Kapitel 7

Die Kemp Marina liegt am St. Marys River, nicht weit vom Gebäude der Küstenwache, östlich der Soo-Schleusen. An einer Seite der Marina liegt ein alter Frachter – man kann ihn besichtigen und sich ansehen, wie die Seeleute monatelang auf ihm gelebt haben. Und dann ist da die Marina selber, wo es so ziemlich jeden Typ von Boot gibt, den man für Geld kaufen kann, von kleinen Segelbooten über Boote für Sportfischer bis zur Dreißig-Meter-Yacht. Ich stand am Eingangstor und stellte mir zwei Fragen. Die erste war: Wieso bin ich überhaupt hier? Letzte Nacht schien die Aktion Sinn zu haben. Jetzt im hellen Tageslicht war ich mir da nicht mehr so sicher.

Die zweite Frage war, wie zum Teufel ich das Boot finden sollte. Ich schritt zwei von den Docks ab. Einige Boote trugen ein kleines Schild mit dem Namen des Eigentümers. Die meisten nicht. Schließlich ging ich zum Schuppen am Eingangstor in der Hoffnung, dort den Hafenmeister oder den Dockmeister oder wie auch immer er sich nennen mochte zu finden.

Im Schuppen war eine Frau, die versuchte, mit zwei Fingern auf einer mechanischen Schreibmaschine zu schreiben, und dabei jede Menge Probleme hatte. »In ’ner Sekunde bin ich für dich da, Schatz«, sagte sie, während sie Jagd auf die nächste Taste machte. »Zweihundert Dollar«, sagte sie schließlich. »So viel kostet die Reparatur vom Computer. Zweihundert Dollar. Da denkt man doch, daß er die anlegen würde, oder etwa nicht?«

Ich hörte mir noch einige ihrer Ausführungen über den Mann an, der den Reparaturdienst für Computer nicht einschalten wollte. Ich hoffte, es handelte sich um ihren Ehemann, denn einiges von dem, was sie sagte, sollte man einfach nicht von jemandem sagen, mit dem man nicht verheiratet ist. »Tut mir leid, Schätzchen«, sagte sie und sah mich endlich an. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich suche das Boot von Winston Vargas.«

Sie rollte mit den Augen. »Winston Vargas, das ist aber auch ein ganz besonderer.«

»Wissen Sie, ob er zur Zeit hier ist? Er hat mir gesagt, ich soll ihn hier am Mittag treffen. Ich habe mich etwas verspätet.«

»Tut mir leid, ich sollte nicht so über ihn reden. Sie sind bestimmt ein Freund von ihm.«

»Nein, das würde ich nicht unbedingt sagen.«

»Na, okay. Wollen wir mal sehen. Sie gehen wieder nach draußen, gehen dann bis zum letzten Dock. Er hat den vorletzten Liegeplatz auf der rechten Seite.«

»Vielen Dank, Ma’am. Sehr liebenswürdig. Ich hoffe, daß Sie Ihren Computer bald repariert bekommen.«

»Vorher gebe ich keine Ruhe«, sagte sie und wandte sich wieder der Tipperei zu.

Ich ging bis zum letzten Dock und dann den ganzen Weg bis an dessen Ende. Die Sonne stand hoch am Himmel und spiegelte sich in den glänzenden Metallbeschlägen der Boote. Ein Mann saß auf seinem Deck auf einem Gartenstuhl und las Zeitung. Er sah zu mir hin und nickte. Das Boot neben ihm war möglicherweise die größte Yacht in der ganzen Marina. Es sah aus, als ob man darauf zwölf Leute bequem unterbringen könnte. Ich konnte mir nicht einmal ausmalen, was es wohl kosten würde.

Vargas’ Boot würde nicht ganz so groß sein, überlegte ich mir, aber ich wettete auf etwas ganz schön Protziges. Als ich zum vorletzten Liegeplatz rechts kam, war ich zunächst ein wenig überrascht. Das Boot konnte nicht mehr als zwölf Meter lang sein … Es hatte eine Kabine, aber nur mit drei oder vier Schlafplätzen. Verglichen mit anderen Booten hier war es regelrecht bescheiden. Aber wenn ich darüber nachdachte, machte das durchaus Sinn. Diese Megayachten waren unter Umständen verteufelt langsam. Vargas’ Boot hatte einen langgestreckten Rumpf und vermutlich, nach dem Heck zu urteilen, zwei Dieselmotoren. Es war auf Schnelligkeit ausgelegt.

