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Dana Riverton ist definitiv ein falscher Name«, sagte Hank, dessen Altmännerstimme am Telefon noch kratziger klang. »Der Mietvertrag für die Wohnung wurde von einer Kiki Dupleshney unterschrieben.«
»Das ist ihr echter Name?« Mikes Stimme klang so heftig, dass Sheila von ihrem Tisch aufblickte und zu ihm herübersah.
»Unglaublicherweise ja. Sie hat das übliche Strafregister einer Betrügerin – hat bei gierigen Leuten mit dem Versprechen eines todsicheren Geschäfts abkassiert, ein paar Versandhausgeschichten mit Nacktfotos abgezogen und Auftritte als Gutachterin des städtischen Bauamts hingelegt, die sich mit fiktiven Reparaturen Zugang zu Wohnungen verschafft und diese ausgeraubt hatte. Sie arbeitet aber nicht regelmäßig, sieht so aus, als würde sie sich für Einzelaufträge anheuern lassen.«
»Reden wir doch mal über ihren letzten Arbeitgeber.«
»Sie hat letzte Nacht gekündigt. Der Manager hat gesagt, dass sie immer nur wochenweise verlängert hat. Wahrscheinlich, bis sie endlich das Treffen mit dir timen konnte.«
Zehn Minuten zuvor hatte Shep eine SMS an Mike geschickt, in der er vermeldete, dass sein Kontakt beim Orten von Annabels gestohlenem Handy leider keinen Erfolg hatte. William und Dodge hatten es entweder entsorgt oder ließen es die meiste Zeit ausgeschaltet, sie konnten also weiter nichts tun. Mikes Frustrationsschwelle war normalerweise sehr hoch, aber so wie es jetzt aussah, war es wohl am besten, wenn er sie noch ein Stückchen anhob.
»Sie ist also verschwunden?«, fragte Mike.
»Verdunstet. Wir müssen wohl warten, bis sie sich wieder rührt. Das Gute ist: Wir wissen, dass sie ab und zu ihren richtigen Namen verwendet.«
Mike blickte auf das dicke Telefonbuch auf seinem Schreibtisch. Er hatte darin geblättert und ein paar Namen eingekreist. Siebenunddreißig Gages, vier Trenleys, aber keiner hatte einen Vornamen, der mit J oder D anfing.
»Wie sieht es mit Gage aus?«, fragte er. »Als ich klein war, hatten wir tatsächlich Nachbarn namens Gage. Ich weiß, dass sie sich das nicht ausgedacht hat.«
»Ja, aber wir brauchen einen Vornamen, und ich schätze, dass Dana ein erfundener Name ist. Ich hab ihn trotzdem so überprüft, aber ich finde keine Dana Gage, auf die unsere Beschreibung passen würde. Und wenn wir anfangen, nach Gages zu suchen, ohne einen Vornamen und ohne konkrete Gegend … na, du kannst dir sicher vorstellen, wie viele das dann werden würden.«
So viele wie bei John und Mommy.
»Und mit John und Danielle Trenley?«, fragte Mike weiter.
»Nichts, was uns irgendwie weiterhelfen würde«, erwiderte Hank. »Es gibt eine Handvoll John Trenleys, aber die scheiden entweder wegen der Hautfarbe oder des Alters aus. Die einzige Danielle Trenley, die in der Datenbank aufgetaucht ist, ist ein Teenager in South Carolina.«
Mike schlug mit einer Faust auf das Telefonbuch, und das Geräusch echote durchs ganze Büro. Mehrere Mitarbeiter sahen sich zu ihm um. Mike bemühte sich, möglichst leise zu sprechen. »Und wie steht’s mit dieser Weisung an die Polizei, mich genau im Auge zu behalten?«
»Da komme ich ein bisschen weiter – Betonung auf ›ein bisschen‹. Ich hab mit einem im Zentralbüro der Sheriffs gesprochen. Anscheinend haben sie alle Sheriffstationen in der Gegend von Lost Hills, deiner Heimatstadt, in Alarmbereitschaft versetzt. Daher auch der warme Empfang, den dir Elzey und Markovic bereitet haben. Jeder Deputy, der mit dir in Kontakt kommt, ist angewiesen, nach biografischen Details aus deiner Kindheit zu forschen.«
Mike merkte, dass er den Atem anhielt. William und Dodge hatten es also so eingefädelt, dass er zu den Sheriffs ging, wo Elzey und Markovic Anweisung hatten, ihn knallhart nach seiner Vergangenheit zu befragen. Aber arbeiteten die vier denn zusammen? Es schien ihm ein bisschen weit hergeholt, dass die Polizei Schläger wie Dodge oder William anheuerte, um eine Familie einzuschüchtern.
