einundzwanzig
Die ersten Regenfälle in seinem Eheleben wecken auch die ersten Mordgedanken, die Teddy je hatte. Und diese haben nicht einmal etwas mit seiner Suche nach Nicht-Abu-Zar oder seinen Bemühungen zu tun, Kommissar Malangi aus dem Weg zu gehen. Sein Zorn ist häuslicher Natur. Er ist nicht sicher, ob es an seiner Frau oder am Wetter liegt.
Dreitägiger sintflutartiger Regen hat die Straßen um Al-Aman in einen Sumpf verwandelt. Niemand kann aus dem Haus außer kleinen Jungen, die alte Autoreifen in Ausflugsboote umgewandelt haben, Cricket-Schläger als Ruder benutzen und einander jagen. Teddy ist seit drei Tagen nicht draußen gewesen und fühlt sich zunehmend wie ein ruheloses Tier im Käfig, das seinen Mitgefangenen argwöhnisch beäugt. Die Feuchtigkeit lastet auf ihnen wie ein eingestürztes Dach. Der Deckenventilator verbreitet heißen Wind, der sich anfühlt wie die glühende Asche eines brennenden Gebäudes. Alice liegt auf dem Rücken und trägt nur eine Tunika, keinen Shalvar. Was ist das für eine Frau, die ohne Hose im Haus herumläuft? Er ist nicht daran gewöhnt, dass Alice tagsüber zu Hause ist, und er weiß genau, dass er sich nie daran gewöhnen wird, sie tagsüber ohne Shalvar hier zu haben. Eigentlich sollte sie doch im Herz Jesu sein? Ertrinkt denn niemand oder wird von falsch verlegten Elektrodrähten gegrillt? Alice hat ihm etwas von einer toten, reichen Begum mit dem unwahrscheinlichen Namen Qaz und ihren unerzogenen Sprösslingen im VIP-Zimmer erzählt. Gibt es aufder Welt überhaupt eine reiche Begum, die keine unerzogenen Sprösslinge hat? Was soll man in einem VIP-Zimmer auch tun, außer sich schlecht zu benehmen? Was ist falsch an Bodyguards und einem Surf? Er selbst fährt in einem Hilux mit Bodyguards herum. Ist er deshalb etwa ein Teufel?
Die ersten Tage schmeckte die Ehe nach zitronigem Desinfektionsmittel und liebesgetränkten Laken. Das Kommen und Gehen verlieh ihrem Leben einen gewissen Rhythmus. Kleine Überraschungen im Topf auf dem Herd, gespielte Empörung über versäumtes Krafttraining und hastiger Sex auf der Fußmatte, bei dem Alice dauernd flüsterte, sie komme doch zu spät zur Arbeit.
Jetzt, da Teddy ans Haus gefesselt ist und Alice herumgeht und Gardinen abnimmt, um sie zu waschen, die Küchenschränke ausräumt und jedes Mal aufschreit, wenn sie etwas entdeckt, das wie eine Kakerlake aussieht, hat Teddy das Gefühl, von dem nassen Lappen erstickt zu werden, mit dem Alice gerade das Bad gewischt hat. Das muss am Wetter liegen, sagt er sich. Dann merkt er, dass Alice seine Gewichte nach der Größe geordnet hat. Aber in der falschen Reihenfolge. Nein, es liegt nicht am Wetter. Er würde am liebsten die Zwanzig-Kilo-Scheibe nehmen und ihr damit den Schädel einschlagen. Er ist alarmiert über die visuelle Begleitung dieses Gedankens und wirft einen kurzen Blick auf Alice, um zu sehen, ob sie weiß, was er gedacht hat. Sie liegt ausgestreckt auf dem Sofa. Noch immer kein Shalvar. Teddy legt sich zu ihren Füßen. Sie sind wie zwei Krebse am Strand, die nicht wissen, in welche Richtung sie wieder ins Meer zurückgelangen können.
