Kapitel 16
Leon hob gleich beim ersten Klingeln ab.
»Ich bin auf dem Weg zu Mrs. Vargas«, sagte ich. »Wird sie jetzt zu Hause sein?«
»Alex, was sagst du da? Das kannst du doch nicht machen.«
»Ich mache es aber gerade. Du bist doch der Bursche, der die letzten Wochen damit verbracht hat, hinter ihr her zu fahren, da kennst du doch bestimmt ihre Gewohnheiten. Wird sie da sein?«
»Das kann ich dir wirklich nicht sagen, Alex. Das ginge entschieden zu weit.«
»Und was ist mit Vargas? Wird der da sein?«
»Auch das darf ich dir nicht sagen.«
»Du paßt damit nur auf deinen Klienten auf. Wenn er nämlich da ist, könnte es sehr häßlich zugehen. Willst du, daß ich ihm wieder einen überbrate?«
»Ich wußte doch, daß du das warst … Er wollte es mir nicht sagen, aber ich wußte es.«
»Dann sag mir doch einfach, wer da sein wird.«
»Vargas sollte in den nächsten Stunden noch nicht da sein. Er müßte im Laden sein. Er fährt zur Zeit nur an drei Tagen in der Woche hin. Die Fahrt ist so lang.«
»Okay, dann ist seine Frau allein. Das ist gut.«
»Davon würde ich nicht ausgehen, Alex. Ich fürchte, wenn sie weiß, daß ihr Mann nicht zu Hause sein wird …«
»Sei unbesorgt, ich weiß, daß Swanson momentan nicht da ist.«
»Alex, was machst du?«
»Ich fahre herum und stelle den Leuten Fragen. Und was machst du? Wie kommt es, daß du sie nicht mehr beschattest?«
»Vargas scheint das Interesse daran verloren zu haben. Er scheint zur Zeit andere Dinge im Kopf zu haben.«
»Und ob, da würde ich drauf wetten. Und du sitzt einfach am Telefon und wartest darauf, daß er dich anruft?«
»Das habe ich nicht verdient, Alex. Ich habe dir bei diesem Fall geholfen. Das hätte ich nicht zu tun brauchen.«
»Du hast recht, tut mir leid. Es war einfach ein langer Tag.«
»Mach bloß keine Dummheiten, versprochen?«
»Zu spät«, sagte ich und legte auf.
Ich hatte den Hügel hinter mir und fuhr nach Nordosten zum Fluß. Golfer putteten auf dem Grün, als ich vorbeifuhr, und da sah ich schon Vargas’ Haus. Ein blauer Miata stand in der Einfahrt. Ich parkte hinter ihm.
Als ich auf die Klingel drückte, erwartete ich, daß mein kleiner Freund loskläffte, aber das Geräusch blieb aus. Cynthia Vargas kam an die Tür und musterte mich, ohne einen Chihuahua zwischen den Füßen.
»Was gibt es?« fragte sie und streckte mir ihre brennende Zigarette entgegen. Sie kniff die Augen ein wenig zusammen, so wie Raucherinnen es machen, wenn du sie gleichermaßen belästigst wie der Rauch in ihren Augen. Sie war blond, perfekt gebaut, genau das, was man sich als Zweitfrau zulegen würde. Vargas hatte das schon getan, und jetzt hielt sich offensichtlich Swanson dieselbe Option offen. Das wäre mir völlig gleichgültig gewesen, hätte ich nicht soeben die einzigen anständigen dreißig Minuten des ganzen Tages in der Gesellschaft von Swansons Frau verbracht.
»Guten Tag, Ma’am«, sagte ich. »Es tut mir leid, daß ich Sie störe.«
»Hmm?« Sie zog an ihrer Zigarette.
»Ich wollte Sie fragen, ob ich Ihnen wohl ein paar Fragen stellen darf.«
»Sagen Sie nichts.« Sie musterte mich von oben bis unten. »Sie sind Alex McKnight.«
»Ich glaube, wir haben neulich miteinander telefoniert«, sagte ich.
»Stimmt, und Sie waren bei dem Pokerspiel hier. Sie waren eine der Geiseln.«
»Ich weiß nicht, ob ich das Geisel nennen würde. Sie haben uns nur nahegelegt, ihnen nicht ins Gehege zu kommen.«
»Kommen Sie doch rein. Wollen Sie ein Bier oder sonst was?«
Und ob ich das wollte. Aber ich lehnte dankend ab.
