Kapitel 2

Das Haus lag im Osten von Sault Ste. Marie, am Ufer des St. Marys River, direkt neben dem alten Golfplatz. Es war ein großes Haus, eins von diesen zeitgenössischen Dingern, nur Glas und rechte Winkel. Jedes Licht im Haus schien zu brennen, inklusive eines riesigen Kronleuchters, den man durch das Fenster über dem Eingang sehen konnte.

»Warum sind wir eigentlich hier?« fragte ich.

»Um zu pokern«, sagte Jackie. »Und um seinen Whiskey zu trinken und sein Essen zu uns zu nehmen. Und um seine Zigarren zu rauchen.«

»Wenn du es sagst.«

»Es gibt da noch einen anderen Grund. Da ist noch eine Kleinigkeit, die wir machen. Wenn es so weit ist, spiel einfach mit.«

»Wenn was so weit ist? Wovon redest du?«

»Du wirst schon sehen.«

Als wir vor der Tür standen, kam eine Abendbrise vom See herüber. Wir hätten genausogut zum Schleusenpark gehen können, einen Spaziergang am Wasser entlang machen und dann zum Ojibwa Hotel gehen und dort im Speisesaal Steaks essen können. Statt dessen waren wir nun hier. Als Jackie die Türschelle drückte, ertönte kein schlichtes Dingdong. Acht lange Töne erklangen, wie Kirchenglocken beim Stundenschlag.

»Kriegen wir jetzt noch die Wachparade mit?« fragte ich.

»Reg dich doch nicht auf«, meinte Jackie. »Gib dem Abend doch erst mal eine Chance.«

»Okay«, sagte ich, »du hast recht.« Schließlich spielte ich gerne Poker. Heute abend würde es mich vielleicht ein paar Stunden von mir selbst ablenken. Vielleicht war es genau das, was ich brauchte.

Drinnen, hinter der Tür, hörten wir einen Hund bellen. Dann ging sie auf. Der Mann, der sie öffnete, war kahl. Das fiel mir als erstes auf. Er hatte das beinharte Aussehen einiger Kahlköpfe, diese superharte Ausstrahlung des Bösen. Man denkt unwillkürlich an jemanden aus einer Motorradgang, der still am Ende der Theke sitzt, um plötzlich aufzustehen und einen mit der Billardqueue ins Gesicht zu schlagen.

»Miata, down«, sagte er. Eine eher kleine Bitte, denn der Hund war nur etwa zwanzig Zentimeter groß. Ich hätte auf einen Chihuahua getippt, mit kurzen Haaren und diesen Knopfaugen, aber im Hinterkopf mußte ich an die moderne Wanderlegende von dem Ehepaar denken, das nach Mexiko gereist ist und mit einem Hund zurückkam, nur um herauszufinden, daß es sich um eine Ratte handelte. Das hier hätte dieses Tier sein können.

»Ich habe vergessen, dich vor dem Hund zu warnen«, sagte Jackie.

»Sie müssen Alex sein«, sagte der Mann. Er schüttelte meine Hand mit einem festen Griff knapp unter der Schmerzgrenze. »Ich bin Winston Vargas. Die Kurzform ist Win, denn ich gewinne immer. Stimmt’s, Jackie?« Er winkte Jackie zu.

Jackie rollte mit den Augen und ging an ihm vorbei. Der Hund umsprang uns weiter bellend, und seine kleinen Beinchen bewegten sich mit Kolibrigeschwindigkeit.

»Beachten Sie ihn gar nicht«, sagte Vargas. »Er hält sich für einen Dobermann. Na ja, vielleicht war er das ja mal, in einem früheren Leben.«

»Wie haben Sie ihn noch mal gerufen? Miata?« Ich kniete mich und bot ihm die Hand dar. Der Hund entblößte seine Zähne. Okay, eine schlechte Idee.

»Meine Frau hat ihn nach ihrem Auto benannt. Natürlich ist sie nicht da, so daß ich mich den ganzen Abend um ihn kümmern darf. Wieder mal.«

»Jedenfalls vielen Dank, daß ich hier sein darf«, sagte ich. Ich gab dem Abend eine Chance, wie Jackie gesagt hatte. Im Ernst.

