Kapitel 19

Ich war gerade aus Paradise heraus, als ich zum Handy griff und O’Dells Nummer wählte. Margaret ging dran.

»Margaret«, sagte ich. »Ist Bennett da? Hier ist Alex.«

»Nein!« sagte sie. Bei dem Lärm einer Samstagabend-Klientel in der Kneipe konnte ich sie kaum verstehen. »Ich bin völlig alleine hier!«

»Wissen Sie, wohin sie gegangen sind?«

»Was?«

»Ich habe gefragt, ob Sie wissen, wo sie hin sind.«

Ich hörte, wie sie mit jemandem schrie, dann war sie wieder am Apparat. »Nein, er ist seit zwei Stunden weg, Alex! Ham hat er mitgenommen! Ich habe dreißig Gäste hier!«

»Was ist mit Jackie? Oder Gill? Wissen Sie, ob sie bei ihm sind?«

»Er hat telefoniert, bevor er gegangen ist. Ich denke, das war Jackie, ja. Und mit noch jemandem. Das könnte Gill gewesen sein, ich weiß es nicht.«

»Sie haben keine Ahnung, wo sie hin sind?«

Sie rief jemandem zu, sich nicht in die Hosen zu machen, und ob sie nicht sehen könnten, daß sie telefoniere. »Ich habe keine Ahnung, Alex. Aber wenn Sie ihn finden, sagen Sie ihm, er soll seinen Arsch auf der Stelle hierhin bewegen.«

»Als er telefoniert hat, hat er da was notiert? So was wie eine Adresse oder eine Wegbeschreibung?«

»Moment … lassen Sie mich sehen. Doch, wissen Sie, ich glaube, er hat was auf den Block geschrieben, der bei uns neben dem Telefon liegt. Aber er muß den Zettel mitgenommen haben.«

Mir kam eine Idee. »Margaret«, sagte ich, »haben Sie einen Bleistift zur Hand?«

»Alex, hat das nicht Zeit? Ich habe hier Gäste an der Theke.«

»Es dauert nur eine Sekunde. Es könnte sehr wichtig sein.«

»Ein Bleistift, ein Bleistift. Ja, hier ist einer.«

»Okay, nehmen Sie den Block und reiben Sie leicht übers Papier. Als wollten Sie es schraffieren. Wissen Sie, was ich meine?«

»Ich denke schon. Sie meinen doch so wie im Fernsehen, wenn sie sehen wollen, was jemand auf einen Block geschrieben hat?«

»Ja, genau so.«

»Ich versuch’s mal. Meinen Sie wirklich, daß das klappt?«

»Warum nicht?«

»Ich krieg tatsächlich was, Alex. Da steht … mal schauen … da steht ›Elf‹.«

»Okay, schön. Was noch?«

»Warten Sie.« Wieder schrie sie jemandem zu, ja, natürlich spiele sie mit einem Bleistift, statt ihm ein Bier zu zapfen, und wenn ihm das nicht passe, könne er seins gern woanders trinken. »Tut mir leid, Alex. Einige Leute haben einfach keine Geduld. Mal sehen, was hier noch steht … Da steht ›W‹, und das da sieht wie … P-I-E und noch was. Das kann ich nicht lesen.«

»Vielleicht ›West Pier‹?«

»Klar, Elf West Pier, ich glaube, das ist es. Das klappt ja tatsächlich.«

»Leon wäre stolz.«

»Was meinen Sie?«

»Ist egal. Ich werde jetzt Bennett finden und ihn nach Hause schicken.«

»Ich wünschte, Sie täten das, Alex. Ich muß Ihnen sagen, ich mache mir etwas Sorgen. Bennett hat mir kein Wort von dem gesagt, was hier vor sich geht, trotzdem weiß ich, daß es üble Dinge sind.«

Ich legte auf und warf das Telefon auf den Beifahrersitz, direkt neben meine Pistole.

Als ich mich dem Soo näherte, dachte ich über die Adresse nach, die Margaret mir genannt hatte. Ich wußte, daß der West Pier im Westen der Stadt lag, eigentlich nicht weit von O’Dells Kneipe. Da waren sie in diesem Moment, dachte ich, und machten Gott weiß was, was irgendwie mit Blondie zu tun hatte. Da gab es keinen Zweifel.

