PROLOG
»Beutediebe! Das ist unser Gebiet«,
fauchte der graue Kater mit gesträubtem Nackenfell und drohend
gefletschten Zähnen. Sein Blick fuhr über die Katzenschar, die
unter ihm auf dem steilen Pfad kauerte. Sie hatten die Klauen
ausgefahren und ihre Augen leuchteten hungrig. Eine von ihnen trug
ein schlaffes Kaninchen im Maul. »Unser Gebiet und
unsere Beute.«
Ein silber getigerter Kater starrte ihn frech
an.
»Wenn es dein Gebiet ist, warum gibt es dann
keine Grenzmarkierungen? Die Beute hier gehört allen Katzen.«
»Das ist nicht wahr. Das wisst ihr genau.« Eine
schwarze Kätzin schob sich mit peitschendem Schwanz dicht neben den
grauen Kater. »Und jetzt verschwindet!« Leise murmelte sie: »Fels,
wir können nicht gegen sie kämpfen. Denk daran, was beim letzten
Mal passiert ist.«
»Ich weiß, Nacht«, erwiderte der graue Kater.
»Aber was sollen wir sonst tun?«
An seiner anderen Seite drängte sich ein
riesiger braun getigerter Kater mit einem wütenden Fauchen vorbei.
»Noch ein Pfotenschritt und wir reißen euch das Fell in Fetzen«,
knurrte er.
Fels berührte ihn mit der Schwanzspitze an der
Schulter. »Ruhig, Fang«, warnte er. »Lass uns versuchen, möglichst
ohne Fellgefetze da rauszukommen.«
Noch mehr Katzen tauchten hinter einer Biegung
auf dem Pfad auf und drängten sich dicht hinter dem silbernen Kater
zusammen.
»Stieg!« Mit einem Zucken seiner Ohren rief
Fels einen kleinen getigerten Kater zu sich. »Lauf schnell zurück
zur Höhle. Sag ihnen, dass die Eindringlinge wieder da sind.«
»Aber …« Stieg zögerte. Er wollte seine
Freunde nicht allein lassen, die jetzt schon in der Minderheit
waren.
»Los!«, fuhr Fels ihn an.
Stieg drehte sich um und rannte den Pfad
hinauf.
Die Sonne ging unter. Felsen warfen lange
Schatten über den steinigen Boden, der vom Abendlicht blutrot
gefärbt war. Das schwache Rauschen herabfallenden Wassers brach
durch die Stille und am Himmel ertönte der raue Schrei eines
Habichts.
»Weiter kommt ihr nicht«, miaute Fels. »Dreht
um und sucht euch einen anderen Ort zum Jagen.«
»Wer sollte uns denn vertreiben?«, höhnte die
silberne Tigerkatze.
»Bleibt nur hier, dann werdet ihr schon sehen«,
zischte Fang.
Fels’ Patrouille drängte sich neben ihn und
blockierte den Weg. Doch die Eindringlinge schwärmten aus und
kletterten zu beiden Seiten des Pfads die Felsen hinauf. Fels
duckte sich und spannte die Muskeln an. Er würde kämpfen, wenn es
sein musste, ungeachtet dessen, was beim letzten Mal passiert
war.
»Halt!«
Ein braun getigerter Kater schob sich durch die
Patrouille und stellte sich vor die Eindringlinge. Zwar war seine
Schnauze schon grau vor Alter, doch seine Muskeln waren drahtig und
stark und er hielt den Kopf hoch erhoben.
»Ich bin Steinsager, Seher vom Stamm des
eilenden Wassers«, verkündete er und seine Stimme hallte heiser von
den Felsen wider. »Das hier ist unser Territorium und ihr seid hier
nicht willkommen.«
»Ein Territorium gehört nur Katzen, die es auch
verteidigen können«, erwiderte der silberne Kater.
»Erinnert ihr euch daran, wie wir euch vor der
Zeit des gefrorenen Wassers verjagt haben?«, knurrte Steinsager.
»Wir werden es wieder tun, wenn ihr jetzt nicht geht.«
Der Silberne kniff die Augen zusammen. »Uns
verjagt? Das habe ich anders in Erinnerung.«
»Es war unsere Entscheidung zu gehen«, fügte
eine braun-weiße Kätzin hinzu, die auf einem Felsbrocken kauerte.
»Wir haben einen besseren Ort gefunden, um die Blattleere zu
verbringen, mit mehr Beute.«
»Und nun haben wir uns entschieden
zurückzukommen.« Der Kater schlug mit dem Schwanz. »Und ein paar
magere, flohverseuchte Pelzbündel wie ihr werden uns ganz sicher
nicht aufhalten.« Er fuhr seine Krallen aus und kratzte am
Gestein.
»Der Stamm des eilenden Wassers hatte seine
Heimat schon immer in diesen Bergen«, miaute Steinsager.
»Wir …«
Seine Worte gingen in einem zornigen Heulen
unter, als die braun-weiße Kätzin plötzlich von ihrem Fels sprang
und ihre Krallen in Nachts Schulter schlug. Der silberne Kater
stieß einen furchterregenden Schrei aus und stürzte sich auf Fels.
Während Fels über den Boden rollte und sich gegen seinen Angreifer
wehrte, füllte sich die Luft mit dem Kreischen kämpfender
Katzen.
Von weit oben schaute der Stamm der ewigen Jagd
ihnen hilflos zu.