Ich sah niemanden auf Deck, aber ich wollte nicht so einfach an Bord springen. Mir fiel ein, wie mir mal jemand erzählt hatte, das Boot eines Menschen sei so heilig wie sein Haus, eher noch mehr. Man betritt es nicht ohne Aufforderung.

»Ahoi«, rief ich. »Ist hier jemand?«

Die Kabinentür öffnete sich, und Vargas schaute heraus. Im Tageslicht sah er noch kahler aus, wenn das möglich war. »Alex«, sagte er, »kommen Sie an Bord.«

Vom Dock zum Boot war es ein ziemlicher Schritt. Ich fühlte einen leichten Stich im Hüftmuskel, als ich das Bein weit vorstreckte, just eine weitere der täglichen Erinnerungen an die Tatsache, daß ich älter wurde. Sobald ich einen Fuß an Deck gesetzt hatte, kam der Hund aus der Kabine gestürmt und bellte mich an, als sei ich Satan persönlich.

»Miata, laß das! Das ist doch bloß Alex! Du kennst doch Alex!«

Der Hund umtänzelte mich wie ein Bantamgewichtler, immer zur Seite und auf der Suche nach einer Deckungslücke. Vargas griff ihn sich mit einer Hand. »Tut mir leid, Alex. Er ist immer noch von neulich her übernervös.«

»Das macht doch nichts.« Von neulich her, von wegen. Dieser Hund ist übernervös auf die Welt gekommen.

»Offen gesagt, Alex, ich bin ein wenig überrascht, daß Sie gekommen sind. Ich glaube kaum, daß meine Pokerrunde für Sie eine angenehme Erfahrung gewesen ist.«

»Na, für Sie war das ja auch nicht gerade ein toller Abend. Ich weiß, daß es nicht Ihre Idee war, überfallen zu werden.«

»Nein«, sagte er und strich dem Hund über den kopf. »Das war nicht geplant.«

»Ich wundere mich allerdings, wieso Sie mich eingeladen haben. Ich weiß, daß ich nicht Ihre erste Wahl bin, wenn Sie mit jemandem zu Mittag essen wollen.«

»Vielleicht gibt es da ein oder zwei Dinge, nach denen ich Sie fragen möchte. Nur um Ihre Meinung zu hören. Aber warum fahren wir nicht erst mal raus? Es ist so ein herrlicher Tag dafür. Angeln Sie oft?«

»Ab und an. Nicht so oft, wie ich gern täte.«

»Perfekt. Wir angeln uns ein paar Weißfische.«

Er setzte den Hund wieder aufs Deck, worauf der wieder an zu bellen und zu tänzeln begann. »Zwing mich nicht, dich nach drinnen zu tun, Miata. Leg dich da hin!«

Der Hund bellte noch mehrmals, aber zog sich schließlich zurück und setzte sich neben Vargas’ Kapitänsplatz. Er beobachtete mich, als ich mich setzte, bereit, mir bei der ersten falschen Bewegung an die Kehle zu springen.

»Ich mußte den Hund heute mitnehmen«, sagte er. »Meine Frau ist heute ausgegangen. Wieder einmal.« Er betonte die beiden letzten Wörter und schüttelte den Kopf. Ich verspürte keine Lust, ihn danach zu fragen oder irgendwas davon zu hören, was zwischen seiner Frau und dem Anwalt der Familie liefe. Oder ihm zu erzählen, was seine Frau mir gestern nacht gesagt hatte, daß sie wisse, daß er Leon engagiert habe, um sie zu beschatten. Die ganze Szene war schon unbehaglich genug, und ich begann meine Zusage schon zu bereuen.

Vargas ließ das Boot an. Ich konnte spüren, wie das Deck vibrierte, der Doppelmotor bebte vor Kraft, als säßen wir auf einer Rakete. Er ging an mir vorbei, um ein paar Leinen zu lösen, und der Hund bellte wieder, offenbar aus Prinzip. Vargas setzte sich wieder auf seinen Kapitänsplatz und betätigte den Gashebel. Hinterm Boot entstand ein wütender Wirbel, als er zurücksetzte, das Boot in der Fahrrinne in Position brachte und dann losschoß; wir liefen aus.