Ich hatte die Highways genommen, weil ich mir dachte, das ginge schneller, wenn ich richtig flöge. Unmittelbar vor der Internationalen Brücke fuhr ich von der I-75 ab, nahm die Ashmun Street in die Stadt, über den Kanal des Elektrizitätswerks, direkt unter Leons dunklem Fenster her. Auf der Portage Street ging es nach Westen, dann bog ich in die ungepflasterte Straße ab, die unter der Brücke her führte. Als ich an dem alten Drive-in-Restaurant vorbeibretterte, werden die sich gewundert haben, wohin ich wohl so schnell fuhr, aber ich hielt nicht an, um es zu erklären.

Ich verlangsamte die Fahrt an der Kreuzung mit der Eisenbahn. Ich rollte an einigen aufgegebenen Lagerhäusern vorbei und an einem stillen unbewohnten alten Haus. Zahlen sah ich keine. Wie zum Teufel sollte ich da Nummer elf finden?

Einige Wagen parkten an der Straße. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer hier in der Dunkelheit etwas verloren hatte. Ich sah mich nach Bennetts Explorer um, bis mir einfiel, daß er nicht hier sein konnte. Er war noch von der Polizei konfisziert. Statt dessen achtete ich auf Jackies Lincoln. Ich sah ihn nirgends.

Ich hielt an, als die Pflasterung allmählich aufhörte. Hinter diesem Punkt sah ich alte Eisenbahngleise, die etwa vierhundert Meter weit zum Pier selbst führten. Irgendwann hatte man dort die Schiffsfracht direkt auf die Eisenbahn umgeladen, aber das waren ferne Erinnerungen. Jetzt gab es hier nichts weiter als ein paar Ziegelbauten, rostige Schienen, mannshohes Unkraut und den feuchten Dunst des St. Marys River. Was auch immer Bennett vorhaben mochte, er hatte sich einen verdammt scheußlichen Ort dafür ausgesucht.

Ich nahm die Pistole aus dem Laster mit und ging zum nächsten Gebäude hinüber. Die Eingangstür zeigte eine »15« auf dem Glas. Ansonsten war dort eine dicke Staubschicht und nichts als totale Finsternis dahinter. Der Tür fehlte nur noch ein riesiges Spinnennetz, aber offensichtlich hatten sogar die Spinnen diese Gegend verlassen.

Ich ging weiter zum nächsten Gebäude. Dessen Eingangstür war aus massivem Holz und zeigte eine mit weißer Kreide gekratzte »13«. Der nächste Bau in dieser Richtung mußte dann wohl Nr. 11 sein.

Es war ein zweistöckiger Bau mit Metalldach. Hier mochten einst riesige Warenmengen vom Fluß her gelagert haben, als das Gebäude noch in Betrieb war. Wenn man genug Geld hätte, könnte man durchaus etwas daraus machen – man könnte es beispielsweise zu einem Restaurant oder einer Kneipe umbauen. Bislang war niemand auf die Idee gekommen. Ich rüttelte an der Tür. Sie war verschlossen.

Ein schmaler Gang lief an der einen Seite des Baus entlang, ein breiterer an der anderen – breit genug, um darauf einen Wagen hinters Gebäude zu fahren. Ich nahm den breiteren Weg und kam an einigen dunklen Fenstern vorbei, die alle aus diesem dicken Glas bestanden, das man in alten Fabriken und anderen Orten findet, bei denen man froh ist, sie niemals von innen betrachten zu müssen. Der Boden war eingefurcht und von Unkraut überwuchert. Hunderte kleiner Pfützen reflektierten das Licht des halbvollen Mondes.

Als ich zur Rückseite des Gebäudes kam, sah ich eine alte hölzerne Laderampe und den Auflieger eines Sattelschleppers, der so wirkte, als stünde er schon dreißig Jahre dort, und alles schimmerte im Mondlicht wie eine Szene aus einem Schwarzweißfilm. Ich bring dich um, Bennett, sagte ich zu mir. Wenn du nicht schon tot bist.

Ich stieg über einige Zementstufen auf die Laderampe. Es gab zwei große Rolltore, die ich gar nicht erst probieren wollte. Daneben war eine normale Metalltür. Ich stand einen Moment lang da und überlegte, wie ich die Sache angehen sollte. Ich hätte Bennetts Namen brüllen können, aber ich wollte niemanden erschrecken, falls sie gerade mitten in einer Sache drin waren.

Also, dachte ich, geh leise rein. Wenn du gewahr wirst, daß drinnen etwas vor sich geht, dann tu, was du zu tun hast. Wenn du nichts siehst, kannst du immer noch ein paar Namen rufen.

Die Tür stand einen Spalt offen. Es gab ein fürchterliches metallisches Kreischen, als ich sie aufstieß.

