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Zwei Wochen wurden zu
dreien, und das Großreinemachen ging zu Ende, sodass Kelly viel
Zeit blieb, neben dem Ausbessern und Umändern alter Kleider auch
neue zu schneidern. Saber überreichte ihr das silberne Bürstenset,
das er gekauft hatte, mit ein paar gestammelten Worten und trat den
Rückzug an, ehe er mehr sagen konnte, als er beabsichtigt hatte.
Ein paar Tage später gab er ihr die parfümierten Öle – wieder ohne
große Erklärungen. Aber diesmal achtete er nicht so peinlich genau
darauf, räumlichen Abstand zu ihr zu halten, und blieb auch etwas
länger.
Die anderen Brüder nahmen ihre während der
Putzaktion vernachlässigten Tätigkeiten wieder auf und widmeten
sich der Herstellung jener Dinge, mit deren Verkauf sie ihren
Lebensunterhalt bestritten. Aber wenn das Wetter es zuließ,
arbeiteten sie jeden Tag eine oder zwei Stunden im Garten, jäteten
Unkraut, scheuerten die Steinfliesen, setzten die Springbrunnen in
Gang und füllten die Teiche neu, während Kelly ein wachsames Auge
auf sie hielt und dabei die letzten Kleidungsstücke flickte, ehe
sie begann, für jeden der Brüder neue zu schneidern.
Nachdem sie die wild wuchernden Ranken gestutzt,
die Bäume beschnitten und die Blumenbeete umgegraben und neu
bepflanzt hatten, begann die kleine Welt der neun Bewohner
Nightfalls, deren Leben sich fast ausschließlich innerhalb der
äußeren Mauern abspielte, allmählich ansprechend und ordentlich
auszusehen. Kelly stellte fest, dass sie kaum noch an ihr altes
Leben zurückdachte; ihr neues erschien ihr wesentlich realer und
vor allem entschieden interessanter, zumal sie nichts
Anstrengenderes zu tun hatte, als ihrem Hobby nachzugehen und mit
Stoffen, Bändern und Garnen zu arbeiten.
Einmal zog ein Sturm auf und setzte allen
Aktivitäten unter freiem Himmel ein Ende. Jetzt ließ sich erstmals
auch Rydan tagsüber in den Räumen der Burg blicken, während jeder
seiner Brüder sich beeilte, die schweren Fensterläden zu schließen
und die Riegel vorzuschieben. Im Rahmen ihrer Reparaturarbeiten
hatten sie alle Läden ausgebessert, die Angeln und Riegel geölt und
zerbrochene Scheiben durch neue ersetzt, gegen die jetzt der Regen
trommelte und der an Heftigkeit stetig zunehmende Wind
rüttelte.
Rydan beteiligte sich nicht an den Bemühungen
seiner Brüder, die Burg sturmsicher zu machen. Er war zu sehr mit
anderen Dingen beschäftigt, um diesen banalen Tätigkeiten
nachzugehen. So lebhaft hatte Kelly den die Nacht liebenden Mann
tagsüber noch nie erlebt – tatsächlich war es das erste Mal, dass
sie ihn am helllichten Tag zu Gesicht bekam -, aber er sprach weder
mit ihr, noch richtete er das Wort an seine Brüder. Diese hüteten
sich ihrerseits, ihm zu nahe zu kommen, denn er schien von einem
Energiefeld umgeben zu sein, das bewirkte, dass sich seine langen
schwarzen Haare bei jedem Blitz und Donnerschlag draußen wie von
Geisterhand bewegt aufblähten. Er tat nichts anderes, als die Gänge
auf- und abzuschreiten, während der Sturm an Stärke zunahm.
Kelly entging nicht, dass sich die Türen, an denen
er vorbeikam, auf gespenstische Weise von selbst öffneten und
schlossen, ohne dass er auch nur einen Finger auf die Klinke legte.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn noch nie eine der
hebelähnlichen Türklinken in der Burg hatte berühren sehen. Fast
schien ihr, als würden sich die Türen ein wenig vor ihm fürchten.
Auf sie traf das auf jeden Fall zu; die Energie, die er
ausstrahlte, ließ jede Faser ihres Körpers prickeln, obwohl sie
über keinerlei magische Fähigkeiten verfügte.
Sein voller Name lautete Rydan der Sturm, wie sie
inzwischen herausgebracht hatte, und sie hielt sich wohlweislich
ebenso wie seine Brüder ein Stück von ihm fern, doch trotz dieses
Sicherheitsabstandes stellten sich die Haare auf ihren Armen vor
Unbehagen auf, wenn er an ihr vorbeiging. Er hielt sich nur in den
Burgflügeln auf, während der Sturm am schlimmsten tobte … obgleich
der Begriff Aufhalten nicht ganz zutreffend
war.
Nachdem alle Fensterläden fest geschlossen waren,
der Wind heulend um die Burg pfiff und der Regen auf das Dach
hämmerte, strich Rydan ruhelos durch die Räume. In seinen dunklen
Augen leuchtete ein Licht, dessen Bedeutung Kelly nicht näher
ergründen mochte. Doch wenn sich diese ominöse Prophezeiung
bewahrheitete, dann gab es irgendwo da draußen eine Frau, der es
bestimmt war, Rydans Geheimnis zu lüften. Kelly war nur froh, dass
nicht sie diese Frau war, ging ihm aber vorsichtshalber dennoch aus
dem Weg.
Nachdem der hurrikanähnliche Sturm etwas
abgeflaut, die Läden wieder geöffnet worden waren und Rydan sich in
seine Kammer zurückgezogen hatte, regnete es noch stundenlang, die
ganze Nacht hindurch und bis zum nächsten Mittag. An diesem Tag
suchte Saber sie erneut auf. Diesmal hielt er ein leuchtend
aquamarinfarbenes Bündel in den Armen: Meter um Meter feinste
weiche, zu einem Ballen aufgewickelte Seide.
»Für mich?«, fragte sie ungläubig, stand von ihrer
Nähnische auf und ging auf den Zuschneidetisch in der Mitte des
Raumes zu. Er hielt wie zuvor ein paar Schritte Abstand zu ihr.
Seine grauen Augen begegneten ihren tiefblauen.
