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Fünf dick bestrichene Griebenschmalzbrote brachte ihm sehr bald nach Jelenas Abgang ein Posten in die Zelle.

Und mit den Grieben kehrten Jakobs optimistische Lebensgeister zurück. Der Posten, der draußen auf dem Gang durch ein Guckloch in der Tür Jakob immer wieder beobachtete, auf daß dieser sich kein Leid antat, sah einen kauenden, schmatzenden, die Lippen mit dem Handrücken abwischenden Mann und war beruhigt. Natürlich konnte er nicht auch noch sehen, was Jakob dachte.

Jakob dachte an eine alte Geschichte, die er als Landser mit den Kameraden unzählige Male durchgespielt hatte – in unzähligen Variationen.

Also fangen wir in Herrgotts Namen schon wieder damit an, dachte er: Ich fürchte mich nicht! Denn es gibt immer zwei Möglichkeiten! Entweder sie erschießen mich wirklich gleich, oder sie lassen mich noch ein bißchen hier, damit sie mich weiter bedrohen können und ich es mir vielleicht doch noch überlege. Das sind ja keine Trottel. Wenn sie mich auf der Stelle erschießen, kann ich auf keinen Fall für sie arbeiten. Also werden sie mich wohl noch ein bißchen hier piesacken. Gut. Dann gibt’s wieder zwei Möglichkeiten. Entweder ich fall’ doch um und mach’ ihnen den Wurschtl (ich kenne doch meinen Charakter!), oder ich falle nicht um. Wenn ich ihnen doch den Agentenwurschtl mache, ist es gut. Wenn ich ihnen den Agentenwurschtl nicht mache, verurteilen sie mich zu Lebenslänglich und stecken mich in ein Zuchthaus. Und da gibt es wieder zwei Möglichkeiten: Entweder es ist ein anständiges, gepflegtes Zuchthaus oder ein verdrecktes, stinkendes, nasses, mit Ratten. Stecken sie mich in ein anständiges, gepflegtes Zuchthaus, dann ist es gut. Stecken sie mich in ein mieses, stinkendes, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ich bleibe dank meiner ausgezeichneten Kondition selbst dort gesund. Bleib’ ich gesund, ist es gut. Oder wir haben schon wieder einen Weltkrieg angefangen, und sie brauchen mich für’n Krieg und holen mich aus dem stinkenden Gefängnis. Da gibt es wieder zwei Möglichkeiten: Entweder ich komm’ zum Roten Kreuz. Dann ist es gut. Oder ich werde schießen müssen. Gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ich schieß’ immer rechtzeitig auf den bösen Feind (keine Ahnung, wer das sein wird, aber irgendeinen Feind haben wir immer), dann ist es gut. Oder der böse Feind schießt rechtzeitig auf mich. Dann ist es schlimm. Aber es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder die Wunde ist leicht. Dann ist es gut. Oder sie ist schwer. Scheiße. Aber es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ich werde trotzdem wieder gesund. Dann ist es gut. Oder ich bin tot. Na, und wenn ich tot bin, brauche ich mich doch erst recht nicht zu fürchten! Aber wo steht geschrieben, daß ich tot sein werde? Vielleicht komme ich wieder mit dem Leben davon wie gerade eben erst! Dann gibt es zwei Möglichkeiten! Entweder es gelingt mir beim neuen Anlauf, endlich meinen privaten Krieg zu gewinnen. Dann ist es gut. Oder es gelingt mir beim neuen Anlauf nicht, dann gibt es …

Die Tür wurde aufgesperrt.

Der Posten von vorhin erschien und brüllte: »Aufstehen! Genosse Major kommt!«

Das ist aber lieb von der Jelena, daß sie nach mir schaut, dachte Jakob, den Mund voller Schmalzbrot. Braves Mädchen. Noch hübscher ist sie geworden!

In der Tür erschien Major Assimow, der nämliche, der Jakob und Wenzel, als sie die Verbindungsstücke für die Fertighäuser von Christoph und Unmack aus Niesky holen wollten, alle nötigen Papiere ausgestellt hatte. Jakob verschluckte sich, würgte nach Luft, spie ein Stückchen Schmalzbrot aus und sagte mit gewinnendem Lächeln: »Da freu’ ich mich aber, daß wir uns endlich wiedersehen, Genosse Major!« (Wo ist die Hasenpfote, verdammt, drücken, fest drücken!)

Der Major Assimow sah Jakob grimmig an. Er sprach kein Wort. Jakob kaute wie ein Verrückter. Er versuchte, noch so viel Schmalzbrot in sich hineinzustopfen wie möglich. Der Major Assimow wartete. Jakob schluckte den letzten Bissen. (Anständig von dem Genossen, dachte er.)

