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Andrew Two-Hawks hatte einen Schmerbauch und ein Fischmaul, unter dem ein Ziegenbärtchen ein fliehendes Kinn verbarg. Er traf sich mit Mike an der Hintertür seines Casinos, mit einem Lächeln, das so breit war wie sein Händedruck fest. Seine Lederweste verdeckte ein gemustertes Hemd, dessen offener Kragen etwas einsam aussah, weil die Cowboy-Krawatte fehlte, die das ganze Outfit zusammengehalten hätte. Neben Two-Hawks stand ein Kerl, der fast so breit war wie die ganze Tür, ein wettergegerbter Indianer im tadellos gebügelten schwarzen Anzug, dem man ansah, dass er nicht mit sich spaßen ließ. Er tastete Mike ab und der schob ihn weg, bevor seine Hände die Smith&Wesson erreichten, die er sich hinten in den Bund seiner Jeans geschoben hatte.
Two-Hawks zupfte sich am Gesicht, so dass sich kurzzeitig seine Falten glätteten, dann nickte er dem Bodyguard zu, um ihm zu bedeuten, dass er gehen konnte. »Mike ist auf unserer Seite.«
Der Mann runzelte die Stirn und zog sich zurück, behielt Mike dabei aber die ganze Zeit im Auge wie ein giftiger Wachhund auf einem Schrottplatz.
»Sie müssen Blackie verzeihen«, sagte Two-Hawks. »Der Junge ist so dämlich, der könnte in eine Wanne voller Titten fallen und würde daumenlutschend wieder rausklettern.« Er wies auf das Gebäude. »Folgen Sie mir.«
Mike war überrascht von Two-Hawks’ leutseligem Auftreten und seiner Erscheinung, die etwas von einem texanischen Ölmillionär hatte, der genug Geld gehabt hätte, um sich besser zu kleiden, aber keinen Wert darauf legte. Was hatte er eigentlich erwartet? Einen Häuptling mit der Tamtam-Trommel in der Hand? Sie gingen über den Teppich eines Flurs, von dem man das geschäftige Treiben im Casino durch die getönten, schallgedämpften Fenster zwar sehen, aber nur sehr gedämpft hören konnte. Das Casino war ein wenig heruntergekommen und wesentlich kleiner als das Deer Creek Casino.
Mike ertappte sich dabei, wie er heimliche Seitenblicke auf den Mann warf
»Was ist?«, wollte Two-Hawks wissen.
»Nichts«, erwiderte Mike. »Sie sehen so …«
»So weiß aus? So wie Sie?«, grinste Two-Hawks.
Am Telefon hatte Mike ihm in groben Zügen seine missliche Lage geschildert – die Trennung seiner Familie, die Gefahren für seine Frau und seine Tochter – und Two-Hawks hatte geduldig zugehört und dabei mitfühlende Geräusche in der Kehle gemacht.
»Als Erstes sollten Sie wissen«, erklärte Two-Hawks jetzt, während er Mike um eine Ecke führte, »dass Deer Creek Tribal Enterprises Inc. Anspruch auf unser Stammesgebiet erhoben hat – in betrügerischer Absicht, denn sie wissen sehr wohl, dass das den historischen Tatsachen widerspricht.« Er deutete auf den Teppich. »Dieses Land.«
»Das können sie doch nicht machen, oder?«
»Nein. Tun sie aber trotzdem. Und durch die Techniken, die dieser Brian McAvoy …« Als er den Namen aussprach, kräuselte er angewidert die Oberlippe. »… perfektioniert hat, stehen sie kurz davor, diesen Anspruch rechtlich durchzusetzen.«
»Wie?«
»Wissen Sie, jeder Stamm muss offiziell von der Regierung anerkannt sein, um gewisse Grundrechte und staatlichen Schutz zu genießen. Ein paar Politiker in der richtigen Stellung – hinter denen natürlich McAvoy steht – behaupten, dass uns dieser offizielle Status zu Jimmy Carters Zeiten, als das ganze Verfahren noch etwas lässiger gehandhabt wurde, illegalerweise verliehen wurde. Sie haben beantragt, dass die Anerkennung unseres Stammes noch einmal überprüft werden muss. Diese Überprüfung soll Anfang des nächsten Jahres beginnen. Wenn wir verlieren, raten Sie mal, wer dann in den Startlöchern steht, um unser Land zu übernehmen?«
»Und wenn McAvoy Ihr Land bekommt, bekommt er auch Ihr Casino.«
»Bingo.«
»Deswegen haben Sie mich gesucht. Indem Sie noch einen lebenden Erben von Deer Creek auftreiben, können Sie McAvoy ausdribbeln.«
»Mit Ihnen haben wir eine echte Chance, den Mann zu Fall zu bringen.« Ein Hauch von Ekel flackerte in seinen glänzenden dunklen Augen auf. »Er und ich, wir sind Todfeinde. Von denen hab ich neuerdings so einige. Macht Sie das nervös?«
»Ich traue niemand, der keine Feinde hat«, sagte Mike.
