.


MAN HATTE sich noch nicht zurechtgefunden von der Begegnung, als der Mainzer in seinem Quartier aus den Propositionen vorlas. Der Kaiser erwähnte die Königswahl nicht, fragte, was mit dem landesflüchtigen Ächter Friedrich von der Pfalz endgültig geschehen solle, dann wie man Holland Schweden Frankreich im Einmischungsfalle abweisen solle, zuletzt an fünfter Stelle die Mängel des Kriegswesens anlangend: man möge angeben, wie und welchergestalt eine bessere Ordnung geschaffen werden solle.

Hitzig warf am Schluß sogleich der rotäugige Kölner auf, sein Käppchen auf dem Knie wippend: »Sauber disponiert! Der zu Friedland hat sich recht tapfer versteckt.«

Der fettwanstige Philipp Christoph von Trier ächzte: »Wir haben dem Kaiser nichts entgegenzusetzen, wir haben keine Armee.« »Nein«, lachte grell Maximilian. Der Erzkanzler milde: »Wir werden ihm unsere Klagen vortragen, wir werden nicht nachlassen zu drängen, er ist ein Mensch, ein frommer katholischer Christ, es wird seine Wirkung auf ihn nicht verfehlen.« »Die Lutherischen singen: Ein’ feste Burg ist unser Gott«, spottete Maximilian. Ruhig der Mainzer: »Unsere Gebete werden erhört werden, Durchlaucht.«

Trotz Zagens und Remonstrierens des Mainzers, der versöhnlich bleiben wollte, ging der Beschluß durch, daß in zwei Schritten der ganze Weg durchschritten werden sollte. Man sah sich auf einem Vulkan, Friedlands Armee bei Memmingen wuchs. Sie erklärten: »Die übermäßigen Werbungen im Reich, Abdankungen Abmarsch Rückmarsch Kontribution Einquartierung haben die Wohlfahrt des Reiches untergraben; das Vermögen des Heiligen Reiches, seine Kraft und Stärke, wodurch es sich bei seinem hohen Stand und christlichen Glaubensbekenntnis gegen Türken und Heiden bisher vor allen andern Königreichen der Welt erhalten hat, ist ganz verzehrt, verwüstet, seine Habe in fremdes Land geführt, vornehme Länder und Provinzen, die eine Zier und Vormauer des Reichs gewesen sind, sind verheert. Die Kurfürsten und Fürsten, gänzlich allen Ansehens beraubt, haben sich den kaiserlichen Kommandanten, die sich mit ihnen im Stande nicht vergleichen können, zu unterwerfen und müssen unzählige Drangsale stillschweigend über sich ergehen lassen. Das kurfürstliche Kollegium, kraft getroffenen einstimmigen Kollegialbeschlusses, will deshalb nicht allein aus treuem Herzen Ihrer Kaiserlichen Majestät geraten haben, sondern auch untertänigst und ernstlich darum bitten, hier Verbesserung zu schaffen, der kaiserlichen Armada ein solches Haupt vorzusetzen, das im Reich sitzt, ein ansehnliches Mitglied des Reiches ist, dafür auch von anderen Ständen geachtet und erkannt wird, zu dem Kurfürsten und Stände ein gutes zuversichtliches Vertrauen haben. Dieser Feldherr möge in allen vorfallenden wichtigen Sachen ermahnt sein, gemäß den Reichskonstitutionen getreulich zu disponieren und sich mit den Kurfürsten zu verhalten, möge sich nicht anmaßen, im Reiche zu dominieren, weil solches nicht Herkommen noch zulässig ist.« Wenn aber Ihre Kaiserliche Majestät in ihren Erbkönigreichen und Landen ein besonderes Heer halten wollte, daran wollte man sie nicht hindern noch ihr Maß geben, solange es ohne Gefahr, Schaden und irgendwelche Beeinträchtigung von Kurfürsten und Ständen geschehen kann. Kontributionen sollten niemals mehr direkt, sondern nur durch Anrufung und Vermittlung der Reichs- und Kreisversammlungen erhoben werden, Durchzüge und Musterplätze nur mit deren Zutun Genehmigung und Mithilfe.


WÄHREND DIE deutschen Kavaliere die Reitbahn im Tummelgarten bei den Barfüßern frequentierten, Räte Dompröpste Dechanten Kanzler verschwiegen beim Postmeister einkehrten, Geld in ein Lotto einlegten – an der Wand war mit Kreide gemalt auf Italienisch: Wer das Kleid nicht schätzt, dessen Leben dauert länger als das Kleid –, Stände sich im Bischofshof versammelten, in die Anticamera geführt wurden, tauchten schon die fremden auffälligen reichen Gestalten in den Gassen auf. Die Herren trugen einen ungeheuren Putz mit sich herum, sie ertranken in den Gewändern, die sie mit sich schleppten; so viel des Zobels, der Bordüren Aufschläge Spitzen Besätze, der überfallenden Stulpen Wehrgehenke Schärpen. Das raschelte und knisterte an ihnen; ihre gebrannten Haare verkrochen sich unter den Umhängen oder blähten sich duftend im Wind auf. Damen begleiteten sie, in bequemen Wagen fahrend, mit Regenschleiern über Kopf und Schulter, mit flachen Stirnmützchen, von denen der Staubmantel nach rückwärts wallte. Bei klarem, warmem Wetter gingen sie über die Wiesen bei der Grube kaum verschleiert, mit tief entblößten Schultern, so einfach, als stiegen sie eben aus dem Wasser mit ihrem glatten, am Hals sich lockenden Haar; weißes und rosa Leuchten der Übergewänder; über den Knien wichen die Oberstoffe rückwärts; golddurchwirkte Untergewänder mit hingehauchten Blumen wurden von den Bewegungen angestrafft, in weißen Schuhen bewegten sie sich leicht und völlig graziös. Es waren die Welschen, die von Grenoble vor drei Wochen aufgebrochen waren, über Solothurn, Konstanz Ulm erreicht hatten, zu Schiff anlangten. Sie fanden Quartier bei der Grube. Herr von Brulart führte sie; der braune kuttige Kapuziner, der ihn begleitete, schmalschultrig, kurzsichtig, blaß, mit einer starken Nase, war der Pater Joseph, François le Clerc du Tremblay, die Seele des Kardinals Richelieu. Sie mischten sich unter die andern. Kavaliere und Damen küßten sich, wenn sie sich begegneten, auf den Mund. Sie hatten viel Berührung mit dem bayrischen Hofstaat, aber auch mit den vier sächsischen Herren und ihrem Anhang.

Trautmannsdorf forschte Brulart aus über den Grad der Einheit in der französischen Nation, welchen Stämmen die mitgebrachten Kavaliere angehörten. Der Welsche fand die Frage erstaunlich: »Eine Nation hat in unserem Königreiche keinen Platz. Franzosen sind die Leute, die dem Allerchristlichsten König Ludwig untertan sind. Bisher hat keine Regierungsakte Kenntnis von dem Wort Nation oder Volk genommen. Und ich wüßte nicht, wovon ich reden sollte, wenn ich französische Völker oder Stämme sagte; mit König Ludwig ist alles gesagt.«

»Man würde hierüber im Reich klagen, der Deutsche würde gleich den Verlust seiner Freiheit argwöhnen.«

»Es ist ja nichts ehrenvoller«, zog der Welsche die Augenbrauen hoch, »als dem König leibeigen zu sein. Wenn am Himmel die Sonne scheint, so nimmt alles freudenvoll die Helligkeit und die Farben der Sonne an; die Franzosen werden königlich; jedem ist, als ob das Auge des Königs auf ihm liegt, er bemüht sich, ihm zu gefallen. Er sieht seine Kleider, die Tracht des Hofes, hört den Ton des Gesprächs. Hat es ihm geschadet? Es scheint, als ob uns fremde Völker nachahmen.«

»Oh, man achtet auf Eure Kavaliere und Damen; ich fürchte, man wird noch schärfer auf sie achten müssen.«

Stolz der Franzose ablenkend: »Man achtet überall auf die Art Ludwigs. Man wird seine Sendboten überall mit Freude aufnehmen.«

Brulart und Pater Joseph wurden in der mantuanischen Sache vom Kaiser empfangen, ihre Legitimation war nicht vollständig, der Kaiser wollte dennoch sehr gnädig verhandeln. Pater Joseph durfte in Gegenwart des großen Lamormain lange zu ihm von geistlichen Dingen sprechen. Man redete über das Mysterium des göttlichen Erdenwallens; Père Joseph, hinreißend sich ergehend, war in seinem Fach. Er drang auf Vereinigung der Seele mit Gott, ihr Eintauchen und Plätschern in Gott; alle irdischen Leidenschaften, die sich zwischen Gott und uns stellen, müßten abgelegt werden, die Liebe müßte den Verstand lehren, ihn im Gehorsam und der Demut des Glaubens gefangen halten, die Liebe müßte den Verstand zwingen, zu glauben, was er nicht sieht, zu bewundern, was er nicht versteht. »Immer muß man an die Taten des Heilands denken, seine Göttlichkeit durchleuchten sehen, ihn umarmen in seinem Wesen. Man muß den Mund nicht gemein öffnen, als wenn man essen will, muß nicht demjenigen gleichen, der lange hastig gelaufen ist nach einem Ziel, das er zu erreichen strebt, und der ganz außer Atem ist. Nicht öffnen den Mund, wie um zu essen, innere Süßigkeiten zu empfangen, nicht sich erholen wollen von innerer Erstickung. Das ist Notdurft, Zwang, das ist nicht vollkommene Gottesliebe. Man muß herausstoßen aus sich das Leben der Eigenseele. Aufeinander der Mund Gottes und unser Mund, um die Seele fließen zu lassen über die königliche Tür seiner Lippen.« Oft wiederholte er auf Fragen Lamormains: »Einschlummern im Dunkel des Geistes und der Natur.«

Ferdinand hielt Lamormain bei sich fest; was er von dem Kapuziner hielte; er selbst müsse als Tölpel gestehen, er besitze so geringen Verstand, daß er keines Zwanges mehr bedürfe, um zu glauben; wie groß müsse der Verstand des Père Joseph sein, daß er solcher Gewalttätigkeiten bedürfe, und vielleicht auch wie ungläubig sei der Père. »Welch ein Glaube«, staunte er dann wieder, »dieser Mund Gottes, dieses Begeisterte, Absonderliche.«

Eleonore wurde gerufen; sie setzte sich erst kalt in der feierlich strengen Tracht an das Tischchen, die sie in Regensburg immer trug. Dann hörte sie zu, fragte abwesend, von wem die Rede sei, begehrte erregter und mit einem dunklen Blick den Franzosen kennenzulernen. Ferdinand lächelte schwer: »Du wirst sehen, er redet dir die Gedanken aus dem Hirn; man hört ihn besser nicht oft.«


DIE BESPRECHUNG der kurfürstlichen Forderungen in der Wohnung des erkrankten Grafen Stralendorf – zugegen war neben anderen auch der junge König Ferdinand – erhielt durch das unangemeldete Erscheinen und das Eingreifen der Majestät einen sehr ernsten Charakter. Die pointierte sächsische Schrift mit ihrem Jammer. Das unter lautloser Stille von Doktor Frey vorgelesene gräßliche Register des Herzogs Bogislaw von Pommern, vierundfünfzig schauerliche Punkte dem Mehrer des Reichs vorgetragen, von Eltern, die das Fleisch ihrer Kinder verzehren, von Leichen im Lande, die ungekochtes Gras im Munde hatten. Der Kurbrandenburger: zwanzig Millionen Gulden seien seinem Land erpreßt. Die ligistische Schrift endend: »Nachdem die Reichsfeinde, der Pfalzgraf, Mansfelder, Halberstädter, Baden-Durlach geschlagen, die dänische Armada zerstreut, fast kein Feind mehr vorhanden ist, hat man einen Feldhauptmann ohne Vorwissen und Einwilligung der Stände, ohne Geldmittel mit einer so ungemessenen absoluten Gewalt ins Reich verordnet, daß er nun alles nach eigenem Gutdünken regelt.«

Der junge König: »Wenn es richtig ist, was eine Schrift besagt, es seien von Friedland zweihundertvierzig Millionen Reichstaler an Kontributionen erhoben, so wird man den Herzog um Verrechnung ersuchen müssen. Wohin sind diese Summen gekommen? Sind sie wirklich nur zur nötigen Abfindung des Heeres und der Obersten benutzt und wer hat von ihnen profitiert?«

Peinliches Stillschweigen. Stralendorf: »Das Gefährliche der Vorgänge liegt in der Verbindung der katholischen mit den protestantischen Kurfürsten.«

Der Kaiser: »Sie kommen mir mit Dingen, an denen jeder Erwählte Römische Kaiser zu beißen hat. Das Reich führt Krieg, man gewährt ihm keine Mittel. Der Ächter Friedrich hat das Reich angegriffen, man hat mir keine Mittel zur Gegenwehr gestellt. Der Herzog nimmt, was mir zusteht. Sind Vergehen vorgefallen, werde ich Strafe vollziehen lassen.«

Trautmannsdorf: »Das Reich bequemt sich zur Ordnung. Es ist ein Unverstand, mit Sätzen zu kommen wie: Kontributionen nur durch die Kreise. Daran scheitert der Krieg.«

Der Kaiser griff seitlich nach den beschriebenen Bogen, warf sie auf den Boden: »Sie wollen kaum ein Reich. Jammern zum Schein. Sie wollen das Reich nicht.«

Der junge Ferdinand: »Wozu aber wählen sie einen Kaiser?«

Der Kaiser: »Sie tun es noch heute und morgen. Eines Tages werden sie versuchen, es nicht zu tun.«

Leise Trautmannsdorf: »Der Herzog zu Friedland war vielleicht zu stark. Man empfehle ihm größere Behutsamkeit.«

Graf Stralendorf begründete angesichts der Erbitterung Ferdinands vorsichtiger als sonst die Fürstenlibertät, warnte davor, den ganzen Reichskörper gegen das Oberhaupt sich einen zu lassen; es sei schon nicht mehr die Frage nach der Wahl des jungen Ferdinand, sondern nach dem Abfall aller Kurfürsten vom Reich; er glaubte, historisch kommen zu müssen, sprach vom Beispiel Karls des Dicken, Heinrichs des Vierten, Wenzeslaus’.

Am Tisch sitzend mit bald gelangweiltem, bald drohendem Gesicht Ferdinand: »Ich habe nicht vor, den Herzog fortzuschicken. Man wird mich durch alle Treibereien nicht irremachen.«

Trautmannsdorf: »Danach ist ein Riß wahrscheinlich.«

Der Kaiser ließ die Augen aufleuchten, lächelte den Grafen warm an.

Der Geheimsekretär: »Welche Antwort soll formuliert werden auf die Replik der Kurfürsten?«

Die Herren durften sprechen.

Stralendorf: »Hinhalten. Wenn der kaiserliche Standpunkt so bleibt, versuchen, die Kurfürsten zu drücken, sie auf die Unmöglichkeit ihrer Forderungen hinweisen, die Erfüllung des Möglichen zusagen.«

Trautmannsdorf: »Die Majestät wird sich den Eingriff in ihre Autorität und Präeminenz verbitten. Die Schuld für einen Riß muß von vornherein der kurfürstlichen Maßlosigkeit zugeschoben werden.«

Der Kaiser dankte. Nach langer scheinbarer Besinnung dankte er nochmals; es sei besser, auf diese Replik nicht zu antworten. Er antworte nicht. Er gäbe den Kurfürstlichen Durchlauchten, die in einem Jähzorn gehandelt hätten, Zeit, sich zu besinnen.


IN DAS Refektorium der Kartause wurde eines regnerischen Abends Pater Joseph gerufen; es wolle ihn eine hohe Person sprechen. Zwei Damen in Schleiern, auf deutsche Art gekleidet, saßen da; die eine sprach ihn italienisch an, es war die Kaiserin. Er möchte ihr von seinem Orden erzählen.

Und als er gesprochen hatte, glühten hinter ihrem Schleier ihre Augen, Gräfin Khevenhüller trat an das Fenster hinter eine Säule.

Sie freue sich, solche Stimme der Gottesinbrunst zu hören, man vernehme es so selten in diesem Lande.

Ob er Italien kenne. Und dann plötzlich, kaum das Schluchzen unterdrückend: so weit sei es gekommen, daß man nicht Anstand nehme, ihre Heimatstadt zu belagern. Er meinte tröstend, so sei die Politik der Deutschen. »Helft Ihr mir«, bat sie, »ich habe Briefe von meinen Freundinnen, Geschwistern; was ich Euch tun kann, sollt Ihr haben.«

»Wenn unsere Heere siegen werden.«

»Sprecht mit dem Kaiser, mit Lamormain. Ich bin eine Frau; kann man keine Rücksicht auf ein Frauenherz nehmen; bin ich hier nichts!«

Kopfschüttelnd Joseph: »Es ist nicht der Kaiser oder Lamormain. Es ist der Herzog von Friedland.«

Sie keifte leise: »Schickt ihn fort; ich hasse ihn, sein Name ist mir zuwider, der falsche Böhme.«

»Man kann ihn nicht fortschicken. Es ist leichter für ihn, uns alle fortzuschicken.«

Sie wütete mit ihren Fäusten gegen ihren Schleier: »Ich hab’ es gehört. Es ist unsagbar, wir sind seine Gefangenen. Man soll ihn entlassen.«

»Wer ist Collalto bei Mantua? Seine Puppe. Der Herzog ist das oberste Gericht im Reich. Wir spielen hier in seinem Schatten. Der Kaiser fühlt es nicht.«

Sie sah ihn erstarrt, weitäugig an: »Und dies ist wahr, der Herzog macht mit uns, was er will?«

Joseph lächelte traurig: »Es ist schon keine Neuigkeit mehr, Majestät. Fragt Euren Schwager, die bayrische Durchlaucht.«

Die Kaiserin stand von der Bank auf: »Ich will den Kaiser befragen, er soll hören, wie man spricht.«

»Fahrt lieber zum Herzog; er residiert in Memmingen, nicht weit von Ulm. Er wird Euch helfen, wenn Ihr dringlich bittet um Mantua. Aber sprecht nicht von mir zum Kaiser. Die Deutschen lieben nichts Fremdes.«

»Oh, sprecht Ihr wahr, Ehrwürden; ich danke Euch.«

»Dankt nicht, Majestät. Auch mein Land leidet. Der Herzog von Nevers ist ein Franzose.«

Solche Auseinandersetzung hatte Ferdinand noch nicht mit der Mantuanerin gehabt. Die Frau war unnachgiebig, bitter, verächtlich gegen ihn. Sie hätte geglaubt, Kaiserin zu sein. Sie sei Italienerin. Dulde man in Deutschland solches, so sei das deutsche Art. Sie nehme es nicht an, sei nicht herübergekommen als Vasallin des emporgekommenen Friedländers. »Zu essen von seinem Geld, zu leben hinter seinem Rücken, das nehme ich nicht an; ich bleibe die Tochter des Herzogs von Mantua.« Er war nur erstaunt, welcher Narr ihr das beigebracht habe. Etwas Haßartiges war in ihr aufgestiegen. »Narr? So wahr ich selbst Narr bin, sind dies Narren, die mir das beigebracht haben. Du bist versunken, du träumst. Mir sind die Augen aufgegangen. Der von Wallenstein muß weg.« »Ich träume, ich bin versunken. Er dient mir, wie es beinah nicht mehr menschlich ist. Sie beneiden mich um ihn und beneiden ihn selber, den ich hochgehoben habe.« »Der Giftspritzer, der Unband, der Teufel. Das gesegnete Geschenk, der von Wallenstein.« »Sie beneiden ihn, wie sie mich beneiden.« »Keiner wird an unsern Tisch sich setzen wollen, nur der Teufel. Der Heilige Vater wird seinen Fluch über uns aussprechen.« »Dir bangt um Mantua.«

Sie schrie und überschrie sich: »Ja, mir bangt um Mantua. Und ich will zu befehlen haben, daß mir nicht darum bangt. Ich bin Kaiserin, es ist meine Heimat. Ein Hund soll nicht hingehen können und sie zerreißen.«

Sie warf sich in einen Stuhl: »Ich lebe nicht mehr, wenn dies geschieht.«

Diese hatte er einmal geliebt.


