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Rotgoldene Löckchen. Von einem tieferen Goldton als
ihr Haar. Sommersprossen, die sich bis dorthin hinunterzogen, bei Jinga …
Saber unterdrückte ein Stöhnen und versuchte, die
Gedanken abzuschütteln, die ihn unbarmherzig plagten. Wenigstens
hatte Evanor ihn allein gelassen, und er hatte sich in seine im
nördlichen Teil des Westflügels gelegene Schlafkammer zurückziehen
können. Doch das Bild hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis
eingebrannt: wohlgeformte, wenn auch momentan noch zu dünne,
überall mit winzigen bräunlichen Flecken übersäte Beine und
Schenkel, die sich bei ihrem Versuch, beim Ankleiden nicht das
Gleichgewicht zu verlieren, leicht geöffnet und den Blick auf
weitere braune Punkte auf dem weichen, weißen Fleisch der
Innenseite freigegeben hatten. Auch ihre sanft geschwungenen Hüften
waren damit gesprenkelt, und unter dem altersgelben Korsett, das
sie getragen hatte, hatten sich erstaunlich volle Brüste
abgezeichnet. Das Verlangen, das bei diesem verführerischen Anblick
in ihm aufgeflammt war, peinigte ihn noch immer. Er wollte sie
packen, sie an sich pressen und zum Herzen dieser rotgoldenen
Löckchen vordringen, wieder und immer wieder …
Aufseufzend legte Saber einen Arm über die Augen
und versuchte ohne Erfolg, die Bilder zu verdrängen, die ihm seine
Fantasie vorgaukelte. Seine andere Hand, die auf seinem Bauch
ruhte, wanderte zu seinen pochenden Lenden hinunter, dann ballte er
sie zur Faust. Es war besser, wenn er diesem Drang nicht nachgab.
Er hatte sich ein paarmal auf diese Weise Erleichterung verschafft,
aber das war kurz nach ihrer Ankunft auf der Insel gewesen, als
sich sein Körper noch nicht an die unfreiwillige Enthaltsamkeit
gewöhnt hatte.
Und nun führte ihn eine Frau aus Fleisch und Blut
in Versuchung …
Erinnerungen begannen ihn heimzusuchen; an ihre
Brüste, die sich gegen seinen Körper gedrückt hatten, als er sie
vor der Makkadadak-Attacke gerettet und die Treppe hinuntergetragen
hatte; an die Art, wie sich ihre Beine um seine Hüften geschlungen
und sie sich an ihn geklammert hatte; wie sie sich bei ihrer ersten
Begegnung in seinem Griff gewunden hatte; an ihre wohlgerundete
Kehrseite, die er in Gedanken von den störenden Kleidern befreite …
die weiche, weiße, gesprenkelte Haut … die Locken zwischen
ihren...
Saber konnte nicht länger an sich halten. Fluchend
ließ er den Arm sinken, schob seine Tunika beiseite und schnürte
seine Hose auf, dann bedeckte er sein Gesicht wieder mit dem linken
Arm und blendete das Tageslicht aus. Rücklings auf dem Bett liegend
malte er sich aus, wie sie mit ihren kleinen, zarten Händen und
Fingern das mit ihm anstellte, wofür seine eigene Hand nur einen
jämmerlichen Ersatz bot. Es kostete ihn keine große Mühe, sich
bildlich vorzustellen, wie er sie nahm, sie sich voller Ekstase
unter ihm wand, wie er den Fluch und seine ominöse Prophezeiung mit
einem Hohnlachen abtat und sein Schwert in die rotblonde Jungfrau
bohrte, immer wieder und wieder, bis …
Es war ein hohles Vergnügen, als er endlich
Erfüllung fand. Er konnte und durfte die Dinge, nach denen er sich
sehnte, nicht tun und hätte noch nicht einmal das tun sollen, wozu
er sich gerade hatte hinreißen lassen. Sein brennendstes Verlangen
war zwar gestillt, dafür waren zahlreiche andere verhängnisvolle
Wünsche in ihm erwacht, von denen nicht alle rein körperlicher
Natur waren. Lust mochte ja nur bloße Lust sein, aber manchmal
führte sie auch zu den Gefahren der Liebe.