»Es freut mich, daß Sie Zeit hatten«, sagte er. »Ich führe Sie zum Tisch.«

Er geleitete mich durchs Haus zum Pokerraum. Ich nehme an, er läuft die meiste Zeit unter dem Namen Gästeraum. An einer Wand war ein regelrechtes Heimkino, mit einem Schirm von über zwei Metern in der Diagonale. Eine Bar nahm die gegenüberliegende Wand ein, und auf den Regalen standen genug Flaschen, um Jackies Kneipe damit neu zu bestücken. Die Rückwand war nur Fenster; man sah auf den Fluß hinaus. Mitten im Raum stand unter einer Tiffanylampe einer dieser sechsseitigen Pokertische mit dem grünen Filz in der Mitte und den kleinen Abteilungen an jeder Seite.

»Wie finden Sie ihn?« fragte er. »Ich habe ihn ganz neu.«

Ich fand, daß er dazu passend einen grünen Augenschirm und rote Ärmelhalter tragen müßte. »Ganz schön imposant«, sagte ich.

Zwei Männer saßen schon am Tisch. Ich erkannte Bennett O’Dell, einen alten Freund von Jackie, der dann und wann im Glasgow vorbeischaute. Ein weiterer zäher alter Bursche, allerdings ein gutes Stück größer als Jackie und mindestens siebzig Pfund schwerer. Er war auch im Gastgewerbe tätig, in einer Kneipe namens »O’Dell’s« drüben auf der Westseite der Stadt. Bennetts Vater hatte sie seinerzeit in den Dreißigern gegründet, und seitdem war sie stets in Familienbesitz gewesen. Ich erinnerte mich an eine Geschichte, die Jackie mir einmal erzählt hatte, wie er auf der High School immer mit Bennett zusammengewesen war, wie sie praktisch in der Kneipe gewohnt und jeden Abend an einem der Tische Hausaufgaben gemacht hätten. Als Jackie über eine eigene Kneipe nachdachte, wollte er den O’Dells keine Konkurrenz machen, weshalb er dann das Lokal draußen in Paradise gekauft hat.

»Alex«, sagte Bennett, »was zum Teufel machst du denn hier?«

»Ich sehe, ihr kennt euch schon«, sagte Vargas. »Das hier ist Kenny, einer meiner Geschäftspartner. Ich glaube, man kann sagen, er ist meine rechte Hand.« Kenny trug das Haar lang und glatt und hatte es zu einem Pferdeschwanz gebunden. Kenny sah so aus, als nähere er sich den Vierzig, und das hieß, daß er binnen kurzem vor einer schweren Entscheidung stehen würde. Man kann sich mit vierzig nicht Kenny nennen und einen Pferdeschwanz tragen, es sei denn, man wäre Friseur. Jedenfalls nicht in Michigan.

»Wir warten noch auf Gill«, sagte Vargas. »Sie wissen ja, wie das ist. Indianer leben nicht nach der Zeit des Weißen Mannes.«

»Mach mal halblang, Win«, sagte Bennett und zwinkerte mir zu. »Schließlich willst du doch nicht von ihm skalpiert werden.«

»Hier gibt’s nichts zu skalpieren, mein Freund.« Vargas fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel und lachte. Schon sah es so aus, als ob es eine längere Nacht würde. »Alex, ich zeige Ihnen das Haus«, sagte Vargas. »Wo wir ohnehin warten.«

»Gute Idee«, sagte Jackie, während er sich neben Bennett setzte. »Einmal der große Rundgang.«

Vargas verbrachte die nächsten zwanzig Minuten damit, mir das Haus zu zeigen. Mit der Küche fingen wir an. Sie hatte den professionellen Gasherd, die Insel in der Mitte mit dem zweiten Spülbecken. Die Butler’s Pantry. »Das ist meine Spezialität«, erklärte er. »Das Beste vom Besten bei allen Geräten. Herde von Viking, maßgeschneiderte Wandschränke, nennen Sie irgendwas, wir liefern es. Wenn Ihre Frau sich eine Traumküche wünscht, bin ich Ihr Mann. Sind Sie verheiratet?«

»Nein«, sagte ich.