EIN UNSCHEINBARES Brieflein wurde bei dem Meßgang dem Kaiser übergeben, in dem Wallenstein auf die Truppenmassen aufmerksam machte, die dem Kaiser zwischen Memmingen und Regensburg zur augenblicklichen Verfügung ständen.

Und plötzlich sah Ferdinand, daß die Entscheidung ganz bei ihm lag. Er konnte träge noch einen Tag nach dem andern hinziehen, die Wirklichkeit war nicht wegzuschlafen. Kein Kollegium eines hohen Rates bedrängte ihn. Sie hatten sich in den Hintergrund gezogen, wagten sich nicht an den Wurf; der tapfere gute Eggenberg lag krank irgendwo in Istrien.

Er fühlte, in der Nacht sich aufrichtend, daß er satt war, daß er Sieger war, Kaiser durch Wallenstein, und daß er sich wenden könne nach welcher Seite auch immer, es war die rechte Seite. Es stand in seiner Gewalt, zu wählen, es konnte auf keine Weise fehlgehen. Und darauf legte er sich zurück und schlief wieder ein.

Finstere Gedanken umgaben ihn bei Tag. Die Mantuanerin sah er nicht; er freute sich, sie wollte ihr Spielzeug.

Der Mainzer und Maximilian saßen stumm und äußerlich voll Ehrfurcht an seiner Tafel. Mit großem Auge betrachtete sie der Herrscher, vertiefte sich in ihre Gedanken.

Brulart saß da, er dachte an nichts, als die Spanier aus Italien zu vertreiben.

Der Herzog von Doria, Gesandter Philipps, saß da; er dachte an nichts, als die Welschen aus Italien zu jagen.

Über Memmingen, glanzvoll von Wallenstein empfangen, langte als päpstlicher Legat der Kardinal Rocci an.

Da hielt es Ferdinand in einem tief aufsiedenden Gefühl der Verachtung für angezeigt, die Verbrennung zweier Juden, die verurteilt waren, zu befehlen und sich an ihrem Anblick zu weiden.


EIN JUDE, ein getaufter, war mit drei andern beim Diebstahl erwischt, darauf von ihnen beschuldigt worden, nur zum Schein übergetreten zu sein, mehrmals die Hostie geschändet zu haben, indem er sie in einen stinkenden Ort versenkte. Das Geweihte, der Leib Christi, wurde von dem Büttel, in ein Sacktuch gewickelt, aus einem Unratkübel seines Wohnhauses gefischt, der Malefiziant wurde zum Tode verurteilt. Als der Jude aus dem Stock eines Tages mit den drei andern, die der Strang erwartete, abgeholt werden sollte, stellte sich dann heraus, daß nicht er, sondern sein Weib sich hier befand und sich zur Strafe erbot. Aus Kreuzverhör Folter ergab sich der Aufenthalt des Verurteilten; er wurde aus seinem Verstecke in der Stadt, in Böttchertracht, herangeschleppt.

Der Scharfrichter schleifte auf einer Stierhaut hinter zwei Mähren einen schwächlichen Mann auf den Rathausplatz, Wams und Hose in Lumpen, die Hände über den Kopf zusammengebunden, samt dem Ochsenschwanz am Zaumzeug der Mähren mit Riemen befestigt; er wälzte sich auf Gesicht Rükken unter den Stößen der Steine. Sechs Henkersknechte, scharlachrot wie ihr Herr, ritten vorauf, bliesen Schalmeien, schlugen das Kalbsfell. Abgeschnallt, auf die Beine gestellt von den Schergen, den abgefallenen Hutkegel aufgestülpt, wurde der fahle, ins Licht zwinkernde Wicht vor die Schrannenstiege gestoßen.

Auf dem Esel rückwärts reitend, hinter ihm, herabsinkend, wer prangte so herrlich! Die Frau in den gebändigten Reizen des Südens, die Farbe der Wangen bronzebraun, die eisenschwarzen Haare in Strähnen über kleinen Ohrmuscheln, folgte mit schmachtenden Blicken dem wankenden Schächer; neben dem Grautier, an seinem Hals schauerte ihr zierlicher Leib, die Zähne schlugen schnarrend im Mund zusammen.

Mit rotem Tuch waren die Schrannen ausgeschlagen, das Stadtgericht saß oben mit bloßem Schwert; der Schächer kniete zwischen den Spießen der Schergen an der Stiege. Eine monotone Stimme machte sich laut durch die Unruhe des Marktes, ließ sich verschlingen von dem Lärm der Zuströmenden, der holzschleppenden Schinderknechte, dem Scharren Wiehern Hufschlagen der kaiserlichen Pferde neben der Stiege. Das Verbrechen verlesen, das Urteil verlesen, ein schwarzer Stab über den Juden gebrochen, geworfen. Der Unterrichter bestieg sein Pferd.

Sie hielt sich am Nacken des Eselchens, wandte sich still rückwärts mit hochgezogenen Augenbrauen, schmerzvertieften Linien um den gepreßten Mund, gegen die Menschenmenge, die tausendäugig um sie wimmelte, Mönche Priester Jesuiten Soldaten Kinder Studenten Edelfrauen Handwerker Bettler Franzosen; ließ ihre Arme fallen, blickte auf ihre gelben Schuhe. Sie trug, wie ihr gestattet war, ein schwarzes, loses, hochgeschnürtes Seidenkleid, mit Perlen bezogen, die Ärmel bis zum Ellenbogen pludernd. Ein durchsichtiges schwarzes Seidentuch war rückwärts über den Scheitel gesunken, unter dem Kinn geknotet. Und über den glühenden erstarrenden Augen die Stirnspange mit grünen, blauen Steinen. Trug es, man wußte nicht warum; es war, weil sie so ihrem Mann am lieblichsten erschien. Einen Gürtel aus den gleichen grünen, blauen Steinen hatte sie an, daran hingen Kettchen mit Kinderzähnen. Alles bewegte sie an sich, wies es ihm, ließ es lebendig sein.

Er stieg auf die weite Holzbühne; man band ihn an einen Pfahl; an einen Pfahl am andern Ende der Bühne band man sie.

Der Scharfrichter riß ihm Wams und Hemd herunter, die Hose band er mit einem Strick fest. Drei Knechte schleppten den rauchenden Kohlentiegel herauf; der Scharfrichter griff an den Enden die glühweiße Zange. Ihre beiden geöffneten Kiefer ließ er an den Oberarm des wimmernden Gesellen hauchen, biß zu; steil aufsteigend scharf der Geruch, schwarzrot das Loch im Fleisch. Biß, ließ nicht los. Den Mund riß der Gefolterte auf, weiter, stürzte gegen den Arm hin, bog den Kopf zurück, grölte, während seine gebundenen Füße rückwärts am Stamm hochzuklettern versuchten. Die Zange ließ los, der Henker griff eine neue, wischte sich die Nase; ließ spielerisch den Gluthauch des Eisens über den ganzen Arm laufen, bis er einschlug. Schweißverklebten Haars der Schächer in seinen Stricken, die Spinne biß, sog, sog, sog, sog – es lief aus dem Kopf, aus den Augen her, aus dem Mund, hin zu ihr, hin zu ihr. Weg aus den Knien, weg aus den Ohren, die Wolken, der blaugraue Himmel. Murren des Marktes. Klebrig löste sich die Zange ab, brauste in den Tiegel.

Die Hälse unten reckten sich, die Nasen schnüffelten aufmerksam. Dritte Zange. Mit einem Griff gehoben, geschwungen, angesetzt. Wuchtig geschmettert gegen den anderen Arm, gepreßt in das aufzischende, schmierig sich blähende Fleisch. Und wie mit einem Satz die Zange ansprang, sprang der Malefiziant ihr entgegen, wühlte, krampfte, zuckte um sie herum, mit blassen Blicken, weißen, speicheltriefenden Lippen, sich verzehrend, in einem Strudel dünn, blind, taub, überschäumend herumgewirbelt. Bis ein kleiner schwarzer Punkt größer am Himmel wurde, Kreise sich bildeten, größere hereinschwangen, weißer wurden.

Die letzte Zange: ein inniges, Zahn in Zahn vergrabendes, tobsüchtiges Wiedersehen, Zotteln, Schleudern rechts, links, atemloses Schaudern und Verkeuchen, Backenaufblasen, helles Pfeifen aus den tiefsten Luftröhren.

Der Kopf baumelnd vor der Brust. Der Scharfrichter triumphierend beiseite. Ein Knecht bespritzte den Stöhnenden aus einem Bottich. Der Kopf hob sich unsicher, sank auf eine Schulter, hob sich unter neuen Wassersalven.

Aus seinem Ledergurt zog der Scharfrichter ein kurzes Messer, wetzte es an der Schuhsohle. Gleichgültig schwankte, wie eine welke Blüte, der Kopf des Schächers, da schnitt ihm blitzschnell der Henker zwei lange, breite Bänder aus der Brusthaut, ritsch, ritsch, riß sie heraus, ein queres Band über den Leib, hinten zwei lange, breite Bänder aus dem Rücken. Schwang sie, blutfließende weiße Riemen, in der Linken hoch vor dem kaum atmenden Volk, gab sie dem Gehilfen, der das Bündel dreimal grinsend schwenkte, bevor er es in den Bottich klatschte.

Sie kreischte angstvoll.

Das Volk mäuschenstill. Er ließ den Mann stehen, nahte ihr.

Mit weiten Pupillen, irren Augen, die neugierig erschienen, begleitete sie ihn; dann glitten ihre Augen zu dem blutenden traumverlorenen Schächer; sie schrie, den Kopf an den Pfahl legend, von neuem. Der Scharfrichter wusch sich, breit gebückt über dem Bottich, die Hände vor ihr. Plötzlich, weit ausholend, knallte er seinen nassen Handrücken in ihr Gesicht. Sie behielt den Mund offen, ein feiner Blutstreifen rieselte über das Kinn; von unten schmetterte er ihr die Zähne zusammen. Sie blickte ihn wirr an, begann mit den Knien heftig zu zittern, am Platz zu treten.

Er beäugte einen Moment ihre Stirnspange, hob sie vorsichtig ab; das seidene Kopftuch blieb daran hängen. Lippenspitzend, nachdem er die Spange dem Knecht in die Hand gedrückt hatte, öffnete er den feinen Gürtel, zog ihn ab, wog ihn in der Hand.

An der Tuchlaube standen fünfzig schwarzgewandige Zöglinge des Jesuitenkonvents hinter ihrem Profeß; Rosenkränze spielten in den Händen; mit wissenschaftlicher Kälte folgten Scholaren und Patres dem Gebaren des Scharfrichters, prüfend, nachdenkend, erwägend.

Ein Pater kniete neben einem Scholaren, der in den Schlamm gefallen war; sie blickten sich schweigend an; der blasse junge Theolog senkte beschämt sein Gesicht. Nach einer Pause sagte der andere: »Du mußt an Gott, Jesus und Maria denken. Du hast an die Menschen gedacht, nicht wahr?« »Ja«, flüsterte der, »mir wurde schlecht, ich habe an die Menschen gedacht.« »Der Heiland war Gott, und jene haben ihn an das Kreuz genagelt in ihrer Bosheit. Seinen heiligen Leib, seine wonnige Mutter, den Quell unseres Lebens, haben sie beschimpft; dafür haben sie zahlen müssen und werden noch mehr zahlen. Was ist ein Leib, was sind tausend Menschenleiber! Wie können die Juden danken, daß man sie nicht samt und sonders erwürgt. Wer weiß, ob wir gut daran tun, daß wir sie dulden; wie wir uns versündigen am Heiland.«

Bürger, Zünftler, Gewerker, in Scharen um den Brunnen nahe dem Heringshaus, viele auf den Knien. Aus ihren Haufen fuhren die Drohungen gegen die beiden Judenmenschen über den Markt, immer von den Rufen und Spießen der Schergen niedergehalten. Weiber rotteten sich beim finsteren Linnengäßchen vor dem Haus zum »Silbernen Häslein«, mit Abscheu, mit Widerwillen die Verbrecher betrachtend, ihre Kinder zwischen sich versteckend, bei jedem Zangenbiß und Schnitt heulten sie auf, die Tränen liefen ihnen über die Bakken, manche erbrachen, manche blieben bei einem stummen Zittern, konnten sich nicht von der Stelle bewegen.

Nonnen, braune Minoriten, weißkuttige Dominikaner über das Pflaster geworfen, stundenlang unbeweglich, die Lippen auf den kleinen Kruzifixen, durchschauert von dem unausdenkbaren Verbrechen am Leib Jesu; Gnade, Verzeihung erbettelnd, ringende Zerknirschung ohne Ende.

Der Hof auf fliegenumwehten Rossen, edle Herren unter der Balustrade der Stadtschrannen, ernste, müde, feierliche, seidebehängte Männer, verächtliche Blicke auf die Delinquenten, manche freudig die Masse musternd, sich anhebend unter bewundernden Mienen.

Ferdinand auf dem Balkon des Stadtrichters; erhöhter Sitz; der Beichtvater im schwarzen Jesuitenkleid neben ihm, kalt saßen sie, halb abgewandt von der Bühne. Zerstreut hörte der Kaiser auf die Belehrung des alten Mannes. Wie kam es: Digby fiel ihm ein, die Saujagd bei Begelhof, der Graf Paar. Wo war Digby? Übermüdet gähnte der Kaiser, verkniff den Mund unter dem faden Geschmack aus dem Magen.

Ein lateinisches Lied hoben die Scholaren zu singen an.

Der Scharfrichter tastete den biegsamen Leib des Weibes ab, sie zog sich zusammen, flüsterte etwas; er beugte sein Ohr gegen ihren Mund; sie flehte wie ein Kind: »Ist jetzt gut? Ist jetzt gut?«

Inzwischen war der blutrieselnde, gebrannte Schächer aus seiner Ohnmacht erwacht; den Kopf mit Gewalt hochstemmend, krähte er, wühlte mit den Gliedern in den Stricken. Wildes Gelächter erhob sich bei den Zünftlern, pflanzte sich zum Hof fort; exaltiert schüttelten sich die Weiber, schrien sich mit übertriebener Freude zu, küßten ihre Kinder, rafften die Röcke. Gekräh erscholl aus dem Hahnengäßlein, am Brunnen. Leicht wogte der Markt. Die Schergen gaben nach, man wallte hinüber, herüber zwischen Arkebusen und Stangen. Die süße Angst der Weiber hatte zugenommen, sie konnten sie mit allem Lärm nicht bewältigen, drängten zu den Männern. In grausiger Ruhe, wie Grabsteine, lagen Mönche und Nonnen am Boden.

Im weiten Halbkreis schichteten Henker und Gehilfen unter dem Pfahl des Mannes Holz; seine Stricke waren ihm gelöst worden, Säckchen von Salz und Pfeffer wurden von weitem gegen seine Wunden gestäubt; er ging an einer Eisenkette um den Pfahl, drehte die Kette kürzer und kürzer, rollte sie wieder ab; rieb seine Wunden an dem Pfahl, bedeckte seine Arme, spie, bespeichelte seine Brust. Die Frau zog ihre Kette lang, sie rannte zu ihm, bis die Kette sie hielt, blieb armestreckend stehen, klirrte mit den Kinderzähnchen, rief zärtlich, unverständlich, kam unvermerkt, vorschreitend, abirrend, in einen zärtlichen Schritt, sich selbst mit ihrem Gurren und Zwitschern begleitend. Die Arme wiegte sie, das Atlaskleid schleifte sie keusch, die Augen, zwischen Husten und ersticktem Luftringen, erstarrt auf ihn dort, jenseits, in den Flammen, die Backen tränenüberströmt, auf Sekunden lächelnd hinschmelzend, wieder versteinert.

Die Menschen, die andrängten, schob man zurück; ein Qualm erhob sich aus dem Holzhaufen. Als sich nach Minuten der Rauch verzog, stand der Schächer fest am Pfahl, das blaurot gedunsene Gesicht mit den gepreßten Augenlidern nach dem Platz, sperrangelweit den Rachen, gebläht und schwingend die Nüstern, als wenn er niesen sollte, die Knie übereinander, den Bauch hohl eingezogen. Plötzlich blies er die Luft von sich, zog die Arme voneinander, atmete, schnappte gierig. Langsam begann um ihn die Luft einen Wellenschlag anzunehmen, sie wurde sichtbar in kleinen zitternden Bewegungen, wirbelte flüchtig nach oben, schief und verzogen wurden die Erscheinungen hinter ihr. Er tanzte, sprang rückwärts, seitlich. Die Arme hatte er frei, er trug sie wie Fühler vor sich, raffte sie wieder an sich. Kleine Quellchen sprudelten aus seinen Wunden, spritzten aus der Brust im Strahl ins Feuer. Wer es unten sah, schrie: »Schelm! Schelm! Er will löschen.« Da langte ein kaum sichtbarer, blau in Weiß vorschwebender Flammenarm von hinten nach ihm. Er wirbelte herum, torkelte zur Erde, kletterte in die Höhe, seine Lumpen flammten, er nahm den Kampf auf; war fast nackt. Die letzten Lumpen wollte er sich vom Bauch, von den Lenden reißen, sie saßen fest, schwarz verbacken, verklebt mit der Haut; er scheuerte mit den Ellenbogen dagegen. Auf seinem Kopf standen keine Haare mehr, runde Kohleballen, die abrollten, die er sich über das Gesicht schmierte, über die großen platzenden Blasen. Er blies über die Handteller, die Brust, die Asche stäubte, die Lumpenfetzen bröckelten. Auf die Zehen stellte er sich, den Körper hochgezogen; schluckte die Luft mit vollen Blasebalgbacken, in leidenschaftlichen Zügen von oben ab. Schwarzrot, durchlöchert, aufgebläht raste er suchend um den Pfahl, hingeschleudert von der Kette tauchte er zum Boden, schnappte die Luft über den heißen Brettern. Die brodelnde blaßblaue Luft ging dicht an ihn.

