Kapitel 11

Von Leons Haus waren es zwanzig Minuten zurück zum City-County-Bau im Soo. Die ganze Fahrt dachte ich über ihn nach, was er gesagt hatte und was nicht. Einmal hatte ich ihn seinen Job gekostet. Jetzt, wo er sich endlich erneut als Privatdetektiv niedergelassen hatte, tauchte ich auf und bat ihn, seinen einzigen zahlenden Klienten fallenzulassen. Ich denke, ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen, daß er sich weigerte, seinen Lebenstraum auf den Müll zu werfen, auch wenn ich in der Stimmung war, ihm den Hals rumzudrehen.

Als ich an der Wache ankam, traten Bennett und sein Sohn gerade aus der Tür. Bennett blinzelte in der Sonne, als hätte er den ganzen Morgen in einer Kohlengrube gearbeitet.

Ich erreichte sie, bevor sie in Hams Wagen stiegen. »Bennett, geht es Ihnen gut? Wo ist Jackie?«

»Jackie und Gill sind schon weg. Ich glaube, ich habe heute die Sonderspezialbehandlung bekommen.«

»Sind die Kautionen schon festgelegt?«

»Der Richter ist schon hier gewesen.« Er besah sich die Reste der Stempelfarbe für die Fingerabdrücke an seinen Händen und wischte sich dann die Hände an der Hose ab. »Er hat Anklage gegen sie erhoben und die Kaution auf zehntausend Dollar festgesetzt. Bei mir auf zwanzig.«

»Und Sie haben einen Anwalt eingeschaltet?«

»Wozu brauche ich einen Anwalt?«

»Weil man Sie verhaftet hat, Bennett. Deshalb brauchen Sie einen Anwalt.«

Wieder besah er seine Hände und wischte sie dann wieder an seiner Hose ab. Viel half das nicht. »Ich brauche keinen Anwalt, um ihnen zu erzählen, daß sie nur Scheiße in der Hand haben. Das kann ich ganz alleine. Alex, ich könnte jetzt ein Bier gebrauchen. Wie steht es mit Ihnen?«

»Lassen Sie mich Ihnen erst mal ein paar Fragen stellen.«

Bennett sah zu seinem Sohn hinüber. »Noch mehr Fragen. Genau das, was ich brauche.«

»Es ist wichtig. Ich versuche doch nur, Ihnen aus der Klemme zu helfen.«

»Das ist mir klar, Alex. Schießen Sie los!«

»Wonach hat die Polizei Sie gefragt?«

»Ich habe so eine vage Erinnerung, als ob mein Explorer in der Unterhaltung aufgetaucht sei. Etwas siebenhundertmal.«

»Haben sie Ihnen gesagt, warum sie so daran interessiert waren?«

»Für einen allgemeinen Eindruck hat’s gelangt. Sieht ganz so aus, als ob mein Wagen genau so viel Spaß gehabt hat wie ich in dieser Nacht. Man hat ihn übrigens beschlagnahmt.«

»Und was war mit Ihrem Haus? Hat man da was gefunden?«

»Nichts. Sie haben sich nur den Wagen geholt.«

»Als Jackie und ich angekommen sind, war Ihr Wagen nicht da. Das stimmt doch?«

»Stimmt.«

»Wie sind Sie hingekommen?«

»Normalerweise kommt Gill und nimmt mich mit. Aber an diesem Abend hat er mich angerufen und mir gesagt, bei ihm würde es etwas später. Da habe ich gesagt, kein Problem, meine Frau setzt mich ab, sie kommt sowieso da vorbei. Gill hätte mich dann nach dem Spiel wie sonst nach Hause gebracht.«

»Sie fahren nie selber zu den Pokerabenden?«

»Nein, Alex, nicht, wenn ich es vermeiden kann. Ich sehe nachts nicht mehr so gut. Und wenn ich dann beim Spiel noch den einen oder anderen Drink zu mir nehme … Ich sage einfach mal, als Wirt habe ich genug Leute gesehen, die sich besser nicht hinters Steuer gesetzt hätten.«

