Der Schandpfahl

Es dauerte nicht lange, da kamen zwei Gerichtsdiener in Uniform aus der Tür des Rathauses. Gemessenen Schrittes gingen sie zu einem dicken, eisenbeschlagenen Pfosten, der in der Mitte des Marktplatzes stand. Ihnen folgten vier Männer, die zwei hölzerne Bänke zu dem Pfahl schleppten und unweit davon aufstellten. Kaum hatten sie das getan, lief ein Raunen durch die Menge, als ein feister Mann in schwarzer Amtstracht den Platz betrat. Hinter ihm gingen zwei ernst dreinblickende und nicht weniger wohlhabend gekleidete Männer.

»Das ist der Vogt von Willenberg«, flüsterte Christoph Muriel zu. »Die beiden Männer hinter ihm sind Ratsherren.«

Muriel nickte. Sie wusste nicht, was ein Vogt war, spürte jedoch, dass er ein wichtiger Mann sein musste.

Den Ratsherren folgten sechs Soldaten mit Lanzen, die eine junge Frau an einem Strick in die Mitte genommen hatten. Sie trug einen weiten Kittel aus grobem Leinen, der mehr ein Sack als ein Kleidungsstück war. Die langen hellblonden Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Ihre Hände waren vor dem Leib gefesselt, ihr Gesicht von Tränen verschmiert. Sie wirkte erschöpft, wehrte sich jedoch heftig und versuchte immer wieder durch ruckartiges Ziehen am Seil freizukommen.

»Wer ist das?«, wollte Muriel wissen.

»Das ist Gunhild, die Tochter des Apothekers Hubertus«, erklärte Christoph. »Sie war als Magd im Haus des ehrenwerten Gewandschneiders angestellt und wird beschuldigt, seinen kranken Sohn mit einem selbst gebrauten Trank vergiftet zu haben. Er ringt mit dem Tode. Deshalb wird ihr der Prozess gemacht.«

»Wirklich?« Muriel war entsetzt. »Was geschieht mit ihr?«

»Das kommt drauf an.« Christoph reckte sich, um zu sehen, wie die Verurteilte an den Pfahl gebunden wurde. Vier Männer waren nötig, um sie festzuhalten, denn sie wehrte sich, trat um sich, bespuckte die Männer und schrie dabei immer wieder, dass sie unschuldig sei.

»Worauf kommt es an?«, wollte Muriel wissen.

»Was der Rat entschieden hat.«

Die Menschen ringsumher beobachteten neugierig das Geschehen und rückten noch enger zusammen. Bald standen sie so dicht gedrängt, dass Muriel kaum noch etwas sehen konnte. Lautstark stritten sie darüber, ob die junge Frau nun schuldig oder unschuldig war. Einige beteuerten ihre Unschuld. Andere wiederum schimpften sie eine Giftmischerin und hoben drohend die Fäuste.

Als ein Gerichtsdiener vortrat, um die Anschuldigungen und das Urteil zu verlesen, wurde es still.

»Bürger von Willenberg«, las er laut und gut vernehmbar vor. »Nach den Gesetzen der heiligen Kirche und des Reiches wurde die beschuldigte Gunhild Elisabeth Junghans vom Rat der Stadt Willenberg der Giftmischerei für schuldig befunden. Da sie zuvor jedoch eine unbescholtene Jungfer gewesen ist, wird der Rat Milde walten lassen. Sollte sie ihre Schuld hier und jetzt vor Zeugen bekennen und die Tat bereuen, soll sie in ein Kloster gegeben werden, um dort um Vergebung ihrer Sünden zu beten.«

Er wandte sich an die Beschuldigte, sah sie auffordernd an und fragte: »Nun frage ich dich, Gunhild Elisabeth Junghans, bekennst du dich zu deinen Sünden, auf dass du für deine Verfehlungen büßen und deine Seele vor der ewigen Verdammnis retten kannst?«

»Ich bin unschuldig! Ich habe dem Kind nie einen Trank bereitet.« Die Worte gellten über den Platz und lösten einen Sturm der Empörung aus. Es dauerte eine Weile, ehe es wieder so ruhig war, dass der Gerichtsdiener weitersprechen konnte.