Es war schon Abend, als er erneut in ihre Kammer
trat; beide Monde waren aufgegangen und warfen seltsame silberne
Doppelschatten durch die Fenster. Er stellte ein neues Tablett auf
den Tisch, vergewisserte sich, dass die Essensreste auf den beiden
anderen verschwunden waren, und nahm sie mit hinaus, ohne ein Wort
zu sagen. Kelly sah kurz von ihrer Näharbeit auf und beobachtete,
wie er durch den Raum stapfte, dabei kurz in ihre Richtung schielte
– wahrscheinlich, um sich davon zu überzeugen, dass sie mit nichts
Anstrengenderem beschäftigt war als damit, eine Nadel durch den
Stoff gleiten zu lassen – und dann die Tür hinter sich zuzog.
Fünf Sekunden später flog die Tür wieder auf, er
stürmte in die Kammer zurück und funkelte den Boden unter seinen
Füßen so anklagend an, als habe sie sich des schwersten Verbrechens
in seinem Land schuldig gemacht. »Du hast ihn fertig
geputzt!«
»Ich erledige eine Arbeit entweder ganz oder gar
nicht«, erwiderte sie spitz, bemüht, seinem Zorn kühle Gelassenheit
entgegenzusetzen. »Ich habe den Rest des Bodens gescheuert und dann
gegessen – mehr auf einmal als seit Monaten, falls dich das
interessiert – und seither sitze ich hier und nähe. Schließlich
muss ich mir ja ein paar Kleider umändern, wenn ich etwas zum
Anziehen haben will.«
Er stemmte die Hände in die Hüften. Seine grauen
Augen wurden schmal. »Wo sind sie?«
Sie griff nach der kleinen Stickschere, die sie in
dem bemerkenswert gut ausgestatteten Nähkasten gefunden hatte, den
er ihr gebracht hatte, und schnitt einen Faden ab. Nähen und
Sticken beruhigten sie immer, und es waren vertraute Tätigkeiten in
dieser neuen, fremden Umgebung, auch wenn ihr keine elektrische
Nähmaschine zur Verfügung stand. »Wo ist was?«
»Wo hast du den Eimer und die Bürste hingetan?
Wenn ich dir das Putzzeug wegnehme, kannst du keinen Unfug mehr
damit machen!«
»Du findest beides unter dem Waschbecken. Aber
schrei mich nicht gleich an, nur weil deine Fähigkeiten als
Hausmann einiges zu wünschen übrig lassen«, fügte sie bissig hinzu,
fädelte einen neuen Faden ein und begann mit der nächsten Naht.
Sowie sie sich ein paar Kleider geändert hatte und nicht mehr nur
mit Rock und Hemd herumlaufen musste, würde sie sich eine
Pluderhose schneidern – weit genug, um optisch als Rock
durchzugehen, aber wesentlich bequemer. Und vernünftige
Unterwäsche. Die beiden Nightfall-Brüder hatten ihr bei ihrem
überraschenden Besuch genug Stoff und Garn für eine anständige
Garderobe mitgebracht, auch wenn die Tuche vor Alter ausgebleicht
und teilweise etwas brüchig waren. »Ich kann nichts dafür, dass in
meiner Welt größerer Wert auf Hygiene und Sauberkeit gelegt wird
als in deiner.«
Er schnarrte etwas, was wie ein an diesen
»Jinga«gerichteter Fluch klang, dessen Namen sie nun schon öfter im
Zusammenhang mit Verwünschungen gehört hatte, und verschwand im
Bad. Als er mit dem Eimer in der Hand, in dem die Bürste klapperte,
wieder zum Vorschein kam, sprach sie weiter.
»Irgendwann müsste ich auch einmal ein Bad nehmen.
Diese ›Abtrittkammer‹, wie du sie nennst, entspricht nicht
unbedingt dem, woran ich gewöhnt bin. Gibt es hier irgendetwas, was
entfernt an eine Badewanne erinnert?«
Zähneknirschend – sein Körper reagierte schon,
wenn er sich nur im selben Raum wie sie aufhielt; ein Beweis dafür,
dass es ein Fehler gewesen war, seinen lange unterdrückten
Bedürfnissen vor einigen Stunden freien Lauf zu lassen – ging Saber
zu einem der Fenster hinüber und zog eine große, geschnitzte
Holzplatte von einem Steinwürfel weg, den sie für einen merkwürdig
geformten Tisch gehalten hatte, obwohl an einer Seite kleine Stufen
zu der Platte hochführten.