»Aber Sie waren es. Einmal?«

»Ja, vor sehr langer Zeit.«

»Ich habe vor ein paar Jahren zum zweiten Mal geheiratet«, sagte er, »nachdem ich lange, lange Zeit unabhängig war. Es geht doch nichts darüber, beim zweiten Mal alles richtig zu machen.« Er fuhr mit der Hand über die Arbeitsplatte. »Zu schade, daß Sie heute abend keine Gelegenheit haben werden, sie kennenzulernen. Aber beim nächsten Mal, ja?»

»Gerne.«

Von der Küche aus gingen wir auf die rückwärtige Veranda. Das Flußufer lag direkt unter uns, keine zehn Meter entfernt. Ein Frachter fuhr in südlicher Richtung flußab, ganz langsam, fort von den Schleusen.

»Wo kommt er her?« sagte er. »Was ist das für eine Flagge? Brasilien, oder?«

Der Flaggenstock trug eine Lampe. Man konnte soeben den blauen Globus im gelben Diamanten auf grünem Feld erkennen. »Ich denke ja«, sagte ich.

»Die Jungs sind ganz schön weit weg von zu Hause.« Er winkte dem Schiff. Wir konnten einige Mitglieder der Mannschaft auf Deck erkennen, aber sie winkten nicht zurück.

»Ich habe da unten eine kleine Anlegestelle«, sagte er. »Nicht groß genug für mein Boot, aber ich habe zwei Motorskis. Jemals damit gefahren?«

»Noch nie«, sagte ich. »Würde mir vermutlich ähnlich gut gefallen wie ein Schneemobil.«

»Klar, so eins habe ich natürlich auch. Ich weiß aber nicht, wieviel Zeit ich hier im Winter verbringen werde. Wir haben ein Haus in Boa. Aber man weiß ja nie.«

Wir gingen wieder nach drinnen. Das Licht schmerzte mir in den Augen, weckte in mir den Wunsch, wieder hinaus ins Dunkel zu gehen. »Ich zeige Ihnen noch die erste Etage, Alex. Einen Raum da müssen Sie einfach sehen.«

Ich folgte ihm die Treppe hinauf. Das Haus hatte ein wundervolles Treppenhaus, das mußte ich zugeben. Die Stufen bestanden alle aus Hartholz, mit dazu passendem Handlauf, getragen von dünnen Holzstäben. Mein alter Herr, der Zimmermann im Selbststudium, wäre zutiefst beeindruckt gewesen.

»Da drüben sind die Gästezimmer, und hier ist unsere Suite.« Ein großes Doppelbett stand darin, ganz in Weiß mit lavendelfarbenen Spitzen. »Vermutlich muß ich das gar nicht eigens betonen – für die Inneneinrichtung ist meine Frau verantwortlich. Hier geht’s ins Bad. Wie finden Sie es?«

Ich blickte hinein und sah einen nicht in den Boden eingelassenen Whirlpool, eine separate Dusche, zwei Schminkspiegel und zwei Waschbecken. die Armaturen funkelten wie ein Piratenschatz. »Das ist allerdings was«, sagte ich. Ich hatte mir schon insgeheim überlegt, daß das Schlafzimmer größer war als meine gesamte Hütte. Jetzt fragte ich mich, ob das beim Bad nicht auch der Fall war.