Endlich senkte er den Blick und starrte das
Stoffbündel in seinen Armen an. Kelly entging nicht, dass ihm das
Blut in die Wangen stieg. »Die Farbe passt zu deinen Augen.«
Er hielt ihr den Seidenballen hin. Doch da Kelly
das Gefühl beschlich, dass er sich sofort wieder zurückziehen
würde, sobald sie danach griff, wich sie ein Stück zurück, ohne die
Hände nach seinem neuesten Geschenk auszustrecken.
Saber hob den dunkelblonden Kopf und forschte in
ihrem Gesicht. Sie wandte sich ab und fuhr mit dem Finger über die
Tischplatte, während sie verzweifelt nach den richtigen Worten
suchte. Da dieser vermaledeite Fluch über ihnen hing, wusste sie
nicht, wie sie ihm und sich über die Verlegenheit des Augenblicks
hinweghelfen sollte – es sei denn, sie würde sich mit einem Schlag
in eine übermächtige Zauberin verwandeln, die das einem Menschen
vorherbestimmte Schicksal mühelos in andere Bahnen lenken konnte.
Aber da dies bislang nicht geschehen war, war die
Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß. Und eine
Doyle tritt Schwierigkeiten entgegen und versucht sie zu
überwinden!»Es ist wirklich sehr nett von dir, mir all diese
…«
In diesem Moment hallte Evanors Stimme
eindringlich in ihren Ohren wider und schnitt ihr das Wort ab,
obwohl sich der Sprecher gar nicht in ihrer Nähe befand. »Greifangriff! Drei Greife von Westen! Koranen, Dominor,
Morganen, sofort auf die Dächer!«
»Greife?«, wiederholte Kelly verwirrt, dann
weiteten sich ihre Augen vor Schreck, als ein Schatten an den im
dritten Stock gelegenen Fenstern der Nähkammer vorbeiflog. Er sah
aus wie ein … »Bist du sicher, dass das keine Drachen sind?«
Saber ließ den Ballen kostbarer Seide auf den
Tisch fallen und befahl mit einem Fingerschnippen sein bestes
Schwert herbei, während er erklärte: »In Katan gibt es keine
Drachen. Greife dagegen schon.«
»Willst du den anderen denn nicht zu Hilfe
kommen?«, fragte Kelly, die noch immer neben dem Tisch in der Mitte
des Raumes stand, als er sich zwischen ihr und dem Fenster
aufbaute.
»Wenn ich da oben gebraucht würde, hätte Evanor
mich ausdrücklich gerufen«, gab er über seine Schulter hinweg
zurück. Einen solchen Angriff hatten er und seine Brüder schon
zweimal abgewehrt und sich für den Fall, dass ein dritter erfolgen
sollte, einen Plan zurechtgelegt. Wie es aussah, war dieser Fall
jetzt eingetreten.
Der Anblick seiner breiten Schultern zwischen dem
regennassen Fenster und ihrer Person verlieh ihr tatsächlich ein
Gefühl von Sicherheit, aber es war nicht Kellys Art, sich hinter
dem Rücken anderer zu verstecken. Eine Doyle zeigte im Angesicht
des Feindes keine Feigheit. Also hielt sie nach einer Waffe
Ausschau.
Die Schere auf ihrem Nähtisch konnte angehen, aber
viel würde sie damit nicht ausrichten können. Sie ging zu dem Kamin
hinüber, in dem wegen des trotz Regen warmen Wetters kein Feuer
brannte, und griff nach einer der langen Holzlatten, die Dominor
für sie aufgetrieben hatte und aus denen sie sich einen kleinen
Garnwebstuhl hatte anfertigen wollen, um Borten darauf zu weben.
Sie wählte eine Latte aus, die so breit wie ihre Hand, mehrere
Zentimeter dick und so lang wie ihr Bein war, und wog sie prüfend
in der Hand.
»Was tust du denn da?« Saber musterte sie
stirnrunzelnd.
»Ach, du kennst mich doch. Halsstarrig und fest
entschlossen, mich niemals vor etwas Unangenehmem zu drücken«,
spöttelte sie. Und zuckte zurück, als eine der unheimlichen
Kreaturen – gräulich und wie eine drachenköpfige,
schlangenschwänzige, überdimensionale Fledermaus geformt – vor den
Fenstern direkt vor ihnen auftauchte und flügelschlagend dort
schweben blieb.
Sie hielt ihre Holzlatte in die Höhe; bereit,
damit auf dieses Wesen einzudreschen, sollte es durch die Scheibe
brechen. Einen Moment später flammte ein Feuerball hinter der
Scheibe auf, doch da der Verursacher – vermutlich Koranen – ihn
direkt vor dem Kopf des Geschöpfes hatte entzünden müssen, um es zu
verscheuchen, zuckte Kelly erneut zusammen, wandte sich von den sie
blendenden grellen Flammen ab … und sah eine Bewegung, wo keine
sein sollte. Bei ihnen im Raum.
»Vorsicht, Saber – hinter dir!«
Saber fuhr herum. Als sein Blick auf die
seilähnlichen Schatten fiel, die auf sie zuglitten, stieß er einen
unterdrückten Fluch aus. »Bei Jinga! Wasserschlangen!«
Kelly verzichtete darauf, ihn zu fragen, was er
damit meinte, sein erschrockener Ton sagte ihr alles, was sie
wissen musste. Sie hieb mit ihrer provisorischen Waffe auf die sich
ihr am nächsten befindliche gelbbraune Schlange ein. Diese wich mit
der Schnelligkeit einer Kobra aus, Kelly schlug erneut zu, und
diesmal gelang es ihr, das Tier mit einem gewaltigen Streich in
zwei Hälften zu spalten. Eine bläuliche Schmierspur blieb auf dem
Boden und am Ende der Latte zurück. Neben ihr flackerte Licht auf.
Saber schleuderte mit einer Hand Feuerblitze durch die Luft und
holte mit der anderen wieder und wieder mit seinem Schwert aus,
dann nahm er die Klinge in die linke Hand, damit er mit der rechten
ungehindert seine Magie ausüben konnte.