»Da sich die Beschuldigte verstockt zeigt und nicht willens ist, für ihre Sünden zu büßen«, rief er aus, »wird sie die vom ehrwürdigen Vogt und Stadtrat verhängte höchstmögliche Strafe treffen.« Seine Stimme nahm an Härte zu, als er verkündete: »Gunhild Elisabeth Junghans wird hiermit geächtet und zu ewig währender Verbannung verurteilt. Niemals wieder soll sie die Stadt Willenberg betreten oder in die Nähe dieser kommen. Unterkunft, Speis und Trank sind ihr zu versagen. Wer dies missachtet, den wird höchstselbst eine harte Strafe ereilen.«

Einige Leute empörten sich über das Urteil, andere jubelten.

»Aus der Stadt mit ihr! Aus der Stadt mit ihr!«, riefen sie im Chor. Aber der Gerichtsdiener war noch nicht fertig.

»Zum Zeichen der Schande sollen ihr zudem die Haare geschoren werden.« Er winkte einen der Männer herbei, die die Bänke getragen hatten, reichte ihm ein Messer und sagte: »Scherer, walte deines Amtes.«

Der Mann nickte, nahm das Messer und begann sofort damit, die langen blonden Haare der Frau dicht am Kopf abzuschneiden.

»Ich bin unschuldig! Ich bin unschuldig!« Die Frau gebärdete sich wie wild und schnappte immer wieder mit den Zähnen nach ihm, aber gefesselt, wie sie war, hatte sie keine Chance. Als der Scherer das erste Haarbüschel wie eine Trophäe in die Höhe hob, jubelten die Menschen auf dem Markt.

»Das ist gemein.« Muriel wünschte, sie könne sich irgendwohin verdrücken, aber die Leute standen so dicht beieinander, dass sie nicht fortkonnte.

»Es ist gerecht«, erwiderte Christoph ernst. »Wo kämen wir denn hin, wenn Giftmischerei nicht bestraft würde?«

»Aber sie sagt doch, dass sie unschuldig ist«, ereiferte sich Muriel. Die Frau am Schandpfahl tat ihr unendlich leid.

»Das sagen alle, die eines Verbrechens beschuldigt werden«, mischte sich eine rundliche Marktfrau in das Gespräch ein und erklärte nachdrücklich: »Wenn der Vogt sie für schuldig befunden hat, dann ist sie es auch.«

Kaum hatte sie das gesagt, wandte sich der Scherer um und meldete dem Vogt den Vollzug der Strafe.

Die Frau stand mit gesenktem Blick am Schandpfahl. Sie weinte. Mit dem kahl geschorenen Kopf war sie dem Gespött der Menge noch mehr ausgesetzt als zuvor. Die Leute verhöhnten und beschimpften sie und schreckten nicht einmal davor zurück, sie anzuspucken.

Endlose Minuten lang ließ der Gerichtsdiener es geschehen, ohne einzugreifen. Dann gab er den Soldaten ein Zeichen. Sie banden die Frau los und nahmen sie wieder in die Mitte.

Muriel sah, wie die Menschen zur Seite wichen, um eine Gasse für die Soldaten zu bilden. Sie führten die Verurteilte durch ein Spalier aus Menschen, die die junge Frau nicht nur verhöhnten und beleidigten, sondern auch immer wieder schubsten und stießen, um ihr zu zeigen, wie sehr sie sie verachteten.

Muriel war froh, als die Gruppe außer Sicht war und der Spuk ein Ende hatte.

»Was ist mit dir?«, fragte Christoph verwundert. »Man könnte meinen, du hast noch nie eine öffentliche Verurteilung gesehen.«

»Habe ich auch noch nicht!« Muriel atmete tief durch, als könne sie damit das Unbehagen vertreiben, das der Anblick der verstoßenen Frau bei ihr hinterlassen hatte.

»Jetzt sag bloß, sie tut dir leid.« Auf Christophs Gesicht zeigte sich eine Spur von Unverständnis.

»Ja, das tut sie.«

»Aber warum?« Christoph schüttelte den Kopf. »Sie hat ein Verbrechen begangen und muss dafür büßen. So lautet das Gesetz. Sie hat noch Glück gehabt und eine milde Strafe erhalten«, erklärte er. »Häufig werden Frauen wegen geringerer Vergehen als Hexen verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«

»Hör auf!« Muriel hielt sich die Ohren zu. Im Geschichtsunterricht hatten sie fast eine Stunde lang über die grausamen Strafen gesprochen, zu denen die Menschen im Mittelalter oft verurteilt wurden. Es selbst zu erleben, war jedoch etwas ganz anderes.

