Kapitel 17

Er stand hinter der Theke, als ich hereinkam. Er sah mich nicht einmal an. Er sprach weiter mit dem Mann ihm gegenüber, mit leiser Stimme. Es standen zwei weitere Männer an der Theke, ein paar mehr an den Tischen. Die Tiger spielten wieder auf dem großen Schirm.

»Bennett, ich muß mit Ihnen sprechen.«

»In einer Minute komme ich zu Ihnen«, sagte er, und seine Augen bewegten sich noch immer nicht.

»Es muß aber sofort sein.«

»Nur eine Minute, Alex.«

»Dann zapfen Sie mir wenigstens ein Bier, während ich warte.«

Jetzt erst sah er mich an. Wenn er überhaupt bemerkte, in welchem Zustand ich mich befand, zeigte sich das nicht in seiner Miene. »Gerade im Moment bin ich sehr beschäftigt«, sagte er mit verkniffenem Mund. »In einer Minute bin ich da.«

»Bennett, was geht hier vor sich?«

Er blickte in das Spülbecken, vor dem er stand, beide Hände auf dem Tresen. Von dem Augenblick an, in dem ich das Restaurant betreten hatte, waren seine Hände unbeweglich geblieben …

Ein Aschenbecher auf der Theke. Rauch steigt auf. Der Geruch, widerlich süß.

Der Mann Bennett gegenüber, auf einem Barhocker – ich hatte ihn mir nicht angesehen, als ich gekommen war. Das holte ich jetzt nach. Sein Haar war so blond, daß es weiß war, seine Haut so blaß, daß er im Sommer so rot wie eine Rübe würde, sobald er einen Schritt nach draußen tat. Die Augenbrauen – man konnte sie kaum sehen.

Er sah zu mir herüber, genau so, wie er mich angesehen hatte, als ich auf Vargas’ Boden lag.

»Wir unterhalten uns soeben«, sagte er. »Was soll die Hektik?« Das letzte Wort dehnte er sehr kanadisch.

»Es gibt keine Hektik«, sagte Bennett. »Alex ist nur gekommen, um ein Bier zu trinken.«

»Sieht ganz so aus, als bräuchte Alex auch etwas Eis für seine Fresse. Scheint mit einem Zementlaster zusammengestoßen zu sein.«

Er wandte kein Auge von mir. Ich wischte mir das Blut mit dem Ärmel vom Kinn und starrte zurück. Ich ging einen Schritt auf ihn zu. Er bewegte nicht einmal ein Augenlid.

»Alex, laß das«, sagte Bennett. »Bitte, beweg dich nicht.«

Ich wandte den Blick von dem Mann und sah Bennetts Hände noch immer auf dem Tresen. Alles paßte. Der Mann trug eine Jacke an einem Tag, der viel zu warm dafür war. Der Reißverschluß war mehr als zur Hälfte geöffnet, und die Hand des Mannes steckte innen. Ich brauchte nicht lange zu raten, was er in der Hand hielt.

»Ich bin nicht alleine hier«, sagte er. »Ich möchte uns ungern den Weg hier raus freischießen, aber zur Not machen wir das.«

Ich schaute hinter ihn. Ham saß an einem der Tische und sah aus, als ob ihm jeden Moment der Schädel platzen würde. Ein weiterer Mann saß neben ihm. Er war nicht ganz so blond wie der Mann an der Bar, aber ansonsten war die Familienähnlichkeit unverkennbar.

»Ihr Bruder«, sagte ich. »War das der dritte Mann auf unserer Party?«

»Sie wissen, wer der dritte Mann gewesen ist«, sagte er.

»Das wäre mir neu.«

»Sie haben doch von Anfang an mit dringehangen.«

»Mir völlig neu. Wollen Sie nicht allmählich mal was Sinnvolles sagen?«

»Ich habe Ihnen doch gesagt«, schaltete sich Bennett ein. »Alex hatte nichts damit zu tun.«

»Da kommt das schon wieder«, sagte der Mann. »Jedesmal wenn Sie das sagen, rege ich mich mehr auf. Ich wünschte wirklich, Sie unterließen das.«

»Ich sage die Wahrheit«, meinte Bennett.

