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Wir haben da also einen William. Und einen … Dodge, richtig?« Der Detective stellte seine Kaffeetasse sorgfältig auf einen der zahllosen ringförmigen Abdrücke, die die Fläche seines viel zu kleinen Schreibtischs verunzierten. Der große Mann hatte einen Kiefer wie eine Laterne, einen schiefen Mund, und auf seinem alten, halb abblätternden Namensschild stand ein slawischer Name: Markovic.

Seine Partnerin, das genaue Gegenteil, hatte präzise, konzentrierte Gesichtszüge und glatte, dunkle Haut. Simone Elzey trug ein billiges Hemd, dessen Ärmel sie hochgekrempelt hatte. Schwielige Hände und ein Stiernacken verrieten ihre Neigung zum Kraftraum. An der linken Seite ihres Halses trug sie ein großes Engel-Tattoo, das ihr etwas Einschüchterndes verlieh, und Mike nahm an, dass das auch der Hintergedanke gewesen war. Nachdem sie die grundlegenden Fragen abgehakt hatten, war sie nach hinten ins Büro gegangen, um einen Bericht zu schreiben, was nach Deputy-Stenografie für desinteressierte Tatenlosigkeit klang.

Die Sheriff-Station von Lost Hills, die nur wenige Meilen vom Haus der Wingates entfernt war, war so verlassen, dass man fast damit rechnete, an der nächsten Ecke Steppenhexen über die Straße rollen zu sehen. An einem Sonntagabend um elf hatte wahrscheinlich jeder etwas Besseres zu tun, und Markovic und Elzey ging es da nicht anders. Mike und Annabel saßen auf unbequemen Holzstühlen, Kat war erschöpft auf dem Schoß ihrer Mutter zusammengesackt. Sie hatten die Geschichte mehrmals erzählt, und die Detectives stellten dieselben Fragen in immer neuen Tonarten – eine Symphonie der Skepsis.

Man teilte Mike und Annabel mit, dass man im Falle einer offiziellen Ermittlung das LAPD hinzuziehen würde, denn der Vorfall hatte sich ja in Tarzana abgespielt. Da die beiden sich während der Heimfahrt die Köpfe zerbrochen hatten, was sie unternehmen sollten, waren sie schließlich bei der Polizeistation gelandet, die am nächsten an ihrem Haus lag. Mike merkte, dass er sowieso keine andere Anlaufstelle gewusst hätte. Was für ein Kontrast zu den Jahren in Shady Lane, als Shep und er die Inneneinrichtung jeder Polizeistation auswendig kannten, die eine Autofahrt vom Haus der Couch-Mutter entfernt war.

»Ja. Wie ich schon sagte.« Mike rieb sich den Nacken.

Markovic musterte ihn mit seinen stumpfen grauen Augen. »Können Sie uns einen Nachnamen nennen?«

Diese Frage, in ihrer mittlerweile dritten Inkarnation, brachte Mike noch weiter aus dem Lot. Er fühlte sich unwohl, und unerklärlicherweise beschlich ihn plötzlich ein Schuldgefühl. Annabel, die sein Unbehagen spürte, legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Einen Nachnamen?«, versuchte es Markovic noch einmal.

Schließlich wurde Mike klar, woher das Echo kam, und seine Gedanken rasten zurück zu dieser ersten nebulösen Erinnerung an seinen Vater, der ihn allein zurückgelassen hatte. Eine ähnliche Polizeistation, auf der man ihn mit Fragen bombardierte, eine nach der anderen, und ihn damit immer tiefer in den Nebel seiner Vergangenheit trieb: Weißt du denn deinen Nachnamen nicht? Wie wär’s mit dem Namen von deinem Dad? Weißt du den Namen von deinem Dad? Mike versuchte, die Orientierung wiederzufinden und glitt wieder in das Zimmer, in dem er saß – Flyer mit Bildern vermisster Kinder, dunkelhäutige Männer, die düster von Polizeifotos blickten, der bittere Geruch von abgestandenem Kaffee. Parallelen in so vieler Hinsicht. Aber – so hielt er sich selbst vor Augen – auch völlig anders. Jetzt war er erwachsen. Ein Steuerzahler. Ein Mitglied der Gesellschaft.

Die Steve Miller Band tönte aus den jahrzehntealten Lautsprechern und kreiste wie ein Adler über dem Knattern der Funkscanner.