Ein Lächeln kräuselte den getrimmten Ziegenbart. »Dann werden sie mich lieben.«
Sie traten in ein gut ausgestattetes Büro, und Two-Hawks deutete auf ein breites Ledersofa, das hinter einem gläsernen Sofatisch stand. »Setzen Sie sich, legen Sie die Füße hoch. Das Teil ist unzerbrechlich, und falls Sie’s doch kleinkriegen, dann können wir ein Neues kaufen.«
Doch Mike blieb stehen und verschränkte die Arme, als müsste er sich gegen die Kälte schützen. Ein paar klägliche Erinnerungsstücke zierten die Wand – ein Getreidekorb, ein mit Federn besetzter Rock für rituelle Tänze, ein Paar winzige Mokassins. Mike fragte sich, ob er gerade die gesamten geschichtlichen Zeugnisse der Miwok-Indianer von Shasta Springs betrachtete. Ein ziemlicher Kontrast zu dem hochglanzpolierten Stammesschrein in Deer Creek, der eher an einen Vergnügungspark erinnerte.
Two-Hawks legte ein Handy auf seine Schreibtischunterlage und starrte es an, als wäre es ein halb zerquetschtes Insekt, das er jetzt ganz von seinem Elend erlösen wollte. »Brandneues Telefon, brandneue Nummer. Ich hab es mir besorgt, gleich nachdem ich rausgefunden hatte, dass ihr Schoßhündchen Rick Graham mein altes Handy abhörte. Diese Nummer habe ich keiner Menschenseele gegeben, und trotzdem haben Sie mich auf dieser Nummer angerufen. Woher hatten Sie sie?«
»Sie befand sich in Grahams Besitz. McAvoy hatte sie ihm aufgeschrieben.«
Two-Hawks hob eine Lampe mit schwerem Messingfuß und ließ sie, ohne jedes Anzeichen von Zorn, auf das Telefon herabsausen. Dann stellte er die Lampe zurück und schob die Trümmer mit der Handkante in einen Abfalleimer. »Schauen wir uns doch mal diese belastenden Aufnahmen an, von denen Sie mir erzählt haben.«
Mike hatte einen Laptop und ein paar CDs aus Grahams Haus mitgenommen. In einer dunklen Nebenstraße hatten Shep und er im Auto die juristisch verfänglichsten Abschnitte der aufgenommenen Unterhaltung mit Graham zusammenkopiert. Den USB-Stick mit der gesamten Aufnahme hatten sie mitsamt ihrem verbliebenen Bargeld im Lüftungsschacht des Motelzimmers versteckt und Snowball II als Wächter davorgesetzt.
Jetzt holte Mike die CD aus der Hosentasche und reichte sie Two-Hawks, der sie wiederum in seinen PC schob. Die Schwarzweiß-Bilder erwachten auf dem Monitor zum Leben. Two-Hawks schnaufte knurrend, als er Mike mit der Waffe auf dem Knie im Sessel neben Grahams Bett sitzen sah. Gemeinsam sahen sie zu, wie Graham die blutige Geschichte seiner Verbindung zu Deer Creek erzählte. Die Aufzeichnung endete jedoch, bevor Graham aufsprang und eine Kugel seinem Leben ein Ende setzte.
Als der Bildschirm wieder schwarz wurde, lehnte sich Two-Hawks zurück, ohne die Augen vom Monitor zu nehmen. »Das wäre schon mal ein Anfang«, sagte er.
»Ein Anfang?«, echote Mike.
