6
 
 
Rotgoldene Löckchen. Von einem tieferen Goldton als ihr Haar. Sommersprossen, die sich bis dorthin hinunterzogen, bei Jinga …
Saber unterdrückte ein Stöhnen und versuchte, die Gedanken abzuschütteln, die ihn unbarmherzig plagten. Wenigstens hatte Evanor ihn allein gelassen, und er hatte sich in seine im nördlichen Teil des Westflügels gelegene Schlafkammer zurückziehen können. Doch das Bild hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt: wohlgeformte, wenn auch momentan noch zu dünne, überall mit winzigen bräunlichen Flecken übersäte Beine und Schenkel, die sich bei ihrem Versuch, beim Ankleiden nicht das Gleichgewicht zu verlieren, leicht geöffnet und den Blick auf weitere braune Punkte auf dem weichen, weißen Fleisch der Innenseite freigegeben hatten. Auch ihre sanft geschwungenen Hüften waren damit gesprenkelt, und unter dem altersgelben Korsett, das sie getragen hatte, hatten sich erstaunlich volle Brüste abgezeichnet. Das Verlangen, das bei diesem verführerischen Anblick in ihm aufgeflammt war, peinigte ihn noch immer. Er wollte sie packen, sie an sich pressen und zum Herzen dieser rotgoldenen Löckchen vordringen, wieder und immer wieder …
Aufseufzend legte Saber einen Arm über die Augen und versuchte ohne Erfolg, die Bilder zu verdrängen, die ihm seine Fantasie vorgaukelte. Seine andere Hand, die auf seinem Bauch ruhte, wanderte zu seinen pochenden Lenden hinunter, dann ballte er sie zur Faust. Es war besser, wenn er diesem Drang nicht nachgab. Er hatte sich ein paarmal auf diese Weise Erleichterung verschafft, aber das war kurz nach ihrer Ankunft auf der Insel gewesen, als sich sein Körper noch nicht an die unfreiwillige Enthaltsamkeit gewöhnt hatte.
Und nun führte ihn eine Frau aus Fleisch und Blut in Versuchung …
Erinnerungen begannen ihn heimzusuchen; an ihre Brüste, die sich gegen seinen Körper gedrückt hatten, als er sie vor der Makkadadak-Attacke gerettet und die Treppe hinuntergetragen hatte; an die Art, wie sich ihre Beine um seine Hüften geschlungen und sie sich an ihn geklammert hatte; wie sie sich bei ihrer ersten Begegnung in seinem Griff gewunden hatte; an ihre wohlgerundete Kehrseite, die er in Gedanken von den störenden Kleidern befreite … die weiche, weiße, gesprenkelte Haut … die Locken zwischen ihren...
Saber konnte nicht länger an sich halten. Fluchend ließ er den Arm sinken, schob seine Tunika beiseite und schnürte seine Hose auf, dann bedeckte er sein Gesicht wieder mit dem linken Arm und blendete das Tageslicht aus. Rücklings auf dem Bett liegend malte er sich aus, wie sie mit ihren kleinen, zarten Händen und Fingern das mit ihm anstellte, wofür seine eigene Hand nur einen jämmerlichen Ersatz bot. Es kostete ihn keine große Mühe, sich bildlich vorzustellen, wie er sie nahm, sie sich voller Ekstase unter ihm wand, wie er den Fluch und seine ominöse Prophezeiung mit einem Hohnlachen abtat und sein Schwert in die rotblonde Jungfrau bohrte, immer wieder und wieder, bis …
Es war ein hohles Vergnügen, als er endlich Erfüllung fand. Er konnte und durfte die Dinge, nach denen er sich sehnte, nicht tun und hätte noch nicht einmal das tun sollen, wozu er sich gerade hatte hinreißen lassen. Sein brennendstes Verlangen war zwar gestillt, dafür waren zahlreiche andere verhängnisvolle Wünsche in ihm erwacht, von denen nicht alle rein körperlicher Natur waren. Lust mochte ja nur bloße Lust sein, aber manchmal führte sie auch zu den Gefahren der Liebe.