»Was ist mit Ihnen, Alex?« sagte der Mann. »Wollen Sie mir dasselbe erzählen?«

»Ich weiß verdammt noch mal nicht, wovon Sie reden.«

»Und warum sind Sie dann hier? Schauen Sie mal auf ein Bier vorbei? Vielleicht auch auf ein paar Pflaster?«

»Warum sind Sie in meiner Hütte gewesen?«

»Ich mußte da was recherchieren. Wollte versuchen, einige geschäftliche Verluste wieder wettzumachen.«

»Warum kommen Sie dann nicht heute nacht wieder? Diesmal werde ich mit Sicherheit da sein.«

»Wissen Sie was, ich fühle mich hier langsam unwillkommen. In der Tat, ich würde sagen, die Atmosphäre hier wird nachgerade feindselig.«

»Dann haben Sie noch nichts wirklich Feindseliges erlebt, das können Sie mir glauben.«

Er lächelte. »Wenn ihr nur wüßtet. Mein Gott, ihr Leute glaubt wirklich, daß ihr damit durchkommt. Das ist ja wirklich lustig.«

»Ich habe heute einen Ihrer Partner gesehen«, sagte ich. »Zwei Kugeln im Rücken. Das sind dann wohl Sie gewesen? Ganz schön feige, finden Sie nicht selbst?«

Sein Lächeln verschwand. »Sie stehen im Begriff, Ihr eigenes Leben zu beenden, mein Freund.«

Ich äffte seinen Akzent nach: »Mein eigenes Leben beenden? Wie kommt es überhaupt, daß ihr Kanadier so komisch sprecht?«

»Alex«, sagte Bennett. »Um Himmels willen …«

»Ich werde mich wieder bei Ihnen melden«, sagte der Mann, während er aufstand. »Bald.« Er umkreiste mich, ohne mir jemals den Rücken zuzuwenden. Sein Bruder stand ebenfalls auf und ging als erster durch die Tür. Dann ging mein neuer Freund langsam rückwärts durch die Tür und winkte mir fast unmerklich zu.

Sobald die Tür zufiel, ging ich ans Fenster.

»Alex, was machen Sie da? Gehen Sie da weg!«

Ich beachtete ihn nicht. Ich sah zu, wie die Männer in einen schwarzen Audi stiegen. Es war nicht der Wagen aus Leons Video und auch nicht dasselbe Kennzeichen, aber auch dieses Nummernschild kam aus Ontario.

Ich ging zurück zur Theke. »Geben Sie mir einen Stift«, sagte ich und griff nach einer Serviette.

»Was?«

»Sie können die Hände jetzt vom Tresen nehmen. Er ist weg. Geben Sie mir einen Stift.«

Endlich löste er sich aus seiner Erstarrung, stieß sich förmlich von der Theke ab und fand einen Stift für mich. Ich schrieb die Autonummer auf eine Cocktailserviette. Bennett lehnte über dem Becken in der Theke, als müsse er sich übergeben.

Als Margaret mit einem Tablett voll Essen aus der Küche kam, blieb sie wie angewurzelt stehen. »Was geht hier vor sich? Was ist los? Alex, was zum Teufel ist mit Ihrem Gesicht passiert?«

Bennett schüttelte den Kopf. Ham blieb am Tisch sitzen und starrte auf die Tür.

»Sie können mir jetzt das Bier zapfen«, sagte ich. »Und dann fangen Sie mal an zu reden.«

Er griff nach einem Becher, betätigte den Zapfhahn und knallte dann den Becher vor mir auf den Tisch. Schaum floß über die ganze Theke.

Als Ham endlich aufstand und zum Tresen kam, bat ihn Bennett, sich um alles zu kümmern.

»Erzählt mir vielleicht jemand, was hier los ist?« sagte Margaret.

»Ich erzähl’s dir später«, sagte Bennett. »Ich brauche erst mal frische Luft.«

Ich war so schnell hinter ihm, daß die Tür keine Chance bekam, sich zu schließen. »Wer war dieser Mann?« fragte ich. »Wie heißt er?«

»Ich kenne seinen Namen nicht.«

»Und ob Sie den kennen. Er war einer von den drei Männern, die Sie benutzt haben, um Vargas auszunehmen.«

Er blieb mitten auf dem Parkplatz stehen. Er wandte sich zu mir um. Er stand so dicht vor mir, daß er mit den gut fünfzehn Zentimetern, die er größer war als ich, auf mich herabsehen mußte. Er sagte kein Wort.