»Das sind nur Worte. Handfeste Beweise haben Sie keine.«
»Wollen Sie damit sagen, das hier reicht nicht aus, um McAvoy zu bedrohen?«, fragte Mike. »Das Geständnis mehrfacher Morde, begangen im Auftrag einer Firma?«
»Abgelegt von einem Mann, dem ein Einbrecher eine Waffe an den Kopf hält«, ergänzte Two-Hawks. »Ein Mann unter Druck, der alles gesagt hätte, um sein Leben zu retten. Wenn Sie McAvoy haben wollen, ist das alles Hörensagen. Das kann er vor Gericht alles glaubwürdig bestreiten.«
Mike war frustriert. »Dann benutz ich das eben als Sprungbrett«, verkündete er brüsk. »Ich kann irgendjemanden bei der Polizei auftreiben, der nicht korrupt ist. Und dann könnte man anfangen, Zeugen vorzuladen, auf Kontoauszügen die Zahlungen an seine Schlägertrupps nachzuweisen …«
»Deer Creek Tribal Enterprises, Inc. …« Wieder benutzte er den vollen Titel. »… ist ein souveräner Staat, so wie unserer. Da können Sie einen Scheißdreck vorladen. Es gibt keine Behörde, nicht in diesem Staat und auch in keinem anderen, die sie dazu bringen könnte, irgendwelche Aufzeichnungen rauszurücken. Die führen ihr Geschäft, wie sie wollen, weil sie unter keinerlei Aufsicht stehen. Obendrein haben sie jede Menge Richter und Polizisten und Staatsanwälte aus Ihrem Staat, die ihnen sehr gewogen sind.«
Der Ekel stieg in Mike hoch. »Die klinken sich in die Regierung ein und benutzen sie.«
»Das haben Sie nicht richtig verstanden«, sagte Two-Hawks. »Es ist ihre Regierung. Wissen Sie, da waren zwei Brüder, die ihr Land neben einem Bauplatz von Deer Creek absolut nicht verkaufen wollten. Die verschwanden und haben die nächste Rate für ihr Grundstück nicht bezahlt. Die Polizei hat sogar ein paar Beweise sichergestellt, aber, schwups, waren sie verschwunden. Jeder weiß, dass McAvoy die beiden hat umbringen lassen, aber wie kann man etwas beweisen, wenn man nichts Schriftliches vorzuweisen hat und vor allem keine Leichen gefunden wurden? Ich werd Ihnen verraten, wie.« Two-Hawks beugte sich vor. »Wenn man unwiderlegbare Beweise …« Er schlug sich mit einem fleischigen Finger in die Handfläche, »… in der Hand hat.«
»Die hab ich aber nicht«, sagte Mike.
»Stimmt«, sagte Two-Hawks. »Aber wir.«
Mike hatte das Gefühl, einen internen Witz nicht kapiert zu haben. Wenn man nur dümmlich grinst, während alle rundherum lachen. Er sah sein Gegenüber ungläubig an. »Und wozu brauchen Sie dann mich?«
Two-Hawks’ Stuhl knarzte, als er aufstand, und schaukelte noch ganz kurz. Der Häuptling stützte sich mit den Knöcheln auf die Schreibtischunterlage. »Weil Deer Creek wiederum etwas hat, was wir brauchen.«
Mikes Kiefer bewegte sich, er spürte, wie es im Gelenk knackte. »Beiderseitige Bereitschaft zum Gegenschlag«, meinte er. »Wenn Sie sie hinhängen, können sie Sie auch hinhängen.«
»Ich schätze, das trifft die Sache ungefähr.«
»Sie haben also Informationen, die ich einsetzen könnte, um meine Tochter zu retten, aber Sie werden sie mir nicht geben, weil Sie etwas anderes dafür wollen.«
»Es tut mir leid. Wirklich.«
Mike starrte ihn lang an und spürte das kühle Metall seiner Waffe im Rücken. Two-Hawks versteifte sich etwas, und seine Augen zuckten nervös zur Tür.
»Vielleicht sollten Sie das etwas genauer ausführen«, schlug Mike vor.
»Die Informationen, die wir bekommen haben, sind unsere einzige Munition gegen eine Firma, die es allein darauf abgesehen hat, mein Volk zu entrechten. Wenn wir irgendetwas anderes in der Hand hätten, würde ich Ihnen auf der Stelle alles geben, was Ihre Familie schützen kann.«
»Und was wollen Sie mir jetzt vorschlagen?«, fragte Mike.
»Sie haben einen legalen Anspruch auf Deer Creek. Benutzen Sie diesen Ansatz, um uns zu verschaffen, was wir brauchen. Anschließend können wir Ihnen auch geben, was wir gegen die in der Hand haben.«
Mike überlegte einen Moment. »Ich möchte kurz meinen Partner anrufen.«
»Ihren Partner.« Two-Hawks runzelte beeindruckt die Stirn.
Mike zückte sein Batphone und rief Shep an, der irgendwo hinter dem Licht der Parkplatzlaternen wartete. »Es ist sicher«, sagte Mike.
»Weißt du das auch ganz genau?«, fragte Shep.
»So gut wie.«
Shep legte auf.