 
Es war schon Abend, als er erneut in ihre Kammer trat; beide Monde waren aufgegangen und warfen seltsame silberne Doppelschatten durch die Fenster. Er stellte ein neues Tablett auf den Tisch, vergewisserte sich, dass die Essensreste auf den beiden anderen verschwunden waren, und nahm sie mit hinaus, ohne ein Wort zu sagen. Kelly sah kurz von ihrer Näharbeit auf und beobachtete, wie er durch den Raum stapfte, dabei kurz in ihre Richtung schielte – wahrscheinlich, um sich davon zu überzeugen, dass sie mit nichts Anstrengenderem beschäftigt war als damit, eine Nadel durch den Stoff gleiten zu lassen – und dann die Tür hinter sich zuzog.
Fünf Sekunden später flog die Tür wieder auf, er stürmte in die Kammer zurück und funkelte den Boden unter seinen Füßen so anklagend an, als habe sie sich des schwersten Verbrechens in seinem Land schuldig gemacht. »Du hast ihn fertig geputzt!«
»Ich erledige eine Arbeit entweder ganz oder gar nicht«, erwiderte sie spitz, bemüht, seinem Zorn kühle Gelassenheit entgegenzusetzen. »Ich habe den Rest des Bodens gescheuert und dann gegessen – mehr auf einmal als seit Monaten, falls dich das interessiert – und seither sitze ich hier und nähe. Schließlich muss ich mir ja ein paar Kleider umändern, wenn ich etwas zum Anziehen haben will.«
Er stemmte die Hände in die Hüften. Seine grauen Augen wurden schmal. »Wo sind sie?«
Sie griff nach der kleinen Stickschere, die sie in dem bemerkenswert gut ausgestatteten Nähkasten gefunden hatte, den er ihr gebracht hatte, und schnitt einen Faden ab. Nähen und Sticken beruhigten sie immer, und es waren vertraute Tätigkeiten in dieser neuen, fremden Umgebung, auch wenn ihr keine elektrische Nähmaschine zur Verfügung stand. »Wo ist was?«
»Wo hast du den Eimer und die Bürste hingetan? Wenn ich dir das Putzzeug wegnehme, kannst du keinen Unfug mehr damit machen!«
»Du findest beides unter dem Waschbecken. Aber schrei mich nicht gleich an, nur weil deine Fähigkeiten als Hausmann einiges zu wünschen übrig lassen«, fügte sie bissig hinzu, fädelte einen neuen Faden ein und begann mit der nächsten Naht. Sowie sie sich ein paar Kleider geändert hatte und nicht mehr nur mit Rock und Hemd herumlaufen musste, würde sie sich eine Pluderhose schneidern – weit genug, um optisch als Rock durchzugehen, aber wesentlich bequemer. Und vernünftige Unterwäsche. Die beiden Nightfall-Brüder hatten ihr bei ihrem überraschenden Besuch genug Stoff und Garn für eine anständige Garderobe mitgebracht, auch wenn die Tuche vor Alter ausgebleicht und teilweise etwas brüchig waren. »Ich kann nichts dafür, dass in meiner Welt größerer Wert auf Hygiene und Sauberkeit gelegt wird als in deiner.«
Er schnarrte etwas, was wie ein an diesen »Jinga«gerichteter Fluch klang, dessen Namen sie nun schon öfter im Zusammenhang mit Verwünschungen gehört hatte, und verschwand im Bad. Als er mit dem Eimer in der Hand, in dem die Bürste klapperte, wieder zum Vorschein kam, sprach sie weiter.
»Irgendwann müsste ich auch einmal ein Bad nehmen. Diese ›Abtrittkammer‹, wie du sie nennst, entspricht nicht unbedingt dem, woran ich gewöhnt bin. Gibt es hier irgendetwas, was entfernt an eine Badewanne erinnert?«
Zähneknirschend – sein Körper reagierte schon, wenn er sich nur im selben Raum wie sie aufhielt; ein Beweis dafür, dass es ein Fehler gewesen war, seinen lange unterdrückten Bedürfnissen vor einigen Stunden freien Lauf zu lassen – ging Saber zu einem der Fenster hinüber und zog eine große, geschnitzte Holzplatte von einem Steinwürfel weg, den sie für einen merkwürdig geformten Tisch gehalten hatte, obwohl an einer Seite kleine Stufen zu der Platte hochführten.