Ein Schatten schoss auf ihren Knöchel zu. Kelly
sprang blitzschnell in die Höhe, landete mit beiden Füßen auf der
Schlange und zerstampfte sie voll grimmiger Wut, dann versuchte sie
eine andere mit einem Schlag ihrer Waffe zu erlegen. Als sie sie
verfehlte, kroch das Tier auf das Holz, wand sich darum und
schlängelte sich auf ihre Hände zu. Ohne darauf zu achten zermalmte
sie eine zweite Schlange, dann ließ sie die Latte rasch fallen und
sprang zurück, als die erste das Ende des Holzes erreicht hatte,
zustieß und ihre Finger nur knapp verfehlte.
Dabei prallte sie rücklings gegen einen der
eisernen Lichtkugelhalter. Kelly packte eine Kugel, holte
zielsicher aus, obwohl sie seit ihrer Highschoolzeit nicht mehr
Softball gespielt hatte, und setzte nacheinander drei Schlangen
außer Gefecht. Die Kugeln strahlten beim Aufprall auf dem Boden auf
und tauchten den Raum in ein helles Licht. Sie hob eine vierte,
konnte aber in ihrer unmittelbaren Nähe keine dieser seltsamen
Schlangen mehr entdecken, und der Boden war jetzt so hell
erleuchtet, dass sie sie unmöglich übersehen hätte. Im Moment
schien keine akute Gefahr zu bestehen.
Die vierte der fünf Kugeln, die von den gewundenen
schmiedeeisernen Bändern dieses Ständers gehalten worden waren,
fest mit beiden Händen umklammert haltend fuhr sie herum und
vergewisserte sich dabei, dass keine weiteren Schlangen auf sie
zugeschossen kamen. Plötzlich hörte sie einen Schmerzensschrei. Sie
wirbelte erneut herum, sah, wie Saber eine der armlangen Schlangen
von seiner Hand abschüttelte, wobei ihm sein Schwert entglitt,
holte aus und schickte ihr Wurfgeschoss mit der grimmigen Präzision
eines Junior Varsitiy All-Star-Softballpitchers auf die Reise. Es
traf die Schlange mitten in der Luft, beide prallten gegen den Rand
des Zuschneidetisches. Die Kugel flammte gleißend weiß auf und
beleuchtete eine zähe dunkelblaue Flüssigkeit, die über die
Tischkante rann und zu Boden tropfte.
Saber hatte indessen einen stählernen Dolch
herbeigerufen, schlitzte die Haut rund um die Bisswunden auf Hand
und Arm mit hastigen Schnitten auf und quetschte zusammen mit ein
paar Blutstropfen eine merkwürdige, ins Violette spielende
Absonderung seines Fleisches heraus. Er war so damit beschäftigt,
das Gift aus seinem Körper zu ziehen, dass er die direkt vor ihm
über den Boden gleitende gelblich gemusterte Schlange gar nicht
bemerkte. Kelly sprang mit einem Satz vor und zertrat die Kreatur
unter ihren abgetragenen, dünnsohligen Slippern, ehe sie ihn
erreichen und zustoßen konnte. Sie war so auf die Schlange
konzentriert, dass sie nicht spürte, wie sich ihre Schuhe mit der
aus dem Kadaver austretenden blauen Flüssigkeit vollsogen.
»Ich brauche Wasser!«, keuchte Saber, als sie sich
zu ihm umdrehte. Kelly registrierte entsetzt, dass die
Schnittwunden, die er sich zugefügt hatte, überhaupt nicht
bluteten. Stattdessen nahm das Fleisch eine ungesunde graurote
Färbung an. Es verdorrte vor ihren Augen.
Kelly fuhr herum und packte eine der Blumenvasen,
die er alle paar Tage, wenn sie sich nicht im Raum aufhielt, mit
Wasser auffüllte. Sie riss die Blumen heraus und schob ihm die Vase
hin. Er tauchte den Arm hinein, und Kelly griff nach der zweiten
Vase und goss deren Inhalt in die erste. Beide waren bis zum Rand
gefüllt gewesen, doch als sie Wasser in die erste Vase nachgoss
bemerkte sie, dass das Gefäß jetzt mit einer klebrigen lila
Flüssigkeit gefüllt war.
»Dur … durstig.«
Mit der zweiten Vase in der Hand stürmte Kelly zum
nächstgelegenen Abtritt. Saber schlurfte hinter ihr her, dabei
knirschte er vor Schmerz mit den Zähnen, während sich das Gift in
seinem Körper ausbreitete. Kelly erreichte das Waschbecken als
Erste, riss den Stopfen aus der oberen Öffnung, hielt die Vase
unter den sprudelnden Wasserfall und fluchte ungeduldig, weil sie
nicht schnell genug volllief. Dann eilte sie zu Saber zurück.
Er war fast bis zur Tür getaumelt, lehnte jetzt an
der Wand und sah genauso elend aus, wie sie vermutlich bei ihrer
Ankunft in dieser verrückten Welt. Sie hielt ihm die Vase an den
Mund. Die Hälfte des Wassers lief daneben, als er versuchte, ein
paar Schlucke zu trinken. Sie füllte sie erneut. Das Wasser belebte
ihn soweit, dass er imstande war, sich in die Abtrittkammer zu
schleppen.
Als er die Hand aus der Vase zog, war sie dick mit
rotlila Schleim überzogen. Die Giftabsonderungen der
Wasserschlangen verbanden sich offenbar mit dem im Blut enthaltenen
Wasser und anderen Körperflüssigkeiten, erkannte Kelly. Dabei stieg
Übelkeit in ihr auf. Das blaue Gift und das rote Blut verwandelten
sich dann in diese zähe Substanz, die den Blutfluss zum Erliegen
brachte. Wie es aussah, vermochte nur Wasser sie zu verdünnen.
Kelly hielt seinen Arm unter den Wasserfall und wusch so viel von
dem Schleim ab, wie es ihr möglich war, während er mit seiner
gesunden Hand unaufhörlich Wasser schöpfte und es gierig
aufschlürfte.