»Jemals zuvor durch die Schleusen gefahren?« sagte er, als wir den St. Marys erreicht hatten.

»Nein, das habe ich noch nie gemacht.«

»Manchmal muß man sich über Funk anmelden, aber es sieht ganz so aus, als ob schon ein paar Boote warten. Interessant wird es, wenn zur selben Zeit ein Frachter in der Schleuse ist. Man kommt sich dann vor wie ein ganz kleiner Fisch, der mit einem Wal im selben Aquarium ist.«

Drei Sportboote warteten darauf, daß sich die südlichste der Schleusen öffnete. Vargas hielt sich hinter ihnen. Fast im selben Moment öffnete sich die Schleuse. Zwei gigantische Stahltore, jedes von ihnen mindestens fünfzehn Meter breit, klappten auf. Die drei Boote vor uns liefen in die Schleusenkammer ein, und Vargas folgte ihnen. Ich konnte über uns die Aussichtsplattform sehen. Mit dem Wasserspiegel auf unterem Niveau fühlte man sich wie auf dem Grund eines Brunnens.

Eine Glocke ertönte, als sich die Tore hinter uns schlossen. Langsam begann sich das Boot zu heben, als von der anderen Seite her unten Wasser in die Kammer strömte. Die Tore dort hielten den gewaltigen Druck des Lake Superior zurück, was einem in diesem Augenblick lächerlich erschien. Etwas Wasser rieselte durch den Spalt, wo sich die beiden Flügel trafen, als würden sie jeden Moment aufbrechen. Aber natürlich taten sie das nicht. Zehn Minuten später waren die Boote die sieben Meter höher, und die Toren öffneten sich. Die Leute auf der Aussichtsplattform waren jetzt auf Augenhöhe. Einige von ihnen winkten uns zu. Der Hund bellte zurück.

Als wir die Schleusen passiert hatten, lagen noch drei Kilometer Fluß vor uns, unter der Internationalen Brücke durch. Hinter einer Biegung verengte sich der Fluß und floß am Stadtteil Shallows vorbei; O’Dells Haus war gut am Ufer auszumachen.

Dort könnte ich jetzt sein, dachte ich, ein kaltes Bier trinken und mir ein Baseballspiel ansehen. Statt dessen war ich auf einem Boot mit Vargas und seinem Hund.

Hinter der letzten Biegung liefen wir endlich ins offene Wasser der Whitefish Bay. Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor, strahlte auf den See und verwandelte ihn in tausend grüne und blaue Töne. Vargas schob den Gashebel hoch und wir rasten los; der Bug hob sich, als wir immer schneller wurden; kalte Gischt schlug uns ins Gesicht. Er wollte mir etwas sagen, aber seine Worte gingen im Lärm der Motoren unter. Der See war so ruhig, wie er nur sein konnte, aber trotzdem begann das Deck zu hüpfen. Ich hielt mich an der Reling fest. Der kleine Hund flog wie ein Ball herum, bis ihn Vargas sich mitten in der Luft schnappte.

Jetzt gab er wirklich alles, trieb das Boot an seine Grenze und schickte uns brüllend in die Mitte der Bay. Alle Boote, die hinter uns herumtuckern mochten, waren längst verschwunden. Ich glaube, er wollte Eindruck auf mich machen. Ich blieb still und wartete darauf, daß er die Geschwindigkeit verringern würde.

Das tat er schließlich auch, und wir trieben im Leerlauf dahin. Wir waren inzwischen Meilen vom Ufer entfernt, so weit, daß ich die Küste soeben noch am Horizont erkennen konnte.

»Jetzt sagen Sie mal, Alex«, sagte er und wischte sich übers Gesicht. »Ist das nun ein Boot oder was?«

»Das ist schon ein Boot, was Sie da haben. Das muß ich Ihnen lassen.«

»Ich habe Angeln dabei, wenn Ihnen nach Weißfischfangen ist. Natürlich ist kein Verlaß darauf, daß man sich wirklich so ein Mittagessen angeln kann, deshalb habe ich Sandwiches dabei. Und kaltes Bier.«

»Auf das Angeln verzichte ich erst mal. Ich hoffte, Sie würden mir langsam erzählen, was Sie auf dem Herzen haben.«

»Da haben Sie recht. Aber nicht auf leeren Magen.« Er zog eine große Kühlkiste heraus und versorgte mich mit einem Roggenbrot mit Pastrami und Schweizer Käse und einem kalten Molson. Es war amerikanisches Molson, aber es ließ sich problemlos trinken, wie ich da so in der strahlenden Mittagssonne saß. Alles wurde ein wenig surreal, das gleißende Licht und das sanfte Rollen des Bootes auf dem See. Ich fühlte mich, als würde ich in den Schlaf gewiegt.