Drinnen war es dunkel.

Okay, es war an der Zeit, Laut zu geben. »Bennett!«

Die Explosion eines Schusses zerriß alles. Ich fiel zu Boden. Dann war plötzlich alles nur noch Lärm und Schmerz und Angst, als eine weitere Explosion die Wand hinter mir zu treffen schien, dann noch eine. Dann fiel eine schwere Last auf meinen Rücken, und ich dachte, das ist es. Ich bin auf der Stelle tot.

»Ich bin es!« schrie ich. »Hier ist Alex!«

Es wurde still, zumindest gab es keine weiteren Schüsse mehr. Mit den Resonanzen in meinen Ohren konnte ich meinen, daß es für mich nie wieder wahre Stille geben würde. Die Last auf meinem Rücken preßte mich zu Boden.

Endlich eine Stimme: »Alex? Bist du das?«

»Ja!«

»Alles in Ordnung?«

»Holt mich hier raus!«

Ich hörte Schritte, und dann wurde das Gewicht von meinem Rücken gehoben, was zum Teufel es auch sein mochte. Starke Arme packten mich an den Schultern und zogen mich in eine Sitzposition. »Alex, mein Gott«, sagte jemand.

Ein Licht erstrahlte und blendete mich. »Oh Scheiße. Seht ihn euch mal an!«

»Sagt mir vielleicht einer mal, was hier verdammt noch mal vor sich geht?« sagte ich. »Ihr hättet mir fast den Schädel weggepustet.«

Das Licht blendete mich immer noch.

»Und könntet ihr mal den dämlichen Scheinwerfer von meinem Gesicht nehmen?«

Als ich wieder etwas erkennen konnte, sah ich, daß Bennett die Stablampe hielt. Die andere Hand umklammerte den langen Schaft einer Jagdrifle. Ham stand neben ihm, mit einer weiteren Stablampe und einer weiteren Rifle. Jackie und Gill flankierten sie, jeder mit einer weiteren Rifle. Jackies kannte ich, eine alte Winchester mit Spezialabzug, die bei ihm immer rumgelegen hatte. Sie war seit Jahren nicht mehr abgefeuert worden.

Ich rang nach Luft. »Nun redet schon«, sagte ich.

»Die Tür ist auf Sie draufgefallen«, sagte Bennett.

»Was wollt ihr hier?«

»Wir haben sie aus den Angeln geschossen. Sie wiegt bestimmt nen Zentner.«

»Was wollt ihr hier?«

»Ham, heb ihn vom Boden auf.« Sein Sohn versuchte mich aufzurichten. Ich stieß ihn beiseite und stand ohne Hilfe auf.

»Wie haben Sie uns gefunden?« fragte Bennett.

»Ganz einfach, ich bin den idiotischen Spuren gefolgt. Erzählt ihr mir jetzt vielleicht einmal, was hier vor sich geht?«

»Wir wollten hier an sich Blondie treffen. Er hätte schon vor einer Stunde hier sein müssen.«

»Und ihr habt hier mit euren Scheißjagdgewehren gesessen? Habt drauf gewartet, ihn abzuknallen? Guckt euch doch selber mal an!«

»Was hätten wir sonst tun sollen? Er hat das doch alles ausgelöst.«

»Jackie«, sagte ich und sah ihm in die Augen. »Guck dich doch mal an. Und Sie auch, Gill.«

»Du solltest doch gar nicht hier sein«, sagte Jackie. »Das ist nicht dein Problem. Wieso bist du überhaupt hier?«

»Hör mit dem Scheiß auf, okay? Du willst mich da raushalten, seit der ganze Mist angefangen hat. Und ich hoffe nur, du hast diese alte Flinte wenigstens gereinigt, um Himmels willen. Ich bin überrascht, daß sie dir nicht in den Händen explodiert ist.«

»Ich wollte Sie ja anrufen«, sagte Bennett. »Jackie hat dafür gesorgt, daß ich es nicht getan habe. Er macht sich doch nur Sorgen um Sie.«

»Und wieso wollten Sie mich anrufen, Bennett? Damit ich euer Aufgebot an Hilfssheriffs verstärkt hätte? Habt ihr wirklich geglaubt, er fällt darauf rein? Warum habt ihr ihn nicht gleich auf den Schießstand bestellt? Hier, stellen Sie sich doch bitte da hin, da, vor die Zielscheibe? Für wie blöd haltet ihr diesen Typen?«