Während sie ihr Werk beendete, spürte Kelly
plötzlich, wie ihr eigener Mund trocken wurde und eine merkwürdige
Benommenheit von ihr Besitz ergriff. Da sie Angst hatte, das Gift
könne auch durch ihre Haut in ihren Körper gelangt sein, seifte sie
sich hastig die Hand ein, dann tranken sie beide; tranken und
tranken und tranken, bis sie sich vorkamen, als seien sie bis in
die letzte Pore mit Wasser vollgepumpt und sich gleichzeitig noch
immer wie ausgedörrt vorkamen. Und als das Gefühl der Trockenheit
nachließ, hätten sie das ganze Wasser beinahe wieder von sich
gegeben.
Saber untersuchte leise stöhnend seine verletzte
Hand. Das Blut hatte wieder träge zu fließen begonnen und nahm
allmählich wieder seine frühere hellrote Farbe an.
»Ich glaube, du hast mir das Leben
gerettet.«
»Ich habe nur getan, was du mir gesagt hast«,
krächzte Kelly, dann inspizierte sie ihre Haut. Sie wirkte trocken;
weitaus trockener, als sie sein sollte. Ihre Füße fühlten sich
bleischwer und taub an. Ein Blick nach unten bestätigte ihr, dass
ihre Slipper blau durchweicht waren. »O mein Gott …«
Sie schleuderte die Schuhe von sich, kletterte auf
das steinerne Sims des Waschbeckens und hielt ihre leicht lila
verfärbten Füße unter das Wasser. Saber half ihr, ihre Fußsohlen
und die Seiten ihrer Füße abzuschrubben und hielt dabei seinen
immer noch Gift absondernden Arm unter den Strahl. »Es dringt auch
durch die Haut ein und bleibt sehr lange im Blut. Wir müssen so
schnell wie möglich ein ausgiebiges Vollbad nehmen«, fügte er
zwischen weiteren Schlucken aus seiner hohlen Hand hinzu. »Wasser
ist das Einzige, womit man das Gift aus dem Körper schwemmen
kann.«
»Verstehe.« Ihr Mund und ihre Kehle waren
inzwischen strohtrocken geworden. »Wie wäre es mit einem Wettrennen
zur nächsten Badewanne?«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Von hier aus dürfte
das deine sein.«
»Und die ist groß genug für zwei.« Kelly zog die
Füße aus dem Becken und schöpfte sich mehr Wasser in den Mund. Dann
spülte sie die zweite Vase aus, füllte sie mit Wasser, goss sich
den Inhalt über den Kopf und durchweichte ihre locker sitzende
Leinenbluse und die Baumwollhosen. Danach füllte sie sie erneut und
kippte sie über Saber aus, ohne darauf zu achten, dass sie einen
Teil des Wassers auf dem Boden verschüttete. Hustend fragte sie
dann: »Meinst du, das reicht?«
»Bis zu deiner Kammer kommen wir damit. Aber füll
sie vorsichtshalber noch einmal nach.«
Kelly tat, wie ihr geheißen, und dann stolperten
sie beide, so schnell sie konnten, in den Gang hinaus und auf die
Treppe zu. Die Nähkammer lag direkt neben der großen Halle im
Westflügel auf der Vorderseite, wo das meiste Licht durch die
Fenster fiel. Sie brauchten nicht lange, um zu ihrer Unterkunft
emporzusteigen, wo die Badewanne auf sie wartete. Alle anderen
Bademöglichkeiten waren zu weit entfernt; sie befanden sich in den
Schlafkammern hinter der y-förmigen Gabelung jedes länglichen
Flügels der Burg.
Als sie die Tür erreichten, war die Vase dennoch
fast leer, und sie stürzten auf die Wanne zu.
»Saber? Kelly? Wo seid
ihr?«
Saber, der auf der untersten Stufe der riesigen
Wanne stand, antwortete ihm, während er den großen Korkstopfen
entfernte. Der andere Korken steckte zum Glück schon in dem
Abfluss. »Evanor!«, sang er, um das
magische Gehör seines Bruders zu aktivieren. »In der Nähkammer
waren Wasserschlangen. Wir müssen beide das Gift aus uns
herausspülen.«
»Ihr alle beide?«,
vergewisserte sich der unsichtbare Bruder. Schreck klang in seinem
Lied mit.
»Ja, dank mehrerer Bisse und Hautkontakt. Wir
glauben, wir haben sie alle erledigt, aber gegen Ende waren wir
mehr mit anderen Problemen beschäftigt«, fügte er hinzu, als Kelly
vor ihm die Abtrittkammer betrat und die Vase unter den dort
sprudelnden Wasserfall hielt. »Die Greife waren nur die Vorhut, sie
sollten uns ausspionieren und den Weg für die Schlangen freimachen.
Also seid vorsichtig.«
»Wir sind gewarnt. Werdet ihr überleben?«
Saber lachte, verschluckte sich aber an der
Handvoll des warmen Wassers aus der Wanne, mit dem er seinen Durst
stillte, und musste husten. »Ich denke schon. Aber die nächsten
Tage werden kein Vergnügen.«
»Ich triefe vor Mitgefühl.«
»Wie habt ihr das gemeint?«, erkundigte sich
Kelly, die gerade mit der frisch gefüllten Vase zurückkam. Evanor
hatte dafür gesorgt, dass sie den Rest des Gesprächs mit anhören
konnte. Sie goss sich etwas Wasser über das Gesicht, dann trank
sie, ohne seine Antwort abzuwarten. Sie wurde von einem
unstillbaren Durst geplagt.
»Die einzige Heilmethode ist langwierig … und sehr
nass. Wir müssen uns mehrere Stunden, vielleicht sogar mehrere Tage
lang von Wasser durchweichen lassen …wie lange, hängt von der
Schwere der Vergiftung ab. Und wir werden die Wanne nur verlassen,
wenn uns der Durchfall, der uns das Gift aus dem Körper spült, auf
den Abtritt treibt«, erklärte er, das Gesicht zu einer Grimasse
verziehend, dann versuchte er mit seiner gesunden Hand erfolglos,
seine Stiefel aufzuschnüren. »Kannst du das übernehmen? Ich kann
meine Hand die nächsten drei, vier Stunden nicht gebrauchen, ich
muss warten, bis so viel Gift wie möglich aus diesen Wunden
ausgetreten ist.«
Während er aus seiner unversehrten hohlen Hand
Wasser schlürfte, streifte Kelly ihm Stiefel und Socken ab. Ihre
Haut war mittlerweile so trocken geworden, dass sie schmerzhaft zu
spannen begann. Sie legte ihren Gürtel ab – einen weiteren Schatz,
den sie in einer staubigen Kammer gefunden hatte – und stieg in die
Wanne, sowie sie halb voll war. Sie war breit und tief und hatte
sogar einen geschwungenen Rückenteil, an den man sich bequem
anlehnen konnte. Nachdem sich Saber seines eigenen Gürtels
entledigt hatte, folgte er ihrem Beispiel.