»Na klar, das ist vernünftig. Und erklärt viel. Ist es dann möglich, daß jemand sonst an diesem Abend Ihren Wagen gefahren hat?«

Wieder sah er seinen Sohn an. »Das war es ja, was ich den Typen da drinnen klarmachen wollte. Ich weiß nicht, ob sie mir das abgenommen haben oder nicht. Wissen Sie, meine Frau und ich haben die dumme Angewohnheit, die Schlüssel unterm Fahrersitz zu deponieren. Früher hatten wir mal zwei Satz Schlüssel, aber einen davon haben wir verloren. Was sehr lästig war, weil wir beide genug in der Wirtschaft zu tun haben, und einer muß dann mal weg, was holen, Sie wissen ja, wie das ist, und da haben wir einfach die Schlüssel im Wagen gelassen.«

»Da gehst du ins Eisenwarengeschäft«, sagte Ham. »Die machen dir eine Kopie. Dauert zehn Minuten.«

»Vielen Dank, du Besserwisser«, antwortete er. »Das habe ich nicht gewußt. Die können da wirklich Schlüssel kopieren, ja?«

»Sag ich doch.«

»Ich weiß, daß ich neue Schlüssel hätte besorgen sollen, okay? Ich bin nur nicht dazu gekommen.«

»Schon gut«, sagte ich. »Hat das sonst noch jemand gewußt, daß Sie und Ihre Frau das so handhaben?«

»Mein Gott, das weiß ich nicht. Ich nehme an, ich habe es mal vor Leuten erwähnt, bei Freunden an der Theke, wissen Sie.«

»Und die Pokerrunde?«

Darüber dachte er einen Moment nach. »Da habe ich das in der Tat mal erwähnt. Ich weiß das, weil ein anderer gesagt hat, das wäre eine tolle Methode, sich den Wagen stehlen zu lassen; und ich habe gesagt, mir nur recht, dann brauche ich die Raten nicht mehr zu zahlen.«

»Okay«, sagte ich. »Das könnte wichtig sein.«

»Meinen Sie … Moment mal, meinen Sie, daß einer aus der Runde an dem Abend meinen Wagen benutzt hat? Beziehungsweise jemand anders den Wagen hat benutzen lassen? Weil, selbst haben sie ihn ja kaum brauchen können, nicht, wenn sie da waren. Außer Swanson natürlich.«

»Und wie steht es mit Swanson?«

»Swanson? Soll das ein Witz sein?«

»Ich frage nur. Und Sie antworten. Käme Swanson in Frage?«

Bennett stemmte seine Hände auf die Motorhaube von Hams Wagen und starrte auf sein Spiegelbild in der polierten Fläche. »Swanson?«

»Paß auf das Auto auf«, sagte Ham. »Du verschmierst das total mit der Stempelfarbe.«

Bennett warf einen Blick auf seinen Sohn und beachtete ihn dann nicht mehr. »Swanson hätte uns reingelegt?«

»Irgend jemand hat Sie reingelegt, Bennett. Sie und Jackie und Gill. Und ich würde gern rausfinden, wer das war.«

Er sah mich an. »Wie wollen Sie das machen?«

»Keine Ahnung. Aber das hat mich noch nie abgehalten.«

»Ich brauche jetzt wirklich ein Bier, Alex. Kommen Sie doch mit rüber zu mir, und wir sprechen darüber.«

»Im Moment muß ich die Einladung leider ausschlagen. Aber später komme ich vorbei.«

»Okay, Alex, tun Sie das. Aber später kommen Sie auf jeden Fall noch vorbei, okay?«

»Das werde ich machen. Und ihr geht jetzt schön nach Hause.«

Er sah zu dem Gebäude rüber. »Hast du gehört, was der Mann gesagt hat?« sagte er zu seinem Sohn. »Laß uns hier verschwinden.«

Ich saß in meinem Laster und sah ihnen zu, wie sie wegfuhren. Ich blieb noch eine ganze Weile da sitzen und durchdachte das Ganze. Es war ein hochriskanter Zug im komplexen Spiel des Abends, wenn sich jemand Bennetts Wagen als Fluchtfahrzeug ›ausgeliehen‹ hatte.