Kelly erhob sich von dem Bett, auf dem sie gegen ein paar Kissen im Rücken gelehnt gesessen hatte, und tappte neugierig zu ihm hinüber. Er fegte gerade Spinnweben aus einer großen, steinernen Wanne, zog einen an einer Kette befestigten Korken aus einem ähnlichen Wasserspender wie dem im Bad und spülte die restlichen Staubflocken fort, sobald das Wasser zu sprudeln begann.
Dann beugte er sich über den Rand und entfernte einen weiteren Korken aus dem Abfluss des Beckens. »Es hat keinen Sinn, die Wanne zu füllen, bevor sie nicht wenigstens gründlich ausgespült worden ist«, sagte er. »Um das Wasser abzustellen steckst du einfach den Korken wieder hier hinein. Wärmer oder kälter stellt man es damit.« Er betätigte einen Hebel, hielt eine Hand unter den Wasserstrahl, um die Temperatur zu überprüfen, und runzelte die Stirn. »Auch das noch. Der Zauber hat seine Wirkung verloren.«
»Das gilt auch für das Wasser im Bad – äh, der Abtrittkammer«, verbesserte sie sich, da der erste Begriff für die Leute hier scheinbar eine andere Bedeutung hatte. Kelly hatte einen ähnlichen Hebel unter dem Waschbecken gesehen, sich aber nicht weiter damit beschäftigt, nachdem sie festgestellt hatte, dass sich die Temperatur damit nicht regulieren ließ. Sie spähte in die Wanne und griff naserümpfend in den Eimer. Spinnweben, Staub und vermutlich der angetrocknete Seifenschaum mehrerer Generationen beleidigten ihr Auge. »Ich brauche diese Bürste noch mal für ein paar Minuten.«
»Bei Jinga!«, explodierte Saber und entriss ihr die Bürste prompt wieder. Vor Anstrengung, sein Temperament zu zügeln, lief sein Gesicht rot an, und er mahlte mit den Zähnen. Nachdem er den Eimer mit einem Tritt außerhalb ihrer Reichweite befördert hatte, deutete er auf das Bett. »Du – setzt – dich – dahin. Ich werde die verdammte Wanne ausscheuern!«
»Tu dir keinen Zwang an. Die Seife liegt neben dem Waschbecken.« Kelly drängte sich an ihm vorbei, stolzierte zum Bett zurück, kroch darauf, ließ sich gegen die Kissen sinken und funkelte ihn an, als er sie anstarrte. »Worauf wartest du noch? Wenn du es nicht tust, mache ich es, das ist dir ja wohl klar.«
Er warf ihr einen bösen Blick zu, ließ die Bürste in den Eimer fallen und trug ihn hinaus. Kelly biss sich auf die Unterlippe, um ihr Lächeln zu verbergen, und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Näharbeit. Einen Teil ihrer Aufmerksamkeit zumindest. Der Rest galt Saber, der kurz darauf zurückkam, etwas Längeres, kompliziert Klingendes murmelte, woraufhin das Wasser zu dampfen begann, und dann den Wasserfall wieder verkorkte. »Ich hole dir auch noch einen neuen Korken für das Becken in der Abtrittkammer.«
Kelly musste sich erneut ein Lächeln verbeißen, als er sich drei Schritte von der Wanne entfernte, dann herumfuhr, Eimer, Bürste und Seife packte und alles mitnahm, um sicherzugehen, dass sie während seiner Abwesenheit nichts damit anstellen konnte. Leise kichernd wandte sie das Gesicht ab, als er den Raum verließ und die Tür hinter sich zuknallte. Sie sollte ihn wirklich nicht auslachen, aber es war einfach zu komisch. Kelly bezwang sich, bis er außer Hörweite war, dann brach sie in schallendes Gelächter aus, bis ihr die Tränen in die Augen traten.
Doch als er zurückkehrte, Stiefel und Tunika abstreifte und in die Wanne stieg, um sie auszuscheuern, verflog ihre Belustigung und machte zahlreichen anderen widersprüchlichen Gefühlen Platz. Sie betrachtete das Spiel seiner Muskeln unter seiner sonnengebräunten, auf der Brust mit goldenen Haaren bedeckten Haut. Eine verblasste weiße Narbe verlief zickzackförmig über ein Schulterblatt; sie sah aus, als sei er dort von einem Blitz getroffen worden. Aber vermutlich rührte sie eher von der Spitze eines Schwertes oder eines Dolches her, wenn man berücksichtigte, in was für einer Welt er lebte. Sein Rücken spannte sich an, als er sich vorbeugte, und einige unverständliche Worte drangen über seine Lippen.