»Fangen Sie ruhig mit Ihren Erklärungen an«, sagte ich.

Er schüttelte den Kopf.

»Ich sehe sowieso schon erbärmlich aus, Bennett. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Entweder Sie erzählen mir jetzt was, oder wir tragen die Sache anders aus.«

Er seufzte tief und müde. »Kommen Sie mit.«

Ich ging hinter ihm her um den Parkplatz herum zum Fluß. Ich sah das Dock, an dem ich Vargas nach unserem kleinen Arbeitsessen zurückgelassen hatte. Am Ufer stand ein Picknicktisch. Bennett setzte sich, und ich tat dasselbe, ihm direkt gegenüber. Zwei Boote fuhren vorbei. Die Sonne würde bald untergehen. Es war ein weiterer gottverdammt schöner Sonnenuntergang, aber wie verbrachte ich ihn!

»Wie haben Sie es herausgefunden?« fragte er.

»Überhaupt nicht. Wenigstens zunächst nicht. Das war ja das Problem. Ich hätte mir viel Ärger erspart, wenn ich eine Weile nachgedacht hätte.«

»Versteh ich nicht.«

»Ich habe gedacht, das Ganze ist eine Falle. Es muß eine Falle sein. Der Einsatz Ihres Wagens, die Unterbringung der Indizien, erst bei Gill und dann bei Jackie …«

»Wo haben Sie das her?«

»Ich habe das Video gesehen. Leon hat es mir gezeigt.«

»Ja, das Video. Das hat der Polizei bestimmt gefallen. Ich nehme an, Vargas hat es ihnen gegeben. Wenn das kein Glückstreffer ist – irgendein Arsch filmt das Ganze …«

»Genau das ist der Punkt«, sagte ich. »Dieser Glückstreffer. Wer hätte darauf kommen können?«

»Was meinen Sie?«

»Sie konnten nicht wissen, daß das passiert. Keiner konnte das.«

»Ich verstehe noch immer nicht.«

»Die Falle«, sagte ich. »Sie funktioniert einfach nicht. Wenn jemand Sie alle drei reinlegen wollte, warum nimmt er dann Ihren Wagen und bringt ihn wieder hierher? Für Sie ist das keine Falle. Ohne das Video wären Sie durch nichts mit der Sache verknüpft. Nur Jackie und Gill.«

Er dachte einen Moment darüber nach. »Okay.« sagte er. »Okay, ich verstehe, was Sie meinen.«

»Was hatten Sie vor? Ein anonymer Tip übers Telefon? Der Polizei erzählen, bei Jackie und Gill seien Teile der Beute?«

»Wovon reden Sie?«

»Sie sacken das Geld ein. Und Jackie und Gill kassieren die Strafe.«

»Alex, Sie haben das völlig falsch verstanden. Nicht deshalb haben wir das gemacht.«

»Wer ist wir, Bennett? Wer hat damit zu tun gehabt? Erzählen Sie mir erst mal, wer der dritte Gangster war. War das nicht der andere vorhin in der Kneipe?«

»Nein, es war mein Sohn.«

»Ihr Sohn ist gottverdammte einsfünfundneunzig groß. Er war an dem Abend nicht dabei.

»Ich habe mehr als einen Sohn.«

Das ließ mich einen Moment innehalten. »Das wußte ich nicht. Ich habe ihn nie gesehen.«

»Mein Ältester, Sean, er wohnt unten in Cleveland. Er ist für die Tat hierher gekommen.«

»Und der dritte war der Typ, den man tot aufgefunden hat, Danny Cox heißt er?«

»Ja, das ist er. Er war ein alter Freund von Sean, von der High School her. Sie waren damals immer zusammen. Danny war damals ein richtiger Rüpel, geriet ständig in Schwierigkeiten, und Sean war des öfteren dabei. Schließlich sind sie sogar für eine Nacht im Gefängnis gelandet. Beide hatten schwer einen im Kahn und haben eine Spritztour unternommen. Die Polizei hat sie mit fast hundertachtzig auf der I-75 geblitzt. Danach haben sie angehalten, um mitten auf die Straße zu pissen. Sonst hätte der Streifenwagen sie nicht mal eingeholt. Nun gut, Sean ist zu diesem Danny gegangen und hat ihn gefragt, ob er an einer kleinen Sache interessiert sei …«