Two-Hawks hatte ebenfalls zum Telefon gegriffen. »Bin gleich da«, sagte er und legte wieder auf. Dann winkte er Mike mit zwei Fingern mit sich. »Kommen Sie.«
Sie gingen durch einen weiteren Korridor und landeten in einem großen Raum, an dessen Nordwand um die fünfzig Bildschirme hingen, die das Casino aus diversen Perspektiven filmten. Drei Männer und eine Frau saßen mit gelangweiltem Gesichtsausdruck an einem Tisch, der quer durchs ganze Zimmer ging, und starrten mit leerem Blick auf die Monitore. Der Tisch war übersät mit Red-Bull-Dosen und leeren Supersize-Bechern, und der Geruch nach Kautabak hing schwer in der Luft.
»An Tisch neun hat jemand ein Chip-Cup eingesetzt«, sagte die Frau.
»Lasst die Software drüberlaufen«, befahl Two-Hawks.
Sie klickte etwas auf einem Computer an, und ein großer Bildschirm an einer Seitenwand erwachte zu Leben. Ein Gesichtserkennungsprogramm begann Linien über die Köpfe der Casinogäste zu zeichnen, einen Tisch nach dem anderen. Ab und zu ertönte ein zweifacher Signalton, und das Bild des Gastes wurde in einem kleineren Fenster eingeblendet, wo es neben einem Polizeifoto und dem Strafregister stand. Weitere kleine Fenster lieferten Listen von Decknamen und Komplizen.
»Hier ist keiner dabei, der schon mal Chip-Cups benutzt hat. Aber wir haben ein paar Betrüger an den Einarmigen Banditen«, verkündete die Frau.
»Natürlich haben wir die.« Two-Hawks trat neben Mike. »Das Manipulieren von Spielautomaten ist in Nevada ein Verbrechen, in Kalifornien ist es nur ein geringfügiges Vergehen. Also kommen sie alle hierher zum Üben.«
»Was ist ein Chip-Cup?«, erkundigte sich Mike.
»Ein hohler Zylinder mit einem Gewicht drin, auf dem oben ein echter Pokerchip sitzt«, erklärte Two-Hawks. »Die Seiten sind so bemalt, dass sie zum Chip passen. Da unsere Croupiers Fünferstapel nicht umstoßen, kann man einen einzelnen Chip als fünf Chips einsetzen.« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu. »Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn noch ein Chip-Cup auftaucht, und behalten Sie unterdessen die Einarmigen Banditen im Auge.«
Einer der Männer bewegte einen Joystick, und auf vier Bildschirmen wurden die Verdächtigen herangezoomt. Mike kam es so vor, als würde er jede Ecke des Casinos gleichzeitig sehen – den Blackjack-Tisch, den Tresorraum, die Spielautomaten, den Parkplatz – und auf jedem Monitor wurden in regelmäßigen Abständen verschiedene Blickwinkel durchgeklickt. »Sie haben hier ja wirklich jeden Zentimeter im Blick«, sagte Mike.
»Außer auf dem Klo.« Two-Hawks grinste. »Das ist so ungefähr der einzige Ort in einem Casino, wo Sie ›mit Recht Privatsphäre erwarten dürfen‹, wie die Anwälte das nennen. Wenn irgendwas Großes passiert, gilt die größte Sorge natürlich …«
Alle vier Mitarbeiter ergänzten müde: »… dem Tresorraum.«
»Allein im Tresorraum haben wir vierundfünfzig Kameras, die den vergitterten Bereich im Blick haben, den Zählraum und die Bank, aus der wir Jackpots auszahlen.«
Auf einmal richtete die Frau sich kerzengerade auf und drehte sich zu seinem der seitlichen Monitore. »Moment mal«, sagte sie. »Biometrica meldet uns hier einen Tresorknacker.«
Mike lehnte sich zur Seite, um zu sehen, wen die Gesichtserkennungssoftware aus der Menge herausgefiltert hatte.
»Oh«, sagte er. »Der gehört zu mir.«
Two-Hawks musste lachen. »Piepen Sie Blackie an. Und lassen Sie …« Er warf einen Blick auf die Daten, die auf dem Bildschirm standen. »… Shepherd White hierherbringen.«
Die Frau nickte und griff zum Hörer. Sie war schlank und hatte elfenhafte Züge, und der Kautabak, der ihre Wange ausbeulte, setzte ein bizarres i-Tüpfelchen.
Eine Minute später kamen Blackie und Shep durch die gepolsterte Tür. Beide wirkten leicht genervt, obwohl Mike bezweifelte, dass sie unterwegs auch nur ein einziges Wort gewechselt hatten.
»Sie sind also ein Tresorknacker?«, fragte Two-Hawks.
»Was?«, fragte Shep.