Sie sah es, bedeckte mit den Händen das Gesicht. Plötzlich schrie er auf; eine glühende Zange lag da, die dem Scharfrichter aus dem Tiegel gefallen war. Der, hinblickend, brüllte: »Die Zange her! Wirf die Zange herunter, Hund«, tobte gegen die Knechte, warf einen Kloben Holz, brüllte: »Zange!« Der Schächer wich zur Seite. Eimer auf Eimer goß der Scharfrichter vor sich in die Flammen, drang vorwärts, schlug mit einem Haken nach der Zange. Irr sah der oben den schwarzen Haken sich nähern, griff danach, stürzte gestoßen um, kroch zurück. Wallend der dünne Feuerschleier zwischen ihm und den Menschen. Und wenn der Schleier fiel, frohlockte das Volk, daß es ihn sah, das wilde tanzende Geschöpf, das hüpfende, das schwarz und rot immer ähnlicher dem Satan wurde. Er atmete, rannte dicht vor, soweit die Kette ließ, haarlos, stumm, nackt. Die Flammen wälzten sich in Ballen hinter ihm, jäh hob sich vor ihm der rotweiße glühe Vorhang.

Da, durchdringender Schrei, drei, vier, fünf, Knäuel von Schreien, wieder! Schreie auf Schreie! Jache Stille. Schwarzer dünner Qualm. Wütendes Bersten, Prasseln.

Jetzt griffen ihn die Flammen umsonst an; wie ein Wunder lag eine menschenähnliche Gestalt, den Kopf auf den Balken gedrückt, inmitten der Glut; kleine Feuerchen spielten um seinen Schädel, strichen an seinen Leib. Rasch lief eine braunschwarze Haut über ihn, als überzöge sie ihn mit einem Lederkleid. Dampf aus der Nackengegend. Er ließ sich ruhig umfassen von der Hitze. Kippte um; die Beine angezogen, schaukelte er auf dem Rücken; die Beine zogen sich fester an den Leib, in dem Knarren und Wühlen des Feuers, während in der Nähe ein leises Puffen, wie Erbsenspringen, zu hören war, feines Knallen, und neben ihm sich Bächlein Rinnsale bildeten.

Er kräuselte sich schwarz, wurde kleiner.

Sie blickte nicht mehr nach rechts.

Jetzt war ihr Geliebter geschwunden.

Sah eine kleine Minute in Gedanken vor sich. Das Haar auf ihrem Kopf loderte auf. Sie kreischte, duckte sich. Lief an den Pfahl, wich nicht, als wäre sie angeschmiedet. Als die Kleider um sie aufflammten, kauerte sie hin, beugte sich über ihre Knie, ein verzagtes Hündchen. Einen Augenblick erkannte man zwischen dem wütenden Ineinander der Flammen ihr dunkelrotes, aufgehobenes Gesicht, den Markt mit erstorbenen Blicken anstierend. Der lodernde Pfahl stürzte über sie, die Bühne krachte mit den beiden Toten ein.

Der Kaiser war schon früher mit dem Hofe aufgebrochen.


DER PATER Mutius Vitelleschi mußte die kochende Campagna durchfahren. Urban nahm seine Entschuldigung, daß er hinfällig sei, nicht an. In Castelfranco sagte ihm in einem Soldatenzelt der schwarzbärtige Mann: »Dieser Säufer, der Collalto, macht unerhörte Fortschritte auf Mantua; gegen die Sintflut von Menschen, die der Kaiser über die Alpen wirft, ist man machtlos.« Er fing an, scheußliche Schimpfworte auf Ferdinand zu werfen, den er nur den Idioten nannte, und auf Wallenstein, auf dessen Kopf er Millionen setzte; Priester müßten ihn vergiften oder niederstoßen, wo sie ihn träfen. Der weißgesichtige General machte fragend auf die Ergebenheit des Kaisers, die Freigebigkeit Wallensteins aufmerksam. Der Papst raufte sich mit wilden Blicken den Bart: ergeben sei der Kaiser den Jesuiten, freigebig Wallenstein gegen die Jesuiten; ob man die heilige alte Kirche mit der jungen Jesugesellschaft verwechsle; gegen ihn sei weder Kaiser noch Feldherr freigebig; ihn bettle man an, suche seine deutschen Einnahmen zu kürzen; nun breche man noch in Italien ein, damit die Spanier den Fuß auf ihn setzen könnten.

Mit sehr großer Strenge setzte er dem schweigenden General die Sachlage auseinander: in diesen endlos wütenden Kriegen der europäischen Menschheit sei die heilige Kirche die einzige Gewalt, die das Spiel der Menschheit im Auge behalte. Der europäische Erdteil biete den Anblick eines Höllenpfuhls. Und dies, weil die Herrschaft Roms längst übergegangen sei an beliebige Menschen mit irgendwelchen Machtmitteln und Geburtsdaten wie Philipp, Ferdinand den Andern, Wallenstein; von den Ketzern zu schweigen. »Sofern es eine Würde der Menschheit gibt, muß sie aus dem Kothaufen aufgehoben werden, in den sie tobsüchtige Weltlichkeit, verruchte Gewalttätigkeit und Ketzerei gestoßen haben. Es kann Uns in diesen Tagen begegnen, daß Wir, die Christi Stellvertreter auf Erden sind, Unsere letzten ärmlichen Kräfte verlieren; Wir können nicht die Menschheit regieren, nicht erheben, zur Besinnung rufen, sondern müssen spurlos verschwinden und dem Wunder Gottes ihre Rettung überlassen. Wir, das heilige süße Wort Christi verwaltend, machen Platz Schakalen, Untieren; man wird die Schönheit, Reinheit, den Glanz eines Menschengesichts nur noch aus frommen Bildern kennen. Nach solchen tausendjährigen Triumphen der Kirche verzagen, wie ich.« Vitelleschi erbat die Erlaubnis, zu sprechen: er bittet um Verzeihung, daß er geglaubt hat, wegen seiner Hinfälligkeit mit der Reise zögern zu dürfen; er hat den Umfang des Unglücks nicht vorausgesehen. Nördlich der Alpen ist ein Land, das die Kirche schon oft in die tiefste Betrübnis versetzt hat, es ist schwer, das rohe Volk dort zu einer Haltung zu bewegen, die sich ertragen läßt. Dort ist auch derjenige Luther geboren, von dem seine eigenen Zeitgenossen sagten, er ist kein Mensch, sondern der Teufel selbst unter menschlicher Gestalt.

Laut rief der Papst aus: »Wir unterwerfen uns nicht kampflos. Wir haben rechtzeitig erkannt, daß die Vorbedingung der Wirksamkeit des göttlichen Wortes unsere Unabhängigkeit von den tierischen Mächten ist. Wir haben ein Land, in dem wir residieren, mit dem wir den blinden Naturmächten zeigen, welche Gewalt den göttlichen Ideen innewohnt. Jeder Pfennig, der uns zugeht, wird zu nichts benutzt werden, als unser Land eisern zu machen, zu einem unerschütterlichen Wall. Wir sind keine Phantasten. Wir sind keine Dichter. Wir sind für die Erde eingesetzt auf Unserm Stuhl, man wird Uns nicht in die Luft blasen. Wollt Ihr mich verstehen?« Darauf verwies Urban, die Meldung eines Artilleristen auf später verschiebend, den Jesuitengeneral bei dem geschworenen Gehorsam auf die verfügbaren Machtquellen Deutschlands, auf die Lehrer Professen und Scholaren aller Grade, die das Volk meistern und es im Notfall widersetzig machen sollten, vorerst auf die Beichtväter der Fürsten.

Pater Lessius, gerade anwesend in Rom, erhielt von Vitelleschi Instruktion und Auftrag, sich nach Deutschland zu begeben. Er besaß die Kühnheit, die Route über Memmingen zu nehmen und nach Durchbrechung des tobenden militärischen Gürtels um die Stadt in die totenstille Ortschaft einzudringen, die auf jedem gangbaren Weg fußhoch mit Stroh belegt war. Der Herzog nahm ihn an, inmitten eines riesigen Zulaufs von Kriegsoffizieren Kurieren. Es war dem Jesuiten wunderbar, vom General dieselben Gedankengänge zu hören, die er gegen ihn in Regensburg ausspielen sollte: der Krieg der Christen gegeneinander müsse aufhören, man müsse sich auf Konstantinopel werfen. Der General schien ihm ein listiger, gefährlicher Gegner zu sein; er behandelte seinen Gast mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit; undurchdringlich wünschte er ihm gute Verrichtung in Regensburg, wohin er leider selbst aus Zeitmangel nicht reisen könne.

Lamormain wurde in einer Zelle des Kartäuserklosters vor der Stadt von Lessius belehrt. Ein fürstlicher Beichtvater nimmt sich ohne weiteres, indem er sich des geistigen Wohls seines Beichtkindes annimmt, des kirchlichen Wohls an. Über das kirchliche Wohl befindet der Papst. In politische Dinge hat sich der Beichtvater nicht zu mischen. Hat aber das fürstliche Beichtkind Interessen, die das päpstliche berühren, so ist das Beichtkind auf den maßgebenden päpstlichen Weg zu führen. Dies erhellte ohne weiteres.

Schwer schlug auf den Luxemburger die Kunde ein, daß der Papst sich auf einen Kampf auf Tod und Leben mit dem Kaiser gefaßt mache, daß die heilige Kirche bedroht sei von dem übermächtigen Wallenstein, der die Spanier unterstütze. Wieder nahe eine Entscheidungsstunde der Kirche. Der Luxemburger fing leise an von der Grundlosigkeit der päpstlichen Sorge zu sprechen; Lessius blieb taub. Sie kamen auf das Thema: wie weit muß der Papst im Besitz weltlicher Macht sein, und hat er sich an anderer weltlicher Macht zu messen. Die Antwort lautete: der Papst ist von Haus aus Führer der Menschheit, daher höchster Erdenkönig, der Städte und Staaten zerstören kann. Die Schwertgewalt hat sich ihm zu unterwerfen oder zu dienen.

Lamormain fragte gebeugt, wie lange Lessius in Regensburg verweilen wolle. Bis Lamormain den befohlenen Auftrag ausgeführt hätte.


AM BEGRASTEN Ufer der breiten, schnellfließenden Donau ritten die Majestäten auf hochbeinigen Tummelpferden, langsam, ohne Gespräch. Das Ufer wurde steiniger, schmaler. Sanfte Berge erhoben sich rechts und links. Bald war der Weg durch kleine Steinblöcke verlegt. Felsige Wände fielen in den Fluß ab. Man bog oberhalb des Ufers auf Hügel und Waldwege ein.

Die Mantuanerin, in weiß und grünem Jagdkleid wie die Herren auf dem Schimmel hängend, streckte die Linke mit der goldenen Peitsche aus: »Wie schön ist das Land.« »Es ist schön. Wir wollen öfter hierher.« »Ich möchte nach Hause.« »Wohin, Eleonore?« »Nach Wien.« »Ich möchte mit dir.« »So komm. Tu mir ein Liebes an. Das Land ist so schön. Komm nach Laxenburg. Nach Wolkersdorf.« »Ich will nicht lange mehr bleiben, Eleonore. Die Tagung wird nicht mehr lange dauern. Mich hält hier nichts mehr.« »In Wien haben die Kapuziner unsere Gruft gegraben. Ich möchte einmal sehen, wo ich begraben werde.« »Wie sprichst du.« »Regensburg verpestet mir das Blut, Ferdinand. Die Leute sehen mich an, als wenn sie etwas von mir wüßten.« Und obwohl er verstand, was sie sagte, bewegte sich in ihm nichts. Von Zeit zu Zeit drehte sie ihm ihr strenges zuckendes Gesicht zu; die weiße Hutkrempe warf sie sich mit einem Ruck an die Stirn; sie konnte vor Grauen vor ihm vergehen. Er hatte einen vertieften Ausdruck. Wie fremd sah er auf sie. Der Mann ist gestorben, fühlte sie. Er schlug sein Tier.

Hinterher ritten der spanische Sondergesandte, der Herzog von Doria, und Graf Trautmannsdorf. Der Herzog lachte viel, daß es zwischen den Bäumen scholl. Schön sei das Wetter und die Wege breit, bequeme Wälder zum Rasten, schattig. Welch prächtiges Terrain für Soldaten; hier könne sich Kavallerie nach Lust ergehen. »Welche Kavallerie meint Euer Liebden?« »Es wird nicht mehr lange dauern, daß wir hier spazieren reiten. Wallenstein ist schon gespannt wie eine Arkuballiste. Das alte Holz birst, wenn es zu lange malträtiert wird.« »Glaubt Ihr. Ich habe schon die Hoffnung aufgegeben, den Herzog zu Friedland kriegerisch in meiner Nähe zu sehen.« »Geduld, Ihr Leckermäulchen. Die Katze wird kommen, wenn die Milch schön kühl geworden. Dann wird ein Schlürfen anfangen, daß man es bis nach München und Paris hört.« »Der Kaiser besinnt sich sehr lange. Der Friedländer wartet und wartet.« Der Herzog von Doria, dickwanstig, wie er auf dem Hengst saß, brüllte vor Lachen so, daß man sich vorn umsah und sie seitwärts reiten mußten: »Leckermäulchen. Leckermäulchen. Wartet nur mit. Seid nur so gnädig. Bringt Euch nicht um vor Gier. Kuriosa von Regensburg. Wallenstein ist auf dem Sprung nach Norden, Süden, Westen; springt er auf Italien, Elsaß oder Regensburg? Mantua steht vor dem Fall, Casale auch. Die Kurfürsten werden dann die Schwänze einziehen. Es wird ihnen übel ergehen. Sie werden anbeten in Regensburg.« »Wir werden’s sehen.« »Wir werden’s, Leckermäulchen.«

Als auch die Kaiserin Eleonore durch ihre italienischen Begleiterinnen erfuhr, daß die Einnahme Mantuas bevorstände, tat sie im Kartäuserkloster einen Fußfall vor Pater Joseph und flehte ihn um Hilfe und Schutz an. Sie war unordentlich gekleidet; nur ihre Kämmerin ging hinter ihr und stand abgewandt an der Tür. Der leise Franzose tat die Läden zur Hälfte vor die Fenster, damit die Kaiserin sich nicht plötzlich im Hellen ihres Zustands schämte. Sie schluchzte den Boden um seine Füße naß, stammelte, winselte: »Mantua hin, Mantua hin«, und weiter brachte sie nichts hervor. Und er dachte, während er sitzend ihr zuredete, nach, was sie mit diesem Mantua hätte; es könne doch nicht Mantua sein. Wie er vom Kaiser sprach, rauschte sie mänadenhaft auf, feindselig schlug sie die Fäuste gegeneinander, ohne mehr zu rasseln als: »Er, er, er«, stürzte vor seinem Blick wieder wie abgebrochen hin.

Er riet ihr, ihren Scheitel berührend, eine Weile Regensburg zu verlassen. Nach einer Weile war sie ruhiger, drehte sich noch kniend nach der Dienerin um, wies sie kurz hinaus. Sie trocknete sich das Gesicht ab, ging zu seiner Verwunderung zum Fenster, bat, die Läden zu öffnen. Da atmete sie ihre Brust ruhig. Sie war ganz die Kaiserin Eleonore, schien keine Scham über ihren Zustand zu haben, erwog sanft und ehrerbietig mit ihm die Lage. Der Welsche genoß verschwiegen und entzückt ihre hüllenlose Gelassenheit; sie bewegte sich keusch vor ihm, als wäre er das Wasser, in dem sie badete. Sie sollte Regensburg und den Kaiser verlassen, bis er von seinem sündhaften Vorhaben abgegangen wäre. Ohne Trauer, sicher, mit gesenkten Augen, verabschiedete sie sich von dem Priester, der das Zeichen über sie machte.

Vier Tage darauf wurde Ferdinand, als er nach ihr schickte, zugetragen, daß sie und ihre Kämmerin nicht zu finden seien. Er las in ihrem leeren Empfangssaal, in dem die Luft vom Qualm der ganz abgebrannten hohen Kerzen erfüllt war – über einem Stollenschränkchen im Winkel sorglich hingebreitet die Schärpe mit seinem Namenszug, die er ihr vor der Hochzeit geschenkt hatte –, daß sie den schweren Ereignissen des Augenblicks und der Zukunft an einem stillen Platz auswiche. Sie werde versuchen, für den Frieden auch seiner Seele zu beten.

Er dachte vor der Schärpe an ihre Begegnung in der Hofkirche zu Innsbruck. Vor dem Altar sahen sie sich, von Priestern einander zugeführt. Er, nach den würgenden Griffen des bayrischen Maximilian, gramzerrissen, hilfesuchend, unter den ungeheuren Prunkmänteln, den Agraffen Spitzen Bordüren, das verquollene ältliche Wesen, versteckt in der Schale, mißtrauisch und leidend. In hochrotem Kostüm sie; die Perlenkrone auf dem braunen spröden Haar hatte nicht mehr Farbe als ihr kleines Gesicht mit den drolligen dicken Augenbrauen und dem unentwickelten Mund. Wie sich sein Herz vor ihr in Haß leise zusammenzog. Vor Eleonore. Unter der Monstranz saß Maria und die Engel sangen. Jetzt lief das Kind von ihm weg, hatte sein Spielzeug nicht bekommen. Durch irgendein Städtchen, ein Kloster lief sie klagend, gedachte ihm wehe zu tun. Ihm wehe zu tun.

Die Stirn gerunzelt, stand er vor dem Stollenschränkchen. Neulich war der Jude und sein Weib verbrannt worden. Wie ein Funken vom Dach lief die Erinnerung durch ihn und erlosch. Je mehr er die Schärpe ansah, war er lieblich von ihr befangen. Seine Finger nahmen sie zart an den Enden hoch. »Was ist es für eine schöne Purpurfarbe«, dachte es in ihm. Es gibt Dinge in der Welt von großer Schönheit, und Dinge von minderer Schönheit: das erfüllte ihn. Die Schärpe legte er sich sanft, fast kokett um die Hüfte über seinen Silbergurt. Die Damen blickte der Herr unter dem weißen Reiherhut schelmisch an; ob es nicht ein prächtiges Stück sei, diese Schleife. Ein guter Einfall der Kaiserin, sie einmal herauszuhängen. Hängte sich das Band an den Gurt, lud, den Mantel zusammenziehend, sanft die Damen zu einem außerordentlichen Karussell ein.