Zu Kellys heimlichem Bedauern schien er einen Putzzauber gemurmelt zu haben, denn schon nach zwei Minuten glänzte die Steinwanne wie neu. In Anbetracht der angesammelten Schmutzmenge hätte sie selbst wohl gut und gerne eine Stunde gebraucht, um dasselbe Ergebnis zu erzielen. Saber wischte mit dem Tuch ein letztes Mal über den Rand, warf es dann zu Seife und Bürste in den jetzt leeren Eimer und steuerte auf die Tür zu.
»Lass die Seife bitte hier, ich brauche sie, um mich zu waschen«, bat Kelly rasch. »Und für einen Lappen und ein paar saubere Handtücher zum Abtrocknen wäre ich auch dankbar. Und wenn du deinen Säuberungszauber vielleicht auf diese Kleider hier ausweiten könntest …«
Angesichts des finsteren Blickes, mit dem er sie maß, blieben ihr die Worte in der Kehle stecken.
Sie schluckte hart. »Schon gut. Ich möchte keine Umstände machen.«
Er knurrte die katanische Version von »zu spät« und stapfte zur Tür hinaus. Sein Hemd und seine Stiefel hatte er vergessen, seine dunkelgoldene Mähne fiel ihm über den muskulösen Rücken.
Sowie er fort war, ließ sie sich grinsend gegen die Kissen sinken und strich mit der Hand über ihren Oberschenkel und über ihre Brust. Ihre Näharbeit lag vergessen auf ihrem Schoß. Jetzt, wo sie weder eingeschüchtert noch verwirrt noch erschöpft war, empfand sie ihre Wortgefechte als seltsam erregend, genau wie es sie erregte, sich im selben Raum wie er aufzuhalten, wenn er so unvollständig bekleidet war. Sie wünschte sich plötzlich, dass man in seiner Welt nicht so felsenfest an Flüche glauben würde, denn dann hätte es seine Hand sein können, die ihre Brust umschloss. Wenn es diese lächerliche Prophezeiung und die allgemeine Furcht davor nicht gäbe, könnte sie sich sehr wohl vorstellen, die Jungfrau zu sein, die das Schwert begehrte. Fest stand, dass er seit langer Zeit der erste Mann war, der sie ernsthaft in Versuchung führte.
Nun ja, träumen durfte man ja …
 
Als er kurze Zeit später noch einmal zurückkam, saß Kelly aufrecht auf dem Bett, stichelte an einem Kleid herum und lächelte noch immer voll stiller Belustigung in sich hinein. Der Zauberer Saber – auch wenn er auf sie mehr wie ein Krieger wirkte – stellte ein halbes Dutzend Fläschchen auf den Wannenrand und legte einen Stapel Tücher, die er sich unter den Arm geklemmt hatte, daneben. Leider handelte es sich dabei nicht um die Frotteetücher, an die sie gewöhnt war, sondern um schlichte glatte Leinenstücke. Dann verschwand er in dem winzigen Bad, nahm einen großen, ovalen Korkstopfen aus einem Beutel an seinem Gürtel und stellte damit den stetigen Wasserfluss ab. Danach kam er zurück und begann, mit dem spiralförmig geschnitzten Stab, der neben der Tür an einem Haken hing, gegen sämtliche Leuchtkugeln im Raum zu klopfen.
Erst jetzt fiel Kelly auf, wie dämmrig es in der Kammer geworden war. Die beiden Monde schienen nicht hell genug, und die einzelne Kugel, die sie neben dem Bett zum Glühen gebracht hatte, spendete auch kein ausreichendes Licht.
Sie hatte früher an diesem Tag eine Weile aus dem Fenster geschaut und die Landschaft betrachtet; den halbtropischen Wald, der die Burg umgab, das umliegende Gelände und das dahinter in der Ferne schimmernde Wasser. Sie hatte bereits bemerkt, dass sich ihr unabhängig davon, ob sie aus den westlichen oder den östlichen Fenstern des achteckigen Raumes sah, immer weitgehend derselbe Blick bot. Das Land fiel sowohl gen Osten als auch gen Westen über eine große Entfernung hinweg von dem Gipfel ab, um den die mit Türmen besetzte Außenmauer verlief, in deren Mitte das Burggebäude thronte. Dahinter erstreckte sich Wasser, soweit das Auge reichte. Einen besseren Verbannungsort hätten die Feinde der acht Brüder gar nicht wählen können.