»Ein Tresorknacker. Sie knacken Tresore, oder?«
Shep zuckte mit den Achseln und schaute desinteressiert weg. Er trat vor die Wand mit den Monitoren und betrachtete sie. Der Fuchs im Hühnerhof. Den Kopf hatte er zurückgelegt, sein Mund stand leicht offen, und das Licht der Bildschirme legte einen Funken in seine ausdruckslosen Augen. Er schien die flimmernde Bewegung in sich hineinzutrinken.
Die Angestellten und Blackie tauschten Blicke. Schließlich sagte Blackie: »Wollen Sie dem Mann vielleicht mal antworten?«
»Die Tusse am Blackjack-Tisch drei benutzt einen Blinkerköder, um die verdeckte Karte des Gebers auszuspähen. Zwei Tische weiter längs zählt der schwarze Typ Karten mit einer iPhone-App. Und an der Westseite sitzt ein Typ an den Spielautomaten, der ein Metallwerkzeug verwendet, mit dem er den Schalter für die Jackpot-Auszahlung betätigen kann. Und Ihr Croupier auf Tisch sieben hat den Pot gerade versehentlich dem falschen Spieler zugeschoben.«
Eine lange Pause folgte.
Die zierliche Frau spuckte ihren Kautabak in einen McDonald’s-Becher. Es gab ein dumpfes kleines Geräusch. »Sehen Sie jemand, der ein Chip-Cup benutzt?«
»Eine übergewichtige Weiße, Schlapphut, Roulette Nummer sechs«, sagte Shep. »Schauen Sie genau auf ihre Hände, wenn sie sie in den Transportkorb an ihrem Elektromobil schiebt.«
Hände flogen zu Joysticks, ein kompletter Quadrant der Bildschirme zoomte die Frau aus jedem Winkel heran. Sie hatte den Sitz ihres Elektrorollstuhls so zur Seite gedreht, dass sie direkt auf den Roulettetisch greifen konnte, während sie unter dem Tisch wunderbar in das am Roller angebrachte Körbchen greifen konnte.
Two-Hawks nickte Blackie zu, der nach hinten glitt und den Raum verließ, um sich um die Angelegenheit zu kümmern. Dann sagte er zu Shep: »Brauchen Sie einen Job?«
Shep riss zum ersten Mal den Blick von den Bildschirmen los. Seinen schiefen Zahn konnte man durch den halb geöffneten Mund erahnen. »Sie könnten mir niemals trauen.«
Two-Hawks schluckte, ebenso verwirrt wie amüsiert. »Könnte ich Sie beide mal kurz unter vier Augen sprechen?«
Sie gingen zurück in sein Büro und setzten sich – Mike und Shep auf das Ledersofa, Two-Hawks auf seinen Stuhl, den er hinter dem Schreibtisch hervorgezogen hatte, um direkt gegenüber von ihnen Platz nehmen zu können.
»Two-Hawks hat was gegen unseren lieben McAvoy in der Hand. Aber er will es uns nicht geben, bevor wir ihm nicht beschafft haben, was McAvoy gegen ihn in der Hand hat.«
»Und, taugt das was, was Sie da in der Hand haben?«, fragte Shep.
»Ein absolut eindeutiger Beweis«, versicherte Two-Hawks. »Ich hatte vor kurzem einen Mann in Deer Creek infiltriert, der Zugang zu wirklich wichtigen Informationen hatte.«
»Wie haben Sie den denn überzeugt, für Ihre Seite zu arbeiten?« Shep klang skeptisch. »Deer Creek hat mehr Geld als Sie. Und auch mehr Schläger.«
»Unser Mann war ein Freelancer, den sie in Deer Creek als Berater angeheuert hatten. Wie das oftmals so ist, war er selbst ein Spieler. Aber man scheißt nicht da hin, wo man frisst, also kam er zum Kartenspielen zu uns rüber. Dabei hat er seine Kreditlinie überzogen. Und das nicht zu knapp. Im Gegensatz zu McAvoy verstümmeln wir solche Leute aber nicht.«
»Sie erpressen sie bloß«, sagte Shep.
»Es war ein vorteilhaftes Arrangement, auf das sich zwei Erwachsene geeinigt hatten.« Hinter Two-Hawks’ Augen sah man kurz die Reue aufflackern, aber im nächsten Moment war das Pokerface wieder zurück. »Er hat Dokumente rausgeschmuggelt. Auf die Art haben wir auch von Ihnen erfahren.« Er nickte Mike zu. »Er hat uns von Ihrem Namen auf dem genealogischen Bericht erzählt.«
»Aber darauf waren Sie zu Anfang doch noch gar nicht aus«, meinte Shep. »Was hat er Ihnen noch besorgt?«
»Wasserdichte Beweise.«
»Wofür?«
»Jetzt können Sie auf einmal ganz prima hören, was?«, fragte Two-Hawks.
