10
 
 
Zwei Wochen wurden zu dreien, und das Großreinemachen ging zu Ende, sodass Kelly viel Zeit blieb, neben dem Ausbessern und Umändern alter Kleider auch neue zu schneidern. Saber überreichte ihr das silberne Bürstenset, das er gekauft hatte, mit ein paar gestammelten Worten und trat den Rückzug an, ehe er mehr sagen konnte, als er beabsichtigt hatte. Ein paar Tage später gab er ihr die parfümierten Öle – wieder ohne große Erklärungen. Aber diesmal achtete er nicht so peinlich genau darauf, räumlichen Abstand zu ihr zu halten, und blieb auch etwas länger.
Die anderen Brüder nahmen ihre während der Putzaktion vernachlässigten Tätigkeiten wieder auf und widmeten sich der Herstellung jener Dinge, mit deren Verkauf sie ihren Lebensunterhalt bestritten. Aber wenn das Wetter es zuließ, arbeiteten sie jeden Tag eine oder zwei Stunden im Garten, jäteten Unkraut, scheuerten die Steinfliesen, setzten die Springbrunnen in Gang und füllten die Teiche neu, während Kelly ein wachsames Auge auf sie hielt und dabei die letzten Kleidungsstücke flickte, ehe sie begann, für jeden der Brüder neue zu schneidern.
Nachdem sie die wild wuchernden Ranken gestutzt, die Bäume beschnitten und die Blumenbeete umgegraben und neu bepflanzt hatten, begann die kleine Welt der neun Bewohner Nightfalls, deren Leben sich fast ausschließlich innerhalb der äußeren Mauern abspielte, allmählich ansprechend und ordentlich auszusehen. Kelly stellte fest, dass sie kaum noch an ihr altes Leben zurückdachte; ihr neues erschien ihr wesentlich realer und vor allem entschieden interessanter, zumal sie nichts Anstrengenderes zu tun hatte, als ihrem Hobby nachzugehen und mit Stoffen, Bändern und Garnen zu arbeiten.
Einmal zog ein Sturm auf und setzte allen Aktivitäten unter freiem Himmel ein Ende. Jetzt ließ sich erstmals auch Rydan tagsüber in den Räumen der Burg blicken, während jeder seiner Brüder sich beeilte, die schweren Fensterläden zu schließen und die Riegel vorzuschieben. Im Rahmen ihrer Reparaturarbeiten hatten sie alle Läden ausgebessert, die Angeln und Riegel geölt und zerbrochene Scheiben durch neue ersetzt, gegen die jetzt der Regen trommelte und der an Heftigkeit stetig zunehmende Wind rüttelte.
Rydan beteiligte sich nicht an den Bemühungen seiner Brüder, die Burg sturmsicher zu machen. Er war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um diesen banalen Tätigkeiten nachzugehen. So lebhaft hatte Kelly den die Nacht liebenden Mann tagsüber noch nie erlebt – tatsächlich war es das erste Mal, dass sie ihn am helllichten Tag zu Gesicht bekam -, aber er sprach weder mit ihr, noch richtete er das Wort an seine Brüder. Diese hüteten sich ihrerseits, ihm zu nahe zu kommen, denn er schien von einem Energiefeld umgeben zu sein, das bewirkte, dass sich seine langen schwarzen Haare bei jedem Blitz und Donnerschlag draußen wie von Geisterhand bewegt aufblähten. Er tat nichts anderes, als die Gänge auf- und abzuschreiten, während der Sturm an Stärke zunahm.
Kelly entging nicht, dass sich die Türen, an denen er vorbeikam, auf gespenstische Weise von selbst öffneten und schlossen, ohne dass er auch nur einen Finger auf die Klinke legte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn noch nie eine der hebelähnlichen Türklinken in der Burg hatte berühren sehen. Fast schien ihr, als würden sich die Türen ein wenig vor ihm fürchten. Auf sie traf das auf jeden Fall zu; die Energie, die er ausstrahlte, ließ jede Faser ihres Körpers prickeln, obwohl sie über keinerlei magische Fähigkeiten verfügte.
Sein voller Name lautete Rydan der Sturm, wie sie inzwischen herausgebracht hatte, und sie hielt sich wohlweislich ebenso wie seine Brüder ein Stück von ihm fern, doch trotz dieses Sicherheitsabstandes stellten sich die Haare auf ihren Armen vor Unbehagen auf, wenn er an ihr vorbeiging. Er hielt sich nur in den Burgflügeln auf, während der Sturm am schlimmsten tobte … obgleich der Begriff Aufhalten nicht ganz zutreffend war.
Nachdem alle Fensterläden fest geschlossen waren, der Wind heulend um die Burg pfiff und der Regen auf das Dach hämmerte, strich Rydan ruhelos durch die Räume. In seinen dunklen Augen leuchtete ein Licht, dessen Bedeutung Kelly nicht näher ergründen mochte. Doch wenn sich diese ominöse Prophezeiung bewahrheitete, dann gab es irgendwo da draußen eine Frau, der es bestimmt war, Rydans Geheimnis zu lüften. Kelly war nur froh, dass nicht sie diese Frau war, ging ihm aber vorsichtshalber dennoch aus dem Weg.
Nachdem der hurrikanähnliche Sturm etwas abgeflaut, die Läden wieder geöffnet worden waren und Rydan sich in seine Kammer zurückgezogen hatte, regnete es noch stundenlang, die ganze Nacht hindurch und bis zum nächsten Mittag. An diesem Tag suchte Saber sie erneut auf. Diesmal hielt er ein leuchtend aquamarinfarbenes Bündel in den Armen: Meter um Meter feinste weiche, zu einem Ballen aufgewickelte Seide.
»Für mich?«, fragte sie ungläubig, stand von ihrer Nähnische auf und ging auf den Zuschneidetisch in der Mitte des Raumes zu. Er hielt wie zuvor ein paar Schritte Abstand zu ihr. Seine grauen Augen begegneten ihren tiefblauen.
