Kapitel 15
Ich fuhr zurück über die August Street, um noch einmal nach Swansons Büro zu schauen … Ich hatte Leon nicht gefragt, welchen Wagentyp Swanson fuhr, also wußte ich auch nicht, wonach ich mich umsehen sollte. Das machte nichts. Auf seinem Parkplatz stand nur ein Wagen, und da dachte ich mir, daß es wohl der der Sekretärin sei. Es war zudem ein Toyota Camry, der auf mich sicher nicht wie ein Anwaltswagen wirkte.
Ich stellte den Wagen auf dem öffentlichen Parkplatz am Schleusenpark ab und dachte über einen Kurzbesuch im Gerichtsgebäude nach. Da fiel mir ein, daß ich nicht einmal wußte, wie Swanson überhaupt aussah. Einfach im Gerichtsgebäude rumzufragen schien mir auch nicht die ideale Vorgehensweise zu sein. So suchte ich für ein rasches Mittagessen den Speisesaal des Ojibwa Hotels auf und setzte mich direkt ans Fenster, so daß ich zwei Frachtern bei der Passage durch die Schleusen zusehen konnte. Es war ein weiterer strahlender Julitag. Draußen waren viele Leute und genossen die Sonne, Leute, die ihre Jobs und alle Sorgen weit hinter sich gelassen hatten. So schien es mir wenigstens. Ich dagegen kam frisch aus dem Leichenschauhaus und hatte soviel Sorgen, daß sie bis zum Labor Day Anfang September reichten. Jede davon hätte ich streichen können. Es waren ja überhaupt nicht meine Sorgen. Ich hätte das Ganze glatt vergessen und wieder zum Einsiedler werden können.
Irgendwie glaubte ich jedoch nicht, daß ich das tun würde.
Während ich auf mein Essen wartete, brachte ich mich nachrichtentechnisch auf den neuesten Stand. Der Polizeireporter der Soo Evening News genoß die schönste Zeit seines Lebens bei der Weiterverfolgung der Geschichte mit den »maskierten Räubern«. Er brauchte eine halbe Seite, um von der morgendlichen Verhaftung von zwei Bewohnern des Soo und eines Gastwirts aus Paradise zu berichten. Irgendwann in der zweiten Spalte erwähnte er dann auch, daß es sich bei den dreien offensichtlich nicht um die maskierten Gangster handelte, sondern daß sie nur als Komplizen verdächtigt wurden. Chief Maven gab noch immer der Hoffnung Ausdruck, daß irgendwer mit Informationen über das Verbrechen sich umgehend an ihn wenden möchte.
Soviel Spaß der Verfasser jetzt schon mit seiner Geschichte hatte, konnte ich mir kaum vorstellen, was er anstellen würde, wenn er erst hörte, daß einer der Gangster mit einem Schuß in den Rücken gefunden worden war. Ich faltete die Zeitung einmal in der Mitte, legte sie auf den Nachbartisch und würdigte sie keines weiteren Blickes mehr.
Wieder fuhr ich an Swansons Büro vorbei. Auf dem Parkplatz standen keine weiteren Autos. Einen halben Block weiter stellte ich mich an eine Parkuhr und überlegte mir, was jetzt zu tun sei. Wenn ich ein richtiger Privatdetektiv wäre, so wie Leon einer ist, würde ich hier warten, bis er auftauchte. Irgendwann mußte er sich schließlich heute mal in seinem Büro blicken lassen. Wieder sah ich auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. »Verdammte Scheiße«, sagte ich laut. »Ich habe nicht die geringste Lust, hier die nächsten drei Stunden rumzusitzen.« Aber ich wußte auch nicht, was ich sonst machen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war Swanson mein wichtigster Mann, und alles, was an diesem Tage passiert war, hatte mich in meinem Beschluß bestärkt, ihn sprechen zu wollen. Teufel noch mal, wen gab es denn sonst?