DUMPFES WIEGEN der Parteien. Dumpfes Warten und Verharren der geistlichen Kurfürsten. Die kaiserlichen Räte, auf Regensburg mit Widerwillen gezogen, immer stärker der Verwirrung und dem Schrecken der Situation erliegend. Sie fühlten schon, daß sie sich zwischen zwei Feuer begaben, als sie das Schiff in Wien bestiegen. Sie fühlten, daß es biegen oder brechen hieß; sie sollten es entscheiden, wichen leidend, ratlos, zerrissen zurück. Ihr Entsetzen über die Krankheit Eggenbergs; es war wie eine Rache des alten Fürsten; er hatte ihnen den Teller mit der Giftsuppe zugeschoben, die sie sich bereitet hatten. Man schickte Briefe, Kuriere nach Eggenberg, er hatte in Wien vor der gräßlich sich erhebenden Machtprobe gewarnt, er war ihr Haupt, dem Kaiser lieb; jetzt schoben sich zweideutige Welsche und Jesuväter an seinen Platz. Eggenberg war nirgends zu finden; er reiste, hieß es. Sie mußten in allen Ratsstuben herumhorchen, bezahlten Spione in den fürstlichen Kanzleien. Vergessen der glanzvolle Plan der Königswahl. Die Stunde mußte kommen, wo man – unausdenkbar – kapitulierte vor den Kurfürsten oder – niemand faßte sich das Herz – die Kroaten herrief, damit sie das Kollegium aufhoben, die Kurfürsten gefangennahmen. Sie barmten und fluchten. Der Bayer hielt die Kurfürsten eisern gefesselt; sie mußten bleiben. Er ließ sie täglich durch den Brabanter Grafen besuchen, kontrollieren; die geistlichen Herren bemerkten, ohne es gegeneinander auszusprechen, daß sie die Wahl hatten, Gefangene des Kaisers oder des Wittelsbachers zu sein. Sie besprachen sich, um sich aus ihrer Lage zu befreien, mit dem päpstlichen Legaten Rocci, der ihnen die sicherste Gewißheit geben wollte, daß in Kürze, in nächster Kürze alles zum Guten gewendet werde. Einzeln und gemeinsam fragten sie beklommen den Franzosen nach seiner Auffassung. Er versicherte sie der innigsten Teilnahme des französischen Königs, der sich überall der Unterdrückten annehme, wie es Christenpflicht sei; sie flehten ihn in aller Heimlichkeit an: ob sie sich auf seine Hilfe verlassen könnten.

Brulart hatte inzwischen noch einen andern Gast: den Pfälzer Vertreter Rusdorf, der mit einer kleinen Begleitung eingetroffen war. Rusdorf sah sich neugierig in dieser Umgebung um, bemerkte zu seiner Verwunderung, daß die gehaßten Bayern ihm freundliche Worte gaben. Er attachierte sich an die welsche Opposition. Marquis de Brulart und Pater Joseph berichteten ihm mit Vergnügen von der Unordnung im deutschen Lager; Rusdorf tuschelte entzückt geheime Neuigkeiten von dem Schweden: »Drängt sie nicht, Exzellenz. Laßt sie zanken: warum wollt Ihr Wallenstein verjagen? Laßt Wallenstein und Tilly sich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Inzwischen trifft der Schwede ein.« Entzückt schrieb Rusdorf nach dem Haag von der kostbaren deutschen Situation; die Geier schlügen sich um die Beute, einer wolle dem andern an den Leib. Er säße mit den Franzosen behaglich dazwischen; sie keiften rechts, wimmerten links, hetzten weidlich, daß der Satan dabei grunze.

Die Ankunft des jesuitischen Abgesandten fiel in der Stadt nicht auf. Schwallartig füllten sich zu bestimmten Stunden Gassen und Plätze zu Andachten Märkten Gerichten Komödien. In den Hallengängen der einstöckigen Häuschen lungerten Händler vor ihren Auslagen, hielten Passanten fest. Fürkäufer, die vor den Toren den Bauern die Ware abgekauft hatten, wurden vom Büttel getrieben. Unter den zu- und ablaufenden Fremden vor den Gasthäusern walteten die städtischen Gewaltboten mit Visitationen Inquisitionen. Die Leibwachen der hohen Fürsten patrouillierten mit Hellebarden nahe ihren Herbergen, verjagten Krüppel und Bettler. Morgendlich fuhren sehr langsam in Prachtkutschen sechs- und zehnspännig die Herren in die Kirchen. Die Spieße der Berittenen vorauf und hinterdrein; der Kaiser in die Pfarrkirche zu Unserer Lieben Frau, auf deren reichem Altar ein Beutestück prangte: das goldene Marienbild, auf der Brust ein Herz aus Rubin geschnitten; die Hoheiten und Durchlauchten und ihr Gefolge bei den Augustinern, Barfüßern, im Spital. Neben den Kutschen zu Fuß die Geistlichen, durch den tiefen Kot, zwischen den gakkernden Hühnern, manchmal getriebenem Vieh ausweichend. Bischöfe, Domherren, Kapläne, Vikare, die schwarzseidenen Hüte quastenschwenkend rechts und links, violette Hüte. Priester schwatzend in schwarzen Soutanen, weißen Chorhemden, auf dem gesenkten Kopf das schwarze Sodalenkäppchen. Schwärme von eiligen Chorknaben in weißen Umhängen, klappend mit ihren Rosenkränzen. Gelegentlich durch das Geschrei der Zuckerküchler Kesselflicker Kaminfeger in offener Sänfte ein schwarzäugiger Kardinal; den breitrandigen flachen Hut mit mächtigem Quastenbehang trugen Diener voraus; er selbst blickte mit runzligem Gesicht um sich in purpurner Soutane.

Sie beschlichen ihn im Bischofshof, die Jesuiten, Dominikaner, Franzosen, Spanier. Durch einen gewaltigen Schwung, den der Kaiser sich gab, bekam das Leben an seinem Hofe einen prächtigen geräuschvollen Zug. Als wollte er zeigen, wer er war, schüttelte er den Druck, der auf ihm und seiner Umgebung lag, ab, begann in Regensburg zu residieren, als hätte er vor, hier jahrelang zu hausen. Zu den ungeheuren Massen von Bedienten mußten noch Baumeister Tapezierer Maurer Schreiner und andere Gewerke aus Niederösterreich herüberkommen, eine Zahl Nachbarhäuser, die der Magistrat dem Hof vermietet hatte, für seine Zwecke herrichten, als Gemäldegalerie, Kunstkammer, astrologisches Kabinett. Er ließ sich seine Vogelsammlung anfahren. Man baute die Fundamente für ein großes Aquarium, eine Schauspielbühne. Alchimisten aus Wien wurden eingeladen; der alte polnische Taschenspieler und Alchimist Sendiwoj von Skorsko, ein Günstling Kaiser Rudolfs, schweifte an. Die Lust am Bankettieren wurde rege. Und nun erst kamen die Prunktafeln zu Ehren, die die Stadt im Bischofspalast und in der Abtei der Kartause Prüll aufgestellt hatte. Die schmetternden Musikkapellen ritten hinaus an der Spitze des Hofes.

Die Kurfürsten wurden nacheinander eingeladen; sie erschienen herausfordernd, in ärmlichem Aufzug, Ferdinand pokulierte mit ihnen vor dem ganzen Hofe. Er ignorierte ihre steifen widerspenstigen Manieren.

Und nach langen Bemühungen, zahllosen Sonderkurieren glückte es ihm, den Herzog von Friedland herüber nach Regensburg, in seine neue Residenz, zu ziehen. Die Stadt schwang vor Erregung unter der Ankunft des Feldherrn. Zweihundert bis auf die Zähne bewaffnete Leibwächter eskortierten ihn. Der Weg wimmelte von leichten Kroaten; eine leere kaiserliche Prunkkarosse empfing ihn am Tor. Erstorben die Stadt, die geistlichen Herren in ihren Quartieren; die Welschen lachten höhnisch. Wie Eroberer zogen die Friedländischen ein, einen halben Tag dauerte der Besuch. Ferdinand zeigte dem Herzog seine Anlagen, schmauste mit ihm. Zur Linken des Generals saß der glückberstende fette Herzog von Doria.

Die Jesuiten beschlichen den Kaiser im Bischofspalast. Zu ihrer Verwunderung wurden sie vom Kaiser mit großem Verlangen angenommen; sie glaubten, er sei weich geworden durch die Flucht der Mantuanerin; er ließ sich stundenlang von ihnen erzählen, was sie wollten, ruhte unter ihren Gesprächen aus. Sie stellten fest, daß er nicht gequält wurde durch das, was sie vorbrachten. Er schien sich unter ihren Sätzen gesättigt und dankbar zu strecken; stärker und gelassener erhob er sich von diesen Gesprächen.

Dann setzte sich langsam, fast hoffnungslos der große Lamormain in Bewegung. Es konnte nicht sein, daß er den Gehorsam verweigerte; die Welt konnte untergehen, das Befohlene war zu vollziehen. Er kannte, wie er, seinen viereckigen Hut haltend, stockgestützt vor Ferdinand stand, nicht den Kaiser Ferdinand, den Papst, den Pater Lamormain; die vier Gelübde hatte er abgelegt, seine Mission erfüllte er, der eisern konstruierte Apparat. Bitter hatte er sich bei seinem abirrenden Spaziergang dem Dunstkreis der klingelnden jubelnden Stadt wieder genähert, die Sommerzelte der Dienerschaften passierte er, kleine Truppenbiwaks, Massen von Herden, Heuwagen. Bitter näherte er sich dem weithin abgesperrten Bischofspalast. Er atmete beim Anruf der ersten Wachen auf; als wenn eine Kapsel in ihm aufsprang und sich wieder schloß, war ihm; noch starrer zog er sich hoch, streckte sich in seinem gewaltigen Leib.

Er prüfte im Beichtstuhl den Kaiser, sein Hochmut war sicher, läßliche Sünden traten hervor; er bestrafte ihn mit nächtlichen Bußen. Ferdinand, noch schwach von seiner Krankheit, bat um Nachlaß; der Pater schlug es ab. Als nach einigen Tagen Ferdinand, weißer als sonst, aber aufrecht, lächelnd gemahnt hatte, er hätte auf diesem Kongreß große Aufgaben zu lösen, er fürchte, ihnen nicht gewachsen zu sein, beschied ihn der Pater, ob er meine, die Aufgaben gegen den Himmel ließen einen Aufschub zu und die Pflichten gegen den Kongreß seien belangvoller als die gegen Gott. Auch er sah zu seiner Verwunderung, daß der Kaiser, obwohl ihm die Ausführung der Bußen schwerfiel, sich in sie demütig, zustimmend einfand, ja sich ihrer bemächtigte und durch sie in nichts erniedrigt werden konnte. Lamormain, an dem Kaiser tastend, fand einen andern Menschen vor als den, den er nach dem Münchener Unglück unterworfen hatte. Sein Erstaunen über diesen Menschen war so groß, daß er eine Unruhe in sich fühlte, öfter den Wunsch hatte, mit dem scharfen Lessius über die schreckliche Sachlage zu sprechen, wenn er sich nicht geschämt hätte und ihm nicht klargeworden wäre, daß er nur zu gehorchen hatte.

In der Kirche der Jesuiten wie im Kloster sah man niemand um diese Zeit so lange sitzen und beten als den grauen riesigen Pater Lamormain. Wie ein Kind, das nach langer Abwesenheit reif und klug und überraschend schon zurückkehrt, oder wie ein Kirschbaum, der nach einem Mairegen plötzlich sich in einen weißen lieblichen Blütenträger verwandelt, so war dieser Habsburger geworden und gegen diese Zartheit sollten Waffen erhoben werden. Der Pater war glücklich, sich mit dem Gehorsam abzublenden. Zu Lessius ging er hinaus: er werde wohl, wenn ihm mit Gottes Hilfe dieses Werk gelungen sei, bitten, ihm sein Amt beim Kaiser abzunehmen. Der schwarze Lessius unbewegt: dies zu prüfen sei Sache des Generals Vitelleschi.

Durch den geschwätzigen Kardinal Rocci erfuhren der Kurfürst Maximilian und Pater Joseph, daß die Jesuiten sich ihnen angeschlossen hätten: sie jauchzten, die mächtigen Jesuiten würden Ferdinand völlig brechen. Brulart meldete nach Paris, der deutsche Kaiser sei wie ein Wild jetzt von den Hunden gestellt; sie hätten auch ihr Teil an dem Jagdverlauf, wie erst mündlich berichtet werden könne. Und Spione trugen die gefährliche Nachricht nach Memmingen.

Aber Pater Lamormain ging mit Ferdinand um wie der Arzt mit einem Kind, dem man keine Schmerzen bereiten will bei der notwendigen Operation, mit Sanftheit und über alles hinwegtäuschend. Er ging mit dem Kaiser in einer Weise liebreich um, daß der Kaiser in seinen eigenen Willen aufnahm, was der Pater ihm zutrug, und meinte von sich aus alles zu finden und von sich aus den Weg zu gehen, den man ihn zwang. Lamormain leise begehrend, aber nicht fähig, von sich abzuwälzen, was ihm aufgetragen war, wünschte innig, sein Beichtkind an sich ziehend, den Triumph seiner Gegner nichtig zu machen und hier nichts zu ändern. Ein Brieflein des Vitelleschi war ihm gebracht worden, darin hieß es: »Der Papst Urban ist uns nicht gnädig, denk daran, Bruder Lamormain, du frommer Christ.« Wie Irrlichter kreuzten seinen täglichen Weg zum Kaiser die buntgemäntelten französischen Kavaliere, die bösen verschwiegenen Herren; er erschrak vor ihnen.

Er widmete sich inniger dem Kaiser. Morgens und abends aber las ihm ein junger Scholar den Brief vor: »Der Papst Urban ist uns nicht gnädig; denk daran, Bruder Lamormain, du frommer Christ.«

Mariä Himmelfahrt; mit Körben voll Obst und Kräutern gingen hinter Fähnchen und bunten Figuren die weißen Kinderscharen in die Kirchen; viele trugen Birnen- und Apfelzweige, auf denen Holzvögel saßen. Kavaliere ritten barhäuptig neben den Sänften ihrer Damen. Studenten fuhren neugierig auf Troßwagen durch Gassen, über Märkte vorüber an den breitbeinigen Trabantenwachen der Römischen Majestät und geistlichen Kurfürsten. Pfeifer und Flötenspieler zwischen ihnen, bald nach rechts, bald nach links herunterblasend. Franzosen traten mit Fächern aus ihren Quartieren, wichen zurück, wie die Studenten höhnend und drohend ihre schweren Säbel schwangen.

Weit war aller Verkehr von dem Bischofspalast abgedrängt, seit dem Kaiser von seinen Beratern eine Entscheidung nahegelegt war. Er verließ meist die saalartigen Wohn- und Empfangsräume. In einem schmalen Musikzimmer nach dem Garten zu fand man ihn bei Tag. Der Fußboden einfach gedielt, der Raum wild ornamental verschnörkelt. Flammenräder in Gelb und Rot an die Wand gemalt, eins neben dem andern. Flammenräder, deren Achsen Strahlen warfen. Die Strahlen fuhren aus immer neuen grellbunten Rädern über die Wände; inmitten der Längswand gebannt in Ruhe ein Viereck in Gold von byzantinischer Strenge; große gotische Buchstaben mahnten rot an die Stille des himmlischen Reiches. Darüber ein schwarzes Kreuz, zu seinen Füßen die Ebenholzfiguren Marias und Johannes’. Ein einziges riesiges Fenster in die Gegenwand gebrochen, breit das dicke Mauerwerk durchdringend. Im Raume unter dem Kruzifix eine breite gepolsterte Sitzbank, mit Decken belagert, eine geschnitzte Truhe neben der Tür. Gedämpft klangen die Stimmen in dem gewölbten steinversenkten Zimmer.

Mit Herzlichkeit sah sich Lamormain an dem heißen Tage empfangen, Ferdinand zog ihn ernst an sich. »Es ist nicht möglich«, sagte er, »in Dingen solcher Wichtigkeit nur mit weltlicher Vernunft auszukommen. Wo so Ungeheures und Ernstes auf dem Spiel steht, muß ich den Heiland und die Jungfrau bitten, daß sie mir Hilfe bei den Entschlüssen leihen.« Sie plauderten von Ferdinands Erziehung in Ingolstadt und von seinen Lehrern, Gregor von Valencia, dem berühmten Mann, dem Historiker Gretser.

Ferdinand öffnete träumend den Mund zum Oval; er hätte es leicht gehabt, auf den rechten Weg zu gelangen, seiner Mutter hätte der Glaube am Herzen gelegen; es sei ihm in Erinnerung, daß sie oft erzählte, wie Khevenhüller, der Gesandte in Madrid, ihr einprägte, es hinge ewiges wie zeitliches Wohl der Kinder davon ab, wem ihre Erziehung anvertraut werde; Leute müßten es sein, die innerlich wie äußerlich untadelige Katholiken seien. »Ich habe es darin gut getroffen; wie haben mich Gregor und Gretser geführt; dann Pater Becanus, mein würdiger entschlafener Beichtvater, Dominicus a Sancta Maria, der nun auch in Gott ruht. Nun habe ich Euch, Pater Lamormain. Ich sehe auf Schritt und Tritt, daß Gott mich segnet.«

Lamormain, sein krankes Bein ausgestreckt, saß gebeugt und verwirrt auf der Truhe. Das Trillern der Studenten, Rufen der Hatschiere klang herein. Er hätte, brachte er leise hervor, das Amt eines Beichtvaters des Kaisers zögernd angenommen; hätte in Ruhe im Coemeterium des heiligen Kalixtus Ausgrabungen gemacht von heiligen Leibern, die den Jesuitenkollegien Schutz und Segen geworden seien; am Schluß der Romreise, wo er den achten Urban gesprochen hätte, den er schon als Kardinal Barberini kannte, hätte er seine acht Exerzitien gemacht, um sich den Studien und der Lehre der Syntax und Rhetorik zu widmen: da bestimmte ihn der Pater Vitelleschi zum Beichtvater; eine große Auszeichnung und ein schweres Amt, einen Fürsten geistlich zu führen, eine Aufgabe, die man kaum bewältigen kann. Es gab einen frommen Pater Claudius, der fünfte General der Gesellschaft Jesu, der schrieb aus dem Drang seines Herzens und seiner Besorgnis einen Beichtspiegel für die Geistlichen der Fürsten, und überließ letzten Endes doch alles sich selbst. Denn wo soll man im Leben eines Herrschers zwischen Politik und geistlichem Gebiet scheiden.