Endlich senkte er den Blick und starrte das Stoffbündel in seinen Armen an. Kelly entging nicht, dass ihm das Blut in die Wangen stieg. »Die Farbe passt zu deinen Augen.«
Er hielt ihr den Seidenballen hin. Doch da Kelly das Gefühl beschlich, dass er sich sofort wieder zurückziehen würde, sobald sie danach griff, wich sie ein Stück zurück, ohne die Hände nach seinem neuesten Geschenk auszustrecken.
Saber hob den dunkelblonden Kopf und forschte in ihrem Gesicht. Sie wandte sich ab und fuhr mit dem Finger über die Tischplatte, während sie verzweifelt nach den richtigen Worten suchte. Da dieser vermaledeite Fluch über ihnen hing, wusste sie nicht, wie sie ihm und sich über die Verlegenheit des Augenblicks hinweghelfen sollte – es sei denn, sie würde sich mit einem Schlag in eine übermächtige Zauberin verwandeln, die das einem Menschen vorherbestimmte Schicksal mühelos in andere Bahnen lenken konnte. Aber da dies bislang nicht geschehen war, war die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß. Und eine Doyle tritt Schwierigkeiten entgegen und versucht sie zu überwinden!»Es ist wirklich sehr nett von dir, mir all diese …«
In diesem Moment hallte Evanors Stimme eindringlich in ihren Ohren wider und schnitt ihr das Wort ab, obwohl sich der Sprecher gar nicht in ihrer Nähe befand. »Greifangriff! Drei Greife von Westen! Koranen, Dominor, Morganen, sofort auf die Dächer!«
»Greife?«, wiederholte Kelly verwirrt, dann weiteten sich ihre Augen vor Schreck, als ein Schatten an den im dritten Stock gelegenen Fenstern der Nähkammer vorbeiflog. Er sah aus wie ein … »Bist du sicher, dass das keine Drachen sind?«
Saber ließ den Ballen kostbarer Seide auf den Tisch fallen und befahl mit einem Fingerschnippen sein bestes Schwert herbei, während er erklärte: »In Katan gibt es keine Drachen. Greife dagegen schon.«
»Willst du den anderen denn nicht zu Hilfe kommen?«, fragte Kelly, die noch immer neben dem Tisch in der Mitte des Raumes stand, als er sich zwischen ihr und dem Fenster aufbaute.
»Wenn ich da oben gebraucht würde, hätte Evanor mich ausdrücklich gerufen«, gab er über seine Schulter hinweg zurück. Einen solchen Angriff hatten er und seine Brüder schon zweimal abgewehrt und sich für den Fall, dass ein dritter erfolgen sollte, einen Plan zurechtgelegt. Wie es aussah, war dieser Fall jetzt eingetreten.
Der Anblick seiner breiten Schultern zwischen dem regennassen Fenster und ihrer Person verlieh ihr tatsächlich ein Gefühl von Sicherheit, aber es war nicht Kellys Art, sich hinter dem Rücken anderer zu verstecken. Eine Doyle zeigte im Angesicht des Feindes keine Feigheit. Also hielt sie nach einer Waffe Ausschau.
Die Schere auf ihrem Nähtisch konnte angehen, aber viel würde sie damit nicht ausrichten können. Sie ging zu dem Kamin hinüber, in dem wegen des trotz Regen warmen Wetters kein Feuer brannte, und griff nach einer der langen Holzlatten, die Dominor für sie aufgetrieben hatte und aus denen sie sich einen kleinen Garnwebstuhl hatte anfertigen wollen, um Borten darauf zu weben. Sie wählte eine Latte aus, die so breit wie ihre Hand, mehrere Zentimeter dick und so lang wie ihr Bein war, und wog sie prüfend in der Hand.
»Was tust du denn da?« Saber musterte sie stirnrunzelnd.
»Ach, du kennst mich doch. Halsstarrig und fest entschlossen, mich niemals vor etwas Unangenehmem zu drücken«, spöttelte sie. Und zuckte zurück, als eine der unheimlichen Kreaturen – gräulich und wie eine drachenköpfige, schlangenschwänzige, überdimensionale Fledermaus geformt – vor den Fenstern direkt vor ihnen auftauchte und flügelschlagend dort schweben blieb.
Sie hielt ihre Holzlatte in die Höhe; bereit, damit auf dieses Wesen einzudreschen, sollte es durch die Scheibe brechen. Einen Moment später flammte ein Feuerball hinter der Scheibe auf, doch da der Verursacher – vermutlich Koranen – ihn direkt vor dem Kopf des Geschöpfes hatte entzünden müssen, um es zu verscheuchen, zuckte Kelly erneut zusammen, wandte sich von den sie blendenden grellen Flammen ab … und sah eine Bewegung, wo keine sein sollte. Bei ihnen im Raum.
»Vorsicht, Saber – hinter dir!«
Saber fuhr herum. Als sein Blick auf die seilähnlichen Schatten fiel, die auf sie zuglitten, stieß er einen unterdrückten Fluch aus. »Bei Jinga! Wasserschlangen!«
Kelly verzichtete darauf, ihn zu fragen, was er damit meinte, sein erschrockener Ton sagte ihr alles, was sie wissen musste. Sie hieb mit ihrer provisorischen Waffe auf die sich ihr am nächsten befindliche gelbbraune Schlange ein. Diese wich mit der Schnelligkeit einer Kobra aus, Kelly schlug erneut zu, und diesmal gelang es ihr, das Tier mit einem gewaltigen Streich in zwei Hälften zu spalten. Eine bläuliche Schmierspur blieb auf dem Boden und am Ende der Latte zurück. Neben ihr flackerte Licht auf. Saber schleuderte mit einer Hand Feuerblitze durch die Luft und holte mit der anderen wieder und wieder mit seinem Schwert aus, dann nahm er die Klinge in die linke Hand, damit er mit der rechten ungehindert seine Magie ausüben konnte.