»Nein«, sagte Mike, vielleicht ein bisschen zu fest. »Wie gesagt, ich dachte, dass das Kennzeichen schon weiterhelfen würde.«

»Und wie ich Ihnen schon gesagt habe, stammt das Kennzeichen, dass Sie uns genannt haben, von einem braunen Eldorado Baujahr 78, der zuletzt 1991 auf einen Jirō Arihyoshi angemeldet war, einen Gärtner in Yuba City. Wenn Sie sich also nicht geirrt haben …«

»Ich habe mich nicht geirrt.«

»Mmm.«

Im Fernsehen sah das alles immer so einfach aus. Ein Buch mit Polizeifotos, ein Fingerabdruck, und bevor man sich versah, trat Jack Bauer schon eine Tür ein. Aber Mike hatte nicht mehr als einen fehlenden Nachnamen, einen weißen Van und ein Kennzeichen, das seit zwei Jahrzehnten nicht mehr vergeben worden war.

Er dachte daran, wie er sich in Hanks Büro gefühlt hatte, als er seine Akte der Sackgassen betrachtet hatte. Eine Stecknadel in einem Heuhaufen.

Annabel wollte immer noch nicht glauben, dass William oder Dodge nachts bei ihnen eingebrochen waren, um den Eisbären zu stehlen und ins Babyphone zu flüstern. Sie war eher besorgt wegen der allgemeinen Bedrohung, die von den beiden ausging. Die Tatsache, dass sie den Bär irgendwo mitgenommen hatten, bedeutete, dass sie entweder die Familie verfolgten oder Kat hinterherschnüffelten. Irgendetwas wollten sie anscheinend.

Markovic blätterte in seinen Notizen. »Haben Sie diesen … Stoffeisbären denn jetzt?«

»Nein, ich … nein, wir …«

»Wir sind weggefahren und haben ihn auf dem Boden liegen lassen. Es kam uns nicht sehr klug vor, umzukehren und ihn zu holen.«

»Mmm.« Sein Blick blieb an Mike hängen. »Und Sie sagen, außer dem hat Sie noch ein anderes Auto verfolgt?«

Mike hatte den Mercury nebenbei erwähnt und sich dabei einen neugierigen Blick von Annabel eingefangen. Jetzt tat es ihm leid, dass er das Thema überhaupt aufs Tapet gebracht hatte. »Ich glaube, bin mir aber nicht ganz sicher. Am Mittwoch. Ein Grand Marquis.«

»Aber diese Kerle von heute Abend – William und …« Blick auf seinen Notizblock. »… Dodge, die hatten einen Van.«

»Sie könnten ja auch zwei Fahrzeuge haben.«

»Natürlich. Selbstverständlich könnten Sie das.«

Mike legte die Fingerspitzen auf die schmerzende Stelle an seiner Stirn und betastete den Bluterguss. Markovic war jetzt völlig in die Betrachtung seiner Notizen versunken. Im Büro nebenan saß Elzey immer noch mit dem Rücken zum Zwischenfenster und tippte auf ihrer Tastatur herum. Jetzt sprach sie an einem altmodischen Telefon, man sah das spiralförmige Kabel. Dann legte sie auf und rief jemand anders an. Sie hatte den muskulösen Hals geneigt, und Mike gefiel die Intensität ihrer Körpersprache überhaupt nicht. Dann trat sie an die Tür und winkte ihren Partner mit gekrümmtem Finger zu sich. »Marko.«

Markovic stieß seinen protestierend quietschenden Stuhl mit den Kniekehlen zurück und folgte ihr. Irgendetwas an ihrer Art, sich zu unterhalten, zerrte an Mikes Nerven. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt, machten den Mund kaum auf beim Sprechen und bewegten die Lippen nur minimal. Elzey merkte, dass er sie durch das Zwischenfenster beobachtete, und schloss die Lamellen der Jalousie mit einem einzigen Handgriff.