Ferdinand, halb liegend, den Kopf über den verschränkten Armen, hörte aufmerksam zu. Er redete, sich oft mit Lächeln unterbrechend und eine Antwort des Paters abwartend. Vielleicht sei es nicht unzweckmäßig, was jener Beichtspiegel den geistlichen Beratern empfehle; er bedaure, daß ihm dies gewiß sehr interessante Buch nicht zugänglich sei; aber es gäbe sicherlich genug Fürsten, die grausig eigensinnig seien; sie erinnerten ihn an Narren, die ein Bein mit einer Menschenhose bekleideten, das andere mit Vogelfedern und Krallen. Er sei nicht mehr jung genug zu solchen Scherzen oder sogenannten strengen Trennungen; ja, es freue ihn, daß Lamormain erkenne, wie schwierig, wie unmöglich die Trennung von Politik und geistlichem Gebiet sei. »Denn seht, Pater Lamormain, wozu haben wir die langen Jahre in Ingolstadt verbracht und warum hat man uns so unsäglich behütet vor der Ansteckung der Ketzerei: nur damit wir fleißig und sorgfältig zur Messe gehen, zur Vesper, beichten? Es hätte dazu der großen Mühe nicht bedurft. Ich bin kein Kaiser von der Art der grimmigen Salier, Ihr entsinnt Euch, die gegen die Päpste Sturm liefen. Was will man eigentlich. Die Masse des Lebens, auch des politischen, mit dem Geiste der christlichen Kirche durchdringen: eine größere Aufgabe kann ich mir nicht denken.«

»Eure Majestät haben mir meine Aufgabe nie schwer gemacht.«

Ernst flüsterte der Kaiser, einen Finger hebend, gegen Lamormain, ganz hochgestützt: »Pater, ja ich muß Euch verraten, was ich schon bisweilen geträumt habe, in jüngster Zeit. Daß wir Nebenbuhler sind, der Papst und ich. Aber anders, als man es sonst meint. Ich meine im Geistlichen. Ich bin nicht sein Vogt, sein Schwert. Ich will die Kirche nicht neben mir haben, darum habe ich die Jesuiten zu mir gerufen, so viele sollen kommen, als erzogen werden, sie sind besser als Soldaten für mich. Das Heilige Reich muß selbst eine große Kirche sein.«

»Der Heilige Vater würde sich sehr freuen, eine so fromme Gesinnung von Euch zu hören. Er weiß, welche Hilfe die Vorsehung ihm in Euch gegeben hat.«

»Und Ihr, Pater, was denkt Ihr über die schwebenden Dinge? Ihr haltet so zurück. Mißtraut Ihr mir – noch immer.« Ferdinand lächelte ihn an. Lamormain senkte den Kopf. Ferdinand leise, fast zärtlich: »Ich bin Euch ja zu so vielem Dank verpflichtet.«

»Es ist die Furcht oder die Beklemmung, sich auf einem Wege zu sehen, von dem man nicht weiß, ob man ihn mit Recht betritt.«

Erregt drehte sich Ferdinand gegen ihn, die Arme hebend: »Ich kenne solche Wege nicht, die ich gehe und die Ihr nicht gehen dürft. Ich habe es Euch gesagt. Ich will sie nicht kennen.«

»Warum wollt Ihr mich hören?«

»Seht, Pater Lamormain, ich will mir nicht unrecht tun. Ich brauche Euch nicht, weil ich unsicher bin oder weil ich mich fürchte. Aber ich – habe Euch hier, Eure Stimme ist mir wie eines Vaters. Wollt Euch nicht zurückhalten, versagt Euch mir nicht. Es ist mir eine Wohltat, Eure Seele diese Dinge berühren zu sehen.«

»Ich weiß, daß es mein Amt ist, Eure Seele zu führen. Wenn ich lange schwieg, – so geschah es, um Euch nicht zu betrüben.«

Der Kaiser bat, er möchte weitersprechen. Der Pater, sich zusammenkrampfend, nahm einen Anlauf. Er öffnete den Mund und ließ es schnurren. Wie die Worte klangen. Er hörte sich wie ein Fremder zu. Er schämte sich und blickte nicht auf. Was war ihm aufgelegt. Es sei nicht viel zu sprechen. Diese grauenvolle Verwüstung in Deutschland, diese Schrecken, die sich über die Alpen wälzen, Zwist im Reich, der Kaiser einsam: man müsse betrübt sein, wenn man an christlichen Frieden denke.

»So ratet, Pater. Ich habe nicht gelacht über diese Zeit.«

»Frieden. Frieden. Der Heiland, als er noch auf Erden wandelte, hat gesagt: Gebet Gott, was Gottes ist. Man redet zu viel: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Davon sind die Gassen und Plätze voll. Wer den Lärm in der Welt hört, denkt wohl an das Wort: Des reifen Getreides ist viel, der Arbeiter aber sind wenige, bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter auf sein Erntefeld schicke.«

Die Fältchen an Ferdinands Augenwinkeln zitterten, er drückte die Handteller zusammen, in der Ecke der Bank sitzend: »Ratet, Pater.«

»Du wahnsinniger Mensch«, schrie der Pater sich innerlich an, »du schlimmer Mensch. Du kannst dich nicht so schänden. Bruder Lamormain, der Heilige Vater denkt schlecht von uns.«

»Gebt mir Antwort, Majestät, wie Ihr selber hierüber denkt.«

Da wurde Ferdinand, nachdem er dem Pater einige Zeit in die blitzenden Räder gestarrt hatte, unruhig, stand auf: »Ich hab’ es Euch gesagt, man soll mich nicht für einen Gewaltherrn und römischen Cäsar verschreien.«

»Wenn Ihr kein Gewaltherr sein wollt, so ist es Euch bitter ergangen, daß alle Welt Euch verkennt und Euch für nichts als dies, für nichts als dies ansieht. Und wenn Ihr das weltliche Papsttum gründen wollt, so wird es wohl auch Euch bedünken, daß im Augenblick die Welt sehr anders blickt: aus Augen voll Grauen. Wie wollt Ihr dies vereinen: so mächtig dazustehen, daß man Euch wahrhaft Kaiser nennen muß, und so wenig das zu können, was Ihr wollt. Seht, nicht einmal soviel wie die Herrscher vor Euch, die viel schwächer waren.«

Dies mußte Lamormain alles sagen und hinlegen.

»Pater, der Heiland hat dies gesagt, was Ihr nanntet. Er hat aber auch gesagt, was Ihr selbst uns gepredigt habt, daß er nicht nur gekommen sei, Frieden auf Erden zu bringen, sondern Vater, Sohn, Mutter, Tochter und Schwieger gegeneinander zu erregen.«

»Wohl, so spricht Lukas: Zwietracht. Um das himmlische Feuer auf die Erde zu werfen.«

Ferdinand legte sich halb auf der Bank zurück; er sagte nichts. Nach einer langen Pause Lamormain: »Eure Majestät schweigt.«

Tonlos: »Ihr seht, daß ich schweige.«

Wie sich Ferdinand wieder zwischen den Teppichen zurechtgeschoben hatte, rieselte seine tonlose langsame Stimme: »Worauf sollen wir hinaus?«

»Es scheint, als ob Ihr etwas Irriges gemeint habt bis jetzt. Ihr glaubtet –«

»Ja, war ich kein Christ?«

Vor diesem weißen Blick, dieser langsamen erschütternden Stimme fand der Pater lange keine Antwort. Dann legte er viele Wärme und Herzlichkeit in seine Sprache und mußte sich sehr bezwingen, um sich nicht völlig bewältigen zu lassen: »Ihr wart die langen Jahre mein Beichtkind, Majestät; Ihr wart ein guter katholischer Christ. Als ich die kirchlichen Wünsche Eurer entschlafenen Gemahlin, der seligen Maria Anna, durchführte, bin ich Euch gefolgt in Eurer Gottesfurcht.«

»Seht Ihr Maria Anna an. Würde ich mit ihr so lange glückliche Jahre haben leben können ohne den rechten Glauben.«

»Ihr wart fromm.«

»Was ist?«

»Ich mache dem Menschen Ferdinand von Habsburg keine Vorwürfe. Der Römische Kaiser, der Deutsche König Ferdinand der Andere glaubte sich rühmen zu können, ein Nebenbuhler des Papstes zu sein. Inzwischen glaubt es niemand, sieht es niemand. Die katholischen Kurfürsten selber stehen gegen ihn.«

Er legte all das fragend hin; ein Wind hätte gegen ihn blasen können, und er wäre verstummt. Aber Ferdinand drängte zart immer weiter.

Nachdem der Kaiser sich fest mit dem Rücken gegen die Banklehne gedrückt hatte, schlug er mit mildem Ausdruck die Arme über der Brust zusammen, blickte mit zusammengezogenen Mienen auf die Gegenwand: »Indem mir dies Amt überkommen ist, habe ich es übernommen, die Geschäfte des Heiligen Reiches gewissenhaft zu versehen. Das ist meine Bibel, die mir an die Hand ging. Neben mir stand die Wahlkapitulation, das Reichsgrundgesetz, die Goldene Bulle. Man hat mich hergesetzt und mir vertraut. Das Weitere kommt von mir, die Macht und Verantwortung.«

Rotes Abendlicht zuckte sich ausbreitend über das sich rasch verdunkelnde Zimmer; der große Luxemburger stand vor der Truhe, den Kopf tief vor der Brust, die Hände gefaltet. So sei es, und nicht wie vorhin die Rede war. Wo sei jetzt von Christentum die Rede. Dann, als Ferdinand den bestimmten sicheren Ausdruck des schwingenden Gesichts nicht aufgab: der Kaiser möge überlegen, wie es mit ihm stünde. Als er den Kaiser verließ, saß der noch unbewegt mit der gleichen Miene vor der rotbestrahlten Wand, über der wild die grellen Flammenräder rasten.

Und mit derselben bestimmten klaren Miene empfing ihn gleich nach der Messe am nächsten Vormittag der Kaiser. Ferdinand, von gesünderer Farbe als sonst, bedauerte, gestern abgebrochen zu haben, er könne den Pater noch nicht dispensieren von diesem Thema. Darauf schüttelte er ihm die Hand, hieß ihn freundlich sich setzen. Es sei gewiß, daß er es sich überlegen müsse, wie es mit seinen Sachen stände. Gewiß müsse sich dies aber auch der Pater überlegen. Damit blickte er frei forschend den Luxemburger an: »Ich bleibe dabei, Ehrwürden, lieber Vater, mir sind nur Bulle, Reichsgesetz, Wahlkapitulation gegeben. Ihr meint, ich verfehle den christlichen Weg als Kaiser. Geht mir zur Hand.«

In großer Freude verneigte sich der Luxemburger, seine Stimme tief ehrerbietig. Diese Aufforderung und Bitte hat er erwartet; er weiß, daß der Kaiser nicht allein dies leisten kann; der Kaiser mußte es erst erkennen. Langsam erwog der Kaiser: »Ich habe es in der letzten Nacht selbst wieder angestaunt, Pater. Ich will es Euch nicht verheimlichen. Daß Kaiser und Kirche so aneinander vorbeiregieren. Der Kaiser hat seinen Palast, seine Burg, dazu Edle, Berater, Offiziere, Heere; der Papst hat die Geistlichkeit, den Vatikan, die Peterskirche, tausend Kapellen, Klöster und Kirchen. Der Papst gibt seine Gesetze, ich, meine Landesfürsten ebenso. Wir regieren dieselben Völker. Und – wir haben keine Berührung miteinander. Nun erst, in solchem einzelnen Augenblick, kommen wir zusammen. Um uns zu tadeln. Es ist kein gesundes Verhältnis.« Und dann legte Ferdinand, heimlich und inständig zu ihm redend, die Umstände dar, die zu diesem Kollegialtag führten, die gefährliche Situation, die heraufbeschworen sei. »Und ich habe die Entscheidung. Lehne ich sie ab: wißt Ihr, was geschieht? Wie wenn ein Pfeil abgedrückt wird, schießt von Südwesten mein Feldhauptmann heran, schlägt die Kurfürsten nieder, das Reich hat ein neues Gesicht. Ich will Euch gestehen, ich bange nicht, ich bin in keinerlei Sorgen. Wer Sorgen haben muß, sind die Kurfürsten des Reichs, die ich niederdrücken kann, wenn ich will. Ich kann sie hinlegen lassen, als wenn sie an Armen und Beinen gefesselt sind. Ich habe die Macht dazu.«

»Wie beschließt Ihr?«

»Nichts, noch nichts. Ich lasse die Herren warten. Ich kann mich ohne Zwang nach beiden Seiten entscheiden. Ich will ihnen kein Unrecht antun. Ich will mich ganz auf mich besinnen. Den Augenblick abwarten.«

»Wie große Macht hat Euch der Herr des Himmels verliehen. Wenn sich ein gemeiner Mann, ein Edler auf sich besinnen will, kann er in einen Winkel oder in die Kirche gehen; das Gespräch mit sich und Gott ist alles, was er vollbringt. Ihr habt so viel Freiheit, daß Eure Selbstbesinnung über Millionen Seelen verfügt.«

»Ich würde dies nicht wagen, wäre ich nicht Christ.«

»Majestät, mein Beichtkind, ich bin bei Euch in diesem Augenblick. Ich bin glücklich, daß Ihr mich ruft. Habt Ihr Furcht oder Beklemmung, den Herzog zu entlassen?«

»Nein. Ich bin ihm dankbar. Aber ich verfüge über ihn.«

»Ist es Euch schlimm, die Kurfürsten zu unterdrücken?«

»Ihnen soll kein Unrecht geschehen. Sie werden mich durch ihr Gebaren nicht zum Unrecht verleiten. Wenn es sein muß, werden sie beseitigt werden.«

»Sie sind fromme Männer, darunter Bischöfe der Kirche.«

»Mein Feldhauptmann hat mich wieder in den Besitz meiner Erbkönigreiche und Länder gebracht. Er hat das Heilige Römische Reich vergrößert und mächtig gemacht wie keiner dieser Kurfürsten.«

»So laßt ihn hermarschieren, die Kurfürsten verjagen oder in Eisen legen.« »Wenn es gut ist, daß dies geschieht, soll es den Kurfürsten bereitet werden.«

Der Pater schüttelte langsam und lange den Kopf, studierte seine Handteller, rieb sich die Schläfe; plötzlich legte er die Hände zusammen.

Jetzt, fühlte der Pater, war er im Begriff, den Kaiser zu schänden. Jetzt konnte er die Zertrümmerung vornehmen. Ferdinand setzte sich nicht zur Wehr. Das reine Gesicht konnte er verwüsten.

Und plötzlich war es ihm in die Seele gelegt, das Geschick zu versuchen. Er hatte gebetet, ihn vor Sünde zu bewahren. Aber er ging schon führungslos den Weg. Und während er zitterte, kam aus ihm heraus: »Ich finde keinen Gesichtspunkt.« Und fühlte dabei, seinen Kopf duckend, die Stirn von einem nassen Schauer überzogen, daß er in einer Krise stand und daß ihm weiter nichts mehr übrigblieb. Er flehte und sündigte in einem Atem. Lächelnd weitete sich das Gesicht des Kaisers, er breitete gegen ihn die Arme aus: »Nun, lieber Vater Lamormain, so werde ich wohl keine große Schuld begehen können.«

»Sprecht Ihr selbst«, drängte angstgetrieben der andere, »haltet Euch nicht zurück. Kommt heraus.«

In Ferdinand wallte es, seine mageren Wangen zitterten, sein Blick wurde stier: »Ihr wollt mich versuchen. Ich habe nichts mit Wallenstein und nichts mit den Kurfürsten. Es soll sich keiner von beiden anmaßen, daß ihm Unrecht von mir geschehen soll. So ruhig wie einer einen Würfelbecher umstülpt und die Kugeln zählt, wird mein Entschluß erfolgen. Wißt Ihr –«, er flüsterte geheimnisvoll, »warum ich dies kann? Weil ich die Macht habe. Ich kann den Augenblick abwarten. Sie wird mir nicht genommen werden.«

Wie durch ein Bad von Pein wurde der Leib des Paters gezogen, er konnte sich nicht rühren, in ihm schrie es, die Bannung möchte weichen.

»Seht, Pater, so unumschränkt verfüge ich in dieser Sache, daß ich mich versucht fühle, die Entscheidung von einer Kinderei abhängen zu lassen: ich rufe meinen Kammerdiener, und tritt er mit dem linken Fuß über die Schwelle, hat Wallenstein gesiegt, mit dem rechten die Kurfürsten.« Da preßte Lamormain hervor, dunkel hörte er sich seufzen: »Lästerung.«

Langsam wankte Ferdinand auf ihn, griff seine linke Hand, die er sich an die Brust zog und drückte: »Ihr seid mein Freund. Ihr werdet nicht verraten, was ich unternehmen will. Es wird bald ruchbar sein, ich möchte es einige Zeit bei mir behalten. Wißt Ihr, warum? Um mich daran zu weiden. Denn sobald ich es herausgesetzt habe, wird man es umgehen und erklären und wird seine Torheiten und Roheiten über meinen Entschluß häufen. Ich will ihn einige Tage bei mir behalten. Ihr werdet zugeben, daß ich Grund dazu habe. Ihr sollt euch mit mir freuen daran, mein lieber Freund.«

Der Kaiser schien zu delirieren. Seine Brust wogte auf und ab. Er schien sich mit den Händen des Paters beruhigen zu wollen. Seine Augen konnten sich an keinem Punkt befestigen. Sein Mund schnappte wortlos, die Lippen von Wasser überflossen; dabei knickten seine Knie häufig ein. In ihm strömte es dumpf: ich folge, ich folge, ich halte mich nicht zurück.

Der Jesuit stöhnend, in großer Furcht: »Welche Lösung Ihr auch findet, ich flehe Euch an, daß Ihr in diesem Augenblick nichts beschließet. Ich rufe Euch an, Majestät.«

Schreiend, lachend, die Last aus sich wälzend, der Kaiser: »Mir sollt Ihr es nicht verwehren, in diesem Augenblick zu sprechen. Wann soll ich zu einem Entschluß kommen, wenn nicht jetzt. Wie soll das aussehen, was ich meinen Entschluß nennen soll, als was ich jetzt in mir habe.«

»Ich will es nicht hören, laßt davon ab.«

»Doch müßt Ihr es hören, Pater, doch. Ihr sollt mir sagen, was Ihr denkt. Ihr seid der einzige, der daran teilhaben soll, und könnt Euch mir nicht verschließen.«

Der riesige Mann rang mit dem Kaiser, suchte ihn an die Bank zu führen. Der wollte mit den fliegenden Augen vergeblich ihm ins Gesicht sehen: »Wie seid Ihr, Pater.«

»Setzt Euch. Besinnt Euch. Wollt Ihr Wein?«

»Hört einmal. Laßt mein Wams. Liebster Pater.«

»Ich will Euch nicht hören, Majestät.«

Ferdinand, auf die Bank gedrückt, blickte sprachlos an dem schwarzen Rock, dem strengen Kinn hoch; erzitterte stark. In seinem Gesicht stand ein verzerrtes, unklares, fragendes Lächeln, er hauchte: »Was ist das? Was hab’ ich verbrochen?«

»Der Satan bewältigt Euch.«

»Ich weiß alles, was kommen wird.«

»Seid still. Herr, führe uns nicht in Versuchung.«

»Pater, leibhaftig steht vor mir, was kommen wird, wie Ihr.«

»Herr, führe uns nicht in Versuchung. Schließt die Augen, seht nicht um Euch. Betet mit mir.«

Als er gemurmelt hatte, haftete der starre helle Blick Ferdinands an der Stirn des Jesuiten: »Es ist noch alles wie vorher. Ich kann mich kaum bezähmen, zu Euch zu sprechen.«

Lamormain, in der furchtbaren Angst über die Dinge, die er heraufbeschwören mußte, hielt sich kniend für sich, preßte den Rosenkranz an seine Lippen. Die Strafe raste über ihn. Von rückwärts berührte ihn der sehr stille Ferdinand: »Ich weiß: Eure Aufgabe ist schwer. Eure Qual ist groß. Ich will Euch gehorchen. Was habe ich zu tun?«

Da brachte der Pater in der Bitterkeit der Verzweiflung hervor, fast brüllend stieß er es aus sich heraus: »Ihr müßt den Herzog verabschieden, nicht behalten.«

Über die Schulter des Knienden beugte sich der Kaiser von rückwärts, ganz naiv unerstaunt, streichelte seinen Arm. Ja, dies hätte er beschlossen: ob wohl der Papst etwas anderes beschlossen habe?