Die Menge der Schaulustigen zerstreute sich langsam. Der Vogt und die Ratsherren kehrten ins Rathaus zurück. Die Männer trugen die Bänke fort. Als sei nichts geschehen, nahmen die Bürger von Willenberg ihre Besorgungen wieder auf. Sogar die Musikanten fanden sich wieder ein, um die Besucher das Marktes zu unterhalten.

»Ich gehe jetzt den Hufschmied fragen, ob er deiner Mutter helfen kann«, kündigte Christoph an.

»Meiner Mutter?« Muriel brauchte ein Weile, um zu verstehen, was er damit meinte. Dann fiel ihr die Geschichte wieder ein, die sie ihm erzählt hatte.

»Oh! Ja, natürlich!«, sagte sie hastig. »Meine Mutter wird sich sicher schon Sorgen machen, wo ich so lange bleibe. Bitte beeile dich.«

»Kommst du nicht mit?« Christoph runzelte die Stirn.

»Ich warte hier auf dich«, Muriel fuhr sich mit der Hand müde über die Augen. »Ich bin heute schon so weit gelaufen. Meine Füße tun mir weh.«

»Wenn deine Füße so zart sind wie deine Hände, ist das kein Wunder.« Christoph grinste. »Also gut, warte hier. Ich bin gleich zurück.«

»Danke.« Muriel lächelte ihm zu und sah ihm nach, wie er eilig davonrannte. Sie hatte nicht vor auf ihn zu warten und war froh eine Gelegenheit gefunden zu haben, sich unauffällig zu verdrücken. Kaum dass er um die nächste Hausecke verschwunden war, drehte sie sich um, raffte ihr Kleid mit den Händen in die Höhe und lief so schnell sie konnte den Weg zurück, den sie gekommen war.

Sie hatte genug vom Mittelalter gesehen und wünschte sich nichts sehnlicher, als möglichst bald in ihre eigene Welt zurückzukehren. Doch das ging nur mit Ascalon und der wartete irgendwo draußen vor der Stadt auf sie.

Mit großen Schritten überquerte sie den Platz, bog in die Gasse ein, durch die Christoph sie zum Markt geführt hatte, und fand sich schon bald auf der Straße wieder, die aus der Stadt hinaus zum nahen Wald führte. Die Menschen, an denen sie vorbeihastete, sahen ihr verwundert nach, aber niemand hielt sie auf oder sprach sie an.

Am Stadtrand musste Muriel eine kurze Verschnaufpause einlegen. Sie hatte lange nichts getrunken und bis auf den kleinen Apfel auch nichts gegessen. Nun war ihr Hals vom Laufen trocken und die Knie weich vor Hunger.

Für die nächste Reise sollte ich mir wohl besser etwas Proviant einstecken, dachte sie und ärgerte sich darüber, dass sie nicht gleich daran gedacht hatte. Erschöpft ging sie zu einem großen Felsen, der am Wegesrand im Schatten einer knorrigen Eiche lag, und setzte sich, um ein wenig auszuruhen. Müde stützte sie das Kinn auf die Hände und schloss die Augen.

Es dauerte nicht lange, da hörte sie Schritte sich nähern. Sie blickte auf und erkannte die sechs Soldaten, die die junge Frau aus der Stadt geführt hatten. Offenbar hatten sie ihre Pflicht erfüllt, denn sie kehrten ohne die Frau nach Willenberg zurück.

Ein Schauer lief Muriel über den Rücken, als sie daran zurückdachte, was sich auf dem Marktplatz abgespielt hatte.

Die Menschen haben es einfach geschehen lassen, überlegte sie. Selbst jene, die sie für unschuldig hielten, haben nichts gesagt. Muriel konnte das nicht verstehen.

»Man darf nicht wegsehen, wenn anderen ein Unrecht geschieht«, sagte ihre Mutter immer. »Wer nicht hilft, macht sich mitschuldig am Unglück der anderen.«

Hier hatten alle weggesehen. Niemand hatte auch nur ein gutes Wort für die arme Frau eingelegt, die doch selbst immer wieder ihre Unschuld beteuert hatte.