Ein Schatten schoss auf ihren Knöchel zu. Kelly sprang blitzschnell in die Höhe, landete mit beiden Füßen auf der Schlange und zerstampfte sie voll grimmiger Wut, dann versuchte sie eine andere mit einem Schlag ihrer Waffe zu erlegen. Als sie sie verfehlte, kroch das Tier auf das Holz, wand sich darum und schlängelte sich auf ihre Hände zu. Ohne darauf zu achten zermalmte sie eine zweite Schlange, dann ließ sie die Latte rasch fallen und sprang zurück, als die erste das Ende des Holzes erreicht hatte, zustieß und ihre Finger nur knapp verfehlte.
Dabei prallte sie rücklings gegen einen der eisernen Lichtkugelhalter. Kelly packte eine Kugel, holte zielsicher aus, obwohl sie seit ihrer Highschoolzeit nicht mehr Softball gespielt hatte, und setzte nacheinander drei Schlangen außer Gefecht. Die Kugeln strahlten beim Aufprall auf dem Boden auf und tauchten den Raum in ein helles Licht. Sie hob eine vierte, konnte aber in ihrer unmittelbaren Nähe keine dieser seltsamen Schlangen mehr entdecken, und der Boden war jetzt so hell erleuchtet, dass sie sie unmöglich übersehen hätte. Im Moment schien keine akute Gefahr zu bestehen.
Die vierte der fünf Kugeln, die von den gewundenen schmiedeeisernen Bändern dieses Ständers gehalten worden waren, fest mit beiden Händen umklammert haltend fuhr sie herum und vergewisserte sich dabei, dass keine weiteren Schlangen auf sie zugeschossen kamen. Plötzlich hörte sie einen Schmerzensschrei. Sie wirbelte erneut herum, sah, wie Saber eine der armlangen Schlangen von seiner Hand abschüttelte, wobei ihm sein Schwert entglitt, holte aus und schickte ihr Wurfgeschoss mit der grimmigen Präzision eines Junior Varsitiy All-Star-Softballpitchers auf die Reise. Es traf die Schlange mitten in der Luft, beide prallten gegen den Rand des Zuschneidetisches. Die Kugel flammte gleißend weiß auf und beleuchtete eine zähe dunkelblaue Flüssigkeit, die über die Tischkante rann und zu Boden tropfte.
Saber hatte indessen einen stählernen Dolch herbeigerufen, schlitzte die Haut rund um die Bisswunden auf Hand und Arm mit hastigen Schnitten auf und quetschte zusammen mit ein paar Blutstropfen eine merkwürdige, ins Violette spielende Absonderung seines Fleisches heraus. Er war so damit beschäftigt, das Gift aus seinem Körper zu ziehen, dass er die direkt vor ihm über den Boden gleitende gelblich gemusterte Schlange gar nicht bemerkte. Kelly sprang mit einem Satz vor und zertrat die Kreatur unter ihren abgetragenen, dünnsohligen Slippern, ehe sie ihn erreichen und zustoßen konnte. Sie war so auf die Schlange konzentriert, dass sie nicht spürte, wie sich ihre Schuhe mit der aus dem Kadaver austretenden blauen Flüssigkeit vollsogen.
»Ich brauche Wasser!«, keuchte Saber, als sie sich zu ihm umdrehte. Kelly registrierte entsetzt, dass die Schnittwunden, die er sich zugefügt hatte, überhaupt nicht bluteten. Stattdessen nahm das Fleisch eine ungesunde graurote Färbung an. Es verdorrte vor ihren Augen.
Kelly fuhr herum und packte eine der Blumenvasen, die er alle paar Tage, wenn sie sich nicht im Raum aufhielt, mit Wasser auffüllte. Sie riss die Blumen heraus und schob ihm die Vase hin. Er tauchte den Arm hinein, und Kelly griff nach der zweiten Vase und goss deren Inhalt in die erste. Beide waren bis zum Rand gefüllt gewesen, doch als sie Wasser in die erste Vase nachgoss bemerkte sie, dass das Gefäß jetzt mit einer klebrigen lila Flüssigkeit gefüllt war.
»Dur … durstig.«
Mit der zweiten Vase in der Hand stürmte Kelly zum nächstgelegenen Abtritt. Saber schlurfte hinter ihr her, dabei knirschte er vor Schmerz mit den Zähnen, während sich das Gift in seinem Körper ausbreitete. Kelly erreichte das Waschbecken als Erste, riss den Stopfen aus der oberen Öffnung, hielt die Vase unter den sprudelnden Wasserfall und fluchte ungeduldig, weil sie nicht schnell genug volllief. Dann eilte sie zu Saber zurück.
Er war fast bis zur Tür getaumelt, lehnte jetzt an der Wand und sah genauso elend aus, wie sie vermutlich bei ihrer Ankunft in dieser verrückten Welt. Sie hielt ihm die Vase an den Mund. Die Hälfte des Wassers lief daneben, als er versuchte, ein paar Schlucke zu trinken. Sie füllte sie erneut. Das Wasser belebte ihn soweit, dass er imstande war, sich in die Abtrittkammer zu schleppen.
Als er die Hand aus der Vase zog, war sie dick mit rotlila Schleim überzogen. Die Giftabsonderungen der Wasserschlangen verbanden sich offenbar mit dem im Blut enthaltenen Wasser und anderen Körperflüssigkeiten, erkannte Kelly. Dabei stieg Übelkeit in ihr auf. Das blaue Gift und das rote Blut verwandelten sich dann in diese zähe Substanz, die den Blutfluss zum Erliegen brachte. Wie es aussah, vermochte nur Wasser sie zu verdünnen. Kelly hielt seinen Arm unter den Wasserfall und wusch so viel von dem Schleim ab, wie es ihr möglich war, während er mit seiner gesunden Hand unaufhörlich Wasser schöpfte und es gierig aufschlürfte.