»Diese Whirlpools führen wir jetzt auch«, sagte er. »Sie haben keine Vorstellung, wie teuer die sind. Schätzen Sie mal.«

»Ich habe nicht die geringste Vorstellung.«

»Ist auch egal. Eigentlich gehört es sich ja auch nicht. Aber jetzt zeige ich Ihnen den schönsten meiner Räume.«

Er führte mich zum Ende des Flurs und öffnete eine Tür. Es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen umgestellt hatten – es war der einzige Raum im Haus, der nicht so hell wie ein Operationssaal war. Er drehte den Dimmer ein wenig auf, so daß ich sehen konnte, wo ich hinging. An zwei Wänden reichten Bücherregale vom Fußboden bis zur Decke, an einer dritten hingen Karten für die Seefahrt. Am Fenster stand ein Teleskop auf einem Dreifuß. »Ich nenne das hier mein Seezimmer. Kommen Sie und schauen Sie mal.«

Er dimmte das Licht wieder, während ich in das Teleskop schaute. Es zeigte nach Nordwesten. Als ich es bewegte, konnte ich Schleusen vom Soo und die Internationale Brücke erkennen. Ich war mir sicher, daß man am Tage auch den See selbst sehen würde.

»Mein Gott, wie ich diesen See liebe«, sagte er. »Geht es Ihnen genauso, Alex?«

Ich sah ihn an. Bei dem gedämpften Licht konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, aber sein kahler Schädel schien zu leuchten.

»Was ist da drin?« fragte ich. Unter den Karten befanden sich Vitrinen an der Wand.

Er drehte das Licht wieder auf. »Verschiedene Sammlungsstücke. Ich bin Sammler.«

In einer Vitrine befanden sich Relikte aus Schiffswracks – eine kleine Messingglocke, ein Metallkamm, ein Becher aus Zinn.

In einer anderen Vitrine lagen Sachen, die indianischen Ursprungs zu sein schienen – eine Pfeilspitze, ein hölzernes Paddel in fortgeschrittener Auflösung, eine kleine Metallschüssel, die zur Rußbereitung gedient haben mochte. Alle Gegenstände zeigten diesen speziellen rötlich grauen Schimmer an den Rändern, den Gegenstände bekommen, die sehr lange in Süßwasser gelegen haben.

»Wie sind Sie da drangekommen?« fragte ich. »Ich dachte, die Bergungsgesetze seien da recht streng.«

»Im in Michigan gelegenen Teil schon. In Kanada weniger. Was soll ich sagen; Taucher bergen die Sachen, verkaufen sie an jemanden, der sie wieder weiterverkauft. Wenn ich dann etwas erwerbe, kommt es sofort in diesen Raum und bleibt auch hier. Meine Frau findet das etwas abartig, aber ich sag dann, hey, wenn ich mal sterbe, geht jedes der Stücke ans Museum. Entweder an das Schiffbruchsmuseum draußen in Whitefish Point oder an das Indianermuseum im Community College.«

Auf mich wirkte das immer noch nicht ganz korrekt, aber das sagte ich ihm nicht. So nickte ich ihm nur zu und hoffte, das Pokerspiel würde bald beginnen. Und wenn er mir, wie Jackie gesagt hatte, teuren Whiskey anbieten wollte, war auch dafür der rechte Zeitpunkt gekommen.

Als wir endlich wieder am Pokertisch waren, saß Gill LaMarche an seinem Platz und verteilte seelenruhig Chips. »Nun schaut mal, wer da ist«, sagte Vargas. »Sie haben die Führung verpaßt.«

»Bin schon dagewesen, habe die Führung schon mal mitgemacht«, sagte er, »und das T-Shirt habe ich auch schon gekauft.« Gill war Mitglied des Sault-Stammes und wohnte in der Stadt, direkt neben dem Kewadin Casino. Wie bei den meisten Ojibwas in Michigan, besonders bei den Sault-Angehörigen, die beim Abstammungsnachweis weniger streng waren als die anderen Stämme, dachte man gar nicht »Aha, Indianer«, wenn man ihn das erste Mal sah. Wenn man wußte, worauf man zu achten hatte – eine leichte Fülle an den Backenknochen, eine ruhige und bedächtige Art um die Augen herum –, konnte man es vielleicht erkennen.

»Als erstes versorgen wir mal jeden«, sagte Vargas. Die Tabletts mit Essen rollten aus der Küche an, die Drinks von der Bar, die Zigarren. »Welchen Whiskey trinken Sie?« fragte er mich. »Ich hab da einen zwölf Jahre alten Macallan …«

»Ist das nicht Jack Daniels, den ich da drüben sehe?« sagte ich.