Endlich zerstörte Vargas den Zauber. »Sie haben ein Problem mit mir, stimmt’s? Das habe ich neulich gespürt, noch bevor das alles losging.«

»Ich sitze hier auf Ihrem Boot, esse Ihr Brot und trinke Ihr Bier. Ich glaube nicht, daß das der richtige Zeitpunkt ist, um Kritik an Ihnen zu üben.«

»Aber ich weiß, daß Sie mir eine ehrliche Antwort geben werden. Sie machen aus Ihrem Herzen keine Mördergrube.«

»Sagen wir mal so: Ich sehe einige Dinge anders als Sie.«

»Zum Beispiel?«

»Wir brauchen die jetzt nicht einzeln aufzuzählen. Ich weiß, daß ich Ihre Ansichten doch nicht ändern werde.«

»Wer sagt das? Versuchen Sie es doch.«

»Sehen Sie mal, Sie haben mir an dem Abend gesagt, wie sehr Sie es hier oben lieben, nicht wahr?«

»Ja.«

»Okay, aber es scheint Ihnen nichts zu bedeuten, wenn Sie es nicht besitzen können – wenn Sie es nicht für sich und vielleicht noch ein paar Freunde kaufen können, einen Zaun drum ziehen und ein Schild ›Betreten verboten‹ an den Eingang stellen.«

»Wie Bay Harbor.«

»Wie Bay Harbor.«

Er biß in sein Sandwich und sah auf den See hinaus. Der Hund beobachtete ihn und wartete darauf, daß etwas von dem Brot den Weg zu ihm finden würde.

»Sogar der Kram, den Sie sammeln«, sagte ich, »oben in Ihrem Zimmer. Diese Sachen aus den Schiffswracks. Das indianische Kunsthandwerk. Es reicht Ihnen nicht, sie in ihrer Bedeutung zu schätzen. Sie müssen sie besitzen und in eine Vitrine stellen. In Ihrem eigenen kleinen Zimmer, wo niemand sie sehen kann.«

»Sie scheinen in diesem Punkt eine sehr feste Meinung zu haben.«

»Nicht fest genug, um deshalb in Ihr Haus einzubrechen und den ganzen Raum zu verwüsten. Aber es stört mich schon.«

»Wie ich gesagt habe, Sie machen aus Ihrem Herzen keine Mördergrube. Das respektiere ich. Ich bin allerdings der Meinung, daß Sie das alles völlig falsch sehen. Ich glaube nicht, daß Sie mich überhaupt verstanden haben. Das ist aber in Ordnung so. Das ist nicht der Grund, weshalb ich Sie hierher gebracht habe.«

»Erzählen Sie mir denn jetzt vielleicht mal, weshalb?«

»Ganz einfach. Ich will Ihre Meinung hören.«

»Worüber?«

»Darüber, was neulich abends passiert ist. Und wer dafür verantwortlich sein könnte.«

»Ich wüßte nicht, warum Sie mich das fragen. Und dazu der ganze Aufwand … Verdammt noch mal, ich weiß, daß das nicht lustig gewesen ist, so ausgeraubt zu werden, Vargas, aber wenn Sie nur fünftausend Dollar im Safe gehabt haben …«

»Das ist die Summe, die ich der Polizei genannt habe.«

»Okay, also war es mehr. Sehr viel mehr?«

Er sagte nichts. Er sah mich nur an.