Kelly erhob sich von dem Bett, auf dem sie gegen
ein paar Kissen im Rücken gelehnt gesessen hatte, und tappte
neugierig zu ihm hinüber. Er fegte gerade Spinnweben aus einer
großen, steinernen Wanne, zog einen an einer Kette befestigten
Korken aus einem ähnlichen Wasserspender wie dem im Bad und spülte
die restlichen Staubflocken fort, sobald das Wasser zu sprudeln
begann.
Dann beugte er sich über den Rand und entfernte
einen weiteren Korken aus dem Abfluss des Beckens. »Es hat keinen
Sinn, die Wanne zu füllen, bevor sie nicht wenigstens gründlich
ausgespült worden ist«, sagte er. »Um das Wasser abzustellen
steckst du einfach den Korken wieder hier hinein. Wärmer oder
kälter stellt man es damit.« Er betätigte einen Hebel, hielt eine
Hand unter den Wasserstrahl, um die Temperatur zu überprüfen, und
runzelte die Stirn. »Auch das noch. Der Zauber hat seine Wirkung
verloren.«
»Das gilt auch für das Wasser im Bad – äh, der
Abtrittkammer«, verbesserte sie sich, da der erste Begriff für die
Leute hier scheinbar eine andere Bedeutung hatte. Kelly hatte einen
ähnlichen Hebel unter dem Waschbecken gesehen, sich aber nicht
weiter damit beschäftigt, nachdem sie festgestellt hatte, dass sich
die Temperatur damit nicht regulieren ließ. Sie spähte in die Wanne
und griff naserümpfend in den Eimer. Spinnweben, Staub und
vermutlich der angetrocknete Seifenschaum mehrerer Generationen
beleidigten ihr Auge. »Ich brauche diese Bürste noch mal für ein
paar Minuten.«
»Bei Jinga!«, explodierte Saber und entriss ihr
die Bürste prompt wieder. Vor Anstrengung, sein Temperament zu
zügeln, lief sein Gesicht rot an, und er mahlte mit den Zähnen.
Nachdem er den Eimer mit einem Tritt außerhalb ihrer Reichweite
befördert hatte, deutete er auf das Bett. »Du – setzt – dich –
dahin. Ich werde die verdammte Wanne
ausscheuern!«
»Tu dir keinen Zwang an. Die Seife liegt neben dem
Waschbecken.« Kelly drängte sich an ihm vorbei, stolzierte zum Bett
zurück, kroch darauf, ließ sich gegen die Kissen sinken und
funkelte ihn an, als er sie anstarrte. »Worauf wartest du noch?
Wenn du es nicht tust, mache ich es, das ist dir ja wohl
klar.«
Er warf ihr einen bösen Blick zu, ließ die Bürste
in den Eimer fallen und trug ihn hinaus. Kelly biss sich auf die
Unterlippe, um ihr Lächeln zu verbergen, und richtete ihre
Aufmerksamkeit wieder auf ihre Näharbeit. Einen Teil ihrer
Aufmerksamkeit zumindest. Der Rest galt Saber, der kurz darauf
zurückkam, etwas Längeres, kompliziert Klingendes murmelte,
woraufhin das Wasser zu dampfen begann, und dann den Wasserfall
wieder verkorkte. »Ich hole dir auch noch einen neuen Korken für
das Becken in der Abtrittkammer.«
Kelly musste sich erneut ein Lächeln verbeißen,
als er sich drei Schritte von der Wanne entfernte, dann herumfuhr,
Eimer, Bürste und Seife packte und alles mitnahm, um sicherzugehen,
dass sie während seiner Abwesenheit nichts damit anstellen konnte.
Leise kichernd wandte sie das Gesicht ab, als er den Raum verließ
und die Tür hinter sich zuknallte. Sie sollte ihn wirklich nicht
auslachen, aber es war einfach zu komisch. Kelly bezwang sich, bis
er außer Hörweite war, dann brach sie in schallendes Gelächter aus,
bis ihr die Tränen in die Augen traten.
Doch als er zurückkehrte, Stiefel und Tunika
abstreifte und in die Wanne stieg, um sie auszuscheuern, verflog
ihre Belustigung und machte zahlreichen anderen widersprüchlichen
Gefühlen Platz. Sie betrachtete das Spiel seiner Muskeln unter
seiner sonnengebräunten, auf der Brust mit goldenen Haaren
bedeckten Haut. Eine verblasste weiße Narbe verlief zickzackförmig
über ein Schulterblatt; sie sah aus, als sei er dort von einem
Blitz getroffen worden. Aber vermutlich rührte sie eher von der
Spitze eines Schwertes oder eines Dolches her, wenn man
berücksichtigte, in was für einer Welt er lebte. Sein Rücken
spannte sich an, als er sich vorbeugte, und einige unverständliche
Worte drangen über seine Lippen.