Sie durchschritt das ganze Haus und trat auf die rückwärtige Veranda hinaus. Ich nahm an, daß ich ihr wohl folgen sollte. Es war die zweite rückwärtige Veranda des Tages und zum zweiten Mal verbrachte ich meine Zeit mit der Frau eines anderen Mannes. Nur war es dieses Mal extrem anders. Mrs. Vargas wirkte leicht erregt und etwas aufgelöst, so als hätte ihre Unterwäsche den ganzen Nachmittag am Kronleuchter gebaumelt.
Sie setzte sich in einen Liegestuhl und drückte ihre Zigarette im Aschenbecher auf dem Tisch neben ihr aus. Sie sah nach Westen, wo sogar noch um sieben Uhr abends die Sonne hoch über dem Horizont hing. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf. »Setzen Sie sich doch«, sagte sie.
Ich zog einen weiteren Liegestuhl heran und setzte mich auf das Fußteil. Entspannt zu liegen war jetzt nicht mein Ding. Als ich nach Westen sah, bemerkte ich die Pappe, die noch immer das zerbrochene Fenster im ersten Stück ausfüllte.
»Ich sehe Ihren Hund nirgendwo. Er freut sich immer so, wenn er mich sieht.«
»Das ist nicht mein Hund. Das ist Wins Hund. Er nimmt ihn sogar mit zur Arbeit.«
»Komisch. Er hat uns mehrfach erzählt, es sei Ihr Hund.«
»Er hat versucht, ihn mir am selben Tag zu schenken, an dem er mir auch das doofe kleine Auto gekauft hat.«
»Mrs. Vargas, ich will nicht viel von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen. Ich muß Sie nur etwas fragen.«
»Sie sind mit den drei Männern befreundet, die man verhaftet hat.« Sie sah auf den Fluß hinaus.
»Ja, woher wissen Sie das?«
»Ich habe mitgehört, was Win am Telefon über Sie gesagt hat. Sie sind der, den man nicht erwischt hat.«
»Man hat niemanden ›erwischt‹, Ma’am. Das Ganze ist ein Mißverständnis.«
»Ihre Freunde da, für Sie ist es erwiesen, daß die nichts damit zu tun haben?«
»So ist es.«
»Dann sind Sie also hier, um mich zu fragen, ob ich es war?«
Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. »Ich versuche nur die Wahrheit herauszufinden.«
»Mein Anwalt hat mich gerade angerufen. Unmittelbar, bevor Sie gekommen sind. Er hat gesagt, Sie seien gerade bei ihm zu Hause gewesen.«
»Ist das Ihre Bezeichnung für ihn? Ihr Anwalt?«
Sie schob ihre Sonnenbrille nach unten und sah mich über den Rand hinweg an. »Es war vielleicht ein Fehler, Sie hereinzubitten. Sie wirkten wie ein Gentleman, aber da habe ich mich offensichtlich vertan.«
»Ich bitte um Entschuldigung.«
Sie setzte sich die Brille wieder zurecht und sah erneut auf den Fluß hinaus. »Er hat mir gesagt, daß Sie vielleicht vorbeikämen. Er hält Sie für sehr hartnäckig in dieser Angelegenheit. Deshalb habe ich mir gedacht, es erspart uns viel Ärger, wenn ich offen mit Ihnen rede.«
»Ich weiß das zu schätzen.«
»Sind Sie jemals in Bay Harbor gewesen, Alex?«
»Doch, da bin ich schon gewesen.«
»Dann lassen Sie mich etwas fragen. Wenn Sie dort ein wirklich schönes Haus von über fünfhundert Quadratmetern hätten, würden Sie das verkaufen und hier hoch ziehen?«
»Ich glaube nicht, daß ich das beantworten kann. Das Problem fängt schon damit an, daß ich niemals in Bay Harbor leben würde.«
»Hat er Ihnen etwas über seine Idee erzählt, hier etwas völlig Neues zu bauen?«
»Er hat den Plan erwähnt.«
»Natürlich hat er das. Er spricht ja von nichts anderem mehr. Was halten Sie von seiner tollen Idee?«
»Ich hoffe inbrünstig, daß er sie nicht verwirklichen wird.«
»Er glaubt, daß Leute mit richtig viel Geld hierhin ziehen. Können Sie das glauben? Daß sie wirklich hier leben wollen statt in Bay Harbor?«
Es herrschte verlegenes Schweigen. Ich wußte nicht, was ich als nächstes sagen sollte. »Der Safe da oben in dem Raum …«, sagte ich schließlich.