»An einer kleinen Sache?«

»Ja.«

»Als der Typ seine Pistole an meinen Schädel gepreßt hat, war das eine kleine Sache?«

»Nun ja, Danny kannte den anderen Typen, drüben in Kanada, der Pistolen besorgen konnte und sich in solchen Sachen auskannte. Ich hatte so meine Bedenken, aber Danny hat zu mir gesagt, alles liefe problemloser ab, wenn ein echter Profi mitmacht.«

»Sie haben einen echten Profi dazu geholt. Das wird ja mit jeder Minute schöner.«

»Dieser Typ, soweit ich weiß, nennen sie ihn Blondie. Offensichtlich ist er ein schwererer Junge, als Danny geahnt hat.«

»Da könnten Sie recht haben, wenn man bedenkt, daß Danny jetzt mit zwei Einschüssen in der Gerichtsmedizin liegt.«

Bennett wandte sich um und sah auf den Fluß. Die Sonne ging noch immer unter und tauchte alles in strahlendes Orange.

»Alex, die ganze Sache sollte nicht so laufen.«

»Wissen Sie was, mir ist gerade was eingefallen, was Vargas gesagt hat. Er hat gesagt, der Tritt, den Sie in die Rippen bekommen haben, war reine Show. Er hatte recht, stimmt’s? Das gehörte zum Drehbuch.«

»Sollte es jedenfalls sein«, sagte er und rieb sich die Seite. »Danny hat sich da etwas hinreißen lassen.«

»Dann waren Danny und Blondie die Leute unten. Ihr Sohn Sean war dann der Typ, der den Safe ausgeräumt hat?«

»Ja.«

»Und Sean war es auch, der das Zeug an Gill und Jackie geliefert hat – höchstpersönlich, nachdem er die beiden anderen rausgelassen hat.«

»Ja.«

»Dann sagen Sie mir mal, wieviel Sie gekriegt haben? Jeder scheint da eine andere Zahl im Kopf zu haben.«

Er sah mir in die Augen. »Nichts, Alex. Sean hat nichts gekriegt.«

»Haben sie nun das Geld aus dem Safe genommen oder nicht?«

Er hob die Arme. »Nun gut, sehen Sie. Ich erzähle Ihnen jetzt, was passiert ist. Sean ist hierher gekommen und hat die Sache mit Danny und dem anderen Typen durchgezogen. Natürlich muß man Danny bezahlen, und natürlich muß man auch diesen Typen Blondie bezahlen. Die Sache ist nun die, als sie hierhin zurückkamen und das Geld teilen wollten, waren dreißigtausend Dollar in der Tüte. Scheiß-Vargas, ich hätte das wissen müssen. All sein großes Gerede, wieviel Beziehungen er habe und welche Summen in seinem Safe sind. Dreißig lausige Tausender, das sind gerade zehn für jeden.«

»Nicht gerade der Coup des Lebens.«

»Nein, und ich bin sicher, dieser Blondie war da nicht allzu glücklich mit. Ich nehme an, Sean hat ihnen gesagt, jeder soll sich noch die Hälfte von seinem nehmen, weil er wußte, daß es nicht das war, was sie erwartet hatten. So haben jetzt beide fünfzehn. Immer noch nicht viel. Aber was soll man machen?«

»Bennett …«

»Dieser Blondie denkt nun seit drei, vier Tagen darüber nach, Alex. Er hat das Gefühl, daß er einen Riesenfehler gemacht hat, mit Amateuren zu arbeiten, und er will das nie mehr wieder tun, stimmt’s? Dann nimmt er sich ’ne Zeitung und sieht, wie ich und Jackie und Gill in den Knast wandern, und er denkt sich, ach du heiliger Arsch, was haben die mich reingelegt. Wenn wir alle drei nämlich mit dringesteckt haben, und so sieht’s momentan aus, wie ich zugeben muß, macht es doch nur Sinn, daß wir auch alle am Geld beteiligt sind.«

»Bennett, warten …«

»Und Sie auch.«

»Ich.«

»Sie haben gehört, was er gesagt hat. Er glaubt, Sie müssen der Boß gewesen sein.«