Teddy hat bisher noch nie an Mord gedacht. Eigentlich hat er fast überhaupt keinen Sinn für körperliche Gewalt. Wer seine Laufbahn verfolgt hat, denkt vielleicht, dass er seinen Lebensunterhalt damit verdient, von einer Grausamkeit zur nächsten zu hasten, doch das stimmt nicht, er ist immer nur der Helfershelfer gewesen, der hinter den Mördern aufräumt, der Schmiere steht, der Brieftasche, Ausweis und andere Wertgegenstände der Leiche verschwinden lässt, aber die eigentliche Hauptarbeit hat er nie angestrebt. Er hat alles immer mit einem gewissen Abstand erledigt. Hat nie eine persönliche Motivation verspürt, war niemals wütend und hat deshalb auch nie Reue empfunden oder wurde von Albträumen heimgesucht, in denen geknebelte, winselnde Männer, aufgeschlitzte Kehlen und Kopfschüsse vorkamen. Im Grunde fungiert Teddy lediglich als Kammerdiener der Todesengel. Sollte er eine feste Stelle beim G-Korps bekommen, plant er insgeheim, sie anzunehmen, sich aber später zur Verkehrspolizei versetzen zu lassen, wo man nie jemanden anfassen muss und die Leute einem bereits die Taschen vollstopfen, wenn man nur den Notizblock zückt. Obwohl Teddy jetzt, da Nicht-Abu-Zar wie vom Erdboden verschluckt ist, wahrscheinlich keine Stelle mehr bei der Polizei bekommen wird. Eher besteht die Chance, dass er Nicht-Abu-Zars Rolle, die etwa eine halbe Sekunde dauern wird, übernehmen muss. Er hat dann nur noch auf die Kugel zu warten, die man ihm in den Kopf schießt.
Vielleicht könnte er auch Fitness-Trainer werden oder bei einer privaten Sicherheitsfirma anheuern. Er weiß, dass die Leute mit ihrem Rückbildungsgymnastik-Angebot – „garantiert flacher Bauch drei Wochen nach der Geburt“ – mehr Geld verdienen als das beste Mitglied des G-Korps. Er weiß auch, dass jemand, der so gebaut ist wie er, auf dem Vordersitz eines klimatisierten Mercedes sitzen, Türen aufhalten und bei Hochzeiten, bei denen er das gleiche Essen bekommt wie die Gäste, draußen Wache halten könnte. Aber Kniebeugen mit jungen Müttern zu machen oder reiche Kinder zu bewachen, ist ihm immer etwas weibisch vorgekommen. Wenn er die Fitness-Trainer mit ihren Sporttaschen und gebrauchten Nike-Leggings oder die Wachmänner mit ihren schiefen Baretts und Uzis über der Schulter betrachtet, sieht er nur aufgewertete philippinische Hausmädchen in ihnen. Da kann man sich ja gleich einen Kimono anziehen und Kellner im China-Restaurant werden. Oder trugen so was die Japaner?
Aber im Augenblick ist das ohnehin nicht seine Entscheidung. Ehe er Nicht-Abu-Zar nicht gefunden hat, wird er nirgendwohin gehen. Und wie soll er Nicht-Abu-Zar finden, wenn er das Haus nicht verlassen kann? Wie soll er eine richtige Suche planen, wenn seine Frau den ganzen Tag ohne Hose herumläuft?
Er wollte systematisch an die Sache herangehen. Er hat eine Skizze anfertigen und tausend Abzüge davon drucken lassen. Jetzt liegen eintausend Bilder von Nicht-Abu-Zar im Schrank, verborgen vor Alices neugierigen Blicken. Offizielle Unterlagen, hat er ihr gesagt. Jetzt kann er nicht einmal ausgehen und die Poster ankleben. Als er aus dem Fenster auf die überfluteten Straßen blickt, kommt ihm die Idee, vielleicht Papierboote daraus zu falten und sie in die Welthinauszuschicken.