Ich stieg aus dem Laster, ging die Straße hinunter zu der kleinen Buchhandlung und kaufte mir jede Zeitschrift, die halbwegs interessant wirkte. Sie hatten ungefähr ein halbes Dutzend Taschenbücher über historische Verbrechen im Angebot – zu meiner Schande mußte ich gestehen, sie alle schon gelesen zu haben. Ich entschied mich für einen internationalen Spionageroman und ein weiteres Buch über einen Seesturm. Mit einigen Schokoladeriegeln und einer Flasche Wasser war ich für den Rest des Nachmittags gerüstet.
Zwei Stunden saß ich im Laster und verließ ihn nur einmal, um eine Toilette aufzusuchen, weil ich verdammt noch mal keine Lust hatte, in eine Plastikflasche zu pinkeln. Autos fuhren die Straße entlang, aber keines bog in Swansons Parkplatz ein. Die Sonne wanderte über den Himmel, bis der lange Schatten eines Gebäudes schließlich auf mich fiel. So also arbeitet ein wirklicher Privatdetektiv, sagte ich mir mehrmals. Mein Gott, wie ich das haßte, wie ich das haßte.
Um fünf Uhr kam die Sekretärin aus dem Haupteingang und schloß hinter sich ab. Sie sah zu jung aus, um so routiniert unfreundlich am Telefon zu sein. Sie stieg in den Camry und fuhr los, und ich saß immer noch einsam in meinem Laster.
»Okay«, sagte ich. »Sie haben sich also nicht im Büro blikken lassen. Dann sehen wir doch mal nach, ob Sie sich zu Hause blicken lassen.«
Nach einem Blick auf den Stadtplan fuhr ich den Hügel am Campus des Lake State College hoch und fand die Adresse, die Leon mir gegeben hatte. Das Haus sah nach französischem Kolonialstil aus, vorausgesetzt, ich hatte eine Ahnung, was das sein mochte. Ich parkte auf der Straße und klingelte dann, obwohl ich keine Autos in der Garage erkennen konnte. Niemand öffnete.
Ich fuhr zwei Häuser weiter und blieb dort mit Blick auf seine Einfahrt stehen. Weiteres Warten war angesagt. Da kam mir ein fürchterlicher Gedanke. Vielleicht verbrachte Swanson den Nachmittag irgendwo mit Vargas’ Frau. Sie konnten sogar in Vargas’ Haus sein. Scheiße, es war durchaus möglich, daß er sie just in diesem Moment auf dem Boden ihrer maßgeschneiderten Küche bumste.
Darüber brauchte ich nicht lange nachzudenken, denn ein dunkelblauer Acura hielt in der Einfahrt. Eine Frau stieg aus. Auf dem Weg durch die Eingangstür öffnete sie den Briefkasten und nahm den Inhalt heraus. Mrs. Swanson.
Als ich aus dem Laster stieg, waren meine Muskeln vom langen Sitzen im Führerhaus so gespannt wie Klaviersaiten. Ich ging zur Eingangstür.
Die Frau, die mir öffnete, war so alt wie ich, vielleicht einige Jahre älter. Sie hatte dunkles Haar, das soeben zu ergrauen begann, und große braune Augen hinter einer randlosen Brille. Sie lächelte, sagte hallo und fragte, ob sie mir helfen könne. Mir wurde auf der Stelle übel. Sie war eine Frau, die keine Ahnung davon hatte, daß ihr Gatte eine seiner Klientinnen vögelte.
»Ist Dougie schon zu Hause?« fragte ich.