Zu Kellys heimlichem Bedauern schien er einen
Putzzauber gemurmelt zu haben, denn schon nach zwei Minuten glänzte
die Steinwanne wie neu. In Anbetracht der angesammelten
Schmutzmenge hätte sie selbst wohl gut und gerne eine Stunde
gebraucht, um dasselbe Ergebnis zu erzielen. Saber wischte mit dem
Tuch ein letztes Mal über den Rand, warf es dann zu Seife und
Bürste in den jetzt leeren Eimer und steuerte auf die Tür zu.
»Lass die Seife bitte hier, ich brauche sie, um
mich zu waschen«, bat Kelly rasch. »Und für einen Lappen und ein
paar saubere Handtücher zum Abtrocknen wäre ich auch dankbar. Und
wenn du deinen Säuberungszauber vielleicht auf diese Kleider hier
ausweiten könntest …«
Angesichts des finsteren Blickes, mit dem er sie
maß, blieben ihr die Worte in der Kehle stecken.
Sie schluckte hart. »Schon gut. Ich möchte keine
Umstände machen.«
Er knurrte die katanische Version von »zu spät«
und stapfte zur Tür hinaus. Sein Hemd und seine Stiefel hatte er
vergessen, seine dunkelgoldene Mähne fiel ihm über den muskulösen
Rücken.
Sowie er fort war, ließ sie sich grinsend gegen
die Kissen sinken und strich mit der Hand über ihren Oberschenkel
und über ihre Brust. Ihre Näharbeit lag vergessen auf ihrem Schoß.
Jetzt, wo sie weder eingeschüchtert noch verwirrt noch erschöpft
war, empfand sie ihre Wortgefechte als seltsam erregend, genau wie
es sie erregte, sich im selben Raum wie er aufzuhalten, wenn er so
unvollständig bekleidet war. Sie wünschte sich plötzlich, dass man
in seiner Welt nicht so felsenfest an Flüche glauben würde, denn
dann hätte es seine Hand sein können, die ihre Brust umschloss.
Wenn es diese lächerliche Prophezeiung und die allgemeine Furcht
davor nicht gäbe, könnte sie sich sehr wohl vorstellen, die
Jungfrau zu sein, die das Schwert begehrte. Fest stand, dass er
seit langer Zeit der erste Mann war, der sie ernsthaft in
Versuchung führte.
Nun ja, träumen durfte man ja
…
Als er kurze Zeit später noch einmal zurückkam, saß
Kelly aufrecht auf dem Bett, stichelte an einem Kleid herum und
lächelte noch immer voll stiller Belustigung in sich hinein. Der
Zauberer Saber – auch wenn er auf sie mehr wie ein Krieger wirkte –
stellte ein halbes Dutzend Fläschchen auf den Wannenrand und legte
einen Stapel Tücher, die er sich unter den Arm geklemmt hatte,
daneben. Leider handelte es sich dabei nicht um die Frotteetücher,
an die sie gewöhnt war, sondern um schlichte glatte Leinenstücke.
Dann verschwand er in dem winzigen Bad, nahm einen großen, ovalen
Korkstopfen aus einem Beutel an seinem Gürtel und stellte damit den
stetigen Wasserfluss ab. Danach kam er zurück und begann, mit dem
spiralförmig geschnitzten Stab, der neben der Tür an einem Haken
hing, gegen sämtliche Leuchtkugeln im Raum zu klopfen.
Erst jetzt fiel Kelly auf, wie dämmrig es in der
Kammer geworden war. Die beiden Monde schienen nicht hell genug,
und die einzelne Kugel, die sie neben dem Bett zum Glühen gebracht
hatte, spendete auch kein ausreichendes Licht.
Sie hatte früher an diesem Tag eine Weile aus dem
Fenster geschaut und die Landschaft betrachtet; den halbtropischen
Wald, der die Burg umgab, das umliegende Gelände und das dahinter
in der Ferne schimmernde Wasser. Sie hatte bereits bemerkt, dass
sich ihr unabhängig davon, ob sie aus den westlichen oder den
östlichen Fenstern des achteckigen Raumes sah, immer weitgehend
derselbe Blick bot. Das Land fiel sowohl gen Osten als auch gen
Westen über eine große Entfernung hinweg von dem Gipfel ab, um den
die mit Türmen besetzte Außenmauer verlief, in deren Mitte das
Burggebäude thronte. Dahinter erstreckte sich Wasser, soweit das
Auge reichte. Einen besseren Verbannungsort hätten die Feinde der
acht Brüder gar nicht wählen können.