Während sie ihr Werk beendete, spürte Kelly plötzlich, wie ihr eigener Mund trocken wurde und eine merkwürdige Benommenheit von ihr Besitz ergriff. Da sie Angst hatte, das Gift könne auch durch ihre Haut in ihren Körper gelangt sein, seifte sie sich hastig die Hand ein, dann tranken sie beide; tranken und tranken und tranken, bis sie sich vorkamen, als seien sie bis in die letzte Pore mit Wasser vollgepumpt und sich gleichzeitig noch immer wie ausgedörrt vorkamen. Und als das Gefühl der Trockenheit nachließ, hätten sie das ganze Wasser beinahe wieder von sich gegeben.
Saber untersuchte leise stöhnend seine verletzte Hand. Das Blut hatte wieder träge zu fließen begonnen und nahm allmählich wieder seine frühere hellrote Farbe an.
»Ich glaube, du hast mir das Leben gerettet.«
»Ich habe nur getan, was du mir gesagt hast«, krächzte Kelly, dann inspizierte sie ihre Haut. Sie wirkte trocken; weitaus trockener, als sie sein sollte. Ihre Füße fühlten sich bleischwer und taub an. Ein Blick nach unten bestätigte ihr, dass ihre Slipper blau durchweicht waren. »O mein Gott …«
Sie schleuderte die Schuhe von sich, kletterte auf das steinerne Sims des Waschbeckens und hielt ihre leicht lila verfärbten Füße unter das Wasser. Saber half ihr, ihre Fußsohlen und die Seiten ihrer Füße abzuschrubben und hielt dabei seinen immer noch Gift absondernden Arm unter den Strahl. »Es dringt auch durch die Haut ein und bleibt sehr lange im Blut. Wir müssen so schnell wie möglich ein ausgiebiges Vollbad nehmen«, fügte er zwischen weiteren Schlucken aus seiner hohlen Hand hinzu. »Wasser ist das Einzige, womit man das Gift aus dem Körper schwemmen kann.«
»Verstehe.« Ihr Mund und ihre Kehle waren inzwischen strohtrocken geworden. »Wie wäre es mit einem Wettrennen zur nächsten Badewanne?«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Von hier aus dürfte das deine sein.«
»Und die ist groß genug für zwei.« Kelly zog die Füße aus dem Becken und schöpfte sich mehr Wasser in den Mund. Dann spülte sie die zweite Vase aus, füllte sie mit Wasser, goss sich den Inhalt über den Kopf und durchweichte ihre locker sitzende Leinenbluse und die Baumwollhosen. Danach füllte sie sie erneut und kippte sie über Saber aus, ohne darauf zu achten, dass sie einen Teil des Wassers auf dem Boden verschüttete. Hustend fragte sie dann: »Meinst du, das reicht?«
»Bis zu deiner Kammer kommen wir damit. Aber füll sie vorsichtshalber noch einmal nach.«
Kelly tat, wie ihr geheißen, und dann stolperten sie beide, so schnell sie konnten, in den Gang hinaus und auf die Treppe zu. Die Nähkammer lag direkt neben der großen Halle im Westflügel auf der Vorderseite, wo das meiste Licht durch die Fenster fiel. Sie brauchten nicht lange, um zu ihrer Unterkunft emporzusteigen, wo die Badewanne auf sie wartete. Alle anderen Bademöglichkeiten waren zu weit entfernt; sie befanden sich in den Schlafkammern hinter der y-förmigen Gabelung jedes länglichen Flügels der Burg.
Als sie die Tür erreichten, war die Vase dennoch fast leer, und sie stürzten auf die Wanne zu.
»Saber? Kelly? Wo seid ihr?«
Saber, der auf der untersten Stufe der riesigen Wanne stand, antwortete ihm, während er den großen Korkstopfen entfernte. Der andere Korken steckte zum Glück schon in dem Abfluss. »Evanor!«, sang er, um das magische Gehör seines Bruders zu aktivieren. »In der Nähkammer waren Wasserschlangen. Wir müssen beide das Gift aus uns herausspülen.«
»Ihr alle beide?«, vergewisserte sich der unsichtbare Bruder. Schreck klang in seinem Lied mit.
»Ja, dank mehrerer Bisse und Hautkontakt. Wir glauben, wir haben sie alle erledigt, aber gegen Ende waren wir mehr mit anderen Problemen beschäftigt«, fügte er hinzu, als Kelly vor ihm die Abtrittkammer betrat und die Vase unter den dort sprudelnden Wasserfall hielt. »Die Greife waren nur die Vorhut, sie sollten uns ausspionieren und den Weg für die Schlangen freimachen. Also seid vorsichtig.«
»Wir sind gewarnt. Werdet ihr überleben?«
Saber lachte, verschluckte sich aber an der Handvoll des warmen Wassers aus der Wanne, mit dem er seinen Durst stillte, und musste husten. »Ich denke schon. Aber die nächsten Tage werden kein Vergnügen.«
»Ich triefe vor Mitgefühl.«
»Wie habt ihr das gemeint?«, erkundigte sich Kelly, die gerade mit der frisch gefüllten Vase zurückkam. Evanor hatte dafür gesorgt, dass sie den Rest des Gesprächs mit anhören konnte. Sie goss sich etwas Wasser über das Gesicht, dann trank sie, ohne seine Antwort abzuwarten. Sie wurde von einem unstillbaren Durst geplagt.
»Die einzige Heilmethode ist langwierig … und sehr nass. Wir müssen uns mehrere Stunden, vielleicht sogar mehrere Tage lang von Wasser durchweichen lassen …wie lange, hängt von der Schwere der Vergiftung ab. Und wir werden die Wanne nur verlassen, wenn uns der Durchfall, der uns das Gift aus dem Körper spült, auf den Abtritt treibt«, erklärte er, das Gesicht zu einer Grimasse verziehend, dann versuchte er mit seiner gesunden Hand erfolglos, seine Stiefel aufzuschnüren. »Kannst du das übernehmen? Ich kann meine Hand die nächsten drei, vier Stunden nicht gebrauchen, ich muss warten, bis so viel Gift wie möglich aus diesen Wunden ausgetreten ist.«
Während er aus seiner unversehrten hohlen Hand Wasser schlürfte, streifte Kelly ihm Stiefel und Socken ab. Ihre Haut war mittlerweile so trocken geworden, dass sie schmerzhaft zu spannen begann. Sie legte ihren Gürtel ab – einen weiteren Schatz, den sie in einer staubigen Kammer gefunden hatte – und stieg in die Wanne, sowie sie halb voll war. Sie war breit und tief und hatte sogar einen geschwungenen Rückenteil, an den man sich bequem anlehnen konnte. Nachdem sich Saber seines eigenen Gürtels entledigt hatte, folgte er ihrem Beispiel.