»Und wem sollten sie dann darüber Bericht erstatten?«, fragte Mike. »Wer hat diese Anweisung überhaupt rausgegeben?«
»Darauf hab ich immer noch keine Antwort. Wie es aussieht, liegt hier eine sehr seltsame Anfrage vor …«
»Was soll das heißen, ›eine sehr seltsame Anfrage‹?«
»Genau das, wonach es klingt, mein Lieber. Atme mal tief durch. Wir haben es hier mit Angelegenheiten zu tun, die zum Teil streng vertraulich behandelt werden, da könnte jeder falsche Schritt Aufmerksamkeit erregen und uns die letzte Zugangsmöglichkeit nehmen. Aber du weißt schon, mit Speck fängt man Mäuse. Außerdem versuche ich rauszufinden, ob das LAPD oder sonst jemand noch mit drinhängt. So was braucht seine Zeit.«
Mike beendete das Gespräch und rieb sich die Augen mit den Handballen.
Seine Nerven lagen blank – wieder eine schlaflose Nacht, wieder Aufstehen um fünf Uhr morgens, und dann musste er sich den ganzen Tag mit Kaffee wachhalten. Er war jetzt schon so lange auf Koffein und Adrenalin, dass er merkte, wie seine Laune ins Wanken kam.
Als er spürte, wie seine Arbeiter ihn beobachteten, stand er auf und ging auf die unkrautüberwucherte Fläche vor dem Büro. Er stieg in sein Auto, drehte das Radio an und wechselte mehrmals die Frequenz, weil nur Werbung oder Scheißlieder kamen, und irgendwann machte er es verärgert aus. Er umklammerte das Lenkrad und atmete ein paar Mal tief durch.
Da vibrierte das Handy in seiner Tasche.
Er hoffte, dass es Shep war, der ihm irgendetwas Neues zu erzählen hatte.
Doch beim Anblick der Worte, die ihm vom Display seines Handys entgegenleuchteten, überlief ihn eine eiskalte Welle.
A’S HANDY.
Er drückte auf ANNEHMEN.
Das Display pulsierte, dann erschien eine Videoaufnahme. Nach dem ersten Schock brauchte Mike eine Weile, bis er den aufgesprungenen Asphalt, die lachenden Kinder und die Holzbänke einordnen konnte.
Der Pausenhof der Grundschule in Lost Hills.
Sein Herz schien ihm wie eine pulsierende Faust in der Kehle zu sitzen.
Das Bild wanderte ruckartig weiter. Da war Kat. Beim Seilspringen.
Mikes Lippen bewegten sich, irgendwelche Laute kamen aus seinem Mund.
Aus der Deckung eines Klettergerüsts trat eine riesige Gestalt hervor, deren Gesichtszüge von der gleißenden Mittagssonne unkenntlich gemacht waren. Der Mann kam näher.
Dodge.
Mikes Fuß fiel bleischwer aufs Gaspedal, und die Reifen drehten auf der losen Erde durch, bevor sie Halt fanden und das Auto losraste.
Dodge ging mit raschen Schritten auf Kat zu. Sie spielte selbstvergessen weiter.
Mike schrie auf sein Handy ein, umklammerte es und balancierte es vor dem Lenkrad, um gleichzeitig fahren und den Clip ansehen zu können.
Jetzt war Dodge nur noch anderthalb Meter hinter Kat und ging zügig auf sie zu. Sie kicherte, während sie ihre Sprünge zählte. Das Seil zeichnete über ihrem Kopf einen Regenbogen in die Luft.
Mit quietschenden Reifen schoss Mike vom Bauplatz, streifte das Tor und schleuderte dabei Hahnenschwänze aus Kies und Dreck in die Luft.
Dodge war jetzt direkt neben Kat und rempelte sie mit der Hüfte an, so dass sie zu Boden stürzte.
Mike heulte auf.
Das Display wurde schwarz.