»Alex, das war seine Idee.«

»Wovon reden Sie?«

»Er hat den Ort ausgesucht«, sagte Bennett. »Er hat mir gesagt, ich soll um neun Uhr hier sein. Das heißt in echt wir beide.«

»Wer, Sie und ich?«

»Das hat er gesagt. Haben Sie auf jeden Fall das Geld dabei. Und Alex.«

»Er hat Sie bloß an der Nase herumgeführt. Auf keinen Fall wäre er in diese Falle gegangen. Er wollte sehen, was Sie tun würden. Zum Teufel, er kann in diesem Moment da draußen sein und uns beobachten.«

Bennett ging durch die leere Türöffnung in die Nacht hinaus. Er stand auf der Laderampe und sah auf den Fluß hinaus. An dieser Stelle war er über drei Kilometer breit. Die Lichter vom Soo Canada brannten in der Ferne. »Glauben Sie wirklich, daß er da draußen ist? Auf einem Boot oder so?«

»Sollte das der Fall sein, habt ihr ihm eine tolle Schau geboten.«

»Scheiße«, sagte er. »Dieser Scheißkerl.«

»Bennett, der Kerl ist ein Profi. Der treibt sein Spiel mit euch. Mit uns allen. Er will das Geld.«

»Es gibt kein Geld. Das habe ich ihm doch gesagt.«

»Er glaubt Ihnen eben nicht.«

»Und was sollen wir jetzt machen?«

»Wo parkt ihr Jungs?«

»Unten an der Brücke ist ein Parkplatz. Jackie hat uns am Gasthaus abgeholt. Warum?«

»Du solltest jetzt alle nach Hause bringen. Margaret kommt um vor Sorgen, ganz abgesehen davon, daß sie für einen Samstagabend zu wenig Personal hat. Ich fahre nach Paradise zurück. Ich habe urplötzlich ein ganz komisches Gefühl.«

»Wieso?« fragte Jackie. »Was stimmt denn nicht?«

»Ich glaube, daß er gar nicht auf dem Fluß ist. Vielleicht hatte er einen ganz anderen Grund, uns hierher zu locken.«

»Du meinst, uns von woanders wegzulocken?«

»Ich hoffe, ich habe Unrecht. Überzeugt euch, daß bei Margaret alles in Ordnung ist. Ich rufe sie übers Handy an. Und Jonathan ebenfalls.«

Gemeinsam gingen wir über den Weg neben dem Gebäude zurück. Die vier Männer sprangen auf die Ladefläche meines Kleinlasters, und ich brachte sie zurück zum Parkplatz an der Portage Street. Beim Fahren schoß es mir durch den Kopf, daß uns zu unserem Glück nur noch eine Polizeikontrolle fehlte. Man würde vier Männer auf der Ladefläche finden, alle mit einem erst kürzlich benutzten Gewehr. Und drei davon waren nur gegen Kaution auf freiem Fuß. Mehr brauchten wir nicht für einen fröhlichen Abend.

Ich setzte sie neben Jackies Wagen ab und fuhr dann nach Osten, Richtung Paradise. Zufällig sah ich mein Gesicht im Rückspiegel. Es starrte vor Schmutz von dem ganzen Scheiß und Dreck auf dem Fußboden des alten Baus, und das zusätzlich zu den Schrammen, die ich ohnehin schon hatte. Ich war auf gar keinen Fall eine Schönheit.

Ich rief Margaret an und war froh, ihre Stimme zu hören, als sie abhob. Ich sagte ihr, Bennett und Ham müßten jede Minute kommen. Dann rief ich Jonathan an.

»Ich bin jetzt auf dem Weg nach draußen. Jackie ist wenige Minuten hinter mir.«

»Wo ist er denn diesmal reingeraten?«

»Frag besser nicht. Hast du den blonden Typen noch mal gesehen? Den, der dir den zerrissenen Hunderter hinterlassen hat?«

»Habe ich nicht, nein.«

»Wenn er auftaucht, ruf mich sofort an. Bis bald.«

Ich legte auf und holte tief Luft. Jeder war komplett, wenigstens jetzt noch. »Was hast du vor, Blondie? Was zum Teufel ist dein Spiel?«

Als ich die Stadt erreichte, bot sich mir der willkommene Anblick des Glasgow Inn. Ich würde reingehen, mein Gesicht auf der Toilette waschen, ein paar kalte Kanadische trinken. Wenn Jackie dann käme, wäre ich fast in der Stimmung, ihm nachzusehen, daß er so ein Esel ist.