»Eine düstere Zeit«, hatte die Göttin zu Muriel gesagt. Und sie hatte mit »Ich weiß« geantwortet. Aber das war falsch. Nichts hatte sie gewusst. Gar nichts. Ein paar Sätze in einem Geschichtsbuch konnten nicht beschreiben, was sie in dieser kurzen Zeit hier für Eindrücke gewonnen hatte.

In dieser Zeit hätte sie nicht leben wollen, dessen war sie sich schon jetzt sicher. Aber dafür war sie ja auch nicht hierhergekommen. Sie hatte Beweise gesucht und gefunden. Sie war eindeutig im mittelalterlichen Willenberg gewesen. Die Göttin hatte die Wahrheit gesagt: Ascalon konnte wirklich durch die Zeit reisen.

Auf der Straße ertönte Hufschlag. Muriel hob den Kopf und sah Ascalon den Weg entlangkommen. Seine Mähne glänzte im Sonnenlicht und sein Fell schimmerte, als wäre es aus Seide. Als er sie erkannte, wieherte er freudig und kam auf sie zu.

»Du hast wohl meine Gedanken gelesen«, begrüßte sie ihn lachend. Dann stand sie auf, schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte die Wange an sein weiches, sonnenwarmes Fell. Für wenige Atemzüge stand sie so da, rührte sich nicht und genoss die vertraute Nähe des Pferdes. Dann kletterte sie auf den Felsen, um sich das Aufsitzen zu erleichtern, schwang sich auf Ascalons Rücken und sagte zu ihm: »Ich bin sehr durstig und würde gern etwas trinken. Danach möchte ich aber wieder zurückreisen.«

Ascalon schnaubte leise, wandte sich um und trabte auf den Wald zu. Muriel fürchtete, dass er gleich den Rückweg antreten würde, aber Ascalon schien sie sehr wohl verstanden zu haben. Auf halbem Weg zum Wald bog er auf eine Wiese ein und galoppierte mit Muriel darüber hinweg. Ein Bauer, der in der Ferne mit einer Sense arbeitete, hielt bei der Arbeit inne und sah ihnen verwundert nach.

Aber nun war es Muriel gleichgültig, ob man sie auf Ascalon reiten sah. Sie schaute voraus und erkannte das silberne Band eines kleinen Flusses, der sich, von hohen Schwarzerlen gesäumt, wie eine Schlange durch die ausgedehnte Wiesenlandschaft wand.

Die Wille. Gleich darauf tauchte die Willenberger Wassermühle hinter den Erlen auf. Das auf Feldsteinen errichtete Fachwerkhaus sah fast so aus, wie Muriel es aus ihrer Zeit kannte, nur dass es jetzt natürlich nicht verfallen und unbewohnt war. Sogar das große hölzerne Mühlrad drehte sich klappernd.

Muriel erinnerte sich, dass die Mühle Christophs Onkel gehörte. Bei dem Gedanken wurde ihr etwas unbehaglich zumute. Aber Ascalon hatte gar nicht vor, zur Mühle zu laufen. Er nahm den direkten Weg zum Flüsschen, hielt an einem sandigen Uferstück inne und begann zu saufen.

Muriel sprang von seinem Rücken, kniete am Ufer nieder und schöpfte sich das Wasser mit den Händen in den Mund. Sie war so durstig wie schon lange nicht mehr und froh, endlich etwas trinken zu können. In ihrer Welt hätte Mam ihr streng verboten, das Wasser der Wille an dieser Stelle zu trinken, weil die Abwässer des Willenberger Klärwerks ein Stück flussaufwärts eingeleitet wurden, aber selbst das wäre ihr in diesem Augenblick egal gewesen.

Zu ihrer großen Überraschung war das Wasser klar und schmeckte einfach köstlich. Ganz anders als das trübe und modrig riechende Willewasser ihrer Tage, das im Frühling, wenn die Algen blühten, oft so grün wie Götterspeise wurde.

»Ich danke dir, mein Freund«, sagte sie zu Ascalon, als sie getrunken hatte, klopfte ihm freundschaftlich den Hals und fügte hinzu: »Und jetzt bring mich nach Hause.«

Wie der Wind flog Ascalon über die Wiese dahin auf den fernen Wald zu. Muriel war aufgeregt. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis er den Sprung durch die Zeit wagte.

Als sie aus dem Sonnenschein in den schattigen Wald ritten, konnte sie für einen Augenblick nichts sehen. Schnell kniff sie die Augen zusammen, damit diese sich an die Dunkelheit gewöhnten.