»Und was bringt ihn auf die Idee?«

»Die Tatsache, daß er ein Profi ist, Alex. Und die Tatsache, daß er eine Liste mit allen hatte, die an dem Abend anwesend sein sollten, und daß Sie nicht auf dieser Liste standen. Da denkt er sich, wenn man Sie in letzter Minute noch geholt hat, muß das Gründe gehabt haben. Also recherchiert er und findet einiges raus. Daß Sie früher Polizist gewesen sind und danach Privatdetektiv. Und, wie es aussieht, noch einiges anderes. Was genau, hat er nicht gesagt. Aber es klang so, als wären Sie eine bekannte Größe.«

»Sie wirkten überrascht, als Sie mich neulich mit Jackie hereinspazieren sahen.«

»Ja, und das war ich auch. Aber zu dem Zeitpunkt war es schon zu spät.«

»Und jetzt denkt der Profi aus Kanada, jeder hat einen Batzen Geld und ihn hat man übers Ohr gehauen. Und natürlich bin ich der geniale Kopf hinter alledem.«

»Er muß sich überlegt haben, daß Sean das meiste versteckt hält. Sie erinnern sich, sie hatten diese großen Plastiksäcke. Da kann man viel Geld drin verstecken. Ich meine, das ist es, was er denkt. Also will er jetzt den Rest des Geldes. Und zwar alles. Das heißt, was er für alles hält. Ich weiß nicht, was ich machen soll, Alex.«

»Gehen Sie zur Polizei. Erzählen Sie da alles, was passiert ist.«

»Und was wird dann aus meinem Sohn?«

»Darüber hätten Sie vorher nachdenken sollen.«

»Also wandert er ins Gefängnis. Und ich wandere ins Gefängnis. Und Blondie glaubt immer noch, wir hätten ihn übers Ohr gehauen. Was passiert dann, Alex? Was passiert dann mit meiner Frau?«

»Scheiße, Bennett.« Das ganze Adrenalin, das durch meine Adern schoß, war plötzlich weg. Ich war müde und zerschlagen, mußte dringend was essen und ein oder zwei Bier trinken und mich ein wenig hinlegen. Wenn ich dann wach würde, war das alles vielleicht nur ein böser Traum.

»Sie müssen mir helfen, Alex.« Er sah vor mich auf den Tisch.

»Glauben Sie das?«

»Sie müssen.«

»Sie haben Ihren Sohn benutzt, um ihn auszunehmen. Und Sie haben es Ihren besten Freunden in die Schuhe geschoben. Wieso sollte ich Ihnen jetzt helfen?«

»Es ging hier nicht um Geld, Alex. Nicht, was mich angeht.«

»Wovon reden Sie?«

Er holte tief Luft und sah mir in die Augen. »Sean steckte in Schwierigkeiten. Er hatte Schulden, wissen Sie. Diese Männer, denen er da unten in Cleveland das Geld schuldete … sie hatten ihn in der Hand. Ich wollte ihm aus der Klemme helfen. Ist das so schwer zu glauben? Ich wollte meinem Sohn helfen.«

»Und da haben Sie ihm gesagt, komm doch vorbei und raube das Haus aus. Mit gezogener Pistole. Während wir alle da waren.«

»Nein, das war eher seine Idee. Ich habe ihm nur gesagt, ich kenne diesen Typen mit etwas Geld im Safe. Ein richtiger Arsch, den ich regelrecht hasse – jemand, der ohnehin einen Überfall verdiente. Zum Teufel, vielleicht zog er dann ja nach Bay Harbor zurück und vergaß seine Baupläne hier.«

»Und da sagt er Ihnen, Sie sollen dafür sorgen, daß wir auch alle da sind, wenn es passiert.«

»Ja, er hat gesagt, so würde es besser klappen. Wenn Vargas allein wäre, würde er glauben, einer von uns steckt dahinter. Wenn wir alle da sind, sieht das mehr nach Zufall aus.«

»Denn wer würde schließlich so blöd oder so verrückt sein, das durchzuziehen, während wir im Hause sind …«

»Ja, so in etwa.«

Ich saß da und dachte darüber nach. Glaubwürdiger wurde es nicht.