»Beweise wofür?«, wiederholte Shep.
»Das kann ich nicht sagen, aber ich kann Ihnen versprechen, Sie werden nicht enttäuscht sein.«
»Nein«, sagte Mike. »Ich muss genau wissen, was wir Ihnen da besorgen.«
»Das geht Sie nichts an.«
»Wenn wir das Zeug holen, geht uns das sehr wohl was an. Ich werde Ihnen nichts beschaffen, was jemand anders das Leben zerstört.«
»Es ist nichts in der Richtung. Mehr müssen Sie in diesem Moment nicht wissen.«
Mike dachte daran, wie er damals Bill Garner gegenübergesessen hatte, dem Stabschef des Gouverneurs. Das letzte Mal, als Mike sein Urteilsvermögen über Bord geschmissen hatte und eingeknickt war, hatte er sich gedacht, ach, was soll’s, es geht doch nur um einen Preis und ein paar Fotos.
Er stand auf.
»Denken Sie an Ihre Tochter«, sagte Two-Hawks.
Jetzt war Mike an der Tür, und mit ihm Shep.
»Okay, warten Sie.« Two-Hawks war jetzt ebenfalls aufgestanden. »Es geht bloß um Negative. Aber sie sind wichtig, damit wir unseren Status behalten können – und unser Casino dazu. Ich wollte nicht mehr dazu sagen, weil … wir in unserem Geschäft hautnah miterleben, wie die Gier einen Menschen verändert.« Verlegen kratzte er sich den Nacken. »Manchmal muss man sich zwischen Richtig und Schlau entscheiden.«
»Kann sein, dass ich ein bisschen schwer von Begriff bin«, sagte Mike. »Aber sogar ich bin schon dahintergekommen, dass es da keinen Unterschied gibt.«
»Wenn Sie diese Negative – falls Sie sie beschaffen können – einem konkurrierenden Casino übergeben, bekommen Sie dafür die finanziellen Ansprüche an Deer Creek.«
»Haben Sie Kinder, Mr. Two-Hawks?«, fragte Mike.
»Fünf.« Two-Hawks atmete tief durch. Er sah jetzt etwas nachdenklicher aus. »Okay. Vielleicht schwimm ich einfach schon zu lang in diesem Haifischbecken.« Er deutete auf das Sofa. »Bitte bleiben Sie. Ich werde Ihnen alles erklären.«
Mike und Shep setzten sich wieder, und Shep ließ seine Füße in den Riesenstiefeln auf den Glastisch plumpsen.
»Wenn ich in den nächsten paar Monaten vor der offiziellen Untersuchung nicht ein Wunder aus dem Hut zaubern kann, verlieren wir unsere staatliche Anerkennung«, erklärte Two-Hawks. »Heutzutage liegt die Latte etwas höher, wenn eine Gruppe als Stamm anerkannt werden will, da werden strengere Anforderungen gestellt. Bis dato ist es uns nicht gelungen, handfeste Beweise aufzutreiben, dass unsere Vorfahren auf diesem Land gelebt haben. Unsere Überlieferung war immer nur eine mündliche, deswegen sind die Beweise sehr dünn, vor allem für die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Von unserem Stamm ist nicht mehr viel übrig.«
Mike merkte, dass sein Blick zu den dürftigen Erinnerungsstücken an der Wand gewandert war.
»Vor ein paar Monaten erfuhr ich, dass es alte Negative gibt, von Fotos, die die Teilnehmer einer botanischen Expedition – oder irgend so ein Quark in der Richtung – in den dreißiger Jahren gemacht hatten. Diese Bilder zeigen, dass unser Volk genau hier gelebt hat. Man hat mir erzählt, dass der Mount Lassen im Hintergrund und die unverwechselbare Gabelung des Flusses hinter der Siedlung geografisch ganz eindeutig sind.« Er trat ans Fenster und riss die Vorhänge auf. Hinter dem Parkplatz glitzerte ein schmales Flüsschen in der Außenbeleuchtung, das von einem massiven Felsen in zwei Ströme geteilt wurde.