Im Norden und Süden erhoben sich hohe, schroffe Berge. Soweit sie es beurteilen konnte, handelte es sich bei Nightfall um eine ziemlich große Insel; sicherlich groß genug, um eine mittelgroße Stadt zu beherbergen, selbst wenn sie hierbei moderne Maßstäbe zugrunde legte. Wenn man den Urwald rodete, ließ sich darüber hinaus auch reichlich Platz für Felder und Weiden gewinnen. Außer der Burg selbst hatte Kelly bislang allerdings keinerlei Anzeichen für Zivilisation entdeckt.
Eines stand jedenfalls fest: Sie befand sich in der südlichen Hemisphäre dieser Welt. Von ihrer Perspektive aus schien die Sonne von Osten nach Westen über den nördlichen Teil des Himmels zu wandern, und das ließ auf ein südlich des hiesigen Äquators gelegenes Land schließen. Immerhin ermöglichte es ihr dieser Zauber oder was immer es auch war, die hier gebräuchlichen Worte so zu verstehen wie in ihrer Heimat: Osten war Osten, Westen Westen und so weiter.
Ich komme mir vor wie in einer magischen Miniaturausgabe von Neuseeland, nur dass die Jungs hier nicht den richtigen Akzent haben.
Nachdem er die letzte Leuchtkugel zum Glühen gebracht hatte, hängte Saber den Stab wieder an seinen Haken an der Wand, hob seine Tunika und seine Stiefel auf und deutete dann auf die Flaschen, die er auf dem Wannenrand aufgereiht hatte. »Da ist Seife, und ich habe auch ein paar duftende Öle mitgebracht. Aber ich kann nicht dafür garantieren, dass sie nicht eingetrocknet sind oder ihr Aroma verloren haben.«
»Danke, Saber«, murmelte sie, was ihn wie erstarrt an der Tür innehalten ließ. Kelly hatte an diesem Nachmittag über einiges nachgedacht. »Ich weiß deine Aufmerksamkeit wirklich zu schätzen …, und ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich so unausstehlich war. Meine einzige Rechtfertigung besteht darin, dass meine Nerven nach allem, was ich durchmachen musste, ziemlich blank gelegen haben.«
Eine Hand auf die Türklinke gestützt blieb er stehen, bis ihre Worte ganz in sein Bewusstsein eingedrungen waren. Endlich fand er seine Sprache wieder. »Trevan führt seine seltenen, aber heftigen Temperamentsausbrüche auf seine rötliche Haarfarbe zurück. Und Koranen bezeichnet sich aus demselben Grund als so heiß wie eine Flamme. Ich … es tut mir manchmal wirklich leid, dass ich mit ihnen verwandt bin.«
Kelly biss sich auf die Lippe, um angesichts dieser Generalentschuldigung nicht laut zu kichern, nickte und hielt den Blick sorgsam auf ihre Näherei gerichtet. »Ich verstehe.«
»Kelly of Doyle …«
Als sie zu ihm aufblickte, verflog ihre Erheiterung angesichts des Ernstes in seinen grauen Augen augenblicklich.
»Verliebe dich nicht in mich. Und versuch nicht, mich dazu zu bringen, mich in dich zu verlieben. Hast du mich verstanden?«
Sie dachte einen Moment lang über diese wie eine Warnung klingende Forderung nach. »Verstanden. Keine zarten Liebesbande anspinnen«, bestätigte sie, dabei starrte sie aus den Fenstern hinter dem Fuß des Bettes. »Ich habe kein Problem damit.« Dann sah sie ihn an – er hatte inzwischen seine Stiefel angezogen, nicht aber sein Hemd – und platzte mit dem Erstbesten heraus, das ihr in den Sinn kam. »Wie wäre es denn stattdessen mit heißem Sex?«
Sein linkes Auge begann zu zucken, dann seine Halsseite und seine Brustmuskeln, dann zuckte seine gesamte linke Körperhälfte. Irgendwie gelang es ihm, den Raum zu verlassen und die Tür hinter sich zu schließen, diesmal ganz behutsam. Und dann brüllte er etwas Unverständliches, auf dessen Übersetzung sie auch nicht den geringsten Wert legte, ehe sie ihn die Stufen hinunterstampfen hörte.