»Ich habe alles darüber gewußt. Wie idiotisch muß man sein, um einen Safe im eigenen Haus nicht zu kennen?«
»Haben Sie die Kombination gekannt?«
Sie schob wieder die Sonnenbrille nach unten. »Nein.«
»Wußten Sie, was sich da drin befand?«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Ich bitte Sie. Was legt man wohl in einen Safe?«
»Das kann sehr vieles sein.«
»Bei Win ist es entweder Geld oder seine komischen Sammelstücke. Und die würde er nicht in den Safe tun, weil er dann nicht jeden nach oben schleppen könnte, um damit anzugeben.«
»Sie scheinen seine Interessen nicht zu teilen.«
»Richtig. Deshalb habe ich drei Schläger angeheuert, um hier einzubrechen und seine tolle Sammlung kleinzuschlagen und ganz nebenbei noch sein Geld zu stehlen. Weniger, weil ich etwas von der Beute mitbekommen würde, sondern nur, um es ihm abzunehmen. Alles nur, weil ich ihn so sehr hasse, weil ich ihm in jeder Weise weh tun möchte. Wollen Sie darauf hinaus, Mr. McKnight? Ich denke, ich rede sehr offen mit Ihnen. Dann tun Sie das bitte auch.«
»Sie erzählen mir, Sie hätten mit der Sache nichts zu tun.«
»Ja, genau das erzähle ich Ihnen. Und wissen Sie was? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wünschte ich, ich hätte es getan. Ich meine, was sollte das, so viel Geld da oben im Safe zu haben? Jetzt, wo es weg ist, ist mein Gatte psychotisch geworden, und ich schlafe nachts nicht mehr, weil ich darauf warte, daß diese Kerle hier wieder einbrechen.«
Sie griff nach ihrer Zigarettenpackung und schüttelte eine heraus.
»Gott, ich hasse diesen Ort. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich diesen Ort hasse.«
Ich hatte keine Chance, darauf etwas zu erwidern. Das nächste Geräusch, das ich hörte, war das Bellen eines kleinen Hundes. Das Geräusch wurde lauter und lauter. Dann ging die Tür hinter uns auf, und Miata ging auf mich los. Ich nahm ein Kissen vom Liegestuhl und versuchte es als Schild zu benutzen. Es wirkte nur sehr eingeschränkt – immer noch spürte ich, wie die Zähne des Hundes mir die Haut von den Fingern rissen.
»Wenn das nicht gemütlich ist«, sagte Vargas, als er aus der Tür trat. Die Beule auf seiner Stirn hatte alle Farben des Regenbogens angenommen. »Ich habe mir schon gedacht, daß dies Ihr Wagen wäre, McKnight. Wer sonst würde so etwas fahren?«
»Du kommst früh nach Hause«, sagte Mrs. Vargas. Sie wandte sich nicht um, um ihn anzusehen.
»Ja, der Ehemann kommt unerwartet nach Hause«, sagte er. »Der älteste Standardtrick. Aber ich habe nicht damit gerechnet, ihn hier zu finden. Du arbeitest dich auf der sozialen Leiter ganz schön nach unten, Cynthia.«
Sie hob eine Hand und wies ihm den Rücken ihres Mittelfingers. Derweil umtänzelte mich der Hund und suchte nach einer Deckungslücke. In diesem Moment hätte ich ihn am liebsten mit voller Wucht bis Kanada getreten.
»Könnten Sie bitte den Hund entfernen?« sagte ich.
»Warum sollte ich das?« sagte Vargas. »Was zum Teufel tun Sie überhaupt hier?«
»Schaffen Sie den Hund weg, und ich erzähle es Ihnen.«
»Miata, komm her.«
Der Hund wollte sich nicht zurückziehen. Er hatte Blut geleckt und wollte mich jetzt vollends zur Strecke bringen.