Im Norden und Süden erhoben sich hohe, schroffe
Berge. Soweit sie es beurteilen konnte, handelte es sich bei
Nightfall um eine ziemlich große Insel; sicherlich groß genug, um
eine mittelgroße Stadt zu beherbergen, selbst wenn sie hierbei
moderne Maßstäbe zugrunde legte. Wenn man den Urwald rodete, ließ
sich darüber hinaus auch reichlich Platz für Felder und Weiden
gewinnen. Außer der Burg selbst hatte Kelly bislang allerdings
keinerlei Anzeichen für Zivilisation entdeckt.
Eines stand jedenfalls fest: Sie befand sich in
der südlichen Hemisphäre dieser Welt. Von ihrer Perspektive aus
schien die Sonne von Osten nach Westen über den nördlichen Teil des
Himmels zu wandern, und das ließ auf ein südlich des hiesigen
Äquators gelegenes Land schließen. Immerhin ermöglichte es ihr
dieser Zauber oder was immer es auch war, die hier gebräuchlichen
Worte so zu verstehen wie in ihrer Heimat: Osten war Osten, Westen
Westen und so weiter.
Ich komme mir vor wie in einer
magischen Miniaturausgabe von Neuseeland, nur dass die Jungs hier
nicht den richtigen Akzent haben.
Nachdem er die letzte Leuchtkugel zum Glühen
gebracht hatte, hängte Saber den Stab wieder an seinen Haken an der
Wand, hob seine Tunika und seine Stiefel auf und deutete dann auf
die Flaschen, die er auf dem Wannenrand aufgereiht hatte. »Da ist
Seife, und ich habe auch ein paar duftende Öle mitgebracht. Aber
ich kann nicht dafür garantieren, dass sie nicht eingetrocknet sind
oder ihr Aroma verloren haben.«
»Danke, Saber«, murmelte sie, was ihn wie erstarrt
an der Tür innehalten ließ. Kelly hatte an diesem Nachmittag über
einiges nachgedacht. »Ich weiß deine Aufmerksamkeit wirklich zu
schätzen …, und ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich so
unausstehlich war. Meine einzige Rechtfertigung besteht darin, dass
meine Nerven nach allem, was ich durchmachen musste, ziemlich blank
gelegen haben.«
Eine Hand auf die Türklinke gestützt blieb er
stehen, bis ihre Worte ganz in sein Bewusstsein eingedrungen waren.
Endlich fand er seine Sprache wieder. »Trevan führt seine seltenen,
aber heftigen Temperamentsausbrüche auf seine rötliche Haarfarbe
zurück. Und Koranen bezeichnet sich aus demselben Grund als so heiß
wie eine Flamme. Ich … es tut mir manchmal wirklich leid, dass ich
mit ihnen verwandt bin.«
Kelly biss sich auf die Lippe, um angesichts
dieser Generalentschuldigung nicht laut zu kichern, nickte und
hielt den Blick sorgsam auf ihre Näherei gerichtet. »Ich
verstehe.«
»Kelly of Doyle …«
Als sie zu ihm aufblickte, verflog ihre
Erheiterung angesichts des Ernstes in seinen grauen Augen
augenblicklich.
»Verliebe dich nicht in mich. Und versuch nicht,
mich dazu zu bringen, mich in dich zu verlieben. Hast du mich
verstanden?«
Sie dachte einen Moment lang über diese wie eine
Warnung klingende Forderung nach. »Verstanden. Keine zarten
Liebesbande anspinnen«, bestätigte sie, dabei starrte sie aus den
Fenstern hinter dem Fuß des Bettes. »Ich habe kein Problem damit.«
Dann sah sie ihn an – er hatte inzwischen seine Stiefel angezogen,
nicht aber sein Hemd – und platzte mit dem Erstbesten heraus, das
ihr in den Sinn kam. »Wie wäre es denn stattdessen mit heißem
Sex?«
Sein linkes Auge begann zu zucken, dann seine
Halsseite und seine Brustmuskeln, dann zuckte seine gesamte linke
Körperhälfte. Irgendwie gelang es ihm, den Raum zu verlassen und
die Tür hinter sich zu schließen, diesmal ganz behutsam. Und dann
brüllte er etwas Unverständliches, auf dessen Übersetzung sie auch
nicht den geringsten Wert legte, ehe sie ihn die Stufen
hinunterstampfen hörte.