»Es waren keine Patronen in den Pistolen«, sagte er. »Haben Sie das gewußt? Zumindest sollten keine drin sein. Andererseits könnte ich wetten, daß Blondies Waffe geladen war.«

»Das ist ja noch dümmer. Was, wenn Vargas bewaffnet war? Er hätte Ihren Sohn mit der Waffe bedrohen können.«

»Ich glaube, auch deshalb sollte ich da sein und sicherstellen, daß alles richtig abläuft.«

»Nun gut, kommen wir zu der Sache mit dem Zeug, das sie an Gill und Jackie verteilt haben.«

»Das war Teil der Abmachung.«

»Welcher Abmachung?«

»Die mit meinem Sohn. Ich habe ihm gesagt, nimm du dir das Geld und hilf dir damit aus der Bredouille, aber einen Gefallen mußt du mir tun. Nimm das Zeug da und gib es meinen Freunden.«

»Das ist doch jetzt wohl ein Witz, oder?«

»Sie haben die Sachen doch da oben gesehen, Alex. Er dürfte sie nicht haben. Sie gehören ihm nicht.«

»Und deshalb haben Sie Ihrem Sohn gesagt, er soll sie nehmen.«

»Ja.«

»Und sie dann Gill und Jackie geben. So wie Robin Hood.«

»Ja, so in etwa.«

»Gill hat mir gesagt, diese Objekte seien wertlos. Haben Sie das gewußt?«

»Nein, habe ich nicht. Teufel auch, was kann ich dazu sagen? Sie wirkten so, als wären sie wichtig – Sie wissen doch, mit den ganzen indianischen Einkerbungen drauf …

»Und dieser dämliche Becher, bloß weil da die Flagge der Königlichen Marine drauf war …«

»Der Becher hat Jackie etwas bedeutet«, sagte er. »Soviel weiß ich. Und Sie müßten das auch wissen.«

Ich hob die Arme.

»Sein Vater, Alex. Sie wissen das mit seinem Vater.«

»Nein, weiß ich nicht.«

»Hat er Ihnen nie die Geschichte erzählt?«

»Nein.«

»Das kann ich nicht glauben.«

»Dann erzählen Sie sie mir.«

»Okay.« Er holte tief Luft und begann seine Geschichte. »Jackies Vater hieß Elias Connery. Kurzform Eli. Um 1939 ist er rübergekommen, kurz vor dem Krieg. Er war Matrose auf einem Erzfrachter. Sie wissen doch, daß die Schiffe, wenn sie durch die Schleusen durch sind, manchmal noch eine Weile in der Whitefish Bay liegen, bis das Wetter besser wird. Damals gab es noch all die kleinen Boote, die zu den Frachtern fuhren und die Männer an Land in die Kneipen holten. Die Küstenwache raste dann überall rum und wollte sie wieder einsammeln und auf die Schiffe zurückbringen. Wie dem auch sei, der junge Eli ist zusammen mit einer ganzen Schar weiterer Jungs auch so an Land gekommen und irgendwann hier in O’Dells Kneipe gelandet. Hier hat er auch Jackies Mutter kennengelernt. Sie war hier Kellnerin. Genaugenommen ist Jackie hier auch gezeugt worden, ein Stück die Straße runter in ihrem Haus.

»Ich denke, er ist in Glasgow geboren.«

»Ist er auch. Elis Mutter hat den Brief gefunden, den sie ihm geschrieben hatte, und ließ sie rüberkommen. Ich nehme an, sie hielt das noch für sicher, solange sie die Überfahrt auf einem amerikanischen Schiff machte, da die ja noch nicht im Krieg waren. Eli hatte sich da schon zur Royal Navy gemeldet. Er diente auf einer Corvette, die in Scapa Flow stationiert war.«

»Das war das Wappen auf dem Becher.«

»Allerdings, und deshalb wußte ich auch, daß er ihn haben wollte. Besonders wo Eli direkt hier im See untergegangen ist.«

»Wie meinen Sie das?«

»Alex, hat Ihnen Jackie nie irgendwas von alledem erzählt?«

»Nein, Bennett, hat er nicht.«

»Als Jackie zwölf war, sind sie alle hier nach Michigan zurückgekommen. Nach dem Krieg gab es hier jede Menge Jobs, besonders für erfahrene Seeleute. Viele Männer aus Schottland kamen rüber, um als Skipper auf den Schleppern zu arbeiten. Das hat auch Eli gemacht. Er war ein richtiges Original, Alex. Er hat viel Zeit hier in der Kneipe verbracht. Ich weiß noch, wie er gesagt hat, der See hier wäre gefährlicher als jeder Ozean. An einigen Stellen wäre er genau so tief und an anderen flach und voller gezackter Felsen, die nur darauf warteten, ein Schiff zu zerreißen. Jedenfalls habe ich damals Jackie kennengelernt. Gleich in der ersten Woche, wo er hier war, haben wir uns geprügelt. Danach waren wir die dicksten Freunde. Jetzt schon fünfzig Jahre. Er war Trauzeuge auf meiner Hochzeit. Wußten Sie das?«