»Miata, hierher.« Vargas nahm ihn auf und legte ihm einen Finger auf die Nase, als er mich weiter anbellte. »Beruhige dich«, sagte er. »Laß ihn reden. Dann kannst du gleich auch zusehen, wie ich ihn auseinandernehme. Diesmal kommt er nicht davon. Und wenn ich fertig bin, darfst du ihm ins Gesicht pissen.«
»Schön, das reicht jetzt«, sagte ich. »Ich bin hierher gekommen, um Ihrer Frau ein paar Fragen zu stellen. Das ist alles. Wer auch immer Sie reingelegt hat, hat auch zugleich meine Freunde reingelegt. Ich will rausfinden, wer das war. Ich könnte mir denken, daß Sie das auch rauskriegen wollen.«
»So denken Sie sich das also?«
»Ja, und wissen Sie was? Die Tatsache, daß Sie das offensichtlich nicht rauskriegen wollen, ist schon interessant. Sie sollten sich in Stücke reißen, um rauszukriegen, wer das war, Vargas. Sie sollten schon viel weiter sein als ich. Oder wenigstens Leon darauf angesetzt haben.«
Mir gingen die Einfälle aus. Es war Zeit, etwas Verzweifeltes zu tun.
»Statt dessen«, fuhr ich fort, »machen Sie was? Haben Sie jemanden in meine Hütte einbrechen lassen? In Jackies Haus? In Gills Haus? Was soll das, ganz nebenbei?«
»Wie? Wo soll ich einbrechen lassen?«
»Wer auch immer es ist, sagen Sie ihm, er soll aufhören, diese blöden kleinen Dinger zu rauchen. Ich kann den Geruch nicht ab.«
»McKnight, Teufel noch mal, wovon reden Sie überhaupt?«
Das klang echt. Wenn ich weiter meinem Bauch folgen wollte, mußte ich annehmen, daß er wirklich nichts davon wußte. Nachdem ich den ganzen Tag herumgelaufen und nur in Sackgassen geraten war, stand ich vor meiner letzten Chance. Ich konnte noch eine Karte ausspielen, dann mußte ich aufgeben.
»Vielleicht waren Sie es«, sagte ich. »Vielleicht haben Sie alles arrangiert.«
»McKnight, Sie sind wahnsinnig«, sagte er. »Jetzt haben Sie den Verstand verloren.«
»Na, das wäre ja interessant«, sagte seine Frau. Endlich setzte sie sich auf und wandte sich um, um uns anzusehen. »Er beraubt sich selbst. Und jetzt, wo all das Geld weg ist …«
»Das natürlich nicht weg ist«, sagte ich. »Es liegt nur nicht mehr auf dem Tisch, wenn es jemand von ihm haben will. Zum Beispiel ein Scheidungsanwalt.«
Sein kahler Schädel wurde einen Ton röter.
»Rein hypothetisch gesprochen«, sagte ich.
»Warum hätte er dann seinen eigenen Raum zerstört?« fragte sie.
»Nur zur Show. Um sicherzugehen, daß keiner denkt, er steckt dahinter.«
»Das alte Spiel mit falschen Fährten«, sagte sie. »Ich kann mir vorstellen, daß er so denkt.«
»Sie sind sich hoffentlich darüber im klaren, daß einer von den Männern heute tot gefunden worden ist. Ich hoffe, Ihr Gatte ist sich darüber im klaren, daß die ganze Geschichte aus dem Ruder zu laufen beginnt.«
»Wer ist tot?« fragte Vargas. Er wirkte ernstlich überrascht.
»Einer der Männer, die hier eingedrungen sind. Haben Sie ihn persönlich umgebracht? Er wurde in den Rücken geschossen.«
»Das klingt ganz nach ihm«, sagte sie.
»Das reicht mir jetzt von dir«, sagte er. »Warum verschwindest du nicht und legst noch was Make-up auf? Ich glaube, du hast eine Stelle ausgelassen.«
»Keine Chance. Jetzt wird es doch gerade spannend. Wo man dich jetzt wegen Mordes am Wickel hat.«
»Ich muß wirklich nicht in meinem Haus stehen und mir so etwas anhören.«
»Aber was ist mit Ihren Freunden?« sagte sie zu mir. »Warum sollte er ihnen die Sache in die Schuhe schieben?«
»Weil sie die einzigen Leute sind, die über den Safe Bescheid wußten. Irgend jemanden mußte er als Sündenbock hinstellen.«
»Viel zu gefährlich«, sagte sie. »Und nicht einmal nötig. Er tönt doch ständig rum, daß niemand etwas von dem Safe weiß. Er braucht doch bloß zu sagen: ›Gerade fällt es mir ein. Ich glaube, ich habe neulich abends in der Kneipe darüber gesprochen. Gott weiß wer kann mich da gehört haben.‹ Er muß es niemandem in die Schuhe schieben.«
»Das stimmt«, sagte ich. »Sie scheinen Talent für dergleichen zu haben.«
»Seid ihr zwei jetzt fertig?« fragte Vargas.