Es war keine Schamhaftigkeit, die sie dazu bewogen hatte, ihre Kleider anzubehalten; sie wollten einfach nur keine Zeit verlieren. Mit einem nackten Zeh berührte er den Hebel und stellte die Temperatur etwas höher, dann ließ er den Fuß in das Wasser zurückfallen. Kelly tauchte unter, bis sich ihre Haare mit Wasser vollgesogen hatten, und kam dann mit einem wohligen Seufzen wieder an die Oberfläche.
»Oh, tut das gut.«
Saber tat es ihr nach, schüttelte Wassertröpfchen aus seinen Augen, nachdem er wieder aufgetaucht war, dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. »Und ich habe mich darüber beschwert, dass ich das Ding sauber machen musste!«
Darüber musste auch Kelly lachen. Sein Arm ruhte hinter ihren Schultern auf dem Beckenrand, während sie sich nebeneinander in der Wanne räkelten. Kelly sträubte sich nicht dagegen, im Gegenteil, sie genoss das Gefühl vertrauter Kameradschaft, das sich zwischen ihnen entwickelte. »Bist du jetzt nicht froh, dass ich dich dazu gebracht habe?«
»Dazu gebracht?« Saber kniff spöttisch die Augen zusammen. »Überlistet hast du mich!«
»Ich habe mich schon gefragt, ob du das wohl je merken würdest.«
Er sah sie an, sie ihn. Beide leckten sich gleichzeitig mit identischen Grimassen die trockenen Lippen und tauchten erneut unter. Als sie wieder an die Oberfläche kamen, lachten sie beide. Kelly ließ sich zum Fußende der riesigen, zwei Personen mühelos fassenden Wanne treiben und schob den Korken in den Wasserspender zurück. Obwohl eine große Menge Frischwasser heraussprudelte, ließ er sich mühelos wieder verkorken, und der Korken blieb an seinem Platz. Wahrscheinlich auch magisch bedingt, dachte sie. Was Hope wohl sagen würde, wenn sie mich jetzt sehen könnte …
Hah! Vermutlich »Du Glückskind!« oder etwas Ähnliches. Sie wäre entzückt, mit einem attraktiven Mann in einer Wanne zu sitzen … Aber diesen Gedanken weiterzuspinnen würde nur weitere Ideen hervorrufen, die sich in eine ganz bestimmte Richtung bewegten, und das führte in ihrem momentanen Zustand zu nichts. Trotz seiner jüngsten Versuche, ihr den Hof zu machen, war das wahrscheinlich auch kein guter Einfall. Also richtete Kelly ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Wasser, ein unverfängliches Thema, und fragte sich, aus welcher Quelle es stammte. »Saber?«
»Mmm?«, brummte er, froh, gerade um Haaresbreite dem Tod entronnen zu sein.
»Wo kommt all das Wasser her? Die Berge sehen nicht hoch genug aus, um genug Regenwasser für die Versorgung eines Gebäudes dieser Größe zu speichern, wenn es vollständig bewohnt ist.«
»Aus dem Meer natürlich.«
»Aus dem Meer? Aber es ist nicht salzig«, gab Kelly zu bedenken und drehte sich mit verwirrt gerunzelter Stirn zu ihm um. »Meerwasser hat doch einen mehr oder weniger hohen Salzgehalt.«
»Die ursprünglichen Erbauer von Nightfall wussten, dass es auf der Insel nicht ausreichend Frischwasser für die gesamte Bevölkerung des Herzogtums gab – die Insel ist fünfzig Meilen lang und zwanzig breit, und die Burg liegt in der Mitte der beiden Bergketten, die die Insel teilen«, erläuterte Saber. Dabei zeichnete er mit dem Finger eine grobe Skizze auf die Wasseroberfläche zwischen ihnen. »Auf Nightfall regnet es genug, um die Ströme das ganze Jahr nicht versiegen zu lassen, aber das reicht nur für die hiesigen Pflanzen und Tiere und vielleicht noch fünfzig oder sechzig Menschen, ohne dass das Wasser während der heißesten Jahreszeit rationiert werden muss.
Also hat der Herzog von einem der mächtigsten Magier der damaligen Zeit – einem Mann, der Morganen ebenbürtig oder sogar überlegen war – die Begleichung einer alten Schuld eingefordert und der hat auf einem der niedrigen Hügel in der Nähe der direkt westlich von hier gelegenen Bucht eine dauerhaft funktionierende Wasserentsalzungsanlage angelegt, komplett mit Rohren bis zu den Häusern der Menschen, die hier lebten.
Dauerhafte Magie gibt es extrem selten«, klärte Saber sie weiter auf, während er sich Wasser ins Gesicht spritzte. »Nur die mächtigsten Magier können derartige Zauber verhängen, und für gewöhnlich erfordern die Vorbereitungen schon ein ganzes Jahr und kostspielige Materialien … du siehst, dass er den ursprünglichen Siedlern einen ungeheuren Gefallen erwiesen hat, indem er ein System konstruierte, das sie mit genügend Trinkwasser versorgte.«
»Wo sind denn all die ursprünglichen Bewohner der Insel abgeblieben?«
Saber rümpfte die Nase. »Sie wurden durch einen Fluch von Nightfall vertrieben.«
Kelly verdrehte die Augen.