»Das ist er. Wenn das Ihre Wahl ist.«

»Der ist genau richtig. Heben Sie sich den Single Malt für jemand Besonderes auf.«

»Jackie hat mir erzählt, Sie seien Catcher beim Baseball gewesen. Ich hätte eigentlich wissen müssen, daß ein Catcher Jack Daniels einem Macallan vorzieht. Einen Catcher erkennt man jederzeit.«

Ich sah zu Jackie hinüber. Er lächelte nur unschuldig.

»Im College habe ich Baseball gespielt«, sagte Vargas. »Und dann bei der Luftwaffe, als ich in Korea stationiert war.«

»Lassen Sie mich raten: First Base«, sagte ich.

»In der Tat die erste und selten die dritte. Wie haben Sie das rausgefunden?«

»Einen First Baseman erkennt man immer.«

Darüber mußte er lachen, brachte mir meinen Drink und setzte sich. »Wollen wir nun Karten spielen oder was?«

Das taten wir dann. Jackie saß links von mir, dann Bennett, Vargas, Kenny und dann Gill rechts von mir. Vargas spielte so, wie ich es von ihm erwartet hatte. Er setzte aggressiv und paßte nur widerwillig. Er wollte bei jedem Spiel dabeisein. Wenn er nicht gerade erhöhte, machte er sich mit dem Tisch wichtig und sorgte dafür, daß wir unsere Drinks nicht auf den grünen Filz stellten, sondern in die eigens dafür vorgesehenen Abteile. Bis zu diesem Abend hatte ich gar nicht gewußt, wie sehr ich diese Superpokertische haßte.

Vargas redete auch gern. So war es nur eine Frage der Zeit, bis er wieder auf seine Geschäfte zu sprechen kam. »Als ich bei der Luftwaffe entlassen worden war«, sagte er beim Mischen, »habe ich mich entschlossen, das Haushaltwarengeschäft meines Vaters zu übernehmen. Er besaß einen kleinen Laden unten in Petoskey. Nun fragen Sie sich vermutlich, wie ein kleines Haushaltwarengeschäft heutzutage überleben kann, wenn es überall im Land Filialen von Lowe und Home Depot gibt. Die Antwort: Du mußt den Zug kommen sehen, bevor er dich überfährt. Diese Riesenketten mit Hausgeräten? Sie waren das Beste, was mir je passiert ist. Und wissen Sie warum? Sie haben meine Konkurrenten vernichtet. Und zwar alle. Sie sind unter die Räder gekommen, während ich von den Gleisen gesprungen bin. Ich habe mir einen neuen Markt geschaffen. Und zwar einen besseren. Wenn man heutzutage ein Spülbecken kaufen will, oder eine Toilette, eine Wanne, eine Spülmaschine oder einen Kühlschrank oder Küchenschränke, wohin geht man dann?«

Niemand sagte etwas. Wir warteten nur, daß er zum Ende kam und endlich die verdammten Karten austeilte.

»Wohin gehen Sie? Hmm? Wohin?«

»Lowes«, sagte Jackie endlich.

»Home Depot«, sagte Bennett.

»Ganz genau«, sagte Vargas. »Aber stellt euch mal vor, ihr wollt ein Becken ganz aus Marmor, das aus Italien kommt. Oder einen Viking-Herd, wie ihn die Berufsköche verwenden. Wo kriegt ihr den? Nicht bei Lowes. Nicht bei Home Depot. Die führen so’n Zeugs nicht. Da ist für die nicht genügend Umsatz drin. Da muß man schon in ein Spezialgeschäft.«

»Wie Ihres«, sagte Bennett.

»Wie meines.«

»Geben Sie schon«, sagte Bennett.