Wirklich? Sie wußten, Bennett war beim Pokern. Sie wußten, seine Frau würde in der Wirtschaft sein. Sie wußten, die Schlüssel würden im Wagen liegen, oder zumindest war das sehr wahrscheinlich. Mit Bennetts Wagen würden sie nicht nur den Verdacht noch mehr auf andere lenken, sondern auch weniger Spuren hinterlassen, nicht Gefahr laufen, mit einem eigenen Wagen am Tatort festzusitzen, wenn etwas schief ging. Zum Teufel, Leon hätte das ja fast geschafft. Man stelle sich vor – man kommt raus und stellt fest, daß der Fluchtwagen in der Einfahrt zugeparkt worden ist.

Verdammt noch mal, das Ganze klingt sehr professionell, als hätte jemand wirklich gewußt, was er tat, und alles in Betracht gezogen.

Und das ist kein Quatsch, Alex. Denk mal dran, wie sie sich im Haus verhalten haben. Die Abstimmung untereinander, die Verkleidung – sie hatten einen Generalplan, und den haben sie perfekt ausgeführt.

Brauchst dir bloß noch auszudenken, wer der Drahtzieher war.

Ich holte das Stück Papier heraus, das Leon mir gegeben hatte, mit den Telefonnummern von Douglas Swanson und Kenny Heiden. Als erstes probierte ich Swansons Büronummer, hatte seine Sekretärin dran und erfuhr, daß er fast den ganzen Tag bei Gericht sei. Ich sagte ihr, ich würde später noch einmal anrufen. Als sie mich nach meinem Namen fragte, legte ich auf.

Dann versuchte ich es bei Kenny. Bei ihm zu Hause ging niemand dran – kein Wunder zu dieser Tageszeit. Auf dem Anrufbeantworter hinterließ ich die Nachricht, ich hätte ein paar Fragen an ihn, und er möge mich bitte anrufen, wenn er nach Hause käme.

Als letztes rief ich bei Gill an und hinterließ dort dieselbe Nachricht.

Ich kam doch wirklich auf den Gedanken, Chief Maven anzurufen und ihn wegen des kanadischen Nummernschildes zu fragen. Da wußte ich, ich war im Begriff durchzudrehen. Immer mit der Ruhe, sagte ich mir. Wenn du ungeduldig wirst, machst du dich nur selbst verrückt. Du hast alles getan, was du zu diesem Zeitpunkt tun kannst. Das Weitere laß auf dich zukommen.

Einen Anruf noch, dachte ich. Dem Himmel sei Dank für Handys, auch wenn man sie nur alle paar Monate mal braucht. Obwohl ich wußte, daß ich ihn bald sehen würde, wählte ich Jackies Nummer. Jonathan ging dran.

»Wie geht es ihm?« fragte ich. »Ist er da?«

»Er ist fortgegangen, Alex. Er hat gesagt, er geht am Strand spazieren.«

»Am Strand spazieren? Sei wann geht er am Strand spazieren? Seit wann geht er überhaupt spazieren?«

»Mann, er hat mir das so gesagt. Ich fand, er hatte heute einen so blöden Tag, da kann er doch wirklich machen, was er will.«

»Hat er irgendwas davon erzählt? Was auf dem Revier passiert ist?«

»Kein Sterbenswort.«

»Hat er irgendwann mal erzählt, was sie bei euch im Haus gefunden haben?«

»Nein, Alex. Er spricht nicht darüber.«

»Wir werden sehen. Wenn er zurückkommt, sag ihm, ich käme bald. Laß ihn nirgendwo mehr hingehen.«

»Wenn ich ihm das sage, ist er gleich wieder weg. Sozusagen aus Prinzip.«

»Setz ihn irgendwo hin und mach ihm einen Drink. Ich bin sicher, den kann er gebrauchen. Ich mach mich auf den Weg.«

Ich schaltete das Telefon ab und warf es auf den Beifahrersitz. Gerade als ich den Parkplatz verlassen wollte, klingelte es. Ich nahm es wieder auf.