Als ich in den Parkplatz einbog, raste ein anderer Pickup an mir vorbei, der unmittelbar hinter mir gefahren sein mußte. Ich öffnete meine Tür, stieg aus, sah die Straße entlang und dann in den Nachthimmel. Über den Wald hinweg sah ich einen riesigen schwarzen Drachen in den Himmel klettern, der die Silberwolken dahinter, die Sterne, den Mond verdeckte.

Rauch.

Der da an mir vorbeigefahren war, gehörte zur Freiwilligen Feuerwehr. Er fuhr nach Norden.

Ich sprang wieder in den Wagen und schleuderte beim Durchstarten Kies auf. Als ich in meine Zufahrtsstraße einbog, erwartete ich, daß die Feuerwehr vor meiner Hütte stände. Das war nicht der Fall.

»Was zum Teufel geht hier vor sich?« sagte ich. Dann war mir alles klar.

Ich fuhr weiter die Straße entlang, bis ans Ende, bis zur letzten Hütte. Hinter der letzten Kurve sah ich den Wagen: Freiwillige Feuerwehr Paradise. Eine leuchtende Wasserfahne hing im Himmel, angestrahlt von den Scheinwerfern des Feuerwehrautos. Sieben oder acht weitere Fahrzeuge standen in der Gegend herum. Einer der Männer wandte sich zu mir um, als ich ausstieg. Er hatte seine Gummistiefel an, seinen Feuerwehrhelm, aber keine Jacke.

Flammen. Überall Flammen, orange, gelb und blau.

»Mr. McKnight«, sagte er.

Ich hörte ihn nicht. Ich ging an ihm vorbei auf die Hütte zu. Ich ging so nahe heran, daß ich die Hitze auf meinem Gesicht spüren konnte.

»Mr. McKnight! Treten Sie zurück!«

Ich fühlte, wie ich zurückgerissen wurde. Ich starrte weiter in die Flammen. Das war meines Vaters Meisterwerk, die beste Sache, die er je gebaut hatte, und die letzte.

Sie verbrannte vor meinen Augen.

Drei Stunden vergingen. Es war lange nach Mitternacht, als die Feuerwehrleute abzogen. Sie wollten keine Glut zurücklassen, nicht mit so viel trockenem Gebüsch in der Umgebung. »Das letzte, was wir wollen, ist ein Waldbrand«, sagte der Mann. »Haben Sie irgendeine Idee, wie das passiert sein kann?«

Ich hatte ihm nichts zu sagen. Ich stand nur da und sah den Männern zu, wie sie die Ruine der Hütte mit feinen Wasserschleiern tränkten, hin und her, hin und her. Das Wasser hatte die Luft gesättigt und schlug sich auf meinem Gesicht nieder, aber ich wischte es nicht ab. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, löste sie dann wieder, um sie erneut zu ballen, wieder und wieder.

»Das ist sehr schnell gegangen, Mr. McKnight. Fassen Sie nichts an, bis der Brandexperte da war.«

»Das werde ich nicht tun«, sagte ich.

»Wir kommen morgen wieder, um sicherzugehen, daß nichts mehr raucht.«

»Okay.«

»Wir haben unser Bestes getan.«

»Das weiß ich. Vielen Dank.«

Als sie gegangen waren, waren nur noch ich und ein Haufen schwarzen Schutts da. Der Kamin stand noch, der Kamin, den mein Vater mit seinen Händen gebaut hatte, Stein für Stein. Er stand nun einsam auf der Lichtung und wirkte seltsam fehl am Platze.

Ich weiß nicht, wie lange ich da gewartet habe oder worauf ich vielleicht gewartet habe. Ich wollte nicht Abschied nehmen. Ich konnte nicht weggehen.

Schließlich ging ich doch. Ich fuhr den Wagen zu meiner Hütte zurück, ging nach drinnen und setzte mich in einen Sessel. Ich starrte auf den Fußboden, bis das Telefon klingelte. Ich sah auf die Uhr. Es war 1.42 Uhr.

»McKnight«, sagte die Stimme.

»Ich bringe Sie um«, sagte ich.