Es war keine Schamhaftigkeit, die sie dazu bewogen
hatte, ihre Kleider anzubehalten; sie wollten einfach nur keine
Zeit verlieren. Mit einem nackten Zeh berührte er den Hebel und
stellte die Temperatur etwas höher, dann ließ er den Fuß in das
Wasser zurückfallen. Kelly tauchte unter, bis sich ihre Haare mit
Wasser vollgesogen hatten, und kam dann mit einem wohligen Seufzen
wieder an die Oberfläche.
»Oh, tut das gut.«
Saber tat es ihr nach, schüttelte Wassertröpfchen
aus seinen Augen, nachdem er wieder aufgetaucht war, dann verzogen
sich seine Lippen zu einem Lächeln. »Und ich habe mich darüber
beschwert, dass ich das Ding sauber machen musste!«
Darüber musste auch Kelly lachen. Sein Arm ruhte
hinter ihren Schultern auf dem Beckenrand, während sie sich
nebeneinander in der Wanne räkelten. Kelly sträubte sich nicht
dagegen, im Gegenteil, sie genoss das Gefühl vertrauter
Kameradschaft, das sich zwischen ihnen entwickelte. »Bist du jetzt
nicht froh, dass ich dich dazu gebracht habe?«
»Dazu gebracht?« Saber kniff spöttisch die Augen
zusammen. »Überlistet hast du mich!«
»Ich habe mich schon gefragt, ob du das wohl je
merken würdest.«
Er sah sie an, sie ihn. Beide leckten sich
gleichzeitig mit identischen Grimassen die trockenen Lippen und
tauchten erneut unter. Als sie wieder an die Oberfläche kamen,
lachten sie beide. Kelly ließ sich zum Fußende der riesigen, zwei
Personen mühelos fassenden Wanne treiben und schob den Korken in
den Wasserspender zurück. Obwohl eine große Menge Frischwasser
heraussprudelte, ließ er sich mühelos wieder verkorken, und der
Korken blieb an seinem Platz. Wahrscheinlich
auch magisch bedingt, dachte sie. Was Hope
wohl sagen würde, wenn sie mich jetzt sehen könnte …
Hah! Vermutlich »Du
Glückskind!« oder etwas Ähnliches. Sie wäre entzückt, mit einem
attraktiven Mann in einer Wanne zu sitzen … Aber diesen
Gedanken weiterzuspinnen würde nur weitere Ideen hervorrufen, die
sich in eine ganz bestimmte Richtung bewegten, und das führte in
ihrem momentanen Zustand zu nichts. Trotz seiner jüngsten Versuche,
ihr den Hof zu machen, war das wahrscheinlich auch kein guter
Einfall. Also richtete Kelly ihre Aufmerksamkeit wieder auf das
Wasser, ein unverfängliches Thema, und fragte sich, aus welcher
Quelle es stammte. »Saber?«
»Mmm?«, brummte er, froh, gerade um Haaresbreite
dem Tod entronnen zu sein.
»Wo kommt all das Wasser her? Die Berge sehen
nicht hoch genug aus, um genug Regenwasser für die Versorgung eines
Gebäudes dieser Größe zu speichern, wenn es vollständig bewohnt
ist.«
»Aus dem Meer natürlich.«
»Aus dem Meer? Aber es ist nicht salzig«, gab
Kelly zu bedenken und drehte sich mit verwirrt gerunzelter Stirn zu
ihm um. »Meerwasser hat doch einen mehr oder weniger hohen
Salzgehalt.«
»Die ursprünglichen Erbauer von Nightfall wussten,
dass es auf der Insel nicht ausreichend Frischwasser für die
gesamte Bevölkerung des Herzogtums gab – die Insel ist fünfzig
Meilen lang und zwanzig breit, und die Burg liegt in der Mitte der
beiden Bergketten, die die Insel teilen«, erläuterte Saber. Dabei
zeichnete er mit dem Finger eine grobe Skizze auf die
Wasseroberfläche zwischen ihnen. »Auf Nightfall regnet es genug, um
die Ströme das ganze Jahr nicht versiegen zu lassen, aber das
reicht nur für die hiesigen Pflanzen und Tiere und vielleicht noch
fünfzig oder sechzig Menschen, ohne dass das Wasser während der
heißesten Jahreszeit rationiert werden muss.
Also hat der Herzog von einem der mächtigsten
Magier der damaligen Zeit – einem Mann, der Morganen ebenbürtig
oder sogar überlegen war – die Begleichung einer alten Schuld
eingefordert und der hat auf einem der niedrigen Hügel in der Nähe
der direkt westlich von hier gelegenen Bucht eine dauerhaft
funktionierende Wasserentsalzungsanlage angelegt, komplett mit
Rohren bis zu den Häusern der Menschen, die hier lebten.
Dauerhafte Magie gibt es extrem selten«, klärte
Saber sie weiter auf, während er sich Wasser ins Gesicht spritzte.
»Nur die mächtigsten Magier können derartige Zauber verhängen, und
für gewöhnlich erfordern die Vorbereitungen schon ein ganzes Jahr
und kostspielige Materialien … du siehst, dass er den
ursprünglichen Siedlern einen ungeheuren Gefallen erwiesen hat,
indem er ein System konstruierte, das sie mit genügend Trinkwasser
versorgte.«
»Wo sind denn all die ursprünglichen Bewohner der
Insel abgeblieben?«
Saber rümpfte die Nase. »Sie wurden durch einen
Fluch von Nightfall vertrieben.«
Kelly verdrehte die Augen.