Morganen lächelte leise, als er das Geröhre
wahrnahm. Evanor legte den hellblonden Kopf schief, hob eine
goldene Braue und musterte den jetzt über das ganze Gesicht
strahlenden jüngsten Spross der Familie forschend. Morganen
schüttelte den Kopf und wandte sich an seine in seinem Arbeitsraum
versammelten Brüder. Der Älteste war anderweitig beschäftigt und
würde sie nicht stören.
Alle anderen hatten sich eingefunden – mit
Ausnahme von Rydan, was verwunderlich war, denn obgleich ihr die
Nacht liebender Bruder nichts auf die ihm zugeordnete Strophe des
Fluches gab, welche besagte, dass die ihm vom Schicksal zugedachte
Frau seinen Untergang, zumindest aber das Ende seiner magischen
Kräfte herbeiführen würde, missfiel ihm Kellys Anwesenheit auf
Nightfall noch stärker als seinem ältesten Bruder. Doch Morganens
übrige fünf Brüder hatten keine sonderliche Scheu vor Frauen, noch
nicht einmal der übermäßig von sich selbst eingenommene Dominor,
der sich, angelehnt an seinen Namensvetter, als alleinigen Herrn
über sein Schicksal betrachtete. Ein Lächeln umspielte Morganens
Lippen, als sein Blick über die in seiner Kammer versammelten
Männer hinwegschweifte.
»Meine lieben Brüder, mein Plan geht noch besser
auf, als ich gehofft hatte – zumal unserem Ältesten die
Vorstellung, einer von uns anderen könnte sich um die Frau kümmern
und sich als Folge davon in sie verlieben, so schwer im Magen
liegt, dass er selbst zwangsläufig immer mehr Zeit mit ihr
verbringt.«
»Du magst ja der bedeutendste Magier von uns allen
sein, Morg«, Wolfers Stimme glich einem kehligen Grollen, »aber
hältst du es für klug, unser Schicksal auf diese Weise
herauszufordern?«
Morganen sah ihn an. Seine aquamarinblauen Augen
hielten dem Blick des älteren Bruders ruhig stand. »Es ist unser
aller Schicksal, und wir können ihm nicht entrinnen. Aber wir
können es vielleicht kontrollieren. Wenn das in Sabers Vers
vorhergesagte Unheil eintrifft, müssen wir auf alles vorbereitet
sein«, fügte er hinzu. »Hier in unserem Exil dürfen wir nicht auf
Hilfe vom Festland zählen – selbst wenn ganz Katan Gefahr läuft,
zerstört zu werden, sind wir auf uns allein gestellt, also müssen
wir bereit sein.
Wenn ich die Verszeilen richtig deute, hat diese
Frau, Kelly, irgendetwas mit dem Unheil zu tun, das über uns
hereinbrechen wird, kurz nachdem Saber sie für sich gewonnen hat.
Falls er sich tatsächlich in sie verliebt, wird sie in irgendeinem
Zusammenhang mit diesem Geschehen stehen – aber nicht, wie manche
vielleicht glauben, die Ursache dafür sein«, fuhr er fort, als sein
Zwilling unwillig die Stirn runzelte. »Wenn dem so wäre, würden die
Zeilen anders lauten; sie würden sie als Auslöserin des Verderbens,
das Unheil als Ergebnis von etwas, das sie tut, bezeichnen und
nicht ankündigen, dass es ihr auf dem Fuß folgt, ohne dass sie
aktiven Einfluss darauf hat. Es handelt sich also um ein Ereignis,
das durch mehrere zufällig zusammentreffende Umstände herbeigeführt
wird, nicht durch eine bewusste Handlung.