»Sind Sie fertig?« fragte Assimow.

»Melde gehorsamst, daß ich fertig bin, Herr Major«, sagte Jakob.

»Dann kommen Sie mit mir. Los, los, los!«

»Zum Erschießen?« fragte Jakob. Wie gesagt, dachte er, es gibt immer zwei Möglichkeiten …

»Erschießen, lächerlich«, sagte der Major Assimow. »Sie kommen mit mir nach Moskau.«

19501951 – Korea und die Wiederaufrüstung

1950

25. Juni: Nordkoreaner fallen in Südkorea ein.

27. Juni: UN beschließen Hilfe für Südkorea (16 Staaten unter US-Oberbefehl). Korea-Krieg bis 1953.

26. Oktober: »Amt Blank« in Bonn: Beginn der Wiederaufrüstung.

Lebensmittel-Rationierung in der BR aufgehoben.

»Managerkrankheit«.

Bühne: Arthur Miller: »Tod eines Handlungsreisenden«; Peter Ustinov: »Die Liebe der vier Obersten«.

Bücher: rororo-Taschenbuch 1: Hans Fallada: »Kleiner Mann, was nun?«; A. de Saint-Exupéry: »Der kleine Prinz«; Bruno E. Werner: »Die Galeere«; Martin Heidegger: »Holzwege«; Ernest Hemingway: »Über den Fluß …«; »Das Tagebuch der Anne Frank«.

Filme: »Die Sünderin« (Hildegard Knef; Skandal); »Nachtwache« (Harald Braun).

Schlager: »Auf Wiedersehen«.

1951

BR: Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Kohle-, Stahl- und Eisenindustrie.

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion).

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

BRD Mitglied der UNESCO und der WHO.

Psychosomatische Medizin (Viktor v.Weizsäcker).

Vergleichende Verhaltensforschung (Konrad Lorenz u. N. Tinbergen).

Bühne: Wiederaufnahme der Bayreuther Festspiele.

Bücher: James Jones: »Verdammt in alle Ewigkeit«; Heimito v.Doderer: »Die Strudlhofstiege«; Thomas Mann: »Der Erwählte«; Jean Paul Sartre: »Der Teufel und der liebe Gott«; Simone de Beauvoir: »Das andere Geschlecht«; Annemarie Selinko: »Desirée«.

Filme: »Nachts auf den Straßen« (BR; Eric Pommer); »Rebecca« (USA. L. Olivier); »Endstation Sehnsucht« (USA. Elia Kazan); »Der Untertan« (DDR, W. Staudte).

Schlager: »Wer soll das bezahlen?«; »Schau mich bitte nicht so an!«

1952 – Deutschlandvertrag und H-Bombe

Erhöhte Spannungen im Verhältnis BR-DDR.

6. Februar: Elizabeth II. Königin von Großbritannien und Nordirland.

26. Mai: BR: Deutschlandvertrag mit den drei Westmächten.

14. August: Lastenausgleichsgesetz (Leistung bis 31. 12. 1968: 70,9 Milliarden DM).

31. Oktober: In den USA erste Wasserstoffbombe erprobt (UdSSR 1953).

5. Dezember: Tägliches Fernsehprogramm im Sendebereich des NWDR, bei ARD seit 1. November 1954.

DDR: Kollektivierung der Landwirtschaft (LPG). – Kasernierte Volkspolizei als Vorbereitung der Nationalen Volksarmee.

Blue Jeans werden in Europa populär.

Beate Uhse gründet ihre Erotica-Versandfirma als »Ein-Frau-Betrieb«.

Bühne: Samuel Beckett: »Warten auf Godot«.

Bücher: Ernest Hemingway: »Der alte Mann und das Meer«; Peter Bamm: »Die unsichtbare Flagge«; Vern Sneider: »Die Geishas des Captain Fisby«; Herman Wouk: »Die Caine war ihr Schicksal«.

Filme: »Rampenlicht« (USA, Chaplin); »Ein Amerikaner in Paris« (USA, Gene Kelly); »Sie tanzte nur einen Sommer« (Schweden, Ulla Jacobsson).

Schlager: »Ich hab’ mich so an dich gewöhnt«.

1953 – »Pack die Badehose ein …«

2. März: 6000 DDR-Flüchtlinge in West-Berlin.

5. März: Josef Wissarionowitsch Stalin gestorben.

17. Juni: Aufstand in Ost-Berlin und in der DDR durch Einsatz sowjetischer Panzer niedergeschlagen.

28. Juli: Walter Ulbricht Erster Sekretär des ZK der SED.

13. September: Nikita Chruschtschow Erster Sekretär des ZK der KPdSU.

B. Frederic Skinner begründet behavioristische Lerntheorie als Grundlage des »Programmierten Lernens«.

James D. Watson und Francis H. C. Crick.: Nukleinsäure-Doppelwendel als Träger der Vererbung (Nobelpreis 1962).