»Fast«, sagte ich. »wir müssen nur noch wissen, warum Sie sich so viel Mühe gegeben haben, Jackie, Bennett und Gill verdächtig erscheinen zu lassen. Es muß was Persönliches sein. Irgendein Rachefeldzug gegen die drei.«
Vargas sah uns beide an. Im rechten Arm hielt er den Hund und kratzte ihn langsam mit einem Fingernagel hinter den Ohren. »McKnight«, sagte er schließlich, »kann ich Sie etwas fragen?«
»Schießen Sie los.«
»Wenn Sie wirklich glauben, ich schieb den Typen was in die Schuhe, dann will ich eines wissen … Wie habe ich das angestellt?«
»Das ist aber eine leichte Frage.«
»Dann erzählen Sie es mir. Versetzen Sie sich in meine Lage und entwickeln Sie es Schritt für Schritt. Ich will, daß diese Jungs für den Überfall zur Rechenschaft gezogen werden. Wie mache ich das?«
Ich dachte einen Moment lang darüber nach. Ich wollte alles in die richtige Ordnung bringen, damit er kein Loch darin finden konnte. Es sollte perfekt wirken, vielleicht, so dachte ich mir, würde dann die Angst in sein Gesicht treten, wenn er wußte, ich hatte ihn festgenagelt. Vielleicht ließ er dann den Hund fallen und versuchte zu fliehen. Und ich hinter ihm her. Oder ich würde die Polizei rufen. Wie auch immer, die Sache wäre vorbei.
Aber er ließ mir diese Chance nicht. Statt dessen wandte er sich um, setzte den Hund nach drinnen und schob die Glastür zu, bevor er wieder entkommen konnte. »Lassen Sie’s, McKnight. Ich glaube, wir haben genug gehört. Wie steht es mit unserer Revanche? Dieses Mal benutzen Sie aber keinen Feuerlöscher.«
»Vargas, dafür gibt es keinen Grund.«
»Und ob es den gibt!« Er kam auf mich zu, in derselben Pose, die ich auf dem Boot gesehen hatte, die Hände mehr in der Haltung eines Zauberers als eines Boxers, den linken Fuß leicht über dem Boden. Es hätte ganz schön verdammt lächerlich ausgesehen, hätte ich nicht dagestanden und mich gefragt, wie gut er wohl wirklich war.
Ich brauchte nicht lange, um das herauszufinden. Er täuschte eine Linke vor und schlug mir dann seine Rechte in die Magengrube, was mir den Atem benahm. Nach einer Drehung traf er mit dem Fuß an der rechten Seite meines Kopfes. Das haute mich von den Beinen, und mein Kopf dröhnte wie eine Riesenglocke, die nicht aufhören wollte zu läuten.
Ich rollte von ihm weg, geriet wieder auf die Füße und verbrachte die nächsten Sekunden damit, wieder zu Atem zu kommen und einen weiteren Tritt aus der Drehung heraus zu vermeiden. Davon noch einer und ich hätte endgültig da gelegen.
In der Zwischenzeit hatte seine Frau endlich einen Grund gesehen, ihren Liegestuhl zu verlassen. Sie stand an das Geländer gelehnt und sah uns fasziniert und hingerissen zu. Drinnen bellte unaufhörlich der Hund und kratzte von innen an der Glastür.
Vargas landete einige weitere Treffer und schickte mich gegen das Geländer. Ich antwortete mit meiner eigenen Version von Alis Tricks mit den Seilen, versuchte so viel wie möglich den schweren Schlägen auszuweichen und wartete darauf, daß mir etwas einfiel.
Endlich wurde er etwas langsamer, vielleicht weil er mich zu diesem Zeitpunkt schon für seine sichere Beute hielt. Zweimal traf ich ihn, mit einer Linken den Körper und mit einer Rechten das Kinn. Den Treffer schüttelte er ab, wich ein Stück zurück und warf sich dann in einen weiteren Drehsprung, den Gnadenstoß, der mich über das Geländer geworfen hätte. Diesmal hatte ich den Ablauf voll erfaßt, und als sein Fuß über meinen Kopf segelte, empfing er einen Tritt von mir, einen guten altmodischen Fußtritt mitten in die Juwelen. Er klappte in der Mitte zusammen.