Mike wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Familie zu. Kats Lider wurden immer schwerer, bis ihr die Augen irgendwann ganz zufielen. »Diese Kandidatin hier müssen wir jetzt langsam mal nach Hause bringen.«

»Sobald er zurückkommt.«

»Glaubst du …« Annabel hielt inne, aber Mike ermunterte sie mit einem Nicken zum Weitersprechen »Glaubst du, dass das Ganze irgendwas mit deinem zwielichtigen Subunternehmer zu tun hat? Oder mit dem Gouverneur?«

»Wovon redet ihr?« Kat war wieder aufgewacht. »Was für ein zwielichtiger Subunternehmer?«

»Nichts, Kat«, beschwichtigte Mike. Dann wandte er sich wieder an Annabel. »Das bezweifle ich. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass sie nach dem Ding auch noch diese Nummer hier draufsetzen.«

»Nach welchem Ding?«

»Das erklär ich dir später, Kat«, sagte Mike. »Schlaf weiter.«

Sie runzelte die Stirn, bevor sie ihren Kopf wieder an die Brust ihrer Mutter lehnte. Annabel strich ihr geistesabwesend übers Haar, während sie die Augen nicht von Mike nahm.

Er hoffte, dass diese Angelegenheit – was auch immer dahinterstecken mochte – mit den PVC-Rohren und Bill Garners PR-Kampagne für seinen Chef zu tun hatte. Das kam ihm überschaubarer vor – eine Welt aus klaren Motiven und Vetternwirtschaft. Also sprach Mike nicht aus, wovor er am meisten Angst hatte: dass das alles überhaupt nichts mit »Green Valley« zu tun hatte. Dass der Sache eine völlig andere Dimension von Hässlichkeit innewohnte, die sich erst noch zeigen würde.

Markovic und Elzey kamen zurück, wobei ihr Gang plötzlich eine ganz neue Energie zeigte. Elzey hatte einen Stuhl herumgedreht und setzte sich rittlings darauf. Es sah aus, als würde sie auf eine Harley steigen. »Wir haben hier ein paar Probleme, Ihre biografischen Details in Erfahrung zu bringen, Mike«, erklärte Sie.

Mike spürte, wie sein Puls gleich ein wenig schneller ging. »Warum checken Sie meine Personalien?«

»Meine Personalien.« Markovic runzelte beeindruckt die Stirn. »Wow, da hat wohl jemand immer schön Law & Order geguckt.«

»Hören Sie«, mischte sich Elzey ein. »Wenn uns jemand bittet, dass wir uns eine Geschichte näher ansehen sollen, sehen wir sie uns näher an. Sie haben eine blitzsaubere Akte, aber eben auch reihenweise Leerstellen. Wenn Sie wirklich so besorgt sind, wie Sie behaupten, können Sie vielleicht ein paar von diesen Leerstellen für uns füllen, damit wir wissen, wo wir überhaupt anfangen sollen zu suchen.«

Mike stellte sich vor, wie sie im rückwärtigen Büro die Köpfe zusammengesteckt hatten, und fragte sich, worüber sie wohl gesprochen hatten, dass sie sich anschließend bemüßigt fühlten, so einen aggressiven Ton anzuschlagen. »Ich wüsste nicht, was für Hinweise ich Ihnen geben könnte.«

»Kommen Sie schon, da muss es doch irgendwas geben. Ein schiefgelaufenes Geschäft, eine unschöne Begegnung, ein Beinahe-Unfall… Sind Sie noch nie über so was gestolpert?«

»Nein.« Solche Dinge konnte Mike überhaupt nicht, er war sicher, dass man ihm seine Lüge ansah. Aber er konnte hier nicht von PVC-Rohren und stillschweigenden Übereinkünften mit dem Büro des Gouverneurs anfangen. Außerdem war er sicher, dass diese Konfrontation sowieso nichts damit zu tun hatte.

Diese unterschwellige Gewalt, diese Überraschungsattacke wie von einem Hai, der einen zuvor lauernd umkreist hat, die unausgesprochene Drohung gegen seine Familie – die ganze Sache ließ bei ihm mehr Alarmglocken schrillen als irgendwelche dummen PR-Nummern, bei denen es um Subventionen für Ökohäuser ging.

Elzey breitete die Arme in einer resignierten Geste aus. »Wir können Ihnen nicht helfen, wenn Sie sich nicht entgegenkommender verhalten.«

»Moment mal. Warum drehen Sie es plötzlich so hin, als ginge es dabei um ihn?« Annabel hatte sich so kerzengerade aufgesetzt, dass ihr Kat fast vom Schoß gefallen wäre.

Kat beschwerte sich grummelnd und Markovic beugte sich vor und sagte zu ihr: »Warum gehst du nicht rüber und spielst ein bisschen auf den Stühlen da drüben?«

»Sie ist müde«, sagte Annabel.

»Dann kann sie sich ja hinlegen.«

Kat schleifte ihren Rucksack mit zu der Stuhlreihe und lümmelte sich auf einen Sitz. Ihre Turnschuhe baumelten ein paar Zentimeter über den graumelierten Fliesen.

