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Mikes erste Reaktion war weder Wut noch Angst, vielmehr völlige Fassungslosigkeit. Alles verlangsamte sich zu sirupartiger Zeitlupe – Dodges Hand, die gerade das Stofftier losgelassen hatte, Williams Mund, dessen schlaffe Lippen sich über den Sonnenblumenkernen wölbten, Kats Eisbär, der ganz leicht auf dem Asphalt des Parkplatzes schaukelte, wobei man sah, dass ein bepelzter Arm in eine Öllache gefallen war, so dass er jetzt ganz glatt und dunkel aussah. Dieses Stofftier in diesem Zusammenhang zu sehen, war geradezu surreal.

In Mikes Kopf überschlugen sich die Gedanken, die Zahnrädchen ratterten verzweifelt. Die Schlussfolgerungen, die er daraus ziehen musste, dass der Eisbär hier auftauchte, waren zu weitreichend, als dass er sie in Sekundenschnelle hätte verarbeiten können.

»Wo haben Sie den her?«, fragte er.

William, der ganz nah vor ihm stand, antwortete: »Hab ich gefunden.« Er setzte ein verschlagenes Grinsen auf. »Gehört er tatsächlich Katherine?«

Als Mike den vollen Namen seiner Tochter aus Williams Mund hörte, löste sich etwas in ihm. Die Zahnräder griffen wieder ineinander. Die ganze Szene – und Mikes Gedanken – nahm plötzlich wieder die richtige Geschwindigkeit an. Die Stimme aus dem Babyphone. Kats Fenster, das von selbst wieder ins Schloss fiel. Diese Männer – im Zimmer seiner Tochter?

Sein Blut summte wie eine kräftig gezupfte Saite. Auf einmal sah er schrecklich scharf, dann verschwamm das Bild wieder, als er vorwärts sprang und William die Stirn ins Gesicht rammte. Knochen schlugen aufeinander. William wurde von der Wucht hörbar die Luft aus den Lungen gepresst, und sein Atem mischte sich mit dem von Mike. Einen eingefrorenen Moment lang waren ihre Augen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, und Mike sah aus nächster Nähe, wie eine braune Pupille vor Schock und Schmerz obszön herumrollte.

Heulend fuhr William zurück. Mike spürte den Schweiß des Mannes auf seiner eigenen Stirn. So ein Kopfstoß war etwas Primitives: das eigene Gesicht als Waffe benutzen. Nach diesem Straßenkampfkunstgriff – Sheps Lieblingsmethode, wenn er jemand überrumpeln wollte – stand Mike atemlos und hingerissen da und fühlte sich irgendwie näher an Shady Lane als am Braemar Country Club.

Dodge betrachtete ihn mit gleichmütigem Interesse. Wie eine Katze einen Kanarienvogel.

William rollte sich auf dem Boden, hielt sich die Wange und schrie: »Hast du das gesehen? Der hat mich geschlagen! Der Mann hat mich geschlagen!«

Gäste der Preisverleihung blieben stehen, um zu gaffen. Köpfe reckten sich über Autodächer. Ein paar Leute blieben wie erstarrt in zehn Meter Entfernung stehen, sahen zu und überlegten, wie um Himmels willen sie reagieren sollten. Williams krankes Bein scharrte steif über den Asphalt.

Dodges Lippen wichen auseinander und entblößten einen winzigen Spalt, durch den man seine Zähne sah – was bei ihm allerdings wie eine unheimlich anstrengende Bewegung aussah.

Mike ging in Position und wartete auf einen neuen Angriff.

Da hörte er hinter sich Kat, die auf dem Rücksitz seines Autos schrie. Das Geräusch brach durch das weiße Rauschen, das seinen Kopf erfüllte, und holte ihn schlagartig zurück in die Gegenwart. Er blieb stehen, rang um Selbstbeherrschung und atmete dabei so heftig, dass seine Schultern sich hoben und senkten.

Annabel rief ihm zu, dass er in den Wagen steigen sollte, und er dachte an Kat und sie, die hinter ihm durch die Kinoleinwand der Windschutzscheibe zusahen. Alles, was hier für ihn auf dem Spiel stand, schien in den zahllosen Blicken zusammengefasst, die auf ihn gerichtet waren, diese ganzen gut gekleideten Leute, die zusahen, wie er einen Krüppel zusammenschlug.

Mike ging rückwärts zu seinem Auto, während ein paar beherzte Seelen William zu Hilfe eilten.

Dodges Blick ließ seinen nicht los. »Bald«, sagte er, und bei diesem Wort schoss Mike ein feuriger Strahl die Wirbelsäule empor.

Mike stieg ins Auto und ließ den Motor an. Inzwischen drängte sich eine kleine Menge um die zwei Männer, die von seinen Scheinwerfern beleuchtet wurden. Man half William auf die Füße, der sich immer noch das Gesicht hielt, doch dann gab sein Bein unter ihm nach und er brach wieder zusammen. Mehrere Frauen warfen Mike fassungslose Blicke zu.

»Was ist da gerade passiert?«, fragte Annabel leise.

»Ich weiß es nicht«, sagte Mike.

Er legte einen Arm auf die Rücklehne des Vordersitzes und fuhr rückwärts aus der Parklücke. Kay hatte sich mit glitzernden Wangen auf dem Rücksitz zusammengekrümmt. Die Menschenmenge zerstreute sich, als Mike davonfuhr. Er nahm die Augen die ganze Zeit nicht vom Rückspiegel.

Im roten Schein seiner Bremslichter blieb William in verdrehter Stellung auf seinen schlaffen Beinen liegen. Neben ihm ragte Dodge unmenschlich groß auf. Er hatte den Kopf schräg gelegt und sah ihnen mit seinen gefühllosen Augen nach, während sie davonfuhren.