Er ging zu Boden und gab häßliche Geräusche von sich, während er sich auf dem Boden wälzte. Ich stand da und beobachtete ihn, bereit für den unwahrscheinlichen Fall, daß er wieder auf die Beine käme. Als der nicht eintrat, untersuchte ich den Schaden an meinem Gesicht. Mein Kiefer schmerzte höllisch, beide Augen blickten etwas verschwommen, die Lippe war aufgeplatzt, so daß mir Blut aufs Kinn lief, und das rechte Ohr dröhnte noch immer. Abgesehen davon hatte ich mich noch nie besser gefühlt.
Mrs. Vargas stand noch immer da, die Arme um sich selbst geschlungen. Sie sah zu, wie ihr Gatte sich auf den Bohlen wälzte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war jetzt eine Mischung aus Schock und einer solch reinen physischen Genugtuung, daß ich das Gefühl hatte, ich sollte ihr eine Zigarette anbieten.
»Ich finde selbst nach draußen«, sagte ich.
Das rief sie in die Wirklichkeit zurück. Sie sah mich an und versuchte etwas zu sagen. »Oh«, kam schließlich. »Oh. Ja. Mein Gott.«
»Sie lassen jetzt besser Wasser in die Badewanne laufen«, sagte ich. Die Art, wie er sich herumwälzte und sich die Lenden hielt, ließ mich fast Mitleid mit ihm empfinden. »Wenn er wieder hochkommt, sorgen Sie dafür, daß er sich hineinsetzt. Wenn er das ablehnt, greifen Sie ihm nur in die Unterhose und ziehen Sie ihn ins Bad.«
Als ich im Begriff stand, die Glastür zu öffnen, gewahrte ich den Hund, der dabei war, aus dem Fell zu springen und mich anzugreifen, und überlegte es mir anders. Ich ging statt dessen die Treppe hinunter und kam direkt unter dem zerstörten Fenster vorbei. Noch immer lagen Glasscherben auf dem Boden und glitzerten im letzten Sonnenlicht des Tages. Ich ging ums Haus nach vorne, stieg in meinen Laster und betrachtete kurz mein Gesicht im Rückspiegel.
Eine schlechte Idee.
Ich wischte mir das Blut vom Kinn und dachte, daß das alles von Minute zu Minute besser würde. Welch großartiger Tag entfaltete sich hier!
Wenn man manchmal über eine Sache zu scharf nachdenkt, verliert man sie aus dem Blick. Dann schiebt man sie für einige Minuten in den Hinterkopf, wenn zum Beispiel jemand intensivst Kleinholz aus dir zu machen versucht. Wenn man es dann wieder nach vorne holt, sieht man etwas, was man zuvor nicht bemerkt hat. Alles fällt plötzlich an seinen Platz.
Oder, wie in diesem Fall, alles fällt auseinander. Es fällt auseinander wie das alte indianische Ruder da oben in seinem Zimmer – von Anfang an wertlos und so fragil, daß es in tausend Stücke fällt, wenn man es nur berührt.
Als Vargas mich gebeten hatte, ihm zu erklären, wie er es denn angestellt haben sollte, sah ich die Sache zum ersten Mal aus seinem Blickwinkel – seinem oder dem desjenigen, der das angeblich ausgeheckt hatte. Scheißkerl – da funktionierte einfach nichts!
Maven hatte Recht. Das war das schlimmste. Maven erzählt mir, daß ich derjenige mit dem persönlichen Vorurteil bin, daß ich derjenige bin, der nicht klar sieht – und, verflixt und zugenäht, er hat vollkommen recht.
Meine Hände zitterten noch, als ich zum Lenkrad griff. Das Adrenalin schoß noch immer durch meine Adern. Am liebsten hätte ich jemanden umgebracht.
»Jetzt komme ich«, sagte ich. »Ich hoffe, ihr seid auf mich gefaßt.«
Alles, was passiert war, ging auf einen Mann zurück. Ich fuhr aus der Einfahrt und bretterte los, geradewegs auf ihn zu.