»Alex, hier ist Gill.«

»Vielen Dank, daß Sie zurückrufen. Wie ist es gelaufen?«

»Ziemlich routinemäßig. Diese Verhaftungen wegen Hehlerei und Beihilfe zu schwerem Raub werden auf die Dauer ganz schön eintönig.«

»Es freut mich, daß Sie es locker sehen. Meinen Sie, ich kann Ihnen ein paar Fragen stellen?«

»Warum nicht.«

»Wissen Sie was? Ich bin noch in der Stadt. Ich wollte jetzt nach Paradise zurück, aber warum soll ich nicht erst bei Ihnen vorbeifahren?«

»Wissen Sie, wo das ist?«

Ich mußte an das Video denken. »Ja, ich kenne den Weg.«

»Sie sind aber noch nie hier gewesen, oder?«

»Nein, noch nie. Aber ich habe den Film gesehen.«

Man kann das Kewadin Casino schon von der Stadtmitte aus sehen. Es ist das mit Abstand größte Gebäude im Soo, und es liegt im Osten, auf einem Grundstück, das man aus der Stadt herausgesäbelt und dem Sault-Stamm übergeben hat. Als ich daran vorbeifuhr, fiel mir auf, wie viele Wagen auf den diversen Morgen Asphalt standen, die das Kasino umgeben. An der Seite gab es einen Sonderparkplatz nur für Wohnmobile – an die zweihundert mußten dort stehen. All die Sommergäste, die hier vorbeikamen, fast alle landeten sie hier im Kasino, zumindest einmal.

Ein Gesundheitszentrum lag direkt gegenüber dem Kasino auf der anderen Straßenseite, daneben die Big Bear Arena, alles Resultate des Kasinogeldes. Die ganze Gegend sah im strahlenden Sonnenlicht erheblich besser aus als auf dem grobkörnigen düsteren Video, das ich in Leons Wohnzimmer gesehen hatte. Ich folgte der Route, an die ich mich vom Band her erinnerte, und bog hinter dem Kasino in ein völlig neues Viertel ein, das man in seinem Schatten gebaut hatte. Ich wußte, daß viele der Leute, die im Kasino arbeiteten, hier wohnten, darunter auch Gill.

Gill saß draußen auf seiner Veranda vor seinem Haus, als ich kam. Ein großer Krug, den er mit Limonade gefüllt hatte, stand auf dem Tisch und erwartete mich. Ich setzte mich auf den leeren Stuhl, sah einige Minuten lang mit ihm auf die Straße hinaus und auf das Kasino, das weniger als einen Kilometer entfernt lag. Wir saßen im Schatten, tranken Limonade, und eine sanfte Brise wehte uns vom See her an. Es wäre ein perfekter Nachmittag gewesen, wäre da nicht die Tatsache gewesen, daß Gill nur deshalb da saß, weil man ihn auf Kaution freigelassen hatte. Am liebsten hätte ich das gar nicht erwähnt. Aber deshalb war ich ja schließlich da.

»Was hat die Polizei Sie gefragt?« sagte ich schließlich.

»Sie hatten kaum Gelegenheit, mich groß nach irgendwas zu fragen.« Er sah auf die verbleibende Stempelfarbe an seinen Fingern und wischte sie an der Hose ab, genau wie Bennett es gemacht hatte. »Mein Anwalt war praktisch schon vor mir da. Sie haben sich dann vor allem mit ihm unterhalten.«

»Und was haben sie ihn gefragt?«

»Sie wollten wissen, wer den eigentlichen Überfall ausgeführt hat. Sie wollten die Männer mit den Waffen. Sie machten meinem Anwalt klar, daß sie jegliche Form der Zusammenarbeit von meiner Seite sehr wohl zu schätzen wüßten.«

»Was hat Ihr Anwalt dazu gesagt?«

»Er hat gesagt, daß ich Ihnen liebend gern in jeder erdenklichen Weise behilflich sein würde, aber überhaupt nichts Einschlägiges wüßte.«