»Warum sollten Sie viel Geld in Ihrem Safe haben? Ein Typ wie Sie, ich denke, der investiert das eher irgendwo. So kriegen Sie ja noch nicht mal Zinsen …«

»Allerdings, keine Zinsen. Aber ich brauche auch nicht einen ganzen Batzen davon ans Finanzamt zu geben. Oder an meine erste Frau, was das angeht. Aber sprechen wir jetzt nicht davon, warum ich Geld im Safe hatte oder wie viel oder wie es da reingekommen ist. Ich will es schlicht zurück. Und ich dachte, Sie könnten mir dabei helfen.«

»Sie haben doch schon einen Mann, der für Sie arbeitet.«

»Ja. Ihren Ex-Partner, wie sich zeigt. Wenn das keine interessante Entwicklung ist.«

Ich sagte nichts.

»Aber Sie sind derjenige mit der Erfahrung. Sie sind der, der ein Dienstabzeichen getragen hat, unten in Detroit. Sie sind der mit der Kugel in der Brust.« Er sah an meiner Brust herunter, wie es jeder macht, der gerade darüber spricht. Eines Tages werde ich mich noch daran gewöhnen.

»Hören Sie, Vargas …«

»Lassen Sie mich Ihnen die Sache darlegen, Alex. Dann sagen Sie mir, was Sie denken. Mehr will ich nicht. Dann fahren wir zurück, das verspreche ich Ihnen.«

»Dann legen Sie mal dar.«

»Außer mir«, sagte er, »gab es nur fünf Leute auf der ganzen Welt, die von dem Safe gewußt haben. Nicht mal meine Frau kannte ihn.«

»Na hören Sie mal, wie soll das möglich sein?«

»Ich habe ihn von der Baufirma einbauen lassen. Sie hat die Baustelle kaum einmal besucht, bevor alles fertig war. Jedenfalls war ich vor zwei Monaten bei einem Pokerspiel. In O’Dells Kneipe, im Hinterzimmer. Bennett war dort, Jackie, Gill, Kenny und Swanson. Das war, bevor ich irgendwelchen Argwohn wegen Swanson und meiner Frau hatte, wohlgemerkt. Das war damals, als ich mich noch für glücklich verheiratet hielt. Ich hatte ein paar Drinks genommen an dem Abend. Vermutlich zu viele. Ich verlor sehr viel Geld, und da habe ich was Blödes gesagt, so was wie, ich müßte vielleicht noch an meinen Safe, neues Geld holen.«

»Das war alles? Mehr haben Sie nicht gesagt?«

»Nun gut, ich mag etwas mehr gesagt haben. Wissen Sie, ich mag sogar etwas damit angegeben haben. Mit all dem Bargeld, das ich im Wandsafe hätte, und daß meine Frau davon nichts wüßte. Sonst würde sie nämlich alles ausgeben. So was in der Art. Teufel auch, an die Hälfte von allem, was ich gesagt habe, kann ich mich nicht mal mehr erinnern.«

»Und auf der Grundlage …«

»Auf der Grundlage war meine erste Reaktion auf den Abend neulich, daß es Swanson sein mußte. Er wußte, es ist Pokerabend. Er wußte, ich würde da sein, um den Safe zu öffnen. Das macht doch Sinn, oder? Denken Sie nicht dasselbe?«

»Ich habe Swanson ein einziges Mal getroffen. In Jackies Kneipe. Wir haben nicht mehr als zehn Worte miteinander gewechselt. Also weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll.«

»Aber allein schon aufgrund der Liste der Verdächtigen, Alex, würden Sie da nicht auch Swansons Namen als ersten nennen?«

»Ich weiß, daß Sie Jackie ausschließen können. Und Bennett und Gill. Kenny kenne ich nicht …«

»Gehen Sie mal davon aus, daß es Kenny nicht war. Kenny hat keinerlei Grund, so etwas zu tun. Überhaupt keinen.«

»Okay, dann bleibt nur Swanson. Unter der Prämisse, daß niemand sonst von dem Safe gewußt hat.«

»Genau. Das ist genau, was ich mir gedacht habe,«

»Ist es das? Das ist die Meinung, die Sie von mir hören wollten? Daß ich mit Ihnen darin einer Meinung bin?«

»Das ist das, was ich zuerst gedacht habe. Aber jetzt … Sagen wir mal, daß gewisse Dinge mich veranlaßt haben, die Sache in einem anderen Licht zu sehen.»