Und als sich Lamormain entsetzt herumwarf, murmelte Ferdinand, die Arme verschränkend, so hätte der Pater selbst gesagt, was ihm, dem Kaiser, nicht gestattet war.

»Ihr werdet Euch des Herzogs begeben? Der Krieg um Mantua soll aufhören?«

»Seht Ihr, wie Ihr alles wißt. Und jetzt sagt Ihr selbst alles.« »Mein Heiland, Ihr! Ihr! – Wie wird Euch der Heilige Vater loben, wie werden Euch die Fürsten loben.«

»Seht Ihr«, lächelte Ferdinand völlig ruhig und freudig stolz wie ein beschenktes kleines Mädchen. »Und warum durfte ich es nicht sagen?«

Um Mittag kam der Luxemburger, noch immer fassungslos und verstört sich zerknirschend, in das bischöfliche Musikzimmer. Dem Kaiser sagte er, er käme sich zu weiden an seinem Beschlusse.

»Leise, leise«, warnte der andere.

Ferdinand bog sich über den Fensterrahmen; es zirpte von unten herauf, Fasanen stürmten über den Sand. Ja, man könne froh sein; das sei nun eine Säule in ihm und die sei nicht umzustürzen. »Ich freue mich, Pater, daß Ihr mich hören wollt. Es ist geschehen in meiner grenzenlosen Liebe zu beiden, zum Herzog und zu den Fürsten. Jedem habe ich ein Liebes angetan. Jeden an seinen Platz geführt.«

Der Jesuit saß ratlos ungläubig vor den mysteriös gesprochenen Worten. »Ihr wolltet ein Unglück vermeiden«, fragte er gequält. Er hatte kaum ein Ohr für das, was er hörte. Er war in seiner Verwirrtheit hierher getrieben worden, um sich zu beruhigen. Was soll mit mir geschehen, fragte er sich. Er verzerrte sein Gesicht: »Ich freu’ mich ja mit Euch.« Er suchte ein freundliches Wort vom Kaiser zu erbetteln, und daß Ferdinand ihn anblickte, ihn erkannte, ihm half.

Der Kaiser blieb still. Er hatte einen milden nachdenklichen Ausdruck, hielt den Kopf leicht auf die rechte Schulter geneigt: »Sie dachten mich mit Anwürfen zu reizen, die Kaiserin grollt mit mir, weint irgendwo. Der Herzog war auf dem Sprung, es fehlte nur mein Signal. Wozu dies alles. Kommt jedes zu seiner rechten Stunde.« Und dann wandten sich seine sehr ruhigen, ganz hellen Augen dem sitzenden Pater zu; er lächelte ihn an: »Seid froh, daß Ihr nicht die Verantwortung habt. Ihr hättet Euch nicht regen können vor der Gewalt, die man Euch antäte.« Er faßte den Pater bei den Händen, zog ihn hoch, legte, neben ihn tretend, seinen rechten Arm unter den linken Lamormains: »Aufgeregt seid Ihr, Lamormain! Ihr blickt noch ganz wirr. Laßt es fallen. Nur sinken lassen. Es geht schon. Kommt.«

Sie gingen zusammen in den Garten. Wie ein krankes Kind ließ sich Lamormain führen. Er fror, war demütig und fühlte, daß ihm verziehen werde.

Sie gingen zusammen zwischen den Beeten. Der Fürst blinzelte die Reseden und Hühner an. Er freute sich seiner Blindheit.


ALS DER Kaiser vier Tage hatte verstreichen lassen, während deren er mit sich und seinem Entschluß umging, ließ er noch einmal das Theater der Beschuldigungen, Bedingungen, des Grolls, der Wildheit an sich passieren. Es geschah, um sich noch einmal zu kontrollieren. Als er merkte, daß keine Feindseligkeit in ihm entstand, schien es ihm gut, seine Räte zu sich zu bescheiden. Obwohl die Einladungen in größtem Geheim erfolgten, verbreitete sich ein Wispern in der Stadt. Die Spannung im Quartier der Kurfürsten und Fremden war auf das höchste gestiegen; vor dem Hause des Grafen Tilly hielten zehn Berittene Tag und Nacht, gesattelt, mit Mundvorrat; er selbst verließ sein Haus nicht. Man hatte es verstanden, nahe der Stadt am Donauufer leichte Kanonen mit Artilleristen zu verstecken; es war vorauszusehen, daß, ehe die geringste feindliche Belästigung erfolgte, die Stadt in ligistische Hände fiel. Die Franzosen gingen hin und her, gaben ihre Ratschläge. Man schwirrte um den Pater Joseph, um die Jesuiten, den Kardinal Rocci. Der Beichtvater war unsichtbar.

In der Konferenz in der bischöflichen Ritterstube, die in Gegenwart Lamormains und des jungen Königs von Böhmen stattfand – er saß weißgekleidet, schmächtig, mit sehr mürrischem hochmütigem Ausdruck neben seinem aufgeräumten Vater –, wurde der unveränderte gefährliche Stand der Dinge vom Grafen Stralendorf resümiert. Dann äußerte sich der Kaiser; es sei ihm nicht fremd, daß die Fürsten geneigt wären, es auf das Äußerste ankommen zu lassen; man werde ihm auch einen Entschluß, nachzugeben, als Schwäche ausdeuten. Das sei ja schlimm. Aber ihm sei das Wichtigste, daß mit Glimpf bei der zur Beruhigung des Reiches notwendigen Abdankung des Herzogs von Friedland vorgegangen werde. Mit aller Deutlichkeit solle ihm zu erkennen gegeben werden, daß er nicht, wie es Blinden scheine, als ein Opfer der Kurfürsten falle, sondern daß die Reichsinteressen von ihm dies Opfer verlangen; er täte mit seinem Rücktritt dem Reich einen Dienst, wie wenn er eine Schlacht gewönne. Unendlich sei das Reich ihm dankbar.

Der König beschränkte sich auf ein paar Redensarten; er fand sich sichtlich mit dem kaiserlichen Entscheid nicht zurecht, obwohl er Wallensteins Abdankung verlangt hatte. Über der ganzen Versammlung der Geheimen Räte lag Verblüffung, der Entschluß war da, den man selbst nicht hatte fassen können, der so oder so hatte fallen müssen.

Einsam saß Lamormain. Man blickte von ihm weg. Dieser hatte gesiegt. Die Jesuiten herrschten.

Stralendorf fragte, was man tun wolle, wenn der Herzog den Oberbefehl nicht niederlege. Darauf schwiegen die anderen; der Kaiser hielt die Frage für gegenstandslos.

Der kleine Abt von Kremsmünster fuhr in raschestem Tempo mit Trautmannsdorf in sein Quartier. »Wir sind geschlagen, Graf. So hat Eggenberg auch von Istrien her gesiegt. Eggenberg hat seinen Willen. Was wird Slawata sagen. Wollen wir unsere Ämter niederlegen.« Kremsmünster von Minute zu Minute entsetzter; die ungeheuren Schulden des Hofes bei Wallenstein, es sei unausdenkbar, der Beschluß müsse rückgängig gemacht werden. Der verwachsene Graf kam nicht aus dem Staunen heraus, er gab zu, daß er den Kaiser bewundere. »Dies ist ein anderer Mann als der in München. Er fürchtet uns auch nicht.« Der Abt schrie, Wallenstein dürfe nicht nachgeben. »Herr«, wiegte der Graf den Kopf, »der Kaiser weiß, was er tut. Der Herzog gibt nach.« »Er tut es nicht. Ihr werdet sehen.« Und plötzlich in Kremsmünsters Kammer war Trautmannsdorf ganz erschrocken: »Nun hat Eggenberg recht behalten; der Kaiser will sich nicht mehr auf den Herzog stützen. Was hat er aber vor?« Der kleine Abt todblaß und wild: »Wir haben diesen Kongreß auf dem Gewissen. Es war verkehrt. Wir sind ärmer als vor dem Münchener Vertrag.« Bis Trautmannsdorf nach langem Hocken hinter einer Harfe von sich gab: »Jetzt wird es wieder Zeit, sich zu regen. Wahrhaftig, ich komme mir übertölpelt vor. Wir waren im Taumel, als wir zu dem Kongreß rieten. Der Kaiser muß bezahlen, was wir verschuldet haben. Verdammte Logik. Wir haben nicht darum den Kaiser von dem Bayern befreit. Wir werden den Herzog von Friedland versöhnlich halten müssen. Jetzt lass’ ich mich nicht binden. Wir wollen ihn nicht loslassen.«

Lamormain machte sich um dieselbe Zeit schwermütig auf nach der Kartause zu Lessius. Stumm saß er eine Weile dem gegenüber; der fürchtete einen bösen Ausgang, fragte nicht, blieb sehr kalt. Sein Mißtrauen verließ ihn nicht ganz, als der Pater das Ergebnis der Unterredungen berichtet hatte. Er fragte, ob den Pater ein persönlicher Kummer bedrücke und ob er ihm etwas zu sagen hätte. Lamormain, unfähig, vor dieser gelassenen Stimme zu sprechen, brachte heraus, das Unternehmen hätte ihn sehr angestrengt. Der Gesandte lächelte mitleidig, fast geringschätzig: die Sache hätte sichtlich in Gottes Hand gelegen. Von einer Nachbarzelle wurde geklopft; Lessius stand auf; eine französische Konversation mit entzückten Ausrufen begann drin. Hemmungslos laut stöhnte Lamormain, gräßlich riß es an seiner Kehle, als er Lessius nebenan einem welschen Emissär den Ausgang der Streitigkeiten berichten hörte.

Am Nachmittag strömten in sein Quartier gegenüber dem Bischofspalast die Besucher; Kardinal Rocci umarmte ihn mit hahnenmäßigem Geschrei, zuletzt bewegte sich der kleine Pater Joseph herum. In Widerwillen schleuderte gegen ihn Lamormain heraus: er hätte seine Hände nicht dabei gehabt, der Beschluß sei fertig bei Ferdinand gewesen. Worauf sich Joseph mit Freudenschreien zurückzog, in seiner Kurzsichtigkeit gegen die Tür stoßend: das sei ja herrlich, der Kaiser sei also von sich aus den Franzosen geneigt.

Lamormain beichtete bei den Jesuiten; er war verbrannt. Er nahm sogleich Abschied vom Kaiser, um seinem Drang zu folgen, den kranken Fürsten Eggenberg in Göppingen aufzusuchen, dessen Seele er mit dem Bericht von dem Entscheid Ferdinands erquickte.

Nach Göppingen war Eggenberg gefahren, die Todesstille in Istrien war ihm unerträglich; in der letzten Woche hatte er sich unter der Qual der Ungeduld, Sorge, ja Reue zwingen müssen, nicht nach Regensburg zu reisen. Lamormain traf den grämlichen alten Mann in Reisevorbereitungen. Und so tief erquickte der Pater ihn, daß er weinte. Er pries das Geschick des Hauses Habsburg; der gute Genius sei nicht entschwunden und habe den Kaiser berührt. Erst als er gebetet hatte, wollte er Lamormain weiter anhören, sprudelte aber selber glückselig, welche Gefahr vom Erzhause abgewendet sei. Immer wieder warf er sich auf die Knie, betete, jubelte, umarmte den stillen Pater: »Ich hab’s gewagt. Gott war mit mir.« Nun werde bald der allgemeine edle Friede kommen, nach dem sich Kaiserhaus und Fürsten und nicht zuletzt das arme ausgesogene Land sehnten.

Erst an den nächsten Tagen merkte der Fürst Eggenberg, daß der alte Jesuitenpater zerstreuter und unruhiger als sonst war, von ihm Tröstliches einsog. Und als er tagelang neben ihm spaziert war zu dem Quell und durch die Felder, erfaßte der Fürst, daß der stammelnde Lamormain um sich selbst in Angst war. Stöhnend fast wie ein Tier brachte im Walde Lamormain eines Abends hervor, daß er das gütige nachgiebige und machtbewußte Gesicht des Kaisers nicht vergessen könne; er hätte ihn verführen wollen. Der Kaiser hätte ihn beschämt, verächtlich beiseite gelassen. Er schäme sich. Wie ein Begnadeter hätte er ihn, den Sünder, angeblickt.


ÜBER DIE hügeligen bewaldeten Straßen die Donau entlang brausten die Kroatenschwärme des Isolani. Von Regensburg her kam das Rufen, Fahnenschwenken, rastlose Trommeln; erst einzelne Patrouillenreiter, dann, mitgerissen, Wachen, halbe Fähnlein. Überall schrien sie sich zu, winkten mit den Händen. Aufbruch! Bagage warfen sie auf den Boden; Heuschober angezündet als Signale für die zerstreuten Fouragemacher. Hinter ihnen der Schwall des Staubs und die Öde. Wie ein Igel wulstete sich der Schwarm ein, stülpte sich südwärts um. In stummem Bangen ließen sie die leeren Dörfer zurück, halb erloschene Lagerfeuer, brüllendes, angebundenes, weidendes Vieh. An Kaufwagen, Händlern, Reisenden, die nach Regensburg wollten, flogen sie vorbei; Wiehern, Peitschenknallen, Klappern der Waffen im Nu verschollen. Hinüber ins Augsburgische. In einer Herberge, in den Waldrand gedrückt, dicht vor den Augsburger Toren, Oberst Max Wallenstein. Um den Wald ballte es sich tobend zusammen, Isolani drang mit triefendem verwüstetem Gesicht zu ihm hinein, der Oberst lag, ohne Stiefel, betrunken in seiner Kammer, lallte, geiferte plötzlich ernüchtert den Kroaten an, schlug sich vor Stirn und Brust. Aufgesprungen, die Schreibtafel des Isolani nahm er an sich, band sie sich um den Hals. Zum Kroaten und seinem Leutnant: sie wollten zusammen reiten. Käme er nicht durch, sollten sie die Tafel zum Herzog tragen, ihn liegenlassen, wo er liege und wenn’s in einem Wassertümpel wäre. Gestiefelt, Hut und Wehrgehenk, aufgesessen.

Max wippend auf dem Pferde rechts, links, in die Höhe wie ein Korkstück auf brodelndem Wasser; bald nur in einem Schimmer von Bewußtsein; stumpf lernten seine Lippen: »Es ist vorbei, wir sind hin.« Pferdewechsel. Die Nacht durchrast. »Es ist vorbei, wir sind hin.« Vormittags durch die weiten lärmenden Truppenansammlungen in Memmingen hinein. Gezogen vor den Herzog: »Es ist vorbei, es ist hin.«

Während Max schlafend fiel, als er die Tafel abgegeben hatte, ächzte Isolani, ob sie absatteln sollten. Dann erst sah der Herzog den schnarchenden Obersten unten an, schrie: »Raus!« Der ließ sich forttragen.

Sieben Tage lang ließ Wallenstein alle Arbeit liegen. Gelähmt vor Wut an Armen und Beinen. Er hätte alles erwarten müssen, denn Zenno hatte diesen Ausgang berechnet, aber er hatte es nicht geglaubt. Und als Zenno zu ihm kam, um wieder eine Berechnung vorzutragen, schoß der Herzog eine Pistole hinter ihm ab. Jetzt trampelte er nicht auf seinen Hut, sondern zerriß ihn. Er war völlig blind. Die Truppen auf Regensburg werfen, den Kollegialtag gefangennehmen, den Kaiser aufheben. Er traf mit Neumann und Max einige lahme Vorbereitungen. Bis er selbst alles hinwarf, die Herren davonjagte. Er war dem unheimlichen, zu plötzlichen Gedanken nicht gewachsen.

Sie hatten ihn. Zum zweiten, dritten Male. Nachdem er ihnen das Reich wiederhergestellt hatte. Zum Zerknirschen des eigenen Gebeins und Eingeweides.

Er hatte nie etwas Persönliches für den Kaiser empfunden. Der war der erwählte Regierer des Heiligen Römischen Reiches, dem er diente. Das riß jetzt an ihm; der Damm geborsten; der Kaiser war etwas, das ihn angriff. Er konnte sich dazu nicht finden. Er mußte, er mußte den Kaiser und das ganze Pack schlagen, wenn er leben wollte.

Und wie er reglos in seiner Kammer saß und sich zusammenhielt, heulte es in ihm, daß sie ihm noch Hunderttausende, Millionen schuldeten. Und es labte, labte ihn. Noch Millionen. Sie waren ihn nicht los. Sie konnten sich ihm nicht entziehen.

Oder sie – konnten – auch das wagen. Er fletschte die Zähne. Es wäre das Richtigste. Er würde es tun in ihrer Lage. Dem Feind den Knebel in den Mund stecken. Ihn noch bezahlen lassen. Werden sie es?

Werden sie es?

Und während sie nacheinander im Hauptquartier eintrafen, die Trzkas, Bassewi, Michna, de Witte, seine sanfte Frau, wurde ihm zugetragen, daß die heftigen Kämpfe in Regensburg, von denen man ihn ausgeschlossen hatte, noch anhielten; die Fürsten betrieben seine Beseitigung aus Mecklenburg, verlangten Schadenersatz, Rechnungslegung. Die Stadt Memmingen war still, aber brüllend wie eine Kirchenglocke Wallenstein. Sein Zustand lebensgefährlich, die Aderlässe gegen die schrecklichen Kongestionen blieben fruchtlos, man konnte nur auf halbe Stunden an sein Bett, neben dem Frau Isabella demütig saß und nicht zu weinen wagte. Der Kaiser mußte angegriffen werden; er war dem ungeheuerlichen Gedanken nicht gewachsen. Der lange magere Herzog war ein sterbendes Untier zwischen seinen Laken und Kompressen, den Tod wünschte er sich herbei, zerreißen wollte er den Bayern, den Kaiser, die Jesuiten, die Franzosen. An seinen dünnen Unterschenkeln brachen Gichtgeschwüre auf, das erleichterte ihn; seine Augen verschwollen rot und liefen; sie standen wie Beulen zwischen den fleischlosen Wangen, neben der hohen Nase. »Sie haben mich am Spieß, sie werden mich wie einen Juden brennen«, wälzte er sich.

Als der Bescheid eintraf, er werde mit Glimpf entlassen, eine Deputation des Wiener Hofes werde zu ihm gesandt werden, riß er sich, halbtot wie er war, auf, schleppte sich ins Freie vor sein Haus, wurde sogleich ohnmächtig die Stufen wieder zurückgetragen. Am nächsten Tag erhob er sich wieder, erst auf Stöcken wandernd, dann zwischen den Schultern zweier Trabanten hängend: »Der geile Mansfelder ist auch nicht im Bett gestorben. Und ich sterbe noch nicht.«

Vom Regensburger Hofe kamen Trautmannsdorf und Questenberg; sie hatten diese Mission übernommen, um ihn milde zu stimmen; sie brachten Ferdinands gnädiges Schreiben. Sie unterhielten sich freundlich; zwei Kutschzüge mit sechs Pferden schenkte er dem Grafen, Questenberg ein neapolitanisches Tummelpferd. Friedland sah und sollte sehen, es gab Männer seines Anhangs am Hofe. Sie waren Besiegte; der Kummer stand auf ihrem Gesicht.