»Da kannst du stöhnen, so viel du willst, Kelly … es ist wahr. Doch dieser Fluch wurde von den Inselbewohnern selbst verhängt. Mit voller Absicht.«
»Absichtlich?« Das weckte ihr Interesse. »Wie denn? Und warum?«
»Es geschah mit dem Fall von Aiar, eines alten und einst sehr mächtigen weit nördlich von hier gelegenen Reiches. Alle Einzelheiten sind mir nicht bekannt«, räumte er ein. »Aber es heißt, dass die Götter und die Sterblichen vor vielen Jahren einen erbitterten Krieg um die Wahrheit führten. Dabei kam einer der Götter des Nordens ums Leben, und das gesamte Reich brach entzwei. Einst gab es hier auf Nightfall eine Pforte, die das Herzogtum mit Aiar verband – in Katan existierte übrigens eine ganze Reihe solcher Pforten«, fügte er hinzu. »Zu jener Zeit lebte eine Seherin, die davor warnte, dass sämtliche Pforten sowie das gesamte Land im Umkreis eines Tagesrittes in diesem Krieg zerstört werden würden, wenn es nicht gelänge, die Pforten vorher zu schließen, aber das erforderte ein ungeheures Maß an Macht.
Nightfall war der letzte Ort, den der Rat der Magier besuchte. Sie trafen hier ein und setzten den Schließungsprozess in Gang. Doch der Kampf hatte schon vor ihrer Ankunft in Aiar getobt, und der letzte Rest zerstörerischer Kraft drängte mit aller Gewalt durch die Pforte. Die Magier konnten diese Macht nicht aufhalten, nur umleiten, und so wandelte die Herzogin, die damals über die Insel herrschte – selbst eine bedeutende Seherin – die negativen Energien in einen Fluch um, der verhinderte, dass sich mehr als hundert Menschen dauerhaft hier ansiedeln konnten. Hätte sie das nicht getan, wäre der innere Teil der Insel zerstört worden und sämtliche Bewohner ums Leben gekommen.
Und so kehrten die Einwohner Nightfalls in aller Eile zum Festland zurück, denn das Wasser wurde bitter, das Vieh fraß nicht mehr, die Ernten verdorrten auf den Feldern … jede nur erdenkliche Katastrophe suchte die Insel heim. Nachdem die Menschen sie verlassen hatten, wurde Nightfall der perfekte Aufenthaltsort für Verbannte. Ich glaube, zu den Bedingungen zur Aufhebung des Fluchs zählt unter anderem ein Zustand, ›wo alle Geräusche verstummen und Hilfe eintrifft‹. Ich habe mich allerdings seit längerer Zeit nicht mehr mit diesen Dingen befasst.«
»Entzückend.« Kelly runzelte die Stirn, tauchte kurz unter, um ihr Gesicht zu befeuchten, und wischte dann ein paar Wassertropfen ab. »Woher weißt du das alles? Ich dachte, du und deine Brüder wärt erst vor ein paar Jahren hierher gekommen?«
»Ihr habt doch vor – wann genau? – vor achtzehn oder zwanzig Tagen die Burgbibliothek gründlich sauber gemacht. Dort stehen ein paar dicke Bände, die die Geschichte Nightfalls behandeln. Sie sind in weißes Leder gebunden, du hast sie vielleicht gesehen, und decken die vergangenen zweitausend Jahre ab. Dazu gibt es noch einen neueren Nachtrag, der von der letzten Gruppe hierher Verbannter und uns selbst handelt … und unsere Geschichte versuchte ich nach Möglichkeit immer auf dem neuesten Stand zu halten. Obwohl es nicht viel aufzuzeichnen gibt, hier geschieht ja von den gelegentlichen Angriffen unseres unbekannten Feindes abgesehen kaum etwas. Wir wüssten vermutlich längst, wer dahintersteckt«, fügte er bitter hinzu, »wenn wir nicht hier festsitzen würden. Aber daran können wir momentan nichts ändern.«
Kelly hätte gerne gefragt, ob auch sie inzwischen in diesem Buch aufgeführt war, aber das Thema erschien ihr angesichts der Tatsache, dass ihre Anwesenheit hier vielleicht ein nicht näher beschriebenes Unheil heraufbeschwor, zu heikel. »Also pumpt diese … diese Anlage Wasser vom Meer hinauf?«
»Ja, von einem der tiefsten Punkte der Bucht. Dann entsalzt sie es und reinigt es von Plankton und anderen unliebsamen Bestandteilen, bis es rein und klar und zum Trinken geeignet ist, und leitet es in die Burg«, bestätigte Saber und legte eine höfliche Pause ein, als sie erneut untertauchte. »Etwas davon fließt auch in eine Frischwasserlagune, die einst, als Nightfall noch ein Herzogtum war, einen Teil der ursprünglichen Hafenstadt bildete.
Bei dieser Lagune handelt es sich eigentlich um ein riesiges Steinbecken, in dem das Wasser gesammelt und zu den einzelnen Gebäuden auf der Insel geleitet wurde.« Er hielt inne, um seinerseits unter Wasser zu tauchen, kam prustend wieder zum Vorschein und fuhr fort: »Auch wenn gerade keine Verbannten auf der Insel leben, kommen die Leute vom Festland zu Vollmond und Neumond hierher, wenn das Wetter es zulässt. Sie holen das Salz ab, das die Anlage den täglich gereinigten Tonnen von Wasser entzieht und zu Blöcken presst.