»Gewisse Dinge. Was zum Beispiel?«

»Lassen Sie uns mal eine Minute über Sie sprechen.«

»Und wieso wollen Sie über mich sprechen?«

»Leon hatte einiges Interessante über Sie zu erzählen. Und Roy auch.«

»Ich nehme an, mit Roy meinen Sie Chief Maven. Was sind Sie beide, Busenfreunde oder was?«

»Keineswegs. Er ist nur ein guter Polizeichef, der ein Verbrechen aufklären will. Natürlich haben wir auch über die anderen Männer gesprochen, die an diesem Abend in meinem Hause waren. Er wirkte ziemlich … erregt, als Ihr Name auftauchte.«

»Na, das überrascht mich aber …«

»Leon zeichnet ein sehr positives Bild von Ihnen. Maven vielleicht nicht ganz so positiv. Wenn ich aber beide Bilder zusammennehme, ergibt sich etwas Bedenkenswertes. Ein gescheiterter Baseballspieler, ein gescheiterter Polizist. Sogar als Privatdetektiv ein Versager, auch wenn Leon natürlich nicht so weit gegangen ist, das so zu formulieren. Er sagte allerdings, er habe Sie lange nicht mehr gesprochen und Sie hätten sich, wie es scheint, verändert. Und da denke ich mir, mit allem, was Sie durchgemacht haben, all den Schicksalsschlägen, die Sie einstecken mußten – was bleibt da am Ende übrig? Sie haben immer das Rechte getan, sind immer auf dem geraden Weg geblieben – und wofür?«

»Ich habe nicht wie Sie ein paar Millionen Dollar. Wollen Sie darauf hinaus? Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, daß mir das gleichgültig ist?«

»Sie haben in Ihrem ganzen Leben niemals ein Verbrechen begangen, aber vielleicht sind Sie gerade jetzt in einem Gemütszustand, in dem Sie … vielleicht eher empfänglich für die Idee sind, es mal zu versuchen.«

»Ich kann das nicht glauben. Sie glauben wirklich, daß ich das getan habe?«

»Nein. Keineswegs. Ich weiß, daß Sie das nicht alles arrangiert haben. Aber nehmen wir mal an, nehmen wir nur mal an, jemand … vielleicht auch mehrere … würden mit dem Vorschlag an Sie herantreten, eine Schlüsselrolle bei einem Überfall zu spielen.«

»Bei einem Überfall. Mein Gott, Sie sind komplett übergeschnappt.«

»Sie waren doch der Mann, der eigens eingeschleust worden ist, oder etwa nicht? Sie haben mit Verbrechern zu tun gehabt, und Sie haben mit Waffen zu tun gehabt. Sie wußten, wie so etwas funktioniert, welche Felder man besetzen muß. Sie wußten, wie man sicherstellt, daß alles glatt geht. Wie auch sonst, wenn Sie selbst am Tatort waren? Wenn etwas Unvorhergesehenes passierte, wären Sie da, um einzuschreiten.«

»Eine ganz schöne Geschichte, die Sie da erzählen. Richtig unterhaltsam.«

»Zuerst habe ich gedacht, warum machen die das, wenn all diese anderen Leute da sind. Warum mich nicht alleine abpassen? Oder mich und meine Frau? Dann wird mir schlagartig klar – so ist das ja viel besser. So ist das vor allem viel sicherer. Wäre ich alleine gewesen, hätte ich vielleicht was Dummes riskiert. Vielleicht denke ich, Teufel auch, was soll’s, ich bin allein, ich versuche ihn zu entwaffnen, ich lasse mich auf einen Schußwechsel ein. Und wenn ich es bin, mit meiner Frau … Jemand hält ihr eine Pistole an den Kopf? Nehmen wir an, ich weiß nicht, daß sie hinter meinem Rücken mit Swanson rumbumst, und mir ist noch ein Deut an ihr gelegen. Ich könnte doch durchdrehen. Ich könnte alles mögliche tun. Auf alle zugleich losgehen.«

»Ich meine mich zu erinnern, daß Sie sich neulich abends fast in die Hose gepißt haben. Aber machen Sie nur weiter. Ich will Ihre Fantasien nicht stören.«

»Mit fünf Gästen im Haus, fünf Männern, denen gegenüber ich so etwas wie Verantwortung spürte, aber auch nicht so viel, daß ich deshalb durchdrehen würde, wußten Sie, ich würde mitmachen. Es gäbe kein Problem.«