Teddy versucht die Bilder von mit Gewichten zertrümmerten Köpfen zurückzudrängen. Malangi hat ihm einmal gesagt, die meisten Mörder seien Stubenhocker-Typen. Er muss raus, sobald das Wasser zurückgeht. Malangi hat ihm außerdem gesagt, wenn man zu Hause eingesperrt sei, müsse man seine Frau aus einem anderen Blickwinkel betrachten, so als wäre sie die Frau eines anderen. „Stell dir allerdings nicht vor, sie wäre Mrs. Malangi, denn, glaub mir, das willst du nicht. Vergiss einfach, was sie redet, und versuche, ihren Körper zu erforschen.“
Teddy konzentriert sich auf Alice Bhattis wohlgeformten Knöchel und erinnert sich daran, dass es der Knöchel seiner Frau ist. Dieses Bein ist das Bein seiner Frau. Er küsst ihren Knöchel und umfasst ihre Kniescheibe, als würde er ihren Körper Stück für Stück markieren, sich überzeugen, dass er ihm gehört. „Sie riechen gut, Mrs. Butt“, sagt er und reibt seine Nase an ihrer Kniekehle.
„Ich rieche wie etwas, das die Katze ins Haus geschleppt hat“, versetzt sie. Sie entzieht ihm ihr Bein und massiertseinen Nacken sanft mit ihrer Ferse.
Teddy kann bis ganz hinauf zwischen ihre Beine sehen, wo einige drahtige Haare aus ihrer weißen Unterhose hervorschauen. Er verspürt eine Mischung aus Verlangen und Ekel, wie ein frommer Mensch, der zwar Hunger hat, aber nicht weiß, ob die ihm angebotene Mahlzeit halal ist. Der Deckenventilator bewegt sich auf einmal schneller bei seinem zum Scheitern verurteilten Angriff auf die Feuchtigkeit.
„Du kannst mein Wachs benutzen, wenn du möchtest“, sagt Teddy freundlich, als biete er ihr an, an seiner Eistüte zu lecken.
Alice ergreift seine Hand und presst sie gegen ihre Unterhose. „Das ist ein Frauenkörper, nicht der eines kleinen Mädchens. Willst du lieber ein kleines Mädchen zur Frau?“
Teddy errötet und spürt plötzlich den Drang, ihr zwischen die Beine zu boxen. Er macht sich nichts aus kleinen Mädchen, hat nie daran gedacht. Für ihn sind kleine Mädchen Kinder. Er unterdrückt seinen Ärger, zieht seine Hand zurück und streicht über Alice Bhattis glatte Wade, sanft, als würde ein Stück Seife über ihr schweißnasses Bein gleiten.
„In unserem Heiligen Buch heißt es, Frauen sollten diese Haare nicht länger werden lassen als ein Reiskorn.“ Er kann sich nicht erinnern, wo er das gehört oder gelesen hat. Vielleicht bei einer Freitagspredigt oder in der Freitagsbeilage der Zeitung. Er ist sich nicht ganz, aber doch ziemlich sicher, dass er es nicht erfunden hat. Der Ausspruch klingt authentisch und vernünftig. Er ist präzise, aber nicht kleinlich, etwas, das die meisten Frauen einhalten können, was ein echtes Merkmal aller Weltreligionen ist. „Das hat etwas mit Hygiene zu tun, vor allem in einem Klima wie dem unseren.“
„Basmati-Reis?“, fragt Alice. Und plötzlich könnten sie auch ein Paar sein, das überlegt, was es zum Abendessen kochen soll.