»Da kannst du stöhnen, so viel du willst, Kelly …
es ist wahr. Doch dieser Fluch wurde von den Inselbewohnern selbst
verhängt. Mit voller Absicht.«
»Absichtlich?« Das weckte ihr Interesse. »Wie
denn? Und warum?«
»Es geschah mit dem Fall von Aiar, eines alten und
einst sehr mächtigen weit nördlich von hier gelegenen Reiches. Alle
Einzelheiten sind mir nicht bekannt«, räumte er ein. »Aber es
heißt, dass die Götter und die Sterblichen vor vielen Jahren einen
erbitterten Krieg um die Wahrheit führten. Dabei kam einer der
Götter des Nordens ums Leben, und das gesamte Reich brach entzwei.
Einst gab es hier auf Nightfall eine Pforte, die das Herzogtum mit
Aiar verband – in Katan existierte übrigens eine ganze Reihe
solcher Pforten«, fügte er hinzu. »Zu jener Zeit lebte eine
Seherin, die davor warnte, dass sämtliche Pforten sowie das gesamte
Land im Umkreis eines Tagesrittes in diesem Krieg zerstört werden
würden, wenn es nicht gelänge, die Pforten vorher zu schließen,
aber das erforderte ein ungeheures Maß an Macht.
Nightfall war der letzte Ort, den der Rat der
Magier besuchte. Sie trafen hier ein und setzten den
Schließungsprozess in Gang. Doch der Kampf hatte schon vor ihrer
Ankunft in Aiar getobt, und der letzte Rest zerstörerischer Kraft
drängte mit aller Gewalt durch die Pforte. Die Magier konnten diese
Macht nicht aufhalten, nur umleiten, und so wandelte die Herzogin,
die damals über die Insel herrschte – selbst eine bedeutende
Seherin – die negativen Energien in einen Fluch um, der
verhinderte, dass sich mehr als hundert Menschen dauerhaft hier
ansiedeln konnten. Hätte sie das nicht getan, wäre der innere Teil
der Insel zerstört worden und sämtliche Bewohner ums Leben
gekommen.
Und so kehrten die Einwohner Nightfalls in aller
Eile zum Festland zurück, denn das Wasser wurde bitter, das Vieh
fraß nicht mehr, die Ernten verdorrten auf den Feldern … jede nur
erdenkliche Katastrophe suchte die Insel heim. Nachdem die Menschen
sie verlassen hatten, wurde Nightfall der perfekte Aufenthaltsort
für Verbannte. Ich glaube, zu den Bedingungen zur Aufhebung des
Fluchs zählt unter anderem ein Zustand, ›wo alle Geräusche
verstummen und Hilfe eintrifft‹. Ich habe mich allerdings seit
längerer Zeit nicht mehr mit diesen Dingen befasst.«
»Entzückend.« Kelly runzelte die Stirn, tauchte
kurz unter, um ihr Gesicht zu befeuchten, und wischte dann ein paar
Wassertropfen ab. »Woher weißt du das alles? Ich dachte, du und
deine Brüder wärt erst vor ein paar Jahren hierher gekommen?«
»Ihr habt doch vor – wann genau? – vor achtzehn
oder zwanzig Tagen die Burgbibliothek gründlich sauber gemacht.
Dort stehen ein paar dicke Bände, die die Geschichte Nightfalls
behandeln. Sie sind in weißes Leder gebunden, du hast sie
vielleicht gesehen, und decken die vergangenen zweitausend Jahre
ab. Dazu gibt es noch einen neueren Nachtrag, der von der letzten
Gruppe hierher Verbannter und uns selbst handelt … und unsere
Geschichte versuchte ich nach Möglichkeit immer auf dem neuesten
Stand zu halten. Obwohl es nicht viel aufzuzeichnen gibt, hier
geschieht ja von den gelegentlichen Angriffen unseres unbekannten
Feindes abgesehen kaum etwas. Wir wüssten vermutlich längst, wer
dahintersteckt«, fügte er bitter hinzu, »wenn wir nicht hier
festsitzen würden. Aber daran können wir momentan nichts
ändern.«
Kelly hätte gerne gefragt, ob auch sie inzwischen
in diesem Buch aufgeführt war, aber das Thema erschien ihr
angesichts der Tatsache, dass ihre Anwesenheit hier vielleicht ein
nicht näher beschriebenes Unheil heraufbeschwor, zu heikel. »Also
pumpt diese … diese Anlage Wasser vom Meer hinauf?«
»Ja, von einem der tiefsten Punkte der Bucht. Dann
entsalzt sie es und reinigt es von Plankton und anderen unliebsamen
Bestandteilen, bis es rein und klar und zum Trinken geeignet ist,
und leitet es in die Burg«, bestätigte Saber und legte eine
höfliche Pause ein, als sie erneut untertauchte. »Etwas davon
fließt auch in eine Frischwasserlagune, die einst, als Nightfall
noch ein Herzogtum war, einen Teil der ursprünglichen Hafenstadt
bildete.
Bei dieser Lagune handelt es sich eigentlich um
ein riesiges Steinbecken, in dem das Wasser gesammelt und zu den
einzelnen Gebäuden auf der Insel geleitet wurde.« Er hielt inne, um
seinerseits unter Wasser zu tauchen, kam prustend wieder zum
Vorschein und fuhr fort: »Auch wenn gerade keine Verbannten auf der
Insel leben, kommen die Leute vom Festland zu Vollmond und Neumond
hierher, wenn das Wetter es zulässt. Sie holen das Salz ab, das die
Anlage den täglich gereinigten Tonnen von Wasser entzieht und zu
Blöcken presst.