»Zwei Männer haben mich auf einem Parkplatz angegriffen«, sagte Mike. »Was hat mein Hintergrund damit zu tun?«

»Möchten Sie uns das erzählen?« Elzeys Ton war höflich und beschwichtigend. Wenn sie den Kopf beugte, um zuzuhören, sah ihr Engel-Tattoo wie ein kunstvolles Geburtsmal aus. »Außerdem hat es sich eher so angehört, als hätten Sie die beiden angegriffen, nicht umgekehrt. Gut, sie haben sich seltsam aufgeführt …«

»Das war nicht nur seltsam. Das war kein Spiel oder spontane Schikane.« Mike fühlte sich ungepflegt in seinem überteuerten Anzug, rupfte sich die Krawatte vom Hals und stopfte sie sich in die Tasche. »Diese Männer sind gefährlich. Ich kenne den Unterschied.«

»Woher?« Markovic hielt Mikes Blick stand. »Ich meine, ein herausragender Unternehmer wie Sie – wo sollten Sie gelernt haben, diese Art von Männern zu durchschauen?«

»Jeder hätte diese Männer durchschaut.« Er war am Ende und kurz davor, die Geduld zu verlieren, und er hatte keine Lust mehr, große Worte zu verlieren. »Außerdem haben sie meiner Tochter etwas gestohlen.«

»Klingt doch so, als hätten sie versucht, Ihnen den verlorengegangenen Gegenstand zurückzugeben.«

»Was meinen Sie, wie der überhaupt verlorengegangen ist?«, fragte Annabel.

»Ihre Tochter hatte einen Rucksack dabei«, sagte Elzey. »Er hätte doch bei der Preisverleihung rausfallen können.«

Kat meldete sich vernehmlich zu Wort: »Ich glaube, es wäre mir aufgefallen, wenn ich einen Stoffeisbären in meinem Rucksack gehabt hätte.«

»Vielleicht hat sie ihn bei der Preisverleihung verloren und hat sich geschämt«, versuchte Markovic es ruhig. »Oder sie hatte Angst, dass sie deswegen Ärger bekommt. Kinder. Vielleicht hat sie gelogen.«

»In unserer Familie lügen wir uns nicht an«, sagte Mike, bevor er sich auf die Zunge beißen konnte.

»Er ist schon Tage zuvor gestohlen worden«, fügte Annabel hinzu.

»Vielleicht hatte Katherine ihn verlegt. Zum Beispiel in Ihrem Wagen, an der Tür. Als sie bei der Party ankommen und die Tür aufmachen, fällt das Ding raus …«

Markovics Gesichtsausdruck sollte signalisieren, dass er hier nur ein mögliches Szenario umriss, aber seine Augen sagten etwas ganz anderes.

Mikes Überzeugung geriet ins Wanken. Er konnte nicht sicher sein, dass der Detective sich irrte. Immerhin war Kat ja auch nicht sicher, wo sie ihr Stofftier zum letzten Mal gesehen hatte. Ihm war bewusst, dass er sich hier immer mehr in die Defensive drängen ließ, obwohl ihm klar war, dass das alles andere als ratsam war. Er sprach leise, damit Kat ihn nicht hörte, aber er merkte, wie er die Zähne zusammenbiss, als er flüsterte: »Nein. Die sind in unser Haus eingebrochen und haben ihn gestohlen

»Ah, gut«, sagte Markovic. »Dann haben Sie also Anzeige wegen Diebstahls erstattet?«

Annabel warf Mike einen scharfen Blick zu. Sie hatte vorher aus gutem Grund empfohlen, den eventuellen Einbruch nicht zu erwähnen. Er sah verdrossen weg.

»Nein.«

»Warum nicht?«, fragte Markovic.

Was sollte er sagen? Weil ich dachte, ich höre Geister übers Babyphone? Weil es kein Anzeichen dafür gab, dass jemand gewaltsam in unser Haus eingedrungen ist? Weil sich das alles vielleicht bloß in meinem Kopf zugetragen hat?

Obwohl sie es selbst nicht glaubte, ergriff Annabel jetzt seine Partei. »Es könnte sein, dass wir da etwas gehört haben …«

Elzeys Polizistenblick ließ sie innehalten, und das »es könnte sein« hallte in der jähen Stille nach.