Damit der Zauber dauerhaft aktiv bleibt, darf der Verarbeitungsprozess nie unterbrochen werden«, erklärte er, als er ihren fragenden Gesichtsausdruck bemerkte. »Auch die Algenblöcke geben einen vorzüglichen Dünger ab – wie du siehst, wird nichts verschwendet. Rechtmäßig sind beide Produkte, sowohl das Salz als auch der Algendünger, Eigentum des Herzogtums Nightfall, aber da seit Hunderten von Jahren hier kein Herzog und keine Herzogin mehr herrscht …«
Er brach ab und zuckte die Achseln, also führte sie den Satz zu Ende. »Also sind die, die hierher verbannt wurden, in doppelter Hinsicht gestraft, denn sie profitieren nicht von dem Salzhandel. Und wenn deine Welt der meinen zu Zeiten des Mittelalters auch nur im Entferntesten ähnelt, kann Salz ein äußerst wertvolles Handelsgut sein.«
»Mittel- was?«
»Mittelalter«, wiederholte Kelly. »In meiner Welt gab es zwischen den antiken Reichen voller neuer Ideen und Erfindungen und meinem modernen Zeitalter, in dem alles neu entwickelt, überarbeitet und verbessert wird und die Menschen mit Neuerungen förmlich überschwemmt werden, eine ungefähr tausend Jahre währende Phase der Stagnation. Nichts änderte sich in dieser Zeit. Die Menschen trugen Kleider, die den euren sehr ähnlich waren, in vieler Hinsicht jedenfalls«, erklärte Kelly. »Obgleich eure Möbel nicht unbedingt mittelalterlich sind, sondern eher dem Queen-Anne-Stil zuzuordnen wären – das heißt, sie wären bei uns ein paar und nicht viele hundert Jahre alt.
Ich persönlich ziehe es vor, auf einem gepolsterten Stuhl statt auf hartem Holz zu sitzen, wie es meine Vorfahren vor tausend Jahren getan haben, also denk bitte nicht, ich würde mich beklagen«, versicherte sie ihm rasch. »Ich stelle nur … Beobachtungen an.«
Saber, der sich fast bis zur Nasenspitze ins Wasser hatte sinken lassen, betrachtete sie nachdenklich. »Es gefällt dir gut hier, nicht wahr?«
»Tja, seit mich niemand mehr anbrüllt, schon«, stimmte sie zu, was ihm die Röte in die Wangen trieb. »Aber meine Nerven haben am Anfang meiner Zeit hier auch ziemlich gelitten, obgleich ich Wasserschlangen, Greife und Makka-was-auch-immer-Hassbotschaften, Henkerschlingen und dem Flammentod in meinem eigenen Bett entschieden vorziehe.«
Ein leises Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie sich neben ihm ausstreckte, und wurde breiter, als er seinen Arm auf den steinernen Wannenrand legte, damit sie den Kopf dagegenlehnen konnte.
»Deine Brüder gefallen mir, Saber. Sie sind ein wenig seltsam, aber schließlich befinde ich mich auch in einem vor Magie förmlich vibrierenden Reich, und es braucht schon etwas Zeit, um sich daran zu gewöhnen.« Sie grinste ihn an.
»Du siehst auf jeden Fall wesentlich gesünder aus als noch vor einem Monat«, stellte er fest, beäugte sie und lächelte schief. »Und sehr viel anziehender.«
Sie spritzte ihm Wasser ins Gesicht. »Vielen Dank.«
Er spritzte zurück.
Sie machte gerade Anstalten, eine Wasserschlacht anzuzetteln, als es an der Tür klopfte. Hastig lehnte sie sich zurück und hielt sich am Wannenrand fest. »Herein!«
Trevan und Koranen betraten den Raum. Jeder von ihnen hielt ein Tablett in den Händen. Angesichts von Saber und Kelly, die beide bis zum Kinn in dem dampfenden Wasser lagen, verlangsamten sie ihre Schritte, zwinkerten verwirrt und blieben stehen. Zum Glück registrierten beide Männer sofort, dass das Paar mehr oder weniger vollständig bekleidet war, und kamen zögernd näher. Trevan grinste wie eine Katze, die einen Kanarienvogel verspeist hatte, Koranens Wangen hatten sich rosig verfärbt.
»Es freut mich zu sehen, dass ihr zwei euch scheinbar so wohl fühlt wie Fische im Wasser«, schnarrte Trevan, als er sein Tablett auf dem breiten Steinsims am Fuß der Wanne abstellte. »Ihr habt übrigens sämtlichen Wasserschlangen den Garaus gemacht. Aber unser unbekannter Widersacher hat die beiden überlebenden Greife dazu benutzt, um drei Trolle aus der Niederhölle in eine der leeren Gästekammern einzuschleusen, ehe wir sie vernichten konnten.«
»All Eure Bemühungen, uns wie Sklaven dazu anzutreiben, diese spezielle Kammer zu säubern, sind dadurch zunichtegemacht worden«, erklärte Koranen Kelly, ehe er sein Tablett an das Kopfende der Wanne stellte. »Morganen hat die Teleportation bemerkt, während sie noch in vollem Gang war, und den vierten und alle weiteren Trolle zu ihrem Herrn zurückgeschickt, aber die Pforte wurde so schnell geschlossen, dass ihm keine Zeit blieb, ihren Ausgangsort zu lokalisieren. Sogar Morg ist nicht imstande, Greife abzuwehren, Trolle wegzuscheuchen und zugleich auch noch eine solche Ortsbestimmung durchzuführen. Doch es ist ihm gelungen, die ersten drei Trolle in ihre eigene Existenzebene zu verweisen, also sind wir vorerst sicher vor ihnen.«
»Im Ostflügel haben wir ein paar Lumpenfetzen nebst Feuerstein und Zunder gefunden, um die Kadaver der Greife in Flammen aufgehen zu lassen, ehe ihr Gestank die ganze Burg verpestet«, fuhr Trevan fort. »Und in der Zwischenzeit hat unser kulinarisches Genie Evanor euch eine Suppe gekocht, die das Blut verdünnt und dazu einen Saft zubereitet, der die Produktion roter Blutkörperchen anregt. Aber er sagt, ihr erhaltet sein neuestes und größtes Set dieser flauschigen fremdländischen Handtücher erst, wenn ihr beide wieder vollkommen gesund seid. Wir sehen in einer Stunde noch einmal nach euch, wir haben in der Nähstube eine ziemliche Schweinerei zu beseitigen, und dafür werden wir tonnenweise Wasser benötigen, selbst wenn wir zuerst alle Überreste vom Boden abkratzen.«
»Und zwar mit magischer Hilfe aus sicherer Entfernung«, fügte Koranen mit einem kleinen Lächeln hinzu, bevor er und sein Bruder sich Richtung Tür zurückzogen. »Hier drin ist nur genug Platz für zwei, wenn eine romantische Stimmung aufkommen soll.«
Ein verstohlener Blick zu Saber verriet Kelly, dass dieser leicht errötet war. Ein Blick zu ihr verriet ihm, dass ihr gleichfalls das Blut in die Wangen gestiegen war. Um ihre Verlegenheit zu überspielen begannen sie erneut, sich gegenseitig mit Wasser zu bespritzen.