»Doch, so viel habe ich gewußt.«

»Er war in meine Margaret verliebt. Hat er Ihnen das auch erzählt?«

»Kann sein, daß er es mal angedeutet hat. Aber erzählen Sie mir von seinem Vater. Sie haben gesagt, er ist im See untergegangen.«

»Ja, 1965. Das letzte, was man von ihm gehört hat, war, daß sein Schiff draußen beim Devil’s Chair war. Man hat es nie gefunden, Alex. Nicht die geringste Spur.«

»Nun warten Sie mal. Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß der Becher Jackies Vater gehört hat.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß damals viele Männer aus Schottland hier am See waren. Der Becher könnte jedem von ihnen gehört haben. Er könnte, verdammt noch mal, auch Jakkies Vater gehört haben. Ich weiß es nicht. Es spielt auch keine Rolle, Alex. Wie es sich auch verhält, ich wollte, daß Jackie ihn bekam.«

»Haben Sie jemals daran gedacht, Vargas darum zu bitten?«

»Einmal habe ich es erwähnt. Er hat kein Wort dazu gesagt. Er hat mir seine Antwort mit einem Zucken der Augenbraue an seinem riesigen fetten kahlen Schädel gegeben. Er hat sich nicht mal die Mühe gegeben, den Mund aufzumachen und ›Nein‹ zu sagen. Um so mehr Grund, ihm den Becher abzunehmen.«

»Klar, der hatte es wirklich verdient.«

»Das stimmt, das hat er. Die ganze Zeit hier rumzutönen, was für ein As er ist und wie er hier alles mit riesigen Häusern vollknallt. Und das ganze Geld, das er in seinem Safe versteckt hat. Was dann gar nicht der Fall ist, wie sich rausstellt. Scheiß drauf, Alex. Das sage ich dazu. Er hat alles, was da passiert ist, verdient.«

»Und Jackie und Gill haben verdient, daß sie verhaftet worden sind. Und der alte Freund von Ihrem Sohn hat es verdient, daß er umgebracht worden ist.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß das nicht vorgesehen war. Scheiße, da ist alles schiefgelaufen, von Anfang bis Ende. Ich habe Ihnen gesagt, daß Sean sogar auf seinen Anteil verzichtet hat, bloß damit sich Blondies Laune bessert. Er hat nix davon gehabt, Alex, bloß in die Röhre geguckt.«

»Ich kann das alles nicht mehr hören«, sagte ich und stand auf. »Ich muß hier weg, bevor ich Ihren blöden Arsch in den Fluß trete.«

»Alex, Sie müssen mir helfen.«

»Ich habe Ihnen doch schon geholfen. Sie haben mich wie einen Idioten durch die Gegend laufen lassen, um zu beweisen, daß Sie unschuldig sind.«

»Es tut mir leid, okay? Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Aber jetzt brauche ich Sie wirklich. Der Typ kommt zurück, Alex. Er denkt, wir stecken alle mit drin. Sie eingeschlossen. Sie haben doch gehört, was er gesagt hat.«

»Sie gehen jetzt zur Polizei, Bennett. Und dann helfe ich Ihnen.«

»Sie wissen genau, daß ich das nicht tun kann.«

»Dann sind Sie allein auf sich gestellt. Sie haben Ihren Deal mit dem Teufel gemacht. Damit müssen Sie jetzt leben.«

»Ich muß ihn umbringen, Alex. Das ist der einzige Weg. Wenn dieser Blondie zurückkommt, muß ich ihn umbringen.«

Ich stand da und sah ihn im Dämmerlicht an. Vom Fluß her wehte eine kalte Abendbrise.

»Immer, wenn ich denke, blöder können Sie nicht mehr werden, Bennett …«

»Alex, bitte. Ich flehe Sie an.«

»Gute Nacht«, sagte ich. Und ging.

Vignette