19
Dodge und William warteten neben dem Müllcontainer auf dem mitternächtlich dunklen Parkplatz hinter der Union L.A. Bank. Die Hintertür war abgeschlossen, aber durch ein hoch gelegenes Innenfenster fiel noch Licht. Trotz der Kälte hatte Dodge die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet, und man sah das saubere weiße Feinrippunterhemd, das er darunter trug. Ohne die Augen von dem Gebäude zu lassen, trat William ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
Er zerknackte einen Sonnenblumenkern zwischen den Zähnen und blies die Schalen aus dem Mund. »Zigarette«, sagte er.
Dodges billiges Plastikfeuerzeug flammte auf, dann glühten zwei rote Punkte im Dunkeln. Er nahm eine Zigarette und reichte sie William, der mit geschlossenen Augen genüsslich inhalierte, bevor er den weißen Rauch langsam aus dem Mundwinkel quellen ließ.
Dodge ließ das Feuerzeug wieder in der Brusttasche verschwinden und nahm einen so kräftigen Zug von seiner Zigarette, dass das erste Drittel gleich heruntergebrannt war.
Das Innenlicht ging aus, und eine Sekunde später erschien Williams Bruder mit einem nervösen Wachmann an der Hintertür, welcher sich argwöhnisch umschaute, bevor er aus dem Gebäude trat.
Hanley eilte zu ihnen, gefolgt vom Wachmann. »Das Scheißding ist leer, Mann!« Er schlug sich mit dem Schließfachschlüssel so fest auf die Knöchel, dass es ein hölzernes Geräusch gab.
William zog die Lippen zurück und hielt die Zigarette nur noch mit den Zähnen fest. »Leer?«
»Der muss sich ausgerechnet haben, dass die SMS gefälscht war und hat alles rausgeholt, was drin war.« Hanley kippelte von den Fersen auf die Zehenspitzen, bis Dodge ihm eine Hand auf die Schulter drückte und ihn festhielt.
»Hört mal …« Der Wachmann gestikulierte nervös an der Peripherie des Dreiecks, das Dodge und die Brüder bildeten. »Ich hab getan, was ich tun sollte, stimmt’s? Ich hab die Sicherungen rausgedreht, hab nichts in das Verzeichnis der Schließfachbesucher eingetragen – ich hab alles getan, damit ihr nicht erwischt werdet. Dann ist das mit meiner Schwester jetzt auch bereinigt, oder? Konten ausgeglichen und so?«
»Ja.«
»Die kann unmöglich noch mal ins Gefängnis, Mann. Sie hat drei Kinder unter zehn Jahren. Ich mein, beim nächsten Mal könnte sie sich auf zehn bis fünfzehn Jahre gefasst machen. Seid ihr sicher? Seid ihr ganz sicher, dass dieser Typ, den ihr da kennt …«
»Der Boss hat gesagt, er kümmert sich drum«, sagte William. »Und wenn er das gesagt hat, dann kümmert er sich auch drum.«
»Ihr Kerle seid echt Engel. Verdammte Schutzengel seid ihr.«
»Wir haben hier nicht gekriegt, was wir wollten«, sagte William. »Also, wie wär’s, wenn du jetzt mal von der Bildfläche verschwindest?« Er schnippte die Zigarette über die Schulter des Wachmannes, dass ihm die Funken auf die Hemdbrust sprühten.
Der Gesichtsausdruck des Mannes veränderte sich schlagartig. Er sah Dodge an, der sich etwas abseits postiert hatte und scheinbar desinteressiert in die schwarze Ecke des Parkplatzes starrte. »Okay.« Der Wachmann hob beschwichtigend die Hände. »Ich hab euch nie gesehen. Ich hab euch nie gesehen.« Er straffte den Rücken und ging wieder nach drinnen, wobei er seinen umfangreichen Schlüsselbund Loopings an der Kette drehen ließ. Die Plexiglastür fiel hinter ihm ins Schloss. Sein blasses Gesicht starrte noch einmal zu ihnen, als er abschloss, dann war er verschwunden.
»Verdammt«, fluchte Hanley. »Der ganze Aufstand, und jetzt ist das Ding leer?«
Er schleuderte den Schließfachschlüssel in die Dunkelheit. Er prallte gegen die Seite des Vans und schlidderte dann über den Asphalt.
Dodge wandte den Kopf. »Hol das Ding zurück.«
»Hör zu, ich …«
»Auf der Stelle.«
Hanley kroch eine geraume Weile auf allen vieren herum und suchte. Dodge zündete unterdessen zwei weitere Zigaretten für William und sich an.
Schließlich brachte Hanley Dodge den Schlüssel. Dodge ließ ihn auf den Boden fallen und kickte ihn in einen Gully.
»Tut mir leid«, sagte Hanley.
»Mach dich locker«, sagte William und legte seinem Bruder die Hand in den Nacken. »Wir waren ihm einfach einen Schritt hinterher.«
»Ich weiß, das ist ein Riesending hier …«
»Nein.« Dodges Blick war kalt und fest.
»Na, jetzt komm.« William bleckte die Zähne. »Ist es jetzt ein Job oder der Job? Das müssen wir noch rausfinden.«
»Wie?«, fragte Hanley.
»Wie finden wir Dinge raus?«, fragte William zurück. »Langsamer, stetiger Druck, bis sie irgendwann in die Knie gehen. Wir müssen ihn immer wieder reizen. Bis er uns den Weg zeigt. Unser Wingate ist extrem angespannt, oder? Na, und angespannte Menschen machen Fehler. Er wird uns schon noch verraten, wer er ist.«
Aber Hanley war schon wieder zappelig. »Ich würde sagen, wir scheißen drauf und knöpfen ihn uns gleich vor.«
»Wir können einen Typen nicht umlegen, weil er so aussieht wie ein Typ. Wir haben auch unsere Standards. Jedes Mal, wenn du einen Job bekommst, gibt’s eine Riesenschweinerei. Wir müssen schon sichergehen, dass sich die Riesenschweinerei auch lohnt.«
Hanley drehte sich um und spuckte kräftig gegen den Wind. Er zog seine Lippen über die Zähne und biss darauf. »Der Scheißer hat uns eine lange Nase gedreht. Mit diesem Scheißschlüssel.« Er schaute ein zweites Mal hin. »Was ist? Wieso grinst du denn so?«
William ging wieder zum Van. »Die Nacht ist noch jung.«