 
Morganen lächelte leise, als er das Geröhre wahrnahm. Evanor legte den hellblonden Kopf schief, hob eine goldene Braue und musterte den jetzt über das ganze Gesicht strahlenden jüngsten Spross der Familie forschend. Morganen schüttelte den Kopf und wandte sich an seine in seinem Arbeitsraum versammelten Brüder. Der Älteste war anderweitig beschäftigt und würde sie nicht stören.
Alle anderen hatten sich eingefunden – mit Ausnahme von Rydan, was verwunderlich war, denn obgleich ihr die Nacht liebender Bruder nichts auf die ihm zugeordnete Strophe des Fluches gab, welche besagte, dass die ihm vom Schicksal zugedachte Frau seinen Untergang, zumindest aber das Ende seiner magischen Kräfte herbeiführen würde, missfiel ihm Kellys Anwesenheit auf Nightfall noch stärker als seinem ältesten Bruder. Doch Morganens übrige fünf Brüder hatten keine sonderliche Scheu vor Frauen, noch nicht einmal der übermäßig von sich selbst eingenommene Dominor, der sich, angelehnt an seinen Namensvetter, als alleinigen Herrn über sein Schicksal betrachtete. Ein Lächeln umspielte Morganens Lippen, als sein Blick über die in seiner Kammer versammelten Männer hinwegschweifte.
»Meine lieben Brüder, mein Plan geht noch besser auf, als ich gehofft hatte – zumal unserem Ältesten die Vorstellung, einer von uns anderen könnte sich um die Frau kümmern und sich als Folge davon in sie verlieben, so schwer im Magen liegt, dass er selbst zwangsläufig immer mehr Zeit mit ihr verbringt.«
»Du magst ja der bedeutendste Magier von uns allen sein, Morg«, Wolfers Stimme glich einem kehligen Grollen, »aber hältst du es für klug, unser Schicksal auf diese Weise herauszufordern?«
Morganen sah ihn an. Seine aquamarinblauen Augen hielten dem Blick des älteren Bruders ruhig stand. »Es ist unser aller Schicksal, und wir können ihm nicht entrinnen. Aber wir können es vielleicht kontrollieren. Wenn das in Sabers Vers vorhergesagte Unheil eintrifft, müssen wir auf alles vorbereitet sein«, fügte er hinzu. »Hier in unserem Exil dürfen wir nicht auf Hilfe vom Festland zählen – selbst wenn ganz Katan Gefahr läuft, zerstört zu werden, sind wir auf uns allein gestellt, also müssen wir bereit sein.
Wenn ich die Verszeilen richtig deute, hat diese Frau, Kelly, irgendetwas mit dem Unheil zu tun, das über uns hereinbrechen wird, kurz nachdem Saber sie für sich gewonnen hat. Falls er sich tatsächlich in sie verliebt, wird sie in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Geschehen stehen – aber nicht, wie manche vielleicht glauben, die Ursache dafür sein«, fuhr er fort, als sein Zwilling unwillig die Stirn runzelte. »Wenn dem so wäre, würden die Zeilen anders lauten; sie würden sie als Auslöserin des Verderbens, das Unheil als Ergebnis von etwas, das sie tut, bezeichnen und nicht ankündigen, dass es ihr auf dem Fuß folgt, ohne dass sie aktiven Einfluss darauf hat. Es handelt sich also um ein Ereignis, das durch mehrere zufällig zusammentreffende Umstände herbeigeführt wird, nicht durch eine bewusste Handlung.