Damit stieg der Herzog aus dem furchtbaren Angriff, den man gegen ihn unternommen hatte, und schüttelte sich. Sie waren zu dumm. Hatten ihn leben lassen, nicht einmal die Federn hatten sie ihm gerupft.

Er ging noch viele Wochen nicht aus Memmingen. Er ließ aus dem Reich beitreiben, was ihm noch zustand. Allerorts wurden jetzt noch schwere Kontributionen erpreßt. Täglich hatte er mit Michna und de Witte Verhandlungen, ihre Aufstellungen waren genau, Wallenstein stachelte sie an; sie sollten nichts verlieren. Er lud sie ein, bei ihm zu bleiben, sie sollten ihn nicht verlassen, ohne völlig befriedigt zu sein. Die drängten, er ließ sie nicht. Michna und de Witte kamen auf die Vermutung, der Herzog werde doch nicht klein beigeben und irgend etwas Unversehenes versuchen; Bassewi äußerte skeptisch, der Friedländer sei krank, noch ein zwei Monat, so werde er froh sein, sein Getreide eingefahren zu haben. Als Graf Trzka sich freute, daß Friedland zögerte mit dem Abschied, es sei ein heilsamer Schreck für den Kaiser, dachte Friedland einen finsteren Augenblick nach: »Für den Bayern ein heilsamer Schreck; der hat noch nicht gewagt, seine Truppen nach Hause zu schicken. Die Landfahnen kommen nicht zur Ernte; ein mageres Jahr für Bayern.« Aber er ließ keine hetzenden Reden aufkommen, hatte keinen Sinn für Kindereien. Es sei bald Zeit. Er wolle nach Prag. Das Heer solle der Bayer übernehmen oder der alte Tilly. Wallenstein stand straff, blickte böse und drohend: er hinterlasse ein vortreffliches Heer; man werde einen spaßhaften Krieg jetzt führen; vielleicht brächten die Jesuiten den Frieden vom Himmel.

Der Herbst war schon da, als er dem Hofe schrieb, daß er nunmehr die Geschäfte dem Grafen Tilly übergebe, selbst nach Prag übersiedle.

Durch ein klagendes Heer fuhr er von Memmingen aus. Straßen hinter Straßen standen die ruhmreichen Regimenter mit Fahnen und Regimentsspiel Spalier. Der Herzog saß düster in seinem roten Mantel; er hob von Zeit zu Zeit vor den Obersten, die heranritten, den Hut, winkte den und jenen heran, gab ihm die Hand. Er fuhr, je länger er fuhr, in kaltem Behagen: diese Regimenter hatte er zusammengeführt, sie würden auseinanderfallen, wenn sie in fremde Hand kämen. Der Weg ging über Ulm, zu Lande weiter; er ging nicht nach Gitschin. Der Herzog drängte auf Prag. Und alle, die mit ihm ritten und fuhren, waren von großer Freude erfüllt: der Herzog lebte, wollte noch leben. Man fuhr keinen Toten des Wegs.

Über Nürnberg zogen sie, vierhundert Mann der Leibgarde, zahllose Wagen und Pferde. Und so groß war die Bestürzung in der Stadt bei dem Gerücht, daß er verabschiedet sei und sich nähere, daß der Große Rat der Stadt zusammenlief, in Eile Geschenke beschloß, die auf dem Ansbacher Weg entgegengeschickt wurden, eine Maßnahme, die man später nicht verstehen konnte. Als Friedland über das Bayreuther Gebiet kam, war die Nachricht von den Regensburger Vorkommnissen schon allgemein; tiefe Beklemmung und Bangigkeit hatte sich weithin verbreitet.

Nur wenige tausend Menschen sahen den prächtigen stillen Zug sich schwerfällig über die Äcker, zwischen den Wäldern winden. Aber das ganze Heilige Reich hing mit geistigen Augen an seinen Bewegungen. Man sah, wie eine grauenvolle Unverständlichkeit im Reich es dahin gebracht hatte, daß dieser Drache, dieser Herzog zu Friedland, der Wallenstein, sich offen vor aller Blicken in seine Höhle zurückzog, sich versteckte und als entsetzliches Geschick für die ruhigen Landschaften auf seinen Augenblick wartete. Aus kleinsten Flecken wurden die schutzflehenden Deputationen hervorgequetscht; sie berieselten seinen Weg; er grollte nur über die Kanaille, die ihm den Weg versperrte. Seine Garde hatte nicht nötig, auf Requisition auszugehen. Mann und Pferd wurde unter einer Flut von Beteuerungen und Heimlichkeit das Zehnfache von Fourage gebracht. Bei den Begleittrupps, den Kriegsoffizieren, stellte sich eine Neigung heraus, selber das Glück zu versuchen, sie sahen die Furcht und Untertänigkeit rechts und links, wurden mit Gewalt gebändigt. Sie fanden Wallensteins Rückzug ebenso sonderbar steif wie einflußreiche andere Männer.

Aber alles veränderte sich, als man sich Eger näherte und die böhmischen Grenzen überschritt. Hier war das dunkle zerrissene Land, aus dem er gekommen war. Er kam zurück. Mit Weltruhm, dem größten Reichtum Europas, von Memmingen. Ohne Amt. Im Berge Blaník schlafen die Wenzelsritter bei Vlaším. Es heißt, daß es dort eines Tages trommeln wird, ein Getöse erhebt sich, die Baumwipfel werden dürr, aus den Quellen werden Flüsse, Blut fließt in Strömen von Strahow bis zur Prager Brücke; Wenzel tötet alle seine Feinde. Das Land sog ihn ein. In zahllosen Krümmungen floß die bräunliche Eger, über Moorwiesen kamen sie, hinter ihnen strahlten tagsüber die Schneegipfel des Riesengebirges. Das hüglige Land ließ sie von einem Rücken auf einen andern gleiten. Aus dem Egerland und Ascher Gebiet, von Grünberg, dem Kammerbühl fuhren und ritten die Bauern über seine Straße, begierig ihn zu sehen, wie er aussehe, wie er blicke, der den Dänenkönig zerschlagen hatte und den der mißgünstige Habsburger nach Hause schickte. Ei, mit Kaisern und Königen Kirschen essen! Zwitscherten und geiferten untereinander: »Er hat den Kaiser schön geschoren. Seht die silbernen Partisanen, die Tummelpferde. Hat’s dem Kaiser nicht hinterlassen, war nicht dumm.« Sie waren nicht feindselig, wie sie auf den Wiesen und Hügeln standen, zogen klirrend die Kappen, fuhren Heu und Stroh an.

Hinein fuhr er, aufwühlend wie mit einem Schiffskiel, in die Fassungslosen, ihrer Sinne nicht Mächtigen, die in den Konventikeln, den ansässigen Adel, Utraquisten, zwangsweise Konvertierten. Die Rache, die wonnige, die ungeahnte Fürsorge des Geschicks. Abgeschüttelt der Verräter von seinem Herrn, heimatlos, sippenlos. Sollen wir ihn fasten lassen; sollen wir ihn kommen lassen. Die grunzende Inbrunst der Zusammenkünfte, Jubel, der wohlig quietschte, wirbelte: Wallenstein gezwungen, ihre Partei zu halten oder als Privatmann zu verrecken!

Mütterchen Prag am Hradschin sah schweigend, nicht fragend den menschenumschwärmten Zug nahen.

Die Moldau floß unter der grauen Brücke. In seinem orientalisch reichen Palast stieg Friedland ab. Er wohnte abgeschlossen für sich. Nach Sachsen, Brandenburg flogen die leisen Botschaften. Als italienische Maler anfragten, wann sie die Bilder in den Sälen vollenden sollten, kam aus dem Palast der Bescheid, überallhin kolportiert: »Die Herren sollen warten, bis ich davon bin. Glauben die Herren, der Palast werde mein Sarg sein?«

Hinbrütende Demut vor dem verlorenen, wiedergekehrten Sohn, Hin- und Herschlüpfen der Juden, Berater. Wie Paukenschläge einige schwelgerische Feste, dann kühle Empfänge der Sippenverwandten, Worte, als hätte sich nichts ereignet, ein Brief von Eggenberg, einer vom Kaiser, Ärzte.

Wer war das, der in dem neuen Palast hauste?


IN DER Stille des Sonnabends wurde der Kardinal Rocci vor das bayrische Quartier getragen; der Kurfürst war von einer Jagd noch nicht zurück. In der Vorkammer schwatzte der kleine Kardinal mit jedem Ankömmling von dem großen neuen Sieg, den die heilige Kirche errungen hätte; der Priester vergab sich etwas, indem er Bediensteten und Kämmerern auf die Schultern klopfte; wenn er allein saß, lachte er laut: »Sie ziehen ab, der Wallenstein und der Spanier. Ist bald die ganze Lombardei leer und gesäubert.«

Als der kreischende Purpurträger Maximilian mit der Neuigkeit entgegenlief, war dem Bayern einen Augenblick, als zischte vor ihm ein Blitz nieder. Er saß mit Rocci nieder, fahlblaß von der Jagd und der Erregung, mit dicken Schweißtropfen um den gespitzten Mund; lächelte gedankenlos zustimmend zu dem Geschwätz des Italieners.

Als er ihn verließ, blieb er, die geöffneten Hände auf den Knien, mit gerunzelter Stirn, Bitterkeit in der Kehle, sitzen. Richel trat ein, freudig bewegt. Kalt tönte die weiche klare Stimme Maximilians: »Habt Ihr etwas anderes erwartet?« »Ich freue mich, daß die Römische Majestät nachgegeben hat.« »Er hat immer nachgegeben, Richel, wo man etwas von ihm wollte. Es war kein Entschluß von ihm. Mein Schwager kennt keine Entschlüsse. Er schickt den Friedländer weg, weil man ihn drängt, und wird ihn wieder holen, wenn man ihn drängt.« »Der Herzog hat ja nicht gewollt zu uns stehen.« Der Kurfürst aufrecht, fest: »Der Vorfall ist lehrreich. Ich werde den Vorfall verstehen. Diesmal besser und erbarmungsloser als voriges Mal. Er hat die Situation verstanden. Wir werden sie ihn weiter fühlen lassen. Wir haben unser Äußerstes anwenden müssen, um dies herbeizuführen. Ich versteh’ jetzt weiter keinen Spaß mit ihm.« Er schlenderte an Richel vorbei, setzte sich wieder, den Zeigefinger steif ausstreckend: »Die freundschaftliche Maskerei werde ich in Zukunft nicht dulden. Mir, uns allen ist der Kaiser dafür Rechenschaft schuldig. Er hat geglaubt zu versuchen, die Tyrannei uns aufzulegen. Es ist jetzt nicht damit genug, wenn er erklärt, er stehe davon ab. Weil es ihm nämlich nicht geglückt ist. Ich verlange Sühne.« Der Kurfürst sprach den Rat mit feurigen seltsamen Augen an: »Verträge brechen und dann ein Dankschön verlangen, wenn man bereit ist, sie wieder zu halten.«

Maximilian ging mit raschen Schritten an die Tür, an der er rüttelte; er prüfte, ob die Fenster geschlossen waren; er schrie leise: »Wir nehmen dies nicht an. So füttert man hungriges Vieh. Wer sind wir. Ich bin deutscher Kurfürst, dem übel mitgespielt wurde von ihm.«

»Und was gedenkt Kurfürstliche Durchlaucht vom Kaiser zu verlangen?«

»Ich lege eins zum andern. Der Berg reicht bald an den Himmel.« Vor der schmerzlichen Erregung seines Herrn sah Richel, seinen Degen schaukelnd, auf den Teppich; ruhig sagte er nach einer Weile, als sich der Kurfürst im Sessel reckte: »Vielleicht wird es nötig sein, nunmehr zu Präventivmaßregeln zu schreiten und sich vor Schwierigkeiten in Zukunft zu schützen.«

»Ihr erklärt den Wiener Herren, ich könnte mich mit dem Entscheid nicht zufriedengeben. Ihr habt keine Spur von Freude zu zeigen und verbietet es auch den Kämmerern und andern. Wir haben keinen Grund zur Freude. Wir verlangen den Schutz des Reiches und der Fürstenlibertät vor Übergriffen, wie sie vorgefallen sind. Die Armee ist jetzt ohne Haupt. Wir verlangen nunmehr Übergang des Generalats an uns.« Richel blickte groß; scharf fuhr Maximilian fort: »Was denkt Ihr? Sie werden dazu nicht lachen. Ich glaube das. Ich habe auch nicht gelacht, als der Friedländer General wurde. Das Lachen wird ihnen vergehen. Es wird keine Ruhe im Reich sein, bis die Kurfürsten die Armee führen. Ich werde mich mit den geistlichen Herren noch verständigen. Es wird keine Ruhe, bis der Kaiser auf seine Erbländer zurückgedrängt ist.«

»Die Armee im Reich wird vom Kaiser und dem Kurfürstenkolleg dirigiert.«

»Sie wird von mir geführt. Ich bestehe darauf. Die Protestanten haben sich selbst ausgeschlossen.«

»Es wird schwer halten, hier den Gewaltstandpunkt zu verheimlichen.«

»Man hat ihn mir gegenüber nicht verheimlicht.«

Bei der Zusammenkunft der katholischen Fürsten im Mainzer Quartier war der Bayer isoliert. Die Herren waren siegestoll, von Jubel beherrscht. Sie hatten sich nicht nehmen lassen, vor Beginn ihrer eigenen Besprechungen durch eine Hinterpforte den Marquis de Brulart und den Pater Joseph zu sich einzulassen und deren Glückwünsche entgegenzunehmen. Die Franzosen taten sehr beschämt, als der Trierer, dem sie eine Pension zahlten, und der sehr geldbedürftige Ferdinand von Köln ihnen alles Verdienst zuschoben an dem fast unglaublichen Ausgang. Der Kaiser, radebrechten französisch die beiden rheinischen Herren, wisse, welche starke katholische Macht hinter der Liga stünde. Der Trierer insbesondere tat, als wäre König Ludwig sein spezieller Bundesgenosse.

Maximilian, das Gebaren seiner Freunde ignorierend, lenkte in Gegenwart der stolzen Welschen die Unterhaltung auf das kaiserliche Heer. Die Franzosen hörten mit Staunen den bayrischen Plan; sie fühlten den Stoß, hielten es für gut, zu verschwinden. Die Fürsten zappelten gespießt an Maximilians Vorschlag, das Generalat in Zukunft ihm, dem Ligaobersten, zu übertragen. Sie bissen und drehten sich. Grämlich sahen sie, daß sie zustimmen würden. Und ehe sie’s dachten, hatten sie zugestimmt. Sie wollten den Antrag unterschreiben. Verfechten mochte ihn der Kurbayer selbst.

Und dann ließen sie ihren Grimm los und ließen ihn poltern vor Maximilian, vor dem sie ihre Ohnmacht verstecken wollten. Sie wollten Rache und Schadloshaltung. Der glotzäugige schwerleibige Philipp Christoph von Trier, breitbeinig auf zwei Sesseln ausgestreckt, ließ aus der Kehle quellen, die Lider wenig hebend, zweihunderttausend Taler versudele der Böhme an Küche und Keller und sei dabei dürr wie ein Faden; Halberstadt habe ihm ein wöchentliches Tafelgeld geben müssen von siebentausend Gulden. Er keuchte: »Der Tropf!« Das harte graugesichtige Männlein unter dem violetten Käppchen, der Reichserzkanzler, kläffte mit seinem breiten gnadenlos dünnen Mund, es hätten sogar in vielen Landesteilen die Leute sich selber auffressen müssen. Auch er hätte nur mit Mühe gegen solche Fälle einschreiten können und geradezu mit Gewalt das für seine Tafel, den Unterhalt der Küche Nötige und für die Abgabe an Rom beitreiben müssen. Vorgebückt der verlebte Ferdinand von Köln, rieb sich unruhig die dünne rote Nase; sein Bruder schwieg so lange; dann konnte er sich nicht zähmen, lispelte, gestikulierte: mit Glimpf zu entlassen den Herzog, das sei ein Betrug an allen Landesfürsten. Und darauf murrten knurrten sie zu dritt, bäumten sich, und ihr Groll war nur gerichtet auf den neben ihnen sitzenden feisten kurzleibigen Bayern.

Der gab von sich, daß man sich hier nicht einmischen wolle. Man möge es auf sich beruhen lassen. Denn daß Wallenstein mit Ehren entlassen wurde, versöhnte ihn leise mit dem kaiserlichen Entschluß; er begriff, daß Ferdinand diesen Mann nicht so wegschicken wollte. Wenigstens fürstlich hatte Ferdinand gehandelt, den er als Kaiser hinnehmen mußte.


IM BISCHÖFLICHEN Garten unter den kaiserlichen Gemächern lief der Abt mit dem verwachsenen Grafen. Sie rupften im heftigen Gespräch eine kleine Buche rundherum kahl. Der Abt knallte wieder Blätter vor dem Mund auf. Der Graf Trautmannsdorf schwang die Arme, schlug die Hände vors Gesicht: also es finge alles wieder von vorne an; alles sei umsonst gewesen. »Es ist so, es ist so«, der Abt drückte fast besinnungslos Trautmannsdorfs Arm. »Wozu sind wir da?« Sie stöhnten, stampften den Boden.