Verschwunden der bodenständige Ölmillionär. Die Empörung hatte nicht nur seine Ausdrucksweise, sondern auch seine Haltung verändert. Er stand kerzengerade, seine Augen sprühten Funken, jeder Zentimeter an ihm sprach von dem Häuptling, der er laut Titel sein sollte. Dann ließ er die Vorhänge wieder fallen. »Natürlich hab ich sofort angeordnet, dass diese Negative gekauft werden. Aber irgendwann zwischen dem Moment, in dem ich den Hörer auflegte, und dem Moment, als ich kam, um den Film abzuholen, muss McAvoy dazwischengegangen sein und das Dreifache geboten haben. Wenn wir diese Negative als Beweis dafür beibringen können – ein unwiderlegbarer Beweis – dass wir schon immer auf diesem Land gelebt haben, kann uns die Behörde für Indianische Angelegenheiten unseren Stammesstatus nicht mehr aberkennen.«
»Und Sie können Ihr Casino behalten«, fügte Shep hinzu.
»Kann sein, dass Ihnen das nicht gleich offensichtlich ist, Mr. White, aber es geht hier nicht nur ums Geld. McAvoy möchte unseren Stamm zerstören und unser Land stehlen. Und davon haben wir in unserer Geschichte schon genug gehabt, vielen Dank.«
Shep starrte an die Wand. Er schien völlig ungerührt.
Two-Hawks wandte sich wieder zu Mike, der in diesem Fall das bessere Publikum zu sein schien.
»Und nachdem McAvoy Ihnen diese Negative unter der Nase weggekauft hatte«, sagte Mike, »haben Sie beschlossen, sich das Zeug von Deer Creek zu holen und haben mich gesucht?«
»Ich brauchte etwas, um meinen Stamm zu schützen. McAvoy hat rausgefunden, was ich ihm weggenommen habe, deswegen steht es im Moment unentschieden. Im Moment. Aber die offizielle Untersuchung der Anerkennung unseres Stammes nächstes Jahr ist die Deadline für unser kleines Kräftemessen, so oder so. Aber nach dem, was ich gegen ihn in der Hand habe, bin ich nicht so dumm zu glauben, dass er noch länger warten wird.« Two-Hawks versetzte dem Abfalleimer einen Tritt, dass die Trümmer seines Handys darin ratterten. »Sie intensivieren ihre Bemühungen, sich das Zeug zurückzuholen. Ich musste meine Familie in einem anderen Staat in Sicherheit bringen.« Seine Augen suchten Mikes Blick. »Meine fünf Kinder.«
»Warum machen Sie dann nicht den ersten Schritt?«, wollte Mike wissen.
»McAvoy hat mir erklärt, dass er die Negative verbrennen wird, wenn auch nur ein Fitzelchen der Beweise, die ich in der Hand habe, ans Tageslicht kommt. Damit wäre unser Stamm endgültig zerstört. Außerdem … wenn ich mir vorstelle, wie diese Bilder verbrennen …« Im goldenen Licht seines Büros fiel ein Schatten über sein Gesicht, und Mike sah die Zeichen seines Erbes in seinen Falten. »Unsere Herkunft ist alles, was wir sind …«
Bei diesen Worten schnaubte Shep verächtlich.
Doch Two-Hawks fuhr unbeirrt fort. »Das sind die einzigen Bilder unserer Vorfahren. Ich bin in einem klapprigen Pontiac durch den ganzen Staat gefahren und habe diesen Stamm Mitglied für Mitglied wieder zusammengeholt. Viele waren obdachlos. Die meisten waren bettelarm. Aber wir haben uns eigenhändig etwas aufgebaut. Trotzdem, wir haben niemals die Gesichter unserer Vorfahren gesehen. Wenn wir wissen wollen, woher wir kommen, wenn wir unseren Platz auf dieser Welt wertschätzen wollen …« Er schüttelte den Kopf. »Wer könnte einen Preis für so etwas benennen?«
Mike musterte seine Hände.
Shep hingegen wirkte nur entnervt. »Also, worum geht’s nun eigentlich?«
Two-Hawks fuhr fort: »Wenn McAvoy klar wird, dass er seine gesamte Firma an Ihre … Blutlinie verliert, könnten Sie und er vielleicht einen Handel machen. Sie bringen ihn dazu, uns diese Negative zu überlassen, und er bekommt dafür eine Art finanzielle Abmachung. Sie geben mir die Bilder. Ich gebe Ihnen die Beweise gegen ihn. Und dann versenken Sie ihn mit einer wasserdichten Anklage.«
»Wenn er mir die Fotos gibt, hat er nichts mehr in der Hand, womit er sich gegen Sie schützen könnte«, wandte Mike ein. »Das wird er nicht tun.«
Two-Hawks stieß einen leisen Seufzer aus, und seine Schultern sanken ein Stück herunter. »Was würden Sie dann vorschlagen?«
Mike und Shep beugten sich vor und stützten die Ellbogen auf die Knie. Als sie einander die Köpfe zuwendeten, tauschten sie einen Blick, und Shep nickte unmerklich.