Als sie sie blinzelnd wieder öffnete, sah sie die Frau. Sie stand keine zehn Meter entfernt mitten auf dem Weg und reckte ihr die Arme flehend entgegen. Jedes andere Pferd hätte sie gewiss über den Haufen geritten, aber Ascalon reagierte, ohne dass Muriel ihn anweisen musste. Wie durch ein Wunder kam er unmittelbar vor der Frau zum Stehen, schüttelte schnaubend die Mähne und scharrte nervös mit dem Huf.

Muriel war so erschrocken, dass sie im ersten Augenblick kein Wort herausbekam. Als sei sie ein Gespenst, starrte sie die junge Frau an, die da mit kurz geschorenen Haaren und einem sackähnlichen Kittel vor ihr stand und mit großen Augen zu ihr aufschaute.

Dieselbe Frau, die vorhin auf dem Marktplatz vor aller Augen aus Willenberg verstoßen wurde.

»Helft mir, edle Frau«, sagte sie mit bebender Stimme. »Bitte helft mir. Ich habe Hunger und Durst und weiß nicht, wohin. Wendet Euch nicht ab, ich flehe Euch an. Ihr seid meine letzte Hoffnung.«

»Ich habe weder zu essen noch zu trinken bei mir.« Es brach Muriel fast das Herz, dem Mädchen in ihrem Elend nicht helfen zu können. Sie war wirklich noch sehr jung. Vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, also nicht viel älter als sie selbst. Aber in diesen Zeiten galt sie vermutlich schon als erwachsen.

Muriel fühlte sich ihr irgendwie verbunden. Nach allem, was sie hatte erdulden müssen, hätte sie ihr wirklich gern geholfen. Doch sie besaß ja selbst nichts außer der Kleider, die sie am Leib trug. Dann hatte sie eine Idee: »Wenn du willst, kannst du bei mir aufsitzen. Mein Pferd ist ausgeruht und kräftig. Es kann dich bestimmt irgendwo hinbringen, wo man dir helfen kann. Zu Verwandten vielleicht, die dich aufnehmen oder zu einem Kloster, in dem man sich um dich kümmern wird.«

»Das … das würdet Ihr wirklich für mich tun?« Die vom Weinen rot verquollenen Augen der jungen Frau leuchteten, als sie das hörte. »Gott segne Euch!« Sie ergriff Muriels Hand und presste sie sich gegen die Stirn. »Gott segne Euch«, sagte sie noch einmal.

Ascalon schüttelte die Mähne und scharrte noch etwas heftiger mit dem Huf. Aber Muriel achtete nicht darauf. Sie war so glücklich, etwas für die Verstoßene tun zu können, dass sie es nicht einmal bemerkte.

»Gibt es denn einen Ort, an den ich dich bringen könnte?«, fragte sie.

»Einen Tagesmarsch von hier in Sudweil lebt eine Anverwandte von mir«, erklärte die Frau. »Wenn Ihr mich dorthin brächtet, wäre ich sehr glücklich.«

»Natürlich! Komm, ich helfe dir beim Aufsitzen.« Muriel streckte der Frau die Hand entgegen.

Im gleichen Augenblick trabte Ascalon an.

»Ascalon!« Muriels Stimme gellte durch den Wald. »Steh, Ascalon!« Aber Ascalon blieb nicht stehen. Muriel schaute sich um und sah, wie die Frau ihr ein Stück hinterherlief, auf die Knie sank und die Hände verzweifelt vors Gesicht schlug.

»Ascalon!« Muriel war außer sich. »Was ist denn bloß in dich gefahren? Kehr sofort um, damit wir der armen Frau helfen können. Brrr … Ascalon, steh!«

Aber Ascalon hörte nicht auf sie. Sosehr sie auch schimpfte, flehte und bettelte. Er dachte gar nicht daran umzukehren. Die Frau blieb rasch hinter ihnen zurück, wurde zu einem hellen Fleck auf dem dunklen Waldboden und war kurz darauf nicht mehr zu sehen.

»Du bist gemein … gemein.« Wütend trommelte Muriel mit den Fäusten auf Ascalons Nacken. Sie hatte der Frau doch nur helfen wollen.

Ascalon – Das magische Pferd, Band 1: Ascalon – Das magische Pferd. Die Wächter des Schicksals
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