Endlich widmeten sie sich der Mahlzeit, die Trevan und Koranen ihnen gebracht hatten. Nachdem ihr ärgster Hunger gestillt war, bemerkte Kelly plötzlich, dass sich irgendetwas seltsam anfühlte. Sie stellte ihren zur Hälfte geleerten Becher beiseite, tastete sich dann durch die durchweichte Bluse ab und ließ die Finger unter den Saum gleiten.
Obwohl sie bis zum Hals im Wasser lag, war die Innenseite ihres Korsetts trocken.
»Was zum Henker hat denn das nun wieder zu …«
»Was ist denn?« Saber, der gerade seine Suppe schlürfte, hielt inne und sah sie an.
»Mein Korsett ist knochentrocken! Direkt auf der Haut, meine ich. Du hast doch gesagt, das Wasser müsse durch die Poren der Haut dringen, um das Gift aus dem Körper zu schwemmen, oder?« Sie wälzte sich auf die andere Seite und sah ihn fragend an.
Saber schüttelte den Kopf, bemüht, nicht eingehender über ihr Korsett und das, was sich darunter befand, nachzudenken. »Du … äh … du solltest es ausziehen. Es lässt wahrscheinlich nicht genug Wasser durch, um das Gift zu neutralisieren, daher trocknet deine Haut aus.«
Errötend kehrte sie ihm den Rücken zu und schob ihre im Wasser treibende Bluse weg, die jedoch immer wieder in ihr Blickfeld geriet, während sie mit den Schnüren des starren Mieders kämpfte. »Ich kann nicht …ich muss zuerst mein Hemd ausziehen.«
»Dann sollte ich wohl besser …« Saber brach abrupt ab.
Kelly spähte über ihre Schulter hinweg zu ihm hinüber. Ein eigenartiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. »Entschuldige mich«, krächzte er.
Verdutzt sah sie zu, wie er die Vase packte, die auf dem Wannenrand stand, und damit im Zickzack auf die Tür zur Abtrittkammer zuschoss, ohne auf das Wasser zu achten, das er auf dem Boden verschüttete. Ooh.Vermutlich kündigte sich der Durchfall an, vor dem er sie gewarnt hatte. Sie wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, dann tauchte sie unter, um ihren zu trocknen beginnenden Kopf erneut zu benetzen, und wand sich aus der Bluse heraus. Sowie sie diese abgestreift hatte, war es nicht mehr schwer, das Korsett abzulegen. Sie warf es über den Wannenrand, zog sich die Bluse wieder über den Kopf, wrang dann das Korsett aus und breitete es zum Trocknen auf den Stufen der Wanne aus.
Wenigstens musste sie sich nicht um die Wäsche kümmern, das erledigte für gewöhnlich Dominor. Einmal pro Woche ging er durch die Burg, holte bei jedem seiner Brüder einen Korb voll Schmutzwäsche ab, benutzte eine Wanne wie die, in der sie gerade lag, in der Wäschekammer im Keller, um sie einzuweichen, fügte etwas Seife hinzu und rührte unter gemurmelten Zaubersprüchen einige Male mit einem Stab darin herum, bis alles frisch und sauber war. Dann zog er jedes einzelne Kleidungsstück aus dem Wasser, um es mittels weiterer Zauber zu trocknen, zu bügeln und ihm einen angenehmen Duft zu verleihen.
Kelly war überrascht gewesen, als sie erfuhr, dass ausgerechnet Dominor diese Aufgabe übernommen hatte. Doch nach einigem Nachdenken und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er derjenige der acht war, der den größten Wert auf elegante Kleidung legte und kostbare, silberund golddurchwirkte Stoffe bevorzugte, kam sie zu dem Schluss, dass er wohl nur verhindern wollte, dass einer seiner Brüder unbeabsichtigt eine seiner Tuniken oder Hosen durch einen falschen Zauberspruch verdarb. Da ihr selbst keine magischen Hilfsmittel zur Verfügung standen, hatte niemand sie gebeten, ihm diese Arbeit abzunehmen.
Kelly hatte auch nicht die Absicht, das zu ändern. Waschen und Bügeln war ihr seit jeher verhasst gewesen, obwohl sie es liebte, die Sachen anzufertigen, die dann unweigerlich früher oder später in einem Wäschekorb landeten – das ewige Dilemma jeder begeisterten Hobbyschneiderin.
Saber kam ein paar Minuten später zurück. Er wirkte verhärmt, seine Haut trocken und rissig, obwohl er sich während seiner Abwesenheit zumindest einmal mit dem Inhalt der Vase übergossen hatte. Nach einem Blick auf die Wasserpfützen auf dem Boden verzog er das Gesicht und schnippte mit den Fingern, woraufhin das Wasser kleine Säulen bildete und plätschernd in die Wanne zurückströmte. Dann kletterte er selbst hinein, holte tief Atem und tauchte unter. Einige Sekunden später kam er nach Luft schnappend wieder zum Vorschein, ließ sich einen Moment lang im Wasser treiben und schüttelte dann mit kläglicher Miene den Kopf.
»So geht es nicht. Ich werde mir eine andere Wanne suchen.«
»Und Höllenqualen leiden, während du das Wasser einlaufen lässt?« Jetzt war es an Kelly, den Kopf zu schütteln. »Na mach schon, zieh dich aus. Mir macht das nichts aus, du dürftest nichts enthüllen, was ich nicht schon mal gesehen habe.«