»Okay, wenn ich also eingeschleust worden bin – wer hat das getan? Wessen Idee ist das gewesen, Vargas?«

»Sie wissen ganz genau, von wem wir sprechen.«

»Von wem? Wenn es Swanson nicht ist und nicht Kenny, über wen reden wir denn dann? Jackie? Gill? Bennett? Verdammt noch mal, hat nicht Bennett einen saftigen Tritt in die Rippen bekommen, weil er Sie schützen wollte?«

»Das war alles nur Schau. Er hat das vorgetäuscht. Im Ernst hätte er das nie fertiggebracht.«

»Wissen alle diese Männer, daß Sie im Begriff stehen, ihren großen Coup zunichte zu machen?«

»Nein. Ich dachte, ich erzähle das erst mal Ihnen. Wenn Sie das ganze Geld wieder herbeischaffen und mir geben, bin ich vielleicht gewillt, die ganze Sache zu vergessen.«

»Das ist wahre Größe.«

»Und hören Sie auf, mit mir Spielchen zu spielen.« Sein Gesicht war rot angelaufen. Von wegen, sein ganzer Kopf war rot. »Jetzt ist definitiv Schluß. Ich kann genausogut mit einer Person weniger an Bord zurück an Land kommen. Ein tragischer Unfall, und Sie liegen auf dem Boden des Sees.« Er erhob sich von seinem Sitz. Der Hund stand unter ihm, direkt zwischen seinen Beinen. Zwei gegen einen.

»Ich nehme an, Sie haben eine Pistole«, sagte ich.

»Ich brauche keine Pistole. Und wissen Sie auch, warum?«

»Weil Sie ein total durchgeknallter Irrer sind?«

»Schon mal von Moo Duk Kwan gehört?«

»Na klar, mit Reis und gebratenem Ei … Es ist einfach köstlich.«

»Ein koreanischer Kampfsport. Ich habe ihn gelernt, als ich dort stationiert war.«

»Funktioniert das auch auf Schiffen?«

»Das werden Sie jetzt erleben. Stehen Sie auf!« Er nahm seine Pose ein, die linke Hand unten, die rechte zur Faust geballt. Den linken Fuß hob er leicht vom Boden, ohne Zweifel, um mich irgendwann mit einem Tritt restlos zu erledigen. Der Hund blieb auf allen vieren.

Ich stand nicht auf. Ich dachte mir, daß das das Allerletzte sei, was ich tun würde, mich auf die Füße stellen, die Pfoten hochnehmen, nur um mich dann von ihm halbieren zu lassen. Wenn ich hier sitzen bleibe, dachte ich mir, macht er zunächst mal gar nichts. Ich glaubte nicht, daß man ihm beigebracht hatte, jemand zu attackieren, der auf einem Deckstuhl saß.

»Stehen Sie auf! Was ist denn mit Ihnen los?«

»Ich versuche krampfhaft, nicht laut loszulachen.« Ruhig bleiben. So tun, als sei das alles ein Riesenwitz. Ihn aus der Fassung bringen. Ich griff nach meiner Bierflasche und nahm einen großen Schluck. Als ich sie in den kleinen Flaschenhalter an der Reling zurückstellte, betrachtete ich das kleine Regal darunter. Schwimmwesten. Ein Sitzkissen. Ein Feuerlöscher.

»McKnight, wenn Sie ein Mann sind, dann stehen Sie verdammt noch mal auf.« Der Hund reagierte auf die Feindseligkeit in der Stimme seines Herrn und begann wieder zu tänzeln und zu bellen.

»Wissen Sie, was Ihr verdammtes Problem ist, Vargas? Ihr Problem ist … mein Gott, passen Sie auf den Hund auf!«

Er blickte nach unten. Mehr brauchte ich nicht. Ich sprang aus dem Stuhl auf ihn los, und als er mit seinem Sidekick auf mich lostrat, warf ich mich zu Boden und riß ihm das hintere Bein weg. Bevor er wieder hochkam, griff ich nach dem Feuerlöscher und schlug ihm den auf den Kopf. Ich stellte mich über ihn, bereit, notfalls erneut zuzuschlagen. Der Hund wurde jetzt förmlich tollwütig, sprang mich mit Feuer in den kleinen Insektenaugen an und versuchte mir die Kniescheiben wegzubeißen.