»Dougie? So hat ihn ja schon seit Jahren niemand mehr genannt.«
»Wir sind ganz alte Freunde«, nahm ich diesen Hinweis auf. »Ich war hier in der Gegend und habe gedacht, ich schaue mal vorbei. Er hat doch noch seine Kanzlei?«
»Ja, die hat er noch. Er ist sogar gerade im Büro, aber in ein paar Minuten müßte er nach Hause kommen. Wollen Sie nicht reinkommen und auf ihn warten? Es tut mir leid, ich habe Ihren Namen nicht verstanden.«
»Alex«, sagte ich. »Alex McKnight.«
Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, in ihrer Küche zu sitzen. Es war eine hübsche Küche, aber nichts im Vergleich zu einer von Vargas maßgeschneiderten. Mrs. Swanson schnitt mir ein Stück vom besten selbstgebackenen Möhrenkuchen ab, den ich jemals gegessen hatte, und fragte mich sogar, ob ich ein Bier wollte. Wir unterhielten uns über meine Hütten, wie mein Vater sie eigenhändig gebaut hatte, und daß er dreißig Jahre lang Arbeiter bei Ford gewesen war. Ihr Vater hatte bei General Motors gearbeitet. Nach jeder Minute, die ich mit ihr verbrachte, haßte ich ihren Ehemann ein bißchen mehr. Als er nach Hause kam, war ich so weit, ihm eins auf die Schnauze zu geben.
Ich wartete in der Küche, während sie hinausging, um ihn im Wohnzimmer zu begrüßen.
»Douglas«, hörte ich sie sagen, »da wartet ein Mann auf dich. Er heißt Alex McKnight.«
Swanson kam um die Ecke. Er kam mir vage bekannt vor – Mitte fünfzig, gut in Form für einen Mann, der die meiste Zeit des Tages hinter einem Schreibtisch verbrachte, und natürlich das Silberhaar, das jeder gute Anwalt in den Fünfzigern einfach haben muß. Ich hatte ihn ein paarmal in der Stadt getroffen, und ich war mir ziemlich sicher, daß ich ihm einmal vorgestellt worden war, aber ich war ganz sicher, ihn noch nie so wütend wie in diesem Moment gesehen zu haben. »Was zum Teufel machen Sie in meinem Haus?« fragte er.
»Ich esse den Möhrenkuchen Ihrer Frau. Wir unterhalten uns sehr nett.«
»Sie haben drei Sekunden zu verschwinden, bevor ich die Polizei rufe.«
»Liebling, was ist denn los?« wollte seine Frau wissen.
»Ihr Mann ist ein richtiger Scherzkeks«, sagte ich. »Das macht er doch jedesmal mit mir, jedesmal, wenn wir uns sehen. Wirklich, Dougie, du mußt ihr das damals vom College erzählen.«
»Ich zähle«, sagte er und griff zum Telefon. »Eins.«
»Dougie war in diesem Hotelzimmer«, sagte ich. Sie sah mich mit großen Augen an, dann ihren Gatten, dann wieder mich. »Da klopft es an die Tür. Er macht auf, und es ist der Zimmerservice.«
»Zwei«, sagte er. »Ich wähle.«
»Der Kellner hat ein Riesentablett dabei und darauf eine Flasche Champagner. Dougie sagt: ›Ich habe keinen Champagner bestellt.‹ Der Kellner sagt: ›Mit den Grüßen des Hauses‹ und verliert in dem Moment die Kontrolle über das Tablett, und, stellen Sie sich das mal vor, kippt das ganze Ding direkt auf Dougies Kopf.«
Swanson hielt im Wählen inne. Entweder hatte er vergessen, was nach zwei kommt, oder ich hatte seine Aufmerksamkeit geweckt.
»Was meinst du, Dougie? Soll ich deiner Frau die Geschichte nicht zu Ende erzählen?«
»Was wollen Sie? Warum sind Sie hier?«
»Wir müssen uns kurz unterhalten. Können wir das irgendwo in Ruhe tun?«
»Hier drinnen«, sagte er. Er öffnete eine Doppeltür aus Glas. In dem Raum stand ein antiker Schreibtisch, und juristische Werke füllten zwei ganze Wände.