Daher habe ich zwei ausgezeichnete Gründe, die
Rückkehr dieser Frau in ihre eigene Welt hinauszuzögern: Ich will,
dass wir die uns bevorstehende Katastrophe hinter uns bringen, und
gleichzeitig dafür sorgen, dass die da hineinverwickelte Frau zur
Stelle ist, damit sie uns hilft, sie zu erkennen und mit ihr fertig
zu werden. Denn versteht mich nicht falsch … sie hat damit zu tun, auch wenn sie das Unheil nicht
auslöst«, wiederholte Morganen. »Wenn ich ihre Rückkehr in ihre
Heimat verzögere, gewinnen wir Zeit, und Sabers halsstarriger
Widerstand wird zermürbt. Aber ewig kann ich sie und ihn nicht
hinhalten. Also müsst ihr tun, was in eurer Macht steht, um die
beiden zusammenzubringen. Am besten weckt ihr seine
Beschützerinstinkte und seine Eifersucht. So unauffällig wie
möglich natürlich.«
Einige Brüder lächelten angesichts dieses
Zusatzes, andere runzelten besorgt die Stirn. Einer – Dominor –
schnaubte abfällig. Morganen entließ sie, ehe Saber sich wunderte,
warum sich niemand zu dieser Stunde an seinem gewohnten Platz
aufhielt, und auf die Idee kam, sie zu suchen. Die Brüder
verteilten sich wieder in der Burg.
Nur Koranen blieb im Raum zurück. Er wartete, bis
sie endgültig miteinander allein waren, ehe er das Wort ergriff.
»Morg, bist du sicher, dass du das Richtige tust?«
»Natürlich, Kor«, versicherte ihm Morganen im
Brustton der Überzeugung, dann trat er zu seinem Bücherregal.
Koranen schüttelte seinen kastanienbraunen Schopf.
»Nein, ich meine nicht, dass du versuchst, das Schicksal zu
missachten, sondern … hältst du es für klug, die Dinge bewusst ins
Rollen zu bringen?« Sein Blick wanderte zu der Tür, die sich kurz
zuvor, hinter Dominor geschlossen hatte, und er schüttelte erneut
den Kopf. »Ich glaube, die anderen haben noch gar nicht begriffen,
was mir auf Anhieb klar geworden ist.«
»Als da wäre?«, erkundigte sich sein jüngerer
Zwilling mit hochgezogenen Brauen.
»Wenn Saber sich in eine Frau verliebt, ereilt uns
danach alle nacheinander dasselbe Los.«
»Wo liegt da das Problem? Ich freue mich offen
gestanden schon darauf.« Morganen grinste und rieb sich voller
Vorfreude die Hände. »Ich mag Frauen.«
Sein Zwilling nahm auf der Kante des
Arbeitstisches mit der zerkratzten Steinplatte Platz und ließ die
Beine in den rotgoldenen Stiefeln baumeln. »Hast du bedacht, mit
welchen Schwierigkeiten die Brautwerbung einiger von uns verbunden
sein dürfte? Wir können alle hören, wie Saber und Kelly sich in die
Haare geraten. Bislang beschränken sie sich zum Glück auf verbale
Auseinandersetzungen. Aber schau dir beispielsweise Wolfer an. Zu
ihm passt nur eine körperlich extrem kräftige und zähe Partnerin.
Leider haben wir hier auf der Insel weder Kriegerinnen noch
Schmiedinnen oder ähnlich starke Frauen. Wie das enden soll, ist
mir ehrlich gesagt ein Rätsel.
Und Dominor braucht jemanden, der ihm gewachsen,
wenn nicht gar überlegen ist, denn er ist unzweifelhaft der
drittbeste Magier in der Familie und somit einer der besten in ganz
Katan – neben dir und Rydan. Aber Rydans Macht entfaltet sich nur
dann zu voller Stärke, wenn ein Sturm aufzieht, und er erachtet es
als unter seiner Würde, mit irgendeinem von uns in Wettstreit zu
treten, schon gar nicht mit Dom, was diesen wiederum eigentlich zum
Zweitmächtigsten macht. Seine Frau aber müsste über ein großes
Potenzial an Willenskraft, Ehrgeiz und Manipulationsgeschick
verfügen …«
Koranen hob zweifelnd die Brauen. »Keine gute
Grundlage für eine zärtliche, romantische Werbung, Bruder.«
»Die überlassen wir ja auch Evanor«, versetzte
Morganen. Seine Bücher waren vorübergehend vergessen. »Die Suche
zweier einsamer Herzen nach ihrem Gegenstück verläuft im
Allgemeinen ohne hitzige Zwistigkeiten. Und Wolfer hat die für ihn
bestimmte Gefährtin bereits gefunden, er weiß es nur noch nicht.