Bücher: Heinrich Böll: »Und sagte kein einziges Wort«; Wolfgang Koeppen: »Das Treibhaus«; Marcel Proust: »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«.

Filme: »Vom Winde verweht« (USA); »Königliche Hoheit« (BR); »Ein Herz und eine Krone« (USA); »Moulin Rouge« (Engl.).

Schlager: »Pack die Badehose ein«; »Ach, Egon. Egon, Egon«.

1954 – Und immer weiter Krieg, Aufstand, Gewalt …

März: Beginn des Algerien-Aufstandes (1. Juli 1962 Unabhängigkeit).

7. Mai: Mit der Kapitulation der Dschungelfestung Dien-Bien-Phu im nördlichen Vietnam endet die französische Kolonialherrschaft in Indochina.

20. September: Mao Tse-tung Staatspräsident der Volksrepublik China.

19.–23. Oktober: Pariser Verträge: BR im westeuropäischen Militärbündnis.

USA-Atom-U-Boot »Nautilus«. – In der UdSSR erstes Kernkraftwerk.

Richard Wright: »Black Power«. – Oberstes Gericht der USA ordnet Aufhebung der Rassentrennung in den Schulen an.

Paul Niehans: »Die Zellulartherapie«.

BR Weltmeister im Fußball.

Elvis Presley († 1977): Rock ’n’ Roll.

Bücher: Ernst Bloch: »Das Prinzip Hoffnung«; Hugo Hartung: »Ich denke oft an Piroschka«; Thomas Mann: »Felix Krull«; François Mauriac: »Das Lamm«; Theodor Plivier: »Berlin«.

Filme: »Feuerwerk« (BR, Lilli Palmer); »Die letzte Brücke« (BR, Käutner); »La Strada« (Ital., Fellini); »Die Faust im Nacken« (USA, Elia Kazan, Marion Brando); »Brot, Liebe und Phantasie« (Frankr.-Ital., Lollobrigida, de Sica); »Madame de …« (Frankr.-Ital., Max Ophüls, Danielle Darrieux, Charles Boyer, de Sica).

Schlager: »Geb’nse dem Mann am Klavier«; »Ganz Paris träumt von der Liebe«.

1955 – Österreich neutral – Bundesrepublik in der NATO

5. April: Winston Churchill (seit 1951 Premierminister) tritt zurück.

9. Mai: Aufnahme der BR in die NATO.

14. Mai: Warschauer Militärpakt der Ostblockstaaten (DDR 28. 1. 1956 ).

15. Mai: Österreich: Staatsvertrag (26. Okt.: Immerwährende Neutralität).

8.–14. September: Adenauer in Moskau: Aufnahme diplomatischer Beziehungen; Freilassung der letzten Kriegsgefangenen zugesagt.

12. Oktober: Franz Josef Strauß Bundesminister für Atomfragen.

Wasserstoffbomben-Luftschutzübung in den USA: 16 Millionen »Manövertote«.

Bruttowochenverdienst in der BR 1951: 68.52 DM; 1955: 86,85 DM.

Jährl. Alkohol- u. Tabakkonsum i.d. BR: 12 Milliarden DM.

Jonas E. Salk: Schutzimpfung gegen Kinderlähmung.

Internationale Konferenz über Automation.

Erste »documenta«-Kunstausstellung in Kassel.

Bertelsmann-Lesering GmbH in Gütersloh (Bücher, Schallplatten, Möbel usw.).

Bücher: Ilja Ehrenburg: »Tauwetter«; Françoise Sagan: »Bonjour Tristesse«; Hans Egon Holthusen: »Der unbehauste Mensch«; Siegfried Lenz: »So zärtlich war Suleyken«; Hans H. Kirst: »Null-acht-fünfzehn«; Vladimir Nobokov: »Lolita«; Henry Miller: »Plexus« (1949); (»Nexus«, 1949, dt. 1961: »Sexus« 1945, dt. 1970); Werner Keller: »Und die Bibel hat doch recht«.

Filme: »Wenn es Nacht wird in Paris« (Frankr.-Ital., Jean Gabin); »Sabrina« (USA, Audrey Hepburn); »Jenseits von Eden« (USA, E. Kazan, James Dean); »Die tätowierte Rose« (USA, Anna Magnani); »Rififi« (Frankr.).

Schlager: »Arrivederci, Roma!«; »High Noon«.

Hurra, wir leben noch
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