Damit der Zauber dauerhaft aktiv bleibt, darf der
Verarbeitungsprozess nie unterbrochen werden«, erklärte er, als er
ihren fragenden Gesichtsausdruck bemerkte. »Auch die Algenblöcke
geben einen vorzüglichen Dünger ab – wie du siehst, wird nichts
verschwendet. Rechtmäßig sind beide Produkte, sowohl das Salz als
auch der Algendünger, Eigentum des Herzogtums Nightfall, aber da
seit Hunderten von Jahren hier kein Herzog und keine Herzogin mehr
herrscht …«
Er brach ab und zuckte die Achseln, also führte
sie den Satz zu Ende. »Also sind die, die hierher verbannt wurden,
in doppelter Hinsicht gestraft, denn sie profitieren nicht von dem
Salzhandel. Und wenn deine Welt der meinen zu Zeiten des
Mittelalters auch nur im Entferntesten ähnelt, kann Salz ein
äußerst wertvolles Handelsgut sein.«
»Mittel- was?«
»Mittelalter«, wiederholte Kelly. »In meiner Welt
gab es zwischen den antiken Reichen voller neuer Ideen und
Erfindungen und meinem modernen Zeitalter, in dem alles neu
entwickelt, überarbeitet und verbessert wird und die Menschen mit
Neuerungen förmlich überschwemmt werden, eine ungefähr tausend
Jahre währende Phase der Stagnation. Nichts änderte sich in dieser
Zeit. Die Menschen trugen Kleider, die den euren sehr ähnlich
waren, in vieler Hinsicht jedenfalls«, erklärte Kelly. »Obgleich
eure Möbel nicht unbedingt mittelalterlich sind, sondern eher dem
Queen-Anne-Stil zuzuordnen wären – das heißt, sie wären bei uns ein
paar und nicht viele hundert Jahre alt.
Ich persönlich ziehe es vor, auf einem
gepolsterten Stuhl statt auf hartem Holz zu sitzen, wie es meine
Vorfahren vor tausend Jahren getan haben, also denk bitte nicht,
ich würde mich beklagen«, versicherte sie ihm rasch. »Ich stelle
nur … Beobachtungen an.«
Saber, der sich fast bis zur Nasenspitze ins
Wasser hatte sinken lassen, betrachtete sie nachdenklich. »Es
gefällt dir gut hier, nicht wahr?«
»Tja, seit mich niemand mehr anbrüllt, schon«,
stimmte sie zu, was ihm die Röte in die Wangen trieb. »Aber meine
Nerven haben am Anfang meiner Zeit hier auch ziemlich gelitten,
obgleich ich Wasserschlangen, Greife und
Makka-was-auch-immer-Hassbotschaften, Henkerschlingen und dem
Flammentod in meinem eigenen Bett entschieden vorziehe.«
Ein leises Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie
sich neben ihm ausstreckte, und wurde breiter, als er seinen Arm
auf den steinernen Wannenrand legte, damit sie den Kopf
dagegenlehnen konnte.
»Deine Brüder gefallen mir, Saber. Sie sind ein
wenig seltsam, aber schließlich befinde ich mich auch in einem vor
Magie förmlich vibrierenden Reich, und es braucht schon etwas Zeit,
um sich daran zu gewöhnen.« Sie grinste ihn an.
»Du siehst auf jeden Fall wesentlich gesünder aus
als noch vor einem Monat«, stellte er fest, beäugte sie und
lächelte schief. »Und sehr viel anziehender.«
Sie spritzte ihm Wasser ins Gesicht. »Vielen
Dank.«
Er spritzte zurück.
Sie machte gerade Anstalten, eine Wasserschlacht
anzuzetteln, als es an der Tür klopfte. Hastig lehnte sie sich
zurück und hielt sich am Wannenrand fest. »Herein!«
Trevan und Koranen betraten den Raum. Jeder von
ihnen hielt ein Tablett in den Händen. Angesichts von Saber und
Kelly, die beide bis zum Kinn in dem dampfenden Wasser lagen,
verlangsamten sie ihre Schritte, zwinkerten verwirrt und blieben
stehen. Zum Glück registrierten beide Männer sofort, dass das Paar
mehr oder weniger vollständig bekleidet war, und kamen zögernd
näher. Trevan grinste wie eine Katze, die einen Kanarienvogel
verspeist hatte, Koranens Wangen hatten sich rosig verfärbt.
»Es freut mich zu sehen, dass ihr zwei euch
scheinbar so wohl fühlt wie Fische im Wasser«, schnarrte Trevan,
als er sein Tablett auf dem breiten Steinsims am Fuß der Wanne
abstellte. »Ihr habt übrigens sämtlichen Wasserschlangen den Garaus
gemacht. Aber unser unbekannter Widersacher hat die beiden
überlebenden Greife dazu benutzt, um drei Trolle aus der
Niederhölle in eine der leeren Gästekammern einzuschleusen, ehe wir
sie vernichten konnten.«
»All Eure Bemühungen, uns wie Sklaven dazu
anzutreiben, diese spezielle Kammer zu säubern, sind dadurch
zunichtegemacht worden«, erklärte Koranen Kelly, ehe er sein
Tablett an das Kopfende der Wanne stellte. »Morganen hat die
Teleportation bemerkt, während sie noch in vollem Gang war, und den
vierten und alle weiteren Trolle zu ihrem Herrn zurückgeschickt,
aber die Pforte wurde so schnell geschlossen, dass ihm keine Zeit
blieb, ihren Ausgangsort zu lokalisieren. Sogar Morg ist nicht
imstande, Greife abzuwehren, Trolle wegzuscheuchen und zugleich
auch noch eine solche Ortsbestimmung durchzuführen. Doch es ist ihm
gelungen, die ersten drei Trolle in ihre eigene Existenzebene zu
verweisen, also sind wir vorerst sicher vor ihnen.«
»Im Ostflügel haben wir ein paar Lumpenfetzen
nebst Feuerstein und Zunder gefunden, um die Kadaver der Greife in
Flammen aufgehen zu lassen, ehe ihr Gestank die ganze Burg
verpestet«, fuhr Trevan fort. »Und in der Zwischenzeit hat unser
kulinarisches Genie Evanor euch eine Suppe gekocht, die das Blut
verdünnt und dazu einen Saft zubereitet, der die Produktion roter
Blutkörperchen anregt. Aber er sagt, ihr erhaltet sein neuestes und
größtes Set dieser flauschigen fremdländischen Handtücher erst,
wenn ihr beide wieder vollkommen gesund seid. Wir sehen in einer
Stunde noch einmal nach euch, wir haben in der Nähstube eine
ziemliche Schweinerei zu beseitigen, und dafür werden wir
tonnenweise Wasser benötigen, selbst wenn wir zuerst alle Überreste
vom Boden abkratzen.«
»Und zwar mit magischer Hilfe aus sicherer
Entfernung«, fügte Koranen mit einem kleinen Lächeln hinzu, bevor
er und sein Bruder sich Richtung Tür zurückzogen. »Hier drin ist
nur genug Platz für zwei, wenn eine romantische Stimmung aufkommen
soll.«
Ein verstohlener Blick zu Saber verriet Kelly,
dass dieser leicht errötet war. Ein Blick zu ihr verriet ihm, dass
ihr gleichfalls das Blut in die Wangen gestiegen war. Um ihre
Verlegenheit zu überspielen begannen sie erneut, sich gegenseitig
mit Wasser zu bespritzen.