»Ich glaube, ich weiß, wo Ihre Negative sind. McAvoy hat einen Safe, in dem er alle wertvollen Dinge verwahrt.«
»Einen Safe. Und was genau haben Sie … nun vor?«
Shep hob in einer gespielt theatralischen Geste die Hände.
Two-Hawks wieherte los. »Ich bitte Sie. Einen Casino-Safe?«
»Er ist in seinem Büro versteckt«, präzisierte Mike.
»In seinem Büro?«, rief Two-Hawks verblüfft. »Warum denn nicht im Tresorraum?«
»Tja, überlegen Sie mal«, meinte Mike.
Two-Hawks kicherte in seine Faust. »Natürlich. Der Tresorraum wird lückenlos mit Kameras überwacht. Nicht unbedingt der Ort, an dem man dubioses Material aufbewahrt.«
Er stand auf, ging einmal im Kreis und lehnte sich dann an die Stuhllehne. »Ich muss schon sagen, ganz schön mutig von McAvoy. Aber ist irgendwo auch logisch. Wenn ich meine Wertsachen in einem geheimen Safe in einem abgesperrten Raum in einem rund um die Uhr bewachten Casino in einem souveränen Staat aufbewahren würde – ich schätze, da würde ich auch arrogant werden.«
»Arrogant ist immer gut«, sagte Shep.
»Aber dann bleiben immer noch die ganzen Kameras im Casino selbst.« Two-Hawks war immer noch ganz aufgeregt. »Außerdem können Sie den Safe dort unmöglich knacken. Die Zeit. Der Lärm.«
»Stimmt«, sagte Shep. »Kann ich auch nicht. Wie verstehen Sie sich mit den Bullen?«
»Für den Fall, dass Sie erwischt werden?«, fragte Two-Hawks. »Gut. Aber im Vergleich zu Deer Creek?« Er schnaufte verächtlich. »McAvoy hat etwas, was wir nicht haben.« Er deutete mit dem Finger auf seinen Computer, in Anspielung auf den Film, den Mike ihm vorhin gezeigt hatte. »Rick Graham.«
Mike befeuchtete sich die Lippen. »Graham ist nicht länger im Spiel«, sagte er.
Two-Hawks ließ sich nachdenklich auf seinen Stuhl sinken, lehnte sich zurück und starrte an die Decke. Dann blickte er auf die CD, die auf seinem Tisch lag. Er räusperte sich kurz. Und dann noch einmal. »Darüber will ich gar nicht mehr wissen.«
»Sehr gut«, sagte Mike.
»Wir haben einen Polizisten in der Nähe, mit dem wir auf ziemlich gutem Fuß stehen«, erklärte Two-Hawks. »Und auch ein paar Staatsanwälte. Ich kann Sie natürlich nicht rausholen, wenn man Sie auf frischer Tat erwischt. Aber wenn Graham nicht mehr im Rennen ist, kann ich Ihnen versichern, dass man Sie nicht McAvoys Schlägern ausliefern wird, für den Fall, dass Sie hier in der Gegend verhaftet werden. Es gibt nur ein großes Problem: Wenn Sie sich in Deer Creek erwischen lassen, auf souveränem Stammesgebiet, dann werden sich die Behörden schwer tun, die Grenze zu überschreiten und dafür zu sorgen, dass die Angelegenheit auf offiziellem Wege geklärt wird. Damit wären Sie der Gnade von McAvoy ausgeliefert. Und seinen Hunden. In dem Fall können Sie nur inständigst hoffen, dass die Polizei kommt, bevor Ihr Schicksal zuschlägt.«
»Oder der Schlosserhammer«, meinte Shep.
Mike kniff die Augen zu und rief sich Grahams Worte ins Gedächtnis: Verdammt, die Vereinigten Staaten dürfen hier zwar Verbrecher verfolgen, aber auf Stammesgebiet steht die Staatsgerichtsbarkeit auf verdammt dünnem Boden.
»Die Polizisten können Shep verfolgen.«
Es dauerte einen Moment, dann erschienen die kleinen Fältchen in Two-Hawks’ Augenwinkeln wieder. »Sind Sie ein Verbrecher?«
Shep runzelte beleidigt die Stirn. »Klar.«
Mike nickte Two-Hawks zu. »Wir werden uns wieder bei Ihnen melden, sobald wir einen Plan haben.«
Shep und er standen auf und wandten sich zum Gehen.
»Und ich brauch einen Anwalt«, sagte Shep.
»Warum?«, fragte Two-Hawks.
Shep hielt kurz inne auf dem Weg zur Tür. »Weil ich vorhabe, mich verhaften zu lassen.«