Sie wird zu gegebener Zeit zu uns auf die Insel kommen, und dann
wird sich sein Schicksal erfüllen.« Sein Zwilling runzelte die
Stirn, doch Morganen fuhr unbeirrt fort: »So wie sich auch Dominors
und Evanors Frauen hier einfinden werden – es ist ja nicht so, als
könnten wir zu ihnen gehen, wir sitzen nun
mal auf dieser verlassenen Insel fest.«
»Womit wir bei Trevan, unserer Katze, angelangt
wären«, gab Koranen zurück. »Er ist von uns allen derjenige, dem es
am schwersten fällt, ohne Frau zu leben. Wenn er nicht Respekt vor
Sabers Warnung hätte, diese Kelly nicht zu behelligen, und wenn
sich unser ältester Bruder in Bezug auf sie nicht so
besitzergreifend verhalten würde, hätte Trevan vermutlich schon
längst versucht, sie zu verführen.
Und Rydans Vorstellung davon, einer Frau den Hof
zu machen … ich sehe es geradezu bildlich vor mir.« Koranen fuhr
sich mit den Fingern durch das Haar. »Er wird sie aus Angst davor,
die Liebe könnte seine Macht schmälern, zum nächsten Fenster
hinauswerfen. Er ist sehr stolz darauf, der zweitmächtigste Magier
von uns allen zu sein, auch wenn er nicht wie Dom dauernd mit
seinen Fähigkeiten prahlt. Es könnte auch noch schlimmer kommen –
die unselige Frau könnte von ihm verlangen, sich wie ein
zivilisierter Mann zu benehmen und aufzuhören, die Nacht zum Tage
zu machen.«
Morganen hob eine Hand vor den Mund, um sein
Lächeln zu verbergen, als sein Zwilling fortfuhr:
»Er würde ohne Skrupel selbst einen Sturm
heraufbeschwören, statt auf einen zu warten, der seine Macht nährt,
um die arme Frau von der Insel zu fegen und zu seiner einsamen, an
die Nacht gebundenen Lebensweise zurückkehren zu können – und da
kannst du so belustigt schmunzeln, wie du willst, Morg, ich habe
recht«, warnte Koranen. »Du weißt, dass er das tun würde.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Eine
Prophezeiung ist und bleibt nun einmal eine Prophezeiung. Aber da
bist ja noch du«, überlegte Morganen laut. »Du brauchst eine Frau,
die an deiner Leidenschaft nicht buchstäblich verbrennt, wie wir es
in der Vergangenheit ja leider schon erleben mussten. Du wirst auf
deine Art genauso ruhelos wie Trevan werden, wenn du dich nach
etwas sehnst, was du nicht finden kannst … aber keine Angst, es
wird dich finden.«
»Du sprichst wie ein Seher, Bruder«, versetzte
sein Zwilling unwirsch. »Kein katanischer Magier kann je ein Seher
werden und kein Seher ein Magier. Oder hast du die Gesetze der
Magie und des Schicksals gebrochen, die von Kata und Jinga bei der
Gründung unseres Reiches aufgestellt wurden? Hast du einen Weg
gefunden, als Spross eines anderen Reiches wiedergeboren zu werden
und dann magische Regeln zu erstellen, die nur du befolgen
musst?«
Morganen lächelte, doch dieses Lächeln galt mehr
ihm selbst als seinem Bruder. »Ich habe nur lange Zeit in
Meditation über diese Dinge verbracht. Aber keine Sorge, auch ich
werde vom Pfeil der Liebe getroffen werden. Ich glaube, es wird mir
am leichtesten von euch allen fallen, eine Braut zu freien.
Zumindest hoffe ich das. Mein Teil der Prophezeiung scheint ja eher
zu besagen, dass ich für euch die Rolle von Kata, der Liebesbotin
spielen muss und somit der Letzte bin, der die Hände über den acht
Altären faltet.« Sein Lächeln verblasste und ein Anflug von Neid
huschte über sein Gesicht. »Bis dahin habe ich nichts anderes zu
tun, als mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich euch anderen
helfen kann. Und das möchte ich so schnell wie möglich hinter mich
bringen, sonst bin ich ein alter verknöcherter Junggeselle, und
keine Frau wird meine runzligen Hände mehr ergreifen wollen, um mit
mir in den Kreis der Altäre zu treten.«
»O-ho, ich werde ein ganzes Meer voll Tränen um
dich vergießen«, spöttelte Koranen. Sein Bruder versetzte ihm einen
Rippenstoß, und dann begannen sie scherzhaft miteinander zu
raufen.