»Ich wollte Ihnen noch danken, Ma’am«, sagte ich zu Mrs. Swanson. Sie sagte kein Wort. Sobald ich sein Büro betreten hatte, zog Swanson die Türen fest zu.
Ich setzte mich auf den Besucherstuhl. Swanson blieb an der Doppeltür stehen, mit dem Rücken zu mir, als überlegte er, was als nächstes zu tun sei.
»Sie rufen in meinem Büro an«, sagte er, als er sich schließlich umwandte. »Sie belästigen meine Sekretärin. Jetzt kommen Sie in mein Haus und bedrohen mich in Gegenwart meiner Frau.«
»Ich habe Sie nicht bedroht.«
»Und was sollte dann die kleine Geschichte mit der Champagnerflasche?«
»Eine amüsante kleine Anekdote.«
»Was wollen Sie? Wenn Sie Geld wollen, vergessen Sie’s. Ich lasse mich nicht erpressen.«
»Wer redet denn von Erpressung? Ich will Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»Lassen Sie den Scheiß, McKnight. Ich weiß, wer Sie sind. Ich weiß, warum Sie hier sind. Ich sage es Ihnen noch einmal. Von mir kriegen Sie nichts. Keinen einzigen Zehner.«
»Wollen Sie sich nicht eine Minute hinsetzen? Sie irren sich. Ich bin nicht hier, um Geld von Ihnen zu verlangen.«
Er sah mich lange Zeit an, so wie man jemanden ansieht, der vielleicht wahnsinnig ist. Dann ließ er sich langsam auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch nieder. »Was soll das alles? Ich weiß, Sie sind Leon Prudells Partner. Und ich weiß, daß er Mrs. Vargas in den letzten Wochen gefolgt ist.«
»Ich bin nicht mehr sein Partner, und ich habe erst recht nichts zu tun mit diesem … Woher wissen Sie übrigens, daß er ihr gefolgt ist?«
»Kommen Sie, meinen Sie denn, sie merkt es nicht, wenn ihr dieser Riesentölpel mit orangefarbenen Haaren überallhin nachläuft? Mir war klar, daß das ein Privatdetektiv sein mußte, und da es in der ganzen Stadt nur eine einschlägige Firma gibt, war es nicht so schwer herauszufinden, wen Vargas mit ihrer Bewachung beauftragt hatte. Der Eintrag, den ich gesehen habe, lautete ›Prudell-McKnight Ermittlungen.‹«
»Ein alter Eintrag. Ich bin aus der Firma raus.«
»Dann macht er das also alleine? Ihr hinterherschleichen wie ein Hintertreppenschnüffler?«
»Ich glaube, da können Sie beruhigt sein. Ich glaube, Leon ist der Meisterschuß, hinter dem er her war, nie gelungen. Ich meine den, wo Sie die Unterhose auf den Knöcheln hängen haben.«
»Könnte es sein, daß Sie sich darum überhaupt nicht kümmern sollten, McKnight? Mein Verhältnis zu meiner Frau? Oder was auch immer zwischen Mrs. Vargas und mir vor sich gehen mag?«
»Sieht man davon ab, daß es mir für Ihre Frau leid tut, ist mir das völlig gleichgültig. Ich mag nicht einmal daran denken.«
»Warum zum Teufel sind Sie dann hier? Ich schwöre bei Gott, daß ich mir ganz sicher war, daß Sie mich unter Druck setzen wollten, daß Sie auf zwei Seiten abkassieren wollen. Glauben Sie mir, ich weiß, daß Privatdetektive gelegentlich diese Nummer abziehen. Es gibt Leute, die tun einfach alles für ’nen schnellen Dollar.«
»Ich bin hier, weil ich der Glückspilz bin, der Ihren Platz in der Pokerrunde eingenommen hat. Ich bin hier, weil ich einige Antworten brauche.«
»Und was für Antworten könnte ich möglicherweise geben? Ich weiß davon überhaupt nichts.«