Er fing an auszuteilen, aber das hielt ihn nicht davon ab, mit seinem Vortrag fortzufahren. »Ich und Kenny, wir sind ein starkes Team. Wir gehen zu irgendwem ins Haus und teilen uns das Paar. Teile und herrsche, stimmt’s? Kenny schleppt die Frau in die Küche und nimmt sie so richtig in die Mangel, läßt so ganz den Innenarchitekten raushängen.« Kenny verzog nicht einmal eine Miene. Er saß nur da mit einem heiteren Lächeln auf den Lippen, wie jemand, der gut dafür bezahlt wird, stillzuhalten und mitzumachen. »Während er seine Masche abzieht, hänge ich mit dem Ehemann rum. Ich sage dann: ›Das war’s, Chef. Ihre Frau will das Allerbeste, und Sie geben es ihr; sonst tragen Sie die Konsequenzen. Aber keine Sorge, ich mache Ihnen einen Superpreis.‹ Wenn ich sie nicht gleich kriege, während sie noch das Haus bauen, habe ich sie ein paar Jahre später. Sobald die Frau mal mit der Nachbarin Kaffee trinkt und deren Küche sieht, geht sie zu ihrem Mann, und der kommt dann zu mir. Letztlich kriege ich sie alle.«

»Die Dame bietet«, sagte Bennett. »Das sind Sie, Kenny.« Er ließ das einen Moment so stehen, bevor ihm auffiel, was er da gesagt hatte. »Ich meine, Sie haben die Dame, Kenny. Sie müssen bieten.«

Kenny sah ihn mit einem keineswegs coolen Blick an und warf dann einen Dollar in den Pott. »Die Dame bietet einen Dollar.«

»Ich renoviere da dieses Haus in Kanada«, sagte Vargas. »Auf Sugar Island. Sie werden nicht glauben, was ich da in die Küche packe. Allein schon der Fußboden, Kacheln aus Mexiko. Das Problem ist nur, da gibt es diese Kerle am Zoll. Dicke alte blöde Kanucken, sitzen auf der Brücke und werden im Grunde dafür bezahlt, daß sie die ganze Zeit schlechte Laune haben. Wenn sie sehen, daß ich mit ’nem Kühlschrank rüberfahre, nehmen sie das persönlich. So als ob ich den Kanadiern die Jobs wegnähme, wenn ich einen amerikanischen Kühlschrank liefere.«

»Zoll auf langlebige Verbrauchsgüter«, sagte Bennett. »Nennen die das nicht so?«

»So nennen die das«, bestätigte Vargas. »Sie sollten es aber Straßenraub nennen.«

»Ich dachte, es sei nicht mehr so schlimm. Ich meine, jetzt mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen.«

»Sie regen sich jetzt weniger über Kleinzeug auf«, sagte Vargas. »Bis zu hundert Dollar oder so. Aber die großen Posten auf der Rechnung, da lassen sie es einen immer noch wissen.«

»Aber das zahlt doch wohl der Kunde, oder?«

»Ja, das kann man wohl so sagen, Bennett. Ich tue das bestimmt nicht.«

»Was sind das für Leute?« fragte ich. »Wer kann denn so viel Geld bloß für eine Küche ausgeben?« Ich hätte nicht fragen sollen. Ich hätte besser mein Maul gehalten und Karten gespielt und den Whiskey des Typen getrunken. Das hätte ich tun sollen.

»Viele Leute bauen sich Häuser in Kanada«, erklärte er. »Sie würden überrascht sein. Aber da drüben verdiene ich nicht wirklich meine Brötchen …«

»Wo denn dann?«

»Bay Harbor.«

Bei den Worten lief es mir kalt über den Rücken. Bay Harbor. Da hätte er genausogut sagen können Sodom und Gomorrha.

»Da habe ich die meiste Kohle gemacht«, sagte er. »In Bay Harbor. Natürlich ist das inzwischen etwas überlaufen.« Er sah sich sein Blatt an, das er sich vor die Brust hielt. Er hielt Kennys Dollar und erhöhte um zehn. »Stimmt das so, Kenny?«

Kenny schob seine Karten zusammen: »Zu viel für mich.«

»Die große Frage ist jetzt, wer das nächste Bay Harbor baut«, sagte Vargas. »Und wo er das tut.«

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