Annabel sprach weiter und versuchte alles zu erklären, ohne dass es verrückt wirkte, doch Mike blieb still und zog sich in sich selbst zurück.

Er kannte dieses Gefühl, bei einer Vernehmung in dieser Position zu sein. Obwohl es inzwischen Jahre zurücklag, war er immer noch in der Lage, die Zeichen zu deuten, die einem signalisierten, dass man dem Gesetz ausgeliefert war und dass einem auf der Seite des Gesetzes ganz sicher keiner helfen würde.

Er stand auf und berührte seine Frau am Rücken. »Komm, wir gehen.« Er nickte den Detectives zu. »Danke für ihre Zeit.«

»Setzen Sie sich«, sagte Elzey.

Mike blieb stehen. Wartete einen Moment. Als er wieder sprach, war seine Stimme völlig ruhig. »Ich stehe lieber.«

Elzey stand auf und sah ihm in die Augen. Annabel stand ebenfalls auf und streifte Elzey dabei ein wenig, weil die Polizistin so nah neben ihr stand. Markovic beobachtete die ganze Szene mit einer Kenn-ich-alles-Ungerührtheit, die gleichzeitig müde und leicht amüsiert aussah.

»So, wie der ganze Scheiß gelaufen ist«, sagte Elzey, »sollten Sie lieber hoffen, dass der gute William nicht Sie anzeigt.«

Sie war jetzt gereizt, und ihre Sprechweise klang auf einen Schlag viel deutlicher nach Straße. Mike und sie hatten denselben Hintergrund, hatten dann aber völlig verschiedene Wege eingeschlagen. Sie hatte sich für die Seite des Gesetzes entschieden, aber die Straße steckte ihr immer noch in den Knochen und wollte unbedingt etwas beweisen. Sie blinzelte einmal und schaute dann weg, weil ihr unter seinem Blick unbehaglich wurde.

»Auf einmal scheinen Sie ja richtige Leidenschaft für diese Sache zu entwickeln«, meinte Mike.

Elzey zuckte demonstrativ mit den Schultern. »Sie sind zu uns gekommen.«

Annabel gab ein freudloses kurzes Lachen von sich. »Mein Mann wird am Rande einer Preisverleihung, bei der er für seine Dienste an der Allgemeinheit ausgezeichnet wird, angegriffen und Sie fangen an, gegen ihn zu ermitteln?«

»Angegriffen?« Jetzt war auch Markovic aufgestanden und die vier standen sich vor ihren zurückgeschobenen Stühlen gegenüber wie ein Haufen von Leuten, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben wollen. »Nach allem, was Sie uns erzählt haben, haben die beiden Sie ja nicht mal bedroht.«

»Die ganze Situation war eine Bedrohung«, sagte Mike.

»Dann helfen sie uns rauszufinden, warum Sie bedroht werden«, sagte Elzey. »Ihre Akte sieht aus wie ein Schweizer Käse. Sie haben sich im Alter von neunzehn Jahren aus dem Nichts materialisiert, stimmt’s?«

»Ich bin in der Gegend aufgewachsen.«

»Was heißt ›in der Gegend‹? Im Einkaufszentrum auf der anderen Straßenseite?«

»Ich habe keine Gesetze gebrochen. Ich bin ein funktionierender Teil des Systems. Ein Steuerzahler mit Sozialversicherungsnummer. Ich muss nicht jedes Erlebnis meiner Kindheit mit Ihnen teilen.«

»Wie wäre es mit irgendeinem Erlebnis?«, schlug Elzey vor.

»Sie haben mein Geburtsdatum.« Das man ihm damals zusammen mit seinem Nachnamen Doe verpasst hatte. Obwohl er seinen Nachnamen noch einmal geändert hatte, hatte er an seinem imaginären Geburtstag festgehalten, denn das war der einzige, den er hatte.

»Wie wär’s mit dem Rest? Eltern? Wohnort in der Kindheit? Schulen?«

»Warum interessieren Sie sich so für meine Vergangenheit?«

Elzeys Lippen trafen sich zu einer Art Lächeln. »Marko und ich stellen hier die Fragen.«

Annabel nahm Mikes Arm und sagte zu ihr: »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

Kat war inzwischen aufgestanden und beobachtete sie ängstlich, während sie an einem Schulterriemen ihres Rucksacks kaute. Sie huschte zu ihnen herüber. Auf dem Weg zur Tür spürte Mike, wie ihm die Blicke der Detectives ein Loch in den Hinterkopf bohrten.