»Was hat man in Ihrem Haus gefunden?«

Er sah mich einen Moment lang an. »Sie haben einige Gegenstände gefunden. Offensichtlich stammten sie aus Vargas’ Haus.«

»Das war alles? Kein Geld?«

»Nur diese Gegenstände, Alex. Sie lagen auf meiner Veranda, als ich in dieser Nacht nach Hause kam – in der Nacht, in der alles passiert ist.«

»Was haben Sie damit gemacht?«

Er sah wieder auf die Straße. »Nun, Sie müssen da einiges in Betracht ziehen. Zuerst mal habe ich überhaupt nicht klar gedacht. Ich war als Geisel genommen worden, auf dem Boden liegend und mit Pistolen bedroht … Nun, Sie wissen natürlich, wovon ich spreche, Sie haben ja dasselbe mitgemacht. Als die Polizei dann endlich mit uns fertig war, war es wie spät? Jedenfalls nach ein Uhr morgens. Als ich dann endlich nach Hause kam, lag dieses Paket neben meiner Seitentür. Um die Wahrheit zu sagen, und das hat mein Anwalt heute auch dem Chief erzählt, hatte ich ehrlich keinerlei Schimmer, wo das herkommen könnte. Denken Sie mal, Alex, das alles war doch gerade erst passiert. Und da liegt dieses Paket vor meiner Tür, wie ich komme. Ich nahm an, jemand habe es da irgendwann am Tage hingelegt, und ich hätte es noch nicht gesehen. Ich benutze diese Seitentür nicht so oft. Oder man hatte es da abends hingelegt, während ich weg war. Ich habe ganz bestimmt nicht gedacht, es könnte in Vargas’ Haus gestohlen worden sein. Mir war doch so, als wäre ich vor fünf Minuten noch selbst dagewesen. Wie hätte es denn so schnell zu mir kommen können?«

»Und Sie haben das Paket aufgemacht …«

»Ja.«

»Haben Sie die Gegenstände nicht erkannt? Ich meine, Sie hatten sie doch schon mal gesehen? An dem Abend, als er die Führung für mich gemacht hat, haben Sie doch gesagt, Sie hätten die schon hinter sich.«

Er lachte leise. »Ja, er hat auch mich rumgeführt, vor vielleicht drei Monaten, als wir zuletzt in seinem Haus gespielt haben. Jetzt, wo ich Zeit zum Nachdenken gehabt habe, muß ich sagen, ja, ich hätte das Zeug wiedererkennen sollen. Es hatte sich mir nur nicht so eingeprägt.«

»Ich hätte gedacht, daß schon die Tatsache, daß er solche Sachen besitzt, Sie stören würde.«

Wieder lachte er. »Alex, lassen Sie mich Ihnen was verraten. Der ganze Ojibwa-Kram, den er da oben hatte, im Grunde war er wertlos. Einige wenige Stücke waren vielleicht interessant, allerdings nicht in gutem Zustand. Ich schätze, das Museum im Community College würde sie als Stiftung annehmen, aber ich bin ganz sicher, sie würden sie nicht ausstellen. Sie sind zu beschädigt.«

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«

»Wissen Sie, was das Beste ist? Sie erinnern sich doch an das Ruder in einer Vitrine? Der direkt in der Mitte?«

»Ja, das Ding, das so echt alt aussah. Das mit den Schnitzereien.«

»Das Ruder war nicht alt, das mal zuerst. Wenn Sie ein hölzernes Ruder nehmen und in Süßwasser werfen, löst es sich auf. Bei Salzwasser ist das ganz was anderes, aber in Süßwasser sieht es schon nach einem Jahr so aus wie dieses Ruder in seiner Vitrine. Und die Schnitzereien? Alex, ich bitte Sie. Die sahen so aus, als hätte da jemand mit ’nem Messer rumgespielt, ein Kind vielleicht oder ein alter Knacker, der den ganzen Sommer auf seiner Veranda gesessen hat. So einer wie ich.« Die Vorstellung ließ ihn wieder lachen, und er hielt lange genug inne, um einen tiefen Zug Limonade zu nehmen. »Aber natürlich sitze ich nicht rum und ruiniere meine Ruder mit Pseudoschnitzereien.«