Daher habe ich zwei ausgezeichnete Gründe, die Rückkehr dieser Frau in ihre eigene Welt hinauszuzögern: Ich will, dass wir die uns bevorstehende Katastrophe hinter uns bringen, und gleichzeitig dafür sorgen, dass die da hineinverwickelte Frau zur Stelle ist, damit sie uns hilft, sie zu erkennen und mit ihr fertig zu werden. Denn versteht mich nicht falsch … sie hat damit zu tun, auch wenn sie das Unheil nicht auslöst«, wiederholte Morganen. »Wenn ich ihre Rückkehr in ihre Heimat verzögere, gewinnen wir Zeit, und Sabers halsstarriger Widerstand wird zermürbt. Aber ewig kann ich sie und ihn nicht hinhalten. Also müsst ihr tun, was in eurer Macht steht, um die beiden zusammenzubringen. Am besten weckt ihr seine Beschützerinstinkte und seine Eifersucht. So unauffällig wie möglich natürlich.«
Einige Brüder lächelten angesichts dieses Zusatzes, andere runzelten besorgt die Stirn. Einer – Dominor – schnaubte abfällig. Morganen entließ sie, ehe Saber sich wunderte, warum sich niemand zu dieser Stunde an seinem gewohnten Platz aufhielt, und auf die Idee kam, sie zu suchen. Die Brüder verteilten sich wieder in der Burg.
Nur Koranen blieb im Raum zurück. Er wartete, bis sie endgültig miteinander allein waren, ehe er das Wort ergriff. »Morg, bist du sicher, dass du das Richtige tust?«
»Natürlich, Kor«, versicherte ihm Morganen im Brustton der Überzeugung, dann trat er zu seinem Bücherregal.
Koranen schüttelte seinen kastanienbraunen Schopf. »Nein, ich meine nicht, dass du versuchst, das Schicksal zu missachten, sondern … hältst du es für klug, die Dinge bewusst ins Rollen zu bringen?« Sein Blick wanderte zu der Tür, die sich kurz zuvor, hinter Dominor geschlossen hatte, und er schüttelte erneut den Kopf. »Ich glaube, die anderen haben noch gar nicht begriffen, was mir auf Anhieb klar geworden ist.«
»Als da wäre?«, erkundigte sich sein jüngerer Zwilling mit hochgezogenen Brauen.
»Wenn Saber sich in eine Frau verliebt, ereilt uns danach alle nacheinander dasselbe Los.«
»Wo liegt da das Problem? Ich freue mich offen gestanden schon darauf.« Morganen grinste und rieb sich voller Vorfreude die Hände. »Ich mag Frauen.«
Sein Zwilling nahm auf der Kante des Arbeitstisches mit der zerkratzten Steinplatte Platz und ließ die Beine in den rotgoldenen Stiefeln baumeln. »Hast du bedacht, mit welchen Schwierigkeiten die Brautwerbung einiger von uns verbunden sein dürfte? Wir können alle hören, wie Saber und Kelly sich in die Haare geraten. Bislang beschränken sie sich zum Glück auf verbale Auseinandersetzungen. Aber schau dir beispielsweise Wolfer an. Zu ihm passt nur eine körperlich extrem kräftige und zähe Partnerin. Leider haben wir hier auf der Insel weder Kriegerinnen noch Schmiedinnen oder ähnlich starke Frauen. Wie das enden soll, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel.
Und Dominor braucht jemanden, der ihm gewachsen, wenn nicht gar überlegen ist, denn er ist unzweifelhaft der drittbeste Magier in der Familie und somit einer der besten in ganz Katan – neben dir und Rydan. Aber Rydans Macht entfaltet sich nur dann zu voller Stärke, wenn ein Sturm aufzieht, und er erachtet es als unter seiner Würde, mit irgendeinem von uns in Wettstreit zu treten, schon gar nicht mit Dom, was diesen wiederum eigentlich zum Zweitmächtigsten macht. Seine Frau aber müsste über ein großes Potenzial an Willenskraft, Ehrgeiz und Manipulationsgeschick verfügen …«
Koranen hob zweifelnd die Brauen. »Keine gute Grundlage für eine zärtliche, romantische Werbung, Bruder.«
»Die überlassen wir ja auch Evanor«, versetzte Morganen. Seine Bücher waren vorübergehend vergessen. »Die Suche zweier einsamer Herzen nach ihrem Gegenstück verläuft im Allgemeinen ohne hitzige Zwistigkeiten. Und Wolfer hat die für ihn bestimmte Gefährtin bereits gefunden, er weiß es nur noch nicht. Sie wird zu gegebener Zeit zu uns auf die Insel kommen, und dann wird sich sein Schicksal erfüllen.« Sein Zwilling runzelte die Stirn, doch Morganen fuhr unbeirrt fort: »So wie sich auch Dominors und Evanors Frauen hier einfinden werden – es ist ja nicht so, als könnten wir zu ihnen gehen, wir sitzen nun mal auf dieser verlassenen Insel fest.«
»Womit wir bei Trevan, unserer Katze, angelangt wären«, gab Koranen zurück. »Er ist von uns allen derjenige, dem es am schwersten fällt, ohne Frau zu leben. Wenn er nicht Respekt vor Sabers Warnung hätte, diese Kelly nicht zu behelligen, und wenn sich unser ältester Bruder in Bezug auf sie nicht so besitzergreifend verhalten würde, hätte Trevan vermutlich schon längst versucht, sie zu verführen.