»In zwei Sekunden bist du Fischfutter, Hund. Aus dem Weg, verdammt noch mal.«

Ich nahm mir ein Stück Leine und band Vargas die Hände auf den Rücken. Auf seiner Stirn schwoll schon eine mächtige Beule. Einen bangen Moment lang befürchtete ich schon, zu hart zugeschlagen zu haben, aber dann begann er, wieder zu sich zu kommen. Ich richtete ihn halb auf, lehnte ihn gegen die Kajütentür und setzte mich auf den Kapitänssitz, schob den Gashebel nach vorn und hätte beinahe das Boot zum Kentern gebracht. Das setzte den Hund wieder in Marsch. Ich mußte ihn mehrfach zur Seite treten, während ich das Gas gemäßigter betätigte und in vernünftigem Tempo Richtung Ufer fuhr.

»Was zum Scheiß …« sagte Vargas und schüttelte seinen Kopf. Die Beule würde fürchterlich aussehen, das sah man jetzt schon. Kein schöner Anblick bei einem Kahlkopf.

»Ganz ruhig, Vargas. Wir sind auf dem Weg nach Hause.«

»Verdammt, ich hätte wissen müssen, daß Sie nur miese Tricks beherrschen.«

»Vargas, Sie sind es gewesen, der mich hierhin gebracht und mir gedroht hat, mich auf dem Seeboden zurückzulassen. Das gibt mir doch wohl das Recht, unfair zu kämpfen.«

»Das wird Ihnen noch verdammt leid tun.«

Ich gab dem Ruder einen scharfen Ruck, und Vargas überschlug sich fast.

»Tut mir leid«, sagte ich. »So ein Boot habe ich noch nie gefahren. Am besten halten Sie einfach das Maul und lenken mich nicht ab.«

Er richtete sich mit Mühe wieder auf und saß den Rest des Weges nur da und starrte mich an, als wollte er sich jedes Detail für immer einprägen. Als ich die Mündung des St. Marys River erreichte, wurde mir klar,, daß ich nicht die geringste Lust hatte, das Boot den ganzen Weg bis zur Marina zurückzubringen, das mit den Schleusen zu regeln und zehn Minuten zu warten, während die Leute auf der Aussichtsplattform uns zusahen und sich wunderten, warum wohl einer der Männer im Boot gefesselt sein mochte. Als wir um die Biegung waren, sah ich die Shallows und O’Dells Haus. Welch willkommener Anblick!

Direkt am Fluß waren zwei Anlegestege. Ich wählte den O’Dell am nächsten gelegenen und stellte den Motor ab, während das Boot auf seinen Anlegeplatz zutrieb. Ich warf ein Tau über den Pflock und kletterte von Bord. Der Hund wagte einen weiteren Angriff auf mich und hing für einige Sekunden an meinen Schnürsenkeln, bis ich ihn abgeschüttelt hatte,

»Sie können mich doch nicht einfach hierlassen«, sagte Vargas.

»Ich habe Ihre Hände nicht sehr fest gebunden«, sagte ich. »Sie können sich selbst befreien. Wenn das mißlingt, lassen Sie die Fesseln von Ihrem Hund durchbeißen. Das machen die immer im Film.«

»Ich habe Ihnen eine Chance gegeben, Alex. Vergessen Sie das nicht. Wir hätten das auf die richtige Art beilegen können. Für alles, was jetzt passiert, tragen Sie die volle Verantwortung.«

»Vargas, ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee gekommen sind, aber …«

»Ich habe euch mit dem Rücken zur Wand«, sagte er und rutschte nach vorne, bis er kniete. »Euch alle. Und du, mein Freund, wirst merken, was jetzt passiert. In großem Stil.«

»Bis bald, Vargas.« Ich ließ ihn zurück, damit er an seinen Fesseln arbeiten konnte. Als ich auf O’Dells Haus zuging, hörte ich das Echo seiner Worte in meinem Kopf. Er hat uns mit dem Rücken zur Wand, sagt er. Worüber zum Teufel redete er da?

In meinem Kopf begann sich etwas zu formen. Eine Verbindung zeichnete sich ab. Ich wies den Gedanken zurück. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er wirklich etwas in der Hand hatte.

In meinen wildesten Träumen konnte ich mir das nicht vorstellen.

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