»Einer der bewaffneten Räuber ist heute morgen tot aufgefunden worden.«
Ich beobachtete ihn sorgfältig. Seine Augen wurden schmal, als wäre er ernsthaft irritiert. »Einer der Männer, die in Vargas’ Haus eingedrungen sind?«
»Ja.«
Er schüttelte den Kopf. Wenn er schauspielerte, machte er das jedenfalls nicht schlecht. Aber genau das tun Anwälte ja. Dafür waren sie schließlich auf der Welt. »Ich verstehe das nicht«, sagte er. »Was hat das mit mir zu tun?«
»Irgendwer will Jackie, Bennett und Gill etwas in die Schuhe schieben. Und ich werde herausfinden, wer das ist.«
»Ich weiß, daß sie gestern verhaftet worden sind. Wieso glauben Sie, daß man ihnen etwas in die Schuhe schieben will?«
»Sind sie Ihre Freunde oder nicht? Glauben Sie wirklich, daß sie damit etwas zu tun haben?«
»Alle drei sind gute Bekannte, Männer, mit denen ich ab und an Karten spiele. Ich habe genug erlebt, um mich grundsätzlich nicht zu wundern, wozu Leute alles fähig sind. Besonders, wenn es um Geld geht.«
»Dann reden wir mal vom Geld. Sie sind doch mit mir einer Meinung, daß derjenige, der das alles geplant hat, Kenntnis von dem Geld in Vargas’ Safe haben mußte?«
»Das klingt plausibel.«
»Vargas behauptet, das Geld im Safe nur einmal erwähnt zu haben, bei einer Pokerrunde vor zwei Monaten. Nicht einmal seine Frau habe etwas davon gewußt.«
»Und deshalb nehmen Sie an, einer der Männer, die bei jenem Pokerspiel zugegen waren, muß für den Raub verantwortlich sein.«
»Ja.«
»Und selbiger Mann ist auch für die Machenschaften verantwortlich, deren Opfer drei unschuldige Männer sind.«
»Sie machen das großartig. Weiter so!«
»So daß, wenn es wirklich nicht Jackie, Bennett oder Gill gewesen sind, es entweder Kenny oder ich waren. Wir beiden sind die einzigen anderen Menschen, die von dem Safe gewußt haben.«
»Ich glaube nicht, daß es Kenny war.«
»Kenny war es nicht.«
»An sich Kendrick.«
»Kendrick. Kendrick war es nicht.«
»Sie sind fast am Ziel. Nur noch ein Schritt.«
Er warf die Arme hoch. »Sie haben noch einen Mann übrig«, sagte er. »Swanson muß es gewesen sein.«
»Waren Sie es?«
»Ich stehe hier nicht unter Eid.«
»Sagen Sie es mir nur so. Waren Sie es?«
»Nein. Ich war es nicht. Warum sollte ich?«
»Sie haben doch selbst gesagt, für ein bißchen Geld tun die Leute alles.«
»Ich habe gesagt, für einen schnellen Dollar. Und das ist ein gewaltiger Unterschied. Ein Dollar ist nur dann schnell, wenn Sie ungeschoren davonkommen.«
»Meines Wissens sind Sie gestern nicht verhaftet worden. Bislang kommen Sie ganz schön ungeschoren davon.«
»Lassen Sie mich mal was fragen. Nehmen wir an, ich habe das arrangiert. Sie haben mich aber da nicht gesehen, oder? Ich muß also drei Mann für den Überfall angeheuert haben.«
»Offenbar ja.«
»Diese drei Männer, haben die kein Anrecht auf einen Teil des Geldes?«
»Doch. Mit Sicherheit.«
»Von wieviel Geld reden wir? Was stand noch mal in der Zeitung? Fünftausend Dollar?«
»Das hat Vargas bei der Polizei angegeben. Wir beide wissen doch, daß es mehr war.«