Endlich widmeten sie sich der Mahlzeit, die Trevan
und Koranen ihnen gebracht hatten. Nachdem ihr ärgster Hunger
gestillt war, bemerkte Kelly plötzlich, dass sich irgendetwas
seltsam anfühlte. Sie stellte ihren zur Hälfte geleerten Becher
beiseite, tastete sich dann durch die durchweichte Bluse ab und
ließ die Finger unter den Saum gleiten.
Obwohl sie bis zum Hals im Wasser lag, war die
Innenseite ihres Korsetts trocken.
»Was zum Henker hat denn das nun wieder zu
…«
»Was ist denn?« Saber, der gerade seine Suppe
schlürfte, hielt inne und sah sie an.
»Mein Korsett ist knochentrocken! Direkt auf der
Haut, meine ich. Du hast doch gesagt, das Wasser müsse durch die
Poren der Haut dringen, um das Gift aus dem Körper zu schwemmen,
oder?« Sie wälzte sich auf die andere Seite und sah ihn fragend
an.
Saber schüttelte den Kopf, bemüht, nicht
eingehender über ihr Korsett und das, was sich darunter befand,
nachzudenken. »Du … äh … du solltest es ausziehen. Es lässt
wahrscheinlich nicht genug Wasser durch, um das Gift zu
neutralisieren, daher trocknet deine Haut aus.«
Errötend kehrte sie ihm den Rücken zu und schob
ihre im Wasser treibende Bluse weg, die jedoch immer wieder in ihr
Blickfeld geriet, während sie mit den Schnüren des starren Mieders
kämpfte. »Ich kann nicht …ich muss zuerst mein Hemd
ausziehen.«
»Dann sollte ich wohl besser …« Saber brach abrupt
ab.
Kelly spähte über ihre Schulter hinweg zu ihm
hinüber. Ein eigenartiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht.
»Entschuldige mich«, krächzte er.
Verdutzt sah sie zu, wie er die Vase packte, die
auf dem Wannenrand stand, und damit im Zickzack auf die Tür zur
Abtrittkammer zuschoss, ohne auf das Wasser zu achten, das er auf
dem Boden verschüttete. Ooh.Vermutlich
kündigte sich der Durchfall an, vor dem er sie gewarnt hatte. Sie
wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, dann
tauchte sie unter, um ihren zu trocknen beginnenden Kopf erneut zu
benetzen, und wand sich aus der Bluse heraus. Sowie sie diese
abgestreift hatte, war es nicht mehr schwer, das Korsett abzulegen.
Sie warf es über den Wannenrand, zog sich die Bluse wieder über den
Kopf, wrang dann das Korsett aus und breitete es zum Trocknen auf
den Stufen der Wanne aus.
Wenigstens musste sie sich nicht um die Wäsche
kümmern, das erledigte für gewöhnlich Dominor. Einmal pro Woche
ging er durch die Burg, holte bei jedem seiner Brüder einen Korb
voll Schmutzwäsche ab, benutzte eine Wanne wie die, in der sie
gerade lag, in der Wäschekammer im Keller, um sie einzuweichen,
fügte etwas Seife hinzu und rührte unter gemurmelten Zaubersprüchen
einige Male mit einem Stab darin herum, bis alles frisch und sauber
war. Dann zog er jedes einzelne Kleidungsstück aus dem Wasser, um
es mittels weiterer Zauber zu trocknen, zu bügeln und ihm einen
angenehmen Duft zu verleihen.
Kelly war überrascht gewesen, als sie erfuhr, dass
ausgerechnet Dominor diese Aufgabe übernommen hatte. Doch nach
einigem Nachdenken und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er
derjenige der acht war, der den größten Wert auf elegante Kleidung
legte und kostbare, silberund golddurchwirkte Stoffe bevorzugte,
kam sie zu dem Schluss, dass er wohl nur verhindern wollte, dass
einer seiner Brüder unbeabsichtigt eine seiner Tuniken oder Hosen
durch einen falschen Zauberspruch verdarb. Da ihr selbst keine
magischen Hilfsmittel zur Verfügung standen, hatte niemand sie
gebeten, ihm diese Arbeit abzunehmen.
Kelly hatte auch nicht die Absicht, das zu ändern.
Waschen und Bügeln war ihr seit jeher verhasst gewesen, obwohl sie
es liebte, die Sachen anzufertigen, die dann unweigerlich früher
oder später in einem Wäschekorb landeten – das ewige Dilemma jeder
begeisterten Hobbyschneiderin.
Saber kam ein paar Minuten später zurück. Er
wirkte verhärmt, seine Haut trocken und rissig, obwohl er sich
während seiner Abwesenheit zumindest einmal mit dem Inhalt der Vase
übergossen hatte. Nach einem Blick auf die Wasserpfützen auf dem
Boden verzog er das Gesicht und schnippte mit den Fingern,
woraufhin das Wasser kleine Säulen bildete und plätschernd in die
Wanne zurückströmte. Dann kletterte er selbst hinein, holte tief
Atem und tauchte unter. Einige Sekunden später kam er nach Luft
schnappend wieder zum Vorschein, ließ sich einen Moment lang im
Wasser treiben und schüttelte dann mit kläglicher Miene den
Kopf.
»So geht es nicht. Ich werde mir eine andere Wanne
suchen.«
»Und Höllenqualen leiden, während du das Wasser
einlaufen lässt?« Jetzt war es an Kelly, den Kopf zu schütteln. »Na
mach schon, zieh dich aus. Mir macht das nichts aus, du dürftest
nichts enthüllen, was ich nicht schon mal gesehen habe.«