„Machst du dich über mich lustig?“ Teddy stützt sich auf seinen Ellbogen und sieht ihr fest in die Augen, um herauszufinden, ob sie ihn zum Narren hält. „Machst du dich über meinen Glauben lustig? Du weißt, dass ich nicht sehr religiös bin, aber ich finde es nicht gut, sich über den Glauben von anderen lustig zu machen.“
„Nein, ich stelle bloß eine praktische Frage. Sei doch nicht gleich beleidigt, aber da du ja nicht einkaufen gehst, weißt du eben nicht so genau Bescheid. Wenn du auf den Sonntagsbasar gehst, um Reis zu kaufen, wirst du gefragt, welchen du möchtest. Es gibt ungefähr zwölf Sorten. Ihre Länge reicht von so bis so …“ Sie zeigt mit Zeigefinger und Daumen die ganze Spannbreite von Bruchreis bis zu genetisch verbessertem und fast ordinär wirkendem Kala Shah Kaku Basmati. „Da muss man schon genau sein. Besonders, wenn es sich um Gottes Wort handelt. Es kann gefährlich werden, wenn man sich allzu vage ausdrückt. Du nimmst die falsche Reissorte, und schon musst du für immer in der Hölle schmoren.“
Teddy ist nicht sicher, ob sie ihn verspottet. „Frauen geben dir das Gefühl, schwach und ohnmächtig zu sein. Sie können einen völlig normalen Mann dazu bringen, dass er sich vorkommt wie ein Idiot“, hat Kommissar Malangi ihm gesagt. „Du hast einen Beruf, und die Kollegen bescheinigen dir einen analytischen Verstand. Du bist Fachmann auf einem bestimmten Gebiet. Du gehst die Straße entlang und die Leute bitten dich um Rat, weil sie in dir einen Mann sehen, der sich in der Welt auskennt. Dann kommst du nach Hause und fängst an, mit deiner Frau über das Wetter oder die Feuchtigkeit in den Wänden zu sprechen, und sie beweist dir augenblicklich, dass du der größte Schwachkopf bist.“ Und genauso kommt er sich jetzt vor. Man kann sich nicht einmal über Körperbehaarung unterhalten, ohne beschuldigt zu werden, pädophil oder ein religiöser Fanatiker zu sein.
Er nimmt sich vor, jemanden vom G-Korps zu fragen, der sich mit religiösen Dingen auskennt.
„Hilfst du mir, das Bett umzustellen? Vielleicht bekommen wir mehr Luft, wenn es am Fenster steht.“
Teddy erhebt sich wortlos. Gemeinsam tragen sie das Bett ans Fenster und können nun im Liegen das mit Spiegelscherben gekachelte Minarett sehen, aber eine Brise gibt es noch immer nicht.
„Wirst du versuchen, eine normale Stelle zu finden?“, wechselt Alice das Thema und fährt mit den Fingern über seinen Rücken.
„Was hast du gegen meine Arbeit?“
„Nun ja … die Arbeitszeiten sind sonderbar, und du wirst nicht regelmäßig bezahlt.“
„Ich werde bezahlt.“
Teddy denkt, dass nach irgendeinem besonderen Kalender für Ehefrauen heute „Demütige-deinen-Ehemann-Tag“ sein muss.
„Außerdem hast du doch auch Nachtschichten, Alice.“
„Aber das gehört zu meiner Arbeit.“
„Und was ich mache, gehört nicht zu meiner Arbeit?“
Alice beginnt seine Schultern zu massieren, die sich unter ihren bohrenden Fingern verhärten.
„Deine Arbeit ist gefährlich. Du hast immer so viel Sand in den Kleidern.“
„Wir leben in gefährlichen Zeiten, in einem gefährlichen Land. Es ist besser, die Gefahr zu kennen, damit zu arbeiten und sie zu bändigen“, sagt Teddy und denkt, dass er jetzt schon redet wie Kommissar Malangi. Bald wird er sich über die Einkaufsgewohnheiten seiner Frau und die Hausaufgaben seiner Kinder Gedanken machen.
Seine eigene Hausaufgabe fällt ihm ein: der Stapel von Nicht-Abu-Zar-Plakaten, die im Schrank auf ihn warten.