»Sicherlich. Sagen wir mal, es waren – was denn? Fünfzigtausend Dollar? Hunderttausend Dollar? Sagen wir, es war eine Million. Eine coole Million in bar. Ein ganz hübscher Fischzug, würden Sie doch auch sagen. Ich heuere drei Männer an, mit Pistolen in der Hand eine Million Dollar zu stehlen und sie dann bei mir abzuliefern. Was sie natürlich machen, denn wenn sie auch gerade eine Million Dollar abgezockt haben, sind sie trotzdem Ehrenmänner und halten ihr Versprechen mir gegenüber. Aber wie hoch sollte denn dann ihr Anteil sein? Meinen Sie, sie teilen ganz gerecht mit mir? Obwohl ich ihnen doch nur von dem Safe erzählt und dann im Sessel gesessen habe, während sie einen bewaffneten Raubüberfall begangen haben? Nun gut, sagen wir, sie geben mir ein volles Viertel. Ich habe also eine Viertelmillion Dollar. Ich habe meine gesamte juristische Laufbahn riskiert, die mir nebenbei bemerkt noch brutto fünf bis zehn Millionen Dollar einbringen wird, bis ich mich zur Ruhe setze. Ich habe riskiert, in den Knast zu wandern – wie lange? Zwanzig oder dreißig Jahre? Alles, was ich besitze, jede Person, die mir etwas bedeutet … all das habe ich für zweihundertfünfzigtausend Dollar aufs Spiel gesetzt. Sehen Sie das so, Mr. McKnight? Glauben Sie, daß sich das so abgespielt hat?«
Ich sagte nichts. Ich saß auf dem Stuhl.
»Bitte, Mr. McKnight. Ich hätte gern eine Antwort. Sollte die Antwort ja lauten, werde ich Sorge tragen, Sie abzulehnen, sollten Sie mal als Geschworener aufgestellt werden. In diesem Fall würden Sie nämlich alles glauben.«
»Sie brauchen nicht ironisch zu werden. Ich bin mir sicher, daß es sich nicht genau so abgespielt hat.«
»Wie dann bitte?«
»Deshalb bin ich ja hier. Ich möchte das herausfinden, und ich habe gedacht, Sie könnten mir dabei helfen.«
»Ich bedauere, Sie zu enttäuschen.«
»Sobald Sie meinen Namen gehört haben, haben Sie sich in den Bergen versteckt. Können Sie es mir da verargen, daß ich mißtrauisch geworden bin?«
»Wenn Sie meiner Sekretärin gesagt hätten, weshalb Sie mich sehen wollten, hätten wir das alles vermeiden können.«
»Schon, aber ich hätte dann nie den Möhrenkuchen Ihrer Frau probiert.«
»Ich glaube, wir sind fertig, Mr. McKnight. Die Tür hinter Ihnen führt nach draußen. Ich schlage vor, Sie bedienen sich ihrer.«
»Richten Sie Ihrer Frau meinen herzlichen Dank aus.«
»Ich versuche dran zu denken.«
Ich ging durch die Bürotür nach draußen und über seine Wiese auf die Straße. Kinder kamen auf ihren Fahrrädern vorbei. Irgendwer warf einen Rasenmäher an. Ich stieg in den Laster und starrte eine Weile ins Leere.
Swanson hatte recht. Es war verdammt schwierig, auf diese Weise Geld zu verdienen, und verteufelt riskant.
Also ging es vielleicht gar nicht ums Geld. Vielleicht steckte etwas ganz anderes dahinter.
Was auch immer das sein mochte, es sollte mir einfallen, bevor sie bei Jackie für die Gefängnisuniform Maß nahmen und bevor mein Freund mit den süßen Zigarren auf die Idee kam, es sich erneut in meiner Hütte gemütlich zu machen.
Oder bevor noch jemand ermordet wurde.
Es war an der Zeit, aufs Ganze zu gehen. Ich griff zum Handy und wählte Leons Nummer. Dann ließ ich den Laster an und fuhr stracks zu Vargas’ Haus.