Der Kaiser sah sie von oben. Er schickte seinen Leibkämmerer herunter, sie möchten ihn erwarten. Dann kam er barhäuptig, der Diener trug Reiherhut Handschuh und Wehrgehenk hinter ihm. Er freute sich, frisch blickend; die Herren, sie möchten es sich recht bequem machen in Regensburg, man sei zwar über den höchsten Berg hinweg, aber es gebe noch allerlei Schwierigkeiten; das würde viel Zeit beanspruchen. Als er die zerknüllten Blätter in den Händen des Abtes sah, meinte er, mit ihnen vorwärts schlendernd, er wisse schon, daß es sowohl vor dem Schiff als auch hinter dem Schiff Wellen gebe. Er plauderte noch allerhand, bis der hagere Graf Stralendorf, der hinzugetreten war, von einem Besuch Richels begann. Die Herren drängten vor den Kaiser, um sein Gesicht zu sehen. Er riß die kleinen Augen auf, befragte lebhaft den frommen Grafen nach der Sache, dann auch die beiden anderen Herren. Dann schüttelte er mit freudig überraschtem Ausdruck in das Gras blickend den Kopf: »Was! Was! Wünscht er das? Wünscht mein Schwager das? Will er eine so enge Verbindung zwischen mir und ihm? Mein Schwager hätte alles Mißtrauen gegen mich aufgegeben?« Auf die starre verlegene Zustimmung Stralendorfs – die beiden andern senkten die Köpfe – drängte Ferdinand mit größter Heftigkeit gegen den langen Grafen, ihn am Wams berührend: »Was, das hat Euch der Richel aufgebunden! Er geht hin und her, mißversteht hier und dort.« Jetzt stammelte mit rauher Stimme Stralendorf, nein, Richel hätte von Dienst und Amts wegen ein quasi Verlangen – um nicht zu sagen Anspruch – Bayerns auf die Generalatsstelle angemeldet. »Ein Verlangen. Ein Anspruch. Wißt Ihr, daß dies beinah undenkbar ist! Bayern wird sich damit ruinieren. Es soll versuchen, in dies Wespennest zu stechen, Obersten mit großen Gehältern, verwöhnte Soldaten und Reiter, diese Überzahl an Menschen ernähren, kleiden, bezahlen, und – dabei keinem Unrecht tun. Nein, sagt meinem Schwager, es sei sehr lieb von ihm, aber ich könne es nicht von ihm verlangen. Es ist auch nicht richtig, sagt doch!« Stralendorf Trautmannsdorf Kremsmünster gingen fast träumend neben und hinter dem Herrn. Wie aus einer andern Welt kam es Trautmannsdorf selbst vor, als er sich genötigt fühlte zu sagen, daß Habsburg diesen Vorschlag ablehnen müsse, da es sonst machtlos werde. Mitleidig lächelnd zog ihn Ferdinand, ihn um die Hüfte fassend, an sich: »Ist mein treuer Trautmannsdorf, der Edelstein in meiner Krone, noch so rückständig. Sind die Zeiten vom Haß zwischen Wittelsbach und Habsburg noch immer da. Wittelsbach hat gesehen, wie gewaltig, unnahbar gewaltig ein Kaiser sein kann. Seht doch um Euch, Herr Graf; nicht so historisch gedacht. Habsburg braucht sich vor keinem Haß mehr zu fürchten. Schon lange nicht mehr.« »Ich sehe es nicht«, murmelte Trautmannsdorf. »Aber ich«, lachte die Majestät, »bald werde ich Euch auf den Thron erheben und mich zum Berater anbieten.« Er ließ den Grafen los; in einem Rosenrondell stand er tiefsinnig, die Arme verschränkt, da vor den Herren; ein junger Fuchs sprang spielend neben einer Buche an seiner Kette herum. »Der Papst macht Schwierigkeiten, mich zu krönen. Inzwischen hat mein lieber treuer General Wallenstein, der Herzog zu Friedland, mich zum Kaiser gekrönt. Das kann mir keiner streitig machen. Was grabt Ihr die alten Märchen aus.« »Nein«, brach er ab, »vorläufig glaub’ ich nicht ganz an den Ernst meines Schwagers, das Kommando meiner Armee zu übernehmen. Was sagt Ihr, Ehrwürden von Kremsmünster, zu meinen Rosen? Wenn sie Euch gefallen, will ich es dem Gärtner bestellen lassen. Euer Lob ist ihm eine Erhebung in den Adelsstand.«

Den sich bäumenden Widerstand der Herren drückten ganz nieder der Fürst Eggenberg und der Beichtvater, die aus Göppingen hereinkamen; beide noch erschüttert von dem Ereignis, das sich vollzogen hatte, und in Erwartung der bayrischen Übergriffe. Als Kremsmünster die Frage der Zuziehung des Erzherzogs Leopold aufwarf, war schon klar, daß man einer andern Situation als früher gegenüberstand. Der Beichtvater, bleich und schwer sich erhebend, erklärte seine Hände von allem, was geschehe, abzuziehen; er sagte offen, er vermöge gegen den Kaiser nichts anzustiften und zu unternehmen. Eggenberg las ihm vom Gesicht, daß er von dem jüngsten Erlebnis noch geblendet war. Lamormains Gesicht gab deutlich das Gefühl wieder, das sie alle unsicher hatten, daß mit dem Kaiser eine neue rätselhafte Gewalt unter ihnen aufgestanden war. Man wußte nicht, ob man sich dieser Gewalt anvertrauen konnte. Dann vor der feierlich traurigen Figur des Beichtvaters wurde man ruhiger. Der Kaiser, der neue Kaiser wirkte.

Langsam stellten sie ihre Gedanken auf ihn ein; langsam erinnerte sich Trautmannsdorf des Satzes Ferdinands, es seien neue Zeiten da. Und als Trautmannsdorf, der Kühnste, am meisten Elastische von ihnen, zögernd fragte: »Und wenn es wirklich so wäre, wenn er die Dinge richtig sähe und einen Weg aus der deutschen Zwietracht wüßte?«, da bezwangen sie sich alle. Sie fühlten sich bewegt, der Gedanke vom Staatsstreich beschämte sie. Sie hatten sich feurig und erschüttert zusammengesetzt; nachdenklich trennten sie sich.

»Was sind das für Zeiten«, flüsterte erstaunt der verwachsene Graf zum Abt, als sie an dem stumm daliegenden Bischofspalast vorübergingen, der Beichtvater sich zum Kaiser begab, »ich hielt mich noch für jung und bin schon verbraucht, verstehe kaum etwas.« »Ach«, seufzte Kremsmünster, »es ist eine Zeit der Experimente. Hätten wir nur den Herzog noch.« »Denkt Euch, ach denkt Euch, der Kaiser will Frieden im Reiche machen, er steckt das Schlachtschwert ein, er will so, so Wittelsbach entwaffnen. Der Gedanke, der Gedanke!« »Gebe Gott und alle Heiligen, daß uns nichts widerfährt.« »Denkt Euch, es sah aus wie ein drohender Kampf zwischen Kaiser und Fürsten, Bayern und Friedland bis aufs Messer, und jetzt – hat der Kaiser den Sieg an sich genommen, ohne auch nur den Degen berührt zu haben. Er hat den Wittelsbach nicht einmal an sich herankommen lassen, und schon war er besiegt. Ohne Friedland! Denkt, Ehrwürden.« »Phantasien, lieber Graf. Der Kaiser denkt es und Ihr denkt es.« »Wer kennt die Wege des Schicksals. Warum sollte nicht einmal eine neue Methode versucht werden. Unsere heilige Kirche, Ihr seid mir nicht böse, ist stark im Hintergrunde; Urban soll auch viel Artillerie im Kopf haben. Da besinnt sich der Kaiser auf sein Herz.« »Hättet Ihr doch recht.« »Nein, nicht bloß auf sein Herz, auf unser Herz. Es könnte so sein, es könnte doch wenigstens in der Phantasie so sein. Und mit einem winzig kleinen, ameisenkleinen Phantasieaufwand hat der Kaiser unsere gewaltigen Schwierigkeiten behoben. Bah, stehen die Kanonen da, bah, wissen die Generäle nicht, was mit ihnen ist.« »Phantasie, Phantasie.« »Das neue Heilige Römische Reich.« »Ach, es ist ja zum Lachen, Graf Trautmannsdorf. Ich möchte in Friedland und den Bayern gucken.«

So stolz und entschlossen war Maximilian, daß er nach wenigen Tagen sich selbst im Bischofspalast eine Audienz erbat und den Kaiser um Erledigung der schwebenden Heeresfrage anging. Ferdinand hatte noch einmal mit seinen Herren beraten; es waren sonderbarerweise alle Einwände verstummt, gegen die Bestallung des ligistischen Generals Tilly zum kaiserlichen Feldherrn wußte in halber Beschämung niemand etwas zu sagen; ja man hatte sich gewundert unter den Suggestivreden Trautmannsdorfs, wie glatt diese einfache Lösung war und wie fruchtbar sie sein konnte.

Ferdinand ging sanft dem Bayern, der trübe blickte, an die Tür entgegen: »Wie, lieber Schwager, Ihr solltet Euch wirklich zu diesem Opfer entschließen? Ihr wollt Frieden im Reich stiften? Wißt Ihr, es ist ein Einfall von Euch, der so den Kern meiner Erwägungen und innerlichen Beschlüsse trifft, daß ich noch jetzt erschrocken bin. Ja, wie kann diese Tagung besser geschlossen oder gekrönt werden, als indem Ihr oder Euer General meine Armee in die Hand nehmt. Jeder Streit entfällt. Eure militärische Tüchtigkeit ist ohne Zweifel. Und, nein –« Er strich des Bayern Ärmel und lachte ihn herzlich an. Maximilian, finsterer im Anhören geworden, fragte ihn nach dem Lachen. Ferdinand schritt mit ihm in den Saal; nun werde einmal der Bayer alle Sünden auszubaden haben, und in ein zwei Jahren werde es einen Tag zu Regensburg mit vertauschten Rollen geben. Der Bayer, unsicher die anwesenden Herren Eggenberg und Trautmannsdorf fixierend, drängte fort, um sich durch seine Unterhändler der Wirklichkeit der kaiserlichen Erklärungen zu versichern. Er fühlte sich seiner Sinne nicht mächtig, hielt sich mit Zwang von neuem zurück, um wieder zu hören, mit welcher befremdenden Leichtigkeit der Kaiser sprach. Und die seriösen Räte waren zugegen! Zu Boden geschmettert war er; das Geplauder des Kaisers regnete auf ihn.

Dann saß er in der Karosse, nahe, in ein nervöses Schluchzen auszubrechen. Unklar kam er sich besiegt vor. Wie ein Mann, der einen Anlauf nimmt, um eine schwere Last fortzustoßen, blind losgerannt ist und die leere Luft zerrissen hat. Unfaßbar das Benehmen des Kaisers; was war das, was war das. Der träge freche Stolz dieses Mannes, diese hochmütige trächtige Liebe. Das Sicherste war in Maximilian gelockert; wie eine Handvoll Bohnen, zwischen Granit geworfen, quellend die Quadern hebt. Maximilian blies die Luft von sich. In dem Logement mit Richel und dem Fürsten von Hohenzollern speisend, betäubte er sich durch klangreiches Reden. Triumphgeschrei rechts und links. Boten von Brulart herüber, Boten an die geistlichen Kurfürsten. Die fuhren am nächsten Morgen vor. Übernächtig, genoß Maximilian ihre Angst, die sich nicht äußern durfte, ihr verlogenes Schmeicheln und Jubeln. Maximilian fühlte, er war aus seiner Bahn geworfen; es war ein Zustand wie in den heißen Tagen, als er mit Wallenstein sich verbinden wollte. Wallenstein, dieser klägliche überschätzte Mensch, dieser Lump und Knecht, der sich von seinem Herrn wegschicken ließ und der auch ging, ohne zu murren, wahrscheinlich froh über die Tonne Gold, die er davonschleppen durfte. Heiß rollte der Triumph durch den Kurfürsten. Er hatte das fürstliche Spiel gewonnen. Die Franzosen wurden angemeldet. Maximilian fertigte sie hochmütig ab, und plötzlich haßte er sie, weil sie ihn an seine Angst erinnerten. Abstoßen! Ob sie ihn wohl knebeln zwirbeln und pressen wollten. So früh und rasch erscheinen, um wie Juden Schulden einzutreiben. Schulden, Schulden! Bei der erstaunlichen Szene war Fürst von Hohenzollern zugegen, der nicht daran zweifelte, daß der Kurfürst in einem Schwermutsanfall sprach und die beleidigten Herren zum formlosen Weggehen bewegte. Ihn aber, den Hohenzollern, überfuhr der noch unausgeleerte Kurfürst mit wilden und höhnischen lustgeschwollenen Rufen: ja, es sei nicht nötig, diese Herren sanft fortzukomplimentieren. Man sollte sie aufheben auf deutschem Gebiet oder sie in die Donau stürzen, weil er sie durchschaue, die neidischen, die streitsüchtigen. Sie sollten ihre Finger vom Reich lassen.

Bacchantische und kulinarische Exzesse überschwemmten wieder den Hof. Die Majestät gab sich nach langer Enthaltsamkeit den Ausschweifungen hin. Es wurde erzählt, der Morgen beginne mit Bordeaux, der Abend sinke mit Likören; was in der Mitte flösse, sei auch kein Wasser. Gepränge an den Tafeln mit den geistlichen Herren. Mit der wieder eingetroffenen Mantuanerin. Mit Welschen Spaniern Italienern. Schiene es doch, als sei ganz Regensburg aus dem Häuschen und der Kaiser feiere die Leiche Friedlands weg. Es wurde erzählt, Ferdinand wolle Frieden um jeden Preis; die Mantuanerin bedränge ihn; was Lamormain leiste, würde bald offenbar werden. Und da griff Maximilian zu. Er war auf bekannter Fährte: Ferdinand, der freche Säufer und Fresser! Das war ja das dicke Wildschwein, auf dessen Jagd er sein ganzes Leben über war. Und sein inniges atemloses Gelächter.

Der Kaiser hatte die Kurfürsten an sich gerissen, als wenn er nach ihnen verdurste. Zusammengerufen und einzeln konnte er von ihnen nicht genug haben. Und von den Welschen, den Spaniern, Italienern. Und sie kamen. Der Riß in Regensburg schien beseitigt. Nach Maximilian rief er am heftigsten, und freudig, heftig gereizt, innerlich brüllend vor Gelächter, machte sich Maximilian mit auf die Feste. Er sah darüber hinweg, daß dieser Glanz erpreßter Reichtum deutscher Kreise war; es machte ihm heißes, unter Spott wucherndes Vergnügen, daß der Kaiser ihnen allen diesen Glanz hinhielt, als wüßten sie nichts, ahnungslos, leichtherzig wie einer. Ferdinand, der Kaiser blieb, weil ihm keiner ernsthaft böse wurde. Und der seinen Feldherrn geopfert hatte, wahrhaftig, aus keinem andern Grunde, als um Frieden zu haben, mit ihnen allen, und – wieder ruhig zu pokulieren.

Und dieser selbe Gedanke stieg in einem andern stillen Teilnehmer der Feste auf, Lamormain, wie Maximilian auf der Suche nach der Gebärde Ferdinands, den Kaiser betastend, den Kaiser anbetend, sich vor ihm kasteiend. Er wurde von dem allgemeinen Erstaunen über den verwandelten Herrscher mitgerissen.

Dieses Zwitschern Fragen Horchen am Hofe. Herübergeholt die Meisterköche aus Wien mit dem Stab der Pastetenbäcker, Zuckerküchler, Erbauer der Riesentorten; auftauchte die Schar der Truchsesse Vorschneider Mundschenke Kredenzer. Mit dem schwarzen Stab spazierte zur Musik herein der Oberstabmeister vor den dunstumhüllten Speiseträgern. Auf den Tafeln vor den zerreißenden Menschenzähnen das getötete Getier des Waldes, das singende fliegende tänzelnde, Auerhahn Schwan Pfau weißer Reiher Kranich roter Fasan. Zukkerbrot Marzipan Sülzen. Inmitten der überflutenden Leckereien auf der Tafel die weiße Pyramide, um die die vier Elemente saßen; Fortuna goldgelockt, purpurgekleidet auf einer Kugel, die unter ihren spitzen Zehen rollte. Gemisch der Nationen an den Tafeln, erfreute Münder, erbitterte Stirnen; der Deutsche vertrinkt den Schmerz, der Italiener verschläft den Schmerz, der Spanier beklagt den Schmerz, der Franzose besingt den Schmerz. Musik: wer weiß, was Schmerz oder Freude ist. Feuerwerk Ballett Stechen Jagden Frühstück.

Entsetzt der schwarze hinkende Lamormain hinter dem aufgeblähten glückvollen Kaiser: »Den Herzog hat er verstoßen, als wär’ es nichts. Er hat ihm seine Königreiche gerettet. Jetzt weiß er nichts mehr davon. Er hat es vergessen. Er hat den Friedländer schon vergessen.« Ein gräßliches Gefühl durch den Pater. Wie ein Kind sah Fürst Eggenberg den Habsburger sich zwischen den schlemmenden Herren und Fürsten bewegen; er zuckte die Achseln: »Wohl uns, wir sind über den Berg.« Unvermerktes Abreisen der Räte Trautmannsdorf und Kremsmünster aus Regensburg vor dem erschreckenden Anblick ihres Herrn.

Auf Wagen Pferden neben dem Kaiser die Mantuanerin. Die Sicheln der schwarzen hochgeschwungenen Augenbrauen, die brennenden Blicke, die straffen glatten Wangen. Um sie reitend auf weißen Gäulen anmutige Franzosen, die rechte Hand in die Hüfte gestützt, mächtige Goldschärpen. Beim ersten festlichen Empfang der Fürsten im Bischofspalast schritt sie neben dem Kapuziner Joseph durch die Säle spitzfüßig auf weißen Schuhchen, den gelben Rock mit beiden Händen vorn gerafft, daß das purpurne Unterkleid schimmerte; bis über die Knöchel entblößte sie ihre Füße, die weißen Strümpfe. Goldgelbes Kostüm bis zu den Achseln ausgeschnitten, Perlen um den Hals in fünffacher Reihe; feine gelenkige ebenmäßige Büste, die Arme in weißen weiten Atlas geschlagen. Das Haar schwankte in Locken seitlich über den Hals, aus dem Nackenknoten stieg schwer eine tellergroße Sonnenblume. Der siegreiche strenge Mund. Der Herr gab ihr nach, daß für Italien die Friedensverhandlungen begännen. Sie hatte nicht genug daran, Casale stand vor dem Fall. Sofort mußte der Waffenstillstand beschlossen werden. Mit Flüchen auf die Welt gehorchte der alte Spanier Spinola, nach drei Tagen war er wahnsinnig, bald tot. Die Kaiserin erschauerte vor Wonne. Ihrem Oberstkämmerer sagte sie, dem Pater Joseph schrieb sie: »Meldet Collalto, er belagere Mantua und mit Mantua meine Seele. Ich werde ihm goldene Ketten, Land und alle Auszeichnungen verschaffen, wenn er mir und meiner Stadt wieder Freiheit verschafft. Er möchte nach Wien kommen, er soll es sich nicht überlegen, wir erwarten ihn.«

Nur noch gelegentlich wurden in der Sommerhitze Verhandlungen gepflogen, die Kurfürsten baten um Aufhebung des Kollegialtages. Man schaffte die Ernte in die Scheuern. Tilly, der eisgraue kleine fromme Mann aus Brabant, war Feldherr der beiden Heere. Das kaiserliche Heer vermindert wie das ligistische. Friede im Reich und bald Friede an allen Grenzen.

Vor den Quartieren der Kurfürsten standen die breiten Reisewagen. Die Räder hoch, tief hängende Kästen, mit Kronen an den Schlägen und über den Decken. Der Lärm der Bankette in der Stadt ging weiter. Hinein stieg seufzend der schwere Trierer, sah sich müde um, schlief ein. Hinein behaglich grunzend der pergamentene Erzkanzler; der Wagen rollte. Widerstrebend der lüsterne Kölner, den das Klirren und Juchzen der Stadt hielt. Mit starken Sprüngen Maximilian, Richel neben sich, der Wagen geschlossen, die Vorhänge zu; mit Frankreich al pari, die kaiserliche Macht in seiner Hand.

Die Franzosen hielt es lange in Regensburg, sie konnten sich von dem unglaublichen Anblick dieses deutschen Untiers nicht losreißen. Die hoheitsvolle Maske des Kaisers, des Schlemmers, neigte sich täglich über sie; sie schworen ihm, keinen Feind des Reiches zu unterstützen.

Seine Augen waren wie die eines Schielenden; man wußte nicht, ob man ihn ansah.