Und Rydans Vorstellung davon, einer Frau den Hof zu machen … ich sehe es geradezu bildlich vor mir.« Koranen fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. »Er wird sie aus Angst davor, die Liebe könnte seine Macht schmälern, zum nächsten Fenster hinauswerfen. Er ist sehr stolz darauf, der zweitmächtigste Magier von uns allen zu sein, auch wenn er nicht wie Dom dauernd mit seinen Fähigkeiten prahlt. Es könnte auch noch schlimmer kommen – die unselige Frau könnte von ihm verlangen, sich wie ein zivilisierter Mann zu benehmen und aufzuhören, die Nacht zum Tage zu machen.«
Morganen hob eine Hand vor den Mund, um sein Lächeln zu verbergen, als sein Zwilling fortfuhr:
»Er würde ohne Skrupel selbst einen Sturm heraufbeschwören, statt auf einen zu warten, der seine Macht nährt, um die arme Frau von der Insel zu fegen und zu seiner einsamen, an die Nacht gebundenen Lebensweise zurückkehren zu können – und da kannst du so belustigt schmunzeln, wie du willst, Morg, ich habe recht«, warnte Koranen. »Du weißt, dass er das tun würde.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Eine Prophezeiung ist und bleibt nun einmal eine Prophezeiung. Aber da bist ja noch du«, überlegte Morganen laut. »Du brauchst eine Frau, die an deiner Leidenschaft nicht buchstäblich verbrennt, wie wir es in der Vergangenheit ja leider schon erleben mussten. Du wirst auf deine Art genauso ruhelos wie Trevan werden, wenn du dich nach etwas sehnst, was du nicht finden kannst … aber keine Angst, es wird dich finden.«
»Du sprichst wie ein Seher, Bruder«, versetzte sein Zwilling unwirsch. »Kein katanischer Magier kann je ein Seher werden und kein Seher ein Magier. Oder hast du die Gesetze der Magie und des Schicksals gebrochen, die von Kata und Jinga bei der Gründung unseres Reiches aufgestellt wurden? Hast du einen Weg gefunden, als Spross eines anderen Reiches wiedergeboren zu werden und dann magische Regeln zu erstellen, die nur du befolgen musst?«
Morganen lächelte, doch dieses Lächeln galt mehr ihm selbst als seinem Bruder. »Ich habe nur lange Zeit in Meditation über diese Dinge verbracht. Aber keine Sorge, auch ich werde vom Pfeil der Liebe getroffen werden. Ich glaube, es wird mir am leichtesten von euch allen fallen, eine Braut zu freien. Zumindest hoffe ich das. Mein Teil der Prophezeiung scheint ja eher zu besagen, dass ich für euch die Rolle von Kata, der Liebesbotin spielen muss und somit der Letzte bin, der die Hände über den acht Altären faltet.« Sein Lächeln verblasste und ein Anflug von Neid huschte über sein Gesicht. »Bis dahin habe ich nichts anderes zu tun, als mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich euch anderen helfen kann. Und das möchte ich so schnell wie möglich hinter mich bringen, sonst bin ich ein alter verknöcherter Junggeselle, und keine Frau wird meine runzligen Hände mehr ergreifen wollen, um mit mir in den Kreis der Altäre zu treten.«
»O-ho, ich werde ein ganzes Meer voll Tränen um dich vergießen«, spöttelte Koranen. Sein Bruder versetzte ihm einen Rippenstoß, und dann begannen sie scherzhaft miteinander zu raufen.