»War das Ruder auch in dem Paket, das man Ihnen gebracht hat?«

»Das Ruder hätte ich erkannt. Und gründlich meinen Spaß daran gehabt. Nein, ich erinnere mich, daß es schon in der Vitrine fast auseinanderfiel. Ich denke nicht, daß man es noch transportieren konnte.«

»Das ist gut«, sagte ich. »Ich bin froh, daß Sie mir das erzählen.«

»Wissen Sie, was wirklich gut ist? Wenn man sich vorstellt, daß Vargas irgendwem eine Stange Geld für das Ruder bezahlt hat, im Glauben, es wäre eine echte Ojibwa-Reliquie.«

»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte ich. »Ich denke da an was anderes – das beweist doch, daß Sie nichts damit zu tun hatten. Weshalb sollten Sie? Das Zeug ist ja wertlos.«

»Wertlos im materiellen Sinne«, sagte er. »Aber immerhin hat es mal jemandem gehört. Doch, Sie haben recht. Es hätte sich nicht gelohnt, es zu stehlen.«

»Und die Tatsache, daß jemand es vor Ihrem Haus deponiert hat, kann nur eines bedeuten …«

Er sah mich mit diesen dunklen, bedächtigen Augen an und wartete, daß ich meinen Gedanken vollendete.

»Man hat Ihnen etwas in die Schuhe schieben wollen. Wer auch immer das getan hat, dachte, es würde Sie belasten, wenn man das Zeug bei Ihnen findet.«

Er dachte darüber nach und schüttelte langsam den Kopf. »Es war schon wieder jemand hier«, sagte er. »Letzte Nacht.«

»Wissen Sie, wer das war?«

»Ich war im Kasino. Mein Nachbar hat jemanden gesehen, direkt hier auf der Veranda. Wir passen hier wechselseitig etwas auf unsere Häuser auf, müssen Sie wissen.«

»Was hat diese Person getan? Konnte Ihr Nachbar sie klar sehen?«

»Nein. Er habe sich wie ein Mann bewegt, das ist alles, was er weiß. Er sagt, in einem Moment sei er da gewesen und dann verschwunden. Er war einfach weg.«

»Hier geht etwas sehr Seltsames vor sich. Irgendwer treibt sein Spiel mit uns. Mit uns allen.«

»Katz und Maus«, sagte er. »Und Sie wollen wissen, wer die Katze ist, stimmt’s?«

Ich sah ihm in die Augen. »Stimmt genau.«

»Ich weiß auch, warum Sie das tun. Jackie ist der beste Freund, den Sie auf der Welt haben.«

»Ich tue es für euch alle drei.«

Er lächelte. »Das ist okay, Alex. Warum auch immer Sie es tun, ich weiß es zu schätzen, das sollten Sie wissen.«

»Bedanken Sie sich erst, wenn ich etwas herausgefunden habe.«

»Da habe ich keinen Zweifel, daß Ihnen das gelingt. Jackie redet die ganze Zeit von Ihnen. Er sagt, Sie seien der sturste Mann, der je auf Erden gelebt hat.«

»Wohl eher, daß hier ein Esel den anderen Langohr nennt.«

»Haben Sie ihn seit heute morgen schon gesehen?«

»Nein, noch nicht. Ich gehe als nächstes zu ihm.«

»Sagen Sie ihm, er soll sich keine Sorgen machen. Sagen Sie ihm, daß er einen guten Freund hat, der für ihn Umschau hält.«

»Das werde ich.« Ich dankte ihm noch einmal und fuhr los, am Kasino vorbei, dann nach Westen, aus der Stadt heraus, in die Wälder Richtung Heimat, nach Paradise.

Ein Katz-und-Maus-Spiel, wie Gill gesagt hatte. Und eine weitere Maus mußte ich noch sprechen.

Vignette