»Seien Sie Ihren Träumen treu, das hält Sie jung.«

»Ich schwöre Ihnen, Blondie, ich werde Sie umbringen.«

»Ja, das hatten wir schon. Habe ich mich jetzt klar ausgedrückt? Laßt ihr Jungs das Zeug nun rüberwachsen oder nicht?«

»Da ist nichts zum Rüberwachsenlassen, Sie dämlicher Scheißer. Ich hatte nichts mit dem Raub zu tun, das zunächst mal. Und selbst wenn ich damit zu tun hätte, im Safe waren Dreißigtausend, und kein Cent mehr.«

»Ich weiß, wer Vargas ist. Und ich weiß, was er so am Laufen hat. Das ist der einzige Grund, warum ich eingestiegen bin. Das ist jetzt wohl die gerechte Strafe dafür, daß ich mich mit Amateuren eingelassen habe, wie? Einmal und nie wieder, was? Daß Seanie seinen Anteil aufgegeben hat, war so was wie ein erster Hinweis, wenn Sie wissen, was ich meine. Er hat ihn aufgegeben, weil er wußte, daß es sehr viel mehr gab. Scheiße, er hätte das Geld sogar am eigenen Körper verstecken können, bei dem Riesensack, den er getragen hat. Hätte er mehr Mumm für haben müssen, als ich ihm zugetraut hätte, aber bitte, warum nicht. Vielleicht hat er es so gemacht. Als Ihre andern drei Freunde verhaftet wurden, da kam sozusagen alles zusammen, klar? Als ich rausgekriegt hatte, wer Sie waren, dieser geheimnisvolle Gast, der eigentlich gar nicht da sein durfte, machte alles plötzlich Sinn. Ich weiß alles über Sie, McKnight. Ich habe gedacht, Sie sind verdammt cool, als ich Ihnen die Pistole gegen den Schädel preßte. Jetzt weiß ich, wieso. Sie haben gewußt, um was es in dieser Nacht ging. Sie haben von Anfang an mit dringesteckt.«

»Sie sind auf dem völlig falschen Dampfer, Blondie. Alles, was Sie gesagt haben, ist totaler Quatsch.«

»Was ich zur Zeit wirklich von Ihnen erwarte, ist, daß Sie endlich was kapieren. Sie sollten kapieren, womit Sie es hier zu tun haben, klar?«

»Ich weiß, was Sie sind, Blondie. Glauben Sie mir, da habe ich viel Bessere gesehen. Eine Hütte abfackeln, mein Gott, das ist doch Hühnerkacke, das ist Ihnen doch wohl klar? Warum kommen Sie nicht rüber und reden mit mir, wenn Sie mir ins Gesicht sehen?«

»Oh, das machen wir noch, McKnight, das machen wir ganz definitiv.«

»Warum nicht heute nacht? Warum nicht jetzt gleich?«

»Geduld, wie? Ihr Amerikaner, immer dasselbe. Was Sie machen müssen, ist das Geld aufbringen und zu O’Dells Kneipe kommen. Ich rufe Sie da morgen früh um acht Uhr an.«

»Es gibt kein Geld, Blondie. So einfach ist das. Wann kapieren Sie das endlich?«

»Ich denke mir, daß Vargas mindestens eine halbe Million in dem Safe hatte, McKnight. Es kann auch mehr gewesen sein. Wenn dem so war, muß ich Ihnen vertrauen, daß Sie auch den Rest rüberwachsen lassen. Ich weiß, Sie sind ein ehrenwerter Mann. Sie sind auch der mit dem kühlen Kopf, deshalb würde ich es zu schätzen wissen, wenn Sie morgen die Verhandlungen auf Ihrer Seite führten. Wir sollten das ganz offen machen. Ich meine wirklich offen, kapiert? Sie sollten ein Boot bereithalten. Ich geben Ihnen die GPS-Koordinaten für eine Position draußen auf dem See. Dort werden wir Sie treffen.«

»Ich werde nicht da sein, Blondie. So läuft das nicht.«

»Ich denke, Sie werden dort sein, McKnight. Ich weiß, Sie sind ein einsamer alter Mann, ohne Familie, ohne irgendwen, der Ihnen wirklich wichtig ist. Außer einem einzigen Menschen vielleicht.«

»Wovon reden Sie?«

»Ich habe hier jemanden, mit dem sollten Sie mal sprechen.«

Es herrschte kurze Zeit Schweigen im Draht, und in diesem fürchterlichen Moment wußte ich, wer es sein würde, bevor er noch ein Wort gesagt hatte. Er hatte die Männer abgesetzt und war allein zurückgefahren. Wenn er es bis nach Hause geschafft hätte, würde er mich inzwischen angerufen haben. Ich war so wenig ich selber, daß mir das nicht aufgefallen war.

»Alex, ich bin es.«

»Jackie. Mein Gott. Jackie …«

»Es tut mir leid, Alex. Es tut mir leid.«

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