15

… und eine Rech …

Moment mal, bitteschön. Ein kleines Momentchen.

Jakob öffnete blinzelnd ein Auge. Danach das zweite. Wo war er?

Ach, verflucht! Im Bett des Appartements im CINQ CONTINENTS in Paris. Im Bett lag er, geträumt hatte er das alles, und in seinem Traum hatte er auf Kissen eingeschlagen, eines war geplatzt. Federn rieselten heraus, er lag auf dem Bauch, die Decke war zu Boden gerutscht, er keuchte vor Anstrengung. Den beiden Kissen, denen hatte er es aber gegeben! Die waren erledigt. Nicht mehr zu gebrauchen.

Jakob setzte sich auf. Er schüttelte den Kopf wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. Kratzte sich am Kinn. Betrachtete den zerdrückten Pyjama, die nackten Zehen. Das ist ja zum Kotzen. Die Uhr auf dem Nachttisch: 10 Uhr. Also habe ich verschlafen. Gründlich verschlafen. Und was für ein Schlaf das wieder gewesen ist! 1956 habe ich geträumt, was 1949 passiert ist. Draußen in Belleville bei der lieben Claudine, wo ich gedacht habe, ich ersticke (und es war doch nur Freßasthma), habe ich ebenfalls von der Vergangenheit geträumt. Ich träume überhaupt immer von der Vergangenheit, und immer so lebhaft, so genau, so anstrengend!

Ist das ein Träumen? Das ist kein Träumen! Ich bin ja vollkommen erschöpft. Mein Puls rast. Schweiß rinnt mir vom Hals über die Brust, so aufgeregt habe ich mich bei der Prügelei mit den Hunden, den Kissen, äh, dem Hund, dem Herrn Erich Fromm, also nein, so geht das nicht weiter! Ich muß zu einem … Püsch … Püsch … Na! Der Senator Connelly und die liebe Jill waren auch bei einem! … Püscho – Püschoanalytiker! Zu einem Püschoanalytiker muß ich, zum besten, wo es gibt!

Er erhob sich, seltsam schwankend. Nahm ein Bad, seltsam benommen (wie immer nach diesen Träumen, und die kamen wieder und wieder und wieder). Rasieren, Zähneputzen. Anziehen. Halb elf! Ich hab’ zu arbeiten, Herrgott! Ich muß nach Hamburg. Das Flugzeug …

Er ging zur Tür, die in den großen Salon führte, und hielt jäh inne. Moment mal, die Edle. Der habe ich doch versprochen, zu husten und zu pfeifen und zu klopfen, bevor ich eintrete, damit ich sie nicht beschäme, falls ihre große Liebe sie vielleicht gerade mal an der Türklinke hängen läßt, Zustände sind das, das ist ja ein Irrenhaus hier! Aber schön, husten wir. Noch mal. Noch mal, ganz laut! Klopfen. Laut klopfen. Klopfen und Husten und Pfeifen. Nichts.

Jakob öffnete die Tür zum großen Salon. Der war leer. Jakob ging zur Tür, die in das Appartement der Edlen führte. Klopfte wieder. Nichts. Keine Antwort. Verflucht, was haben die beiden Weiber jetzt wieder angestellt? Oder ist die Edle abgenibbelt, während ich geschlafen habe, und die andere, die Claudia, ist getürmt? Jakob bekam einen Schreck. Bei diesen meschuggenen Lesben soll man wissen! Er nahm einen Telefonhörer ans Ohr und bat – ach Gott, was sind wir vornehm! –, ihn mit den Gemächern der Edlen zu verbinden. Nichts. Keine Antwort. Also der Portier. Nein, die gnädige Frau Baronin sei nicht in der Halle oder fortgegangen. Jakob, immer noch etwas benommen und unter dem Eindruck seines Erinnerungstraumes, riß die Geduld.

Scheiß auf das ganze vornehme Getue! Die Edle weiß genau, daß wir wegmüssen! Die kann doch nicht einfach machen, was sie will! Er ging entschlossen zu ihr hinein. Niemand im kleinen Salon. Im Schlafzimmer niemand. Aus dem Badezimmer kam ein Stöhnen.

Jakob erstarrte. Um Himmels willen. Wenn die Edle sich die Pulsadern … Wieder ein Stöhnen, tief und lang. Stöhnen wie ein Tier …

Unterlassene Hilfeleistung …

Das Tier stöhnte wieder …

Das Tier hörte überhaupt nicht mehr auf zu stöhnen.

Entsetzt riß Jakob die Badezimmertür auf und blieb erstarrt stehen. Sie saß nackt in der Badewanne, die Edle.

Ihre Nichte saß auch in der Badewanne. Der Edlen gegenüber. Sie hatte Tantchen mit Seife eingerieben und massierte nun.

Donnerwetter, ist die Edle eine Wucht, durchzuckte es Jakob. Donnerwetter, aber die Nichte ist ja noch eine viel tollere Wucht … Mensch, diese … »Herr Formann!« Die Edle fuhr in der Wanne zurück, daß das Wasser spritzte. »Was unterstehen Sie sich?« schrie sie in höchstem Diskant.

Die Nichte wandte den Kopf, langsam und lässig, und sah Jakob ironisch an.

Ach so. Die Damen haben gerade Versöhnung gefeiert. Und ich bin mitten in die Versöhnung hineingeplatzt.

Jakob packte die Wut.

Erst dieser Scheißtraum, und dann so etwas!

So etwas will mir, mir, Jakob Formann, Bildung und Benimm beibringen! So etwas wagt dauernd an mir herumzunörgeln! Auf der Stelle fliegt die jetzt, auf der … Eijeijei, die kleine Nichte, jetzt hat sie sich ganz umgedreht und ist in der Wanne aufgestanden. Also, so etwas Bezauberndes habe ich ja wohl noch nie … Die Pfote, was macht denn die Hasenpfote in der Hosentasche? … Das ist ja gar nicht die Pfote! Und die Nichte sieht es. Und grinst sich eins. Na warte, dir werde ich es besorgen, du Luder, du kleines, dir werde ich jetzt gleich einen ver …

»Stehen Sie hier nicht so herum!« kreischte die Edle. »Was wollen Sie?« Die Dame brachte sogar einen so großen Mann wie Jakob aus der Fassung. Er stotterte, dabei gebannt die wunderschöne … Nase der Nichte betrachtend, von der Wasser tropfte und die sie provokant vorschob: »Es ist … elf … Uhr … Wir haben doch vereinbart, daß ich …«

»Was kann ich dafür, wenn Sie verschlafen?« wütete die Edle. »Claudia, bedecke dich! Herr Formann, verlassen Sie augenblicklich das Badezimmer!«

Jakob mahnte: »Und Sie beeilen sich, sonst versäumen wir das Flugzeug!« Er ging in den Salon zurück.

Warum lasse ich mir das eigentlich gefallen? Ich schmeiße sie raus! Scheiß auf Bildung und Benimm! Wem ich nicht fein genug bin, der soll nicht mit mir verkehren! Ein Riesengehalt kriegt die dämliche Arschkuh noch dazu! Fein tun und mich verachten und selber Sauereien machen noch und noch! Schluß! Aus! Fini! Ich bin schließlich kein Kretin! Ich bin ein Mann! Ich bin Jakob Formann! Sobald die angezogen ist und hier rauskommt, feuere ich sie.

Eine halbe Stunde später kam die Edle dann, hinter ihr die jugendliche Contessa, Mademoiselle la Comtesse. Angezogen, tadellos geschminkt, edler denn je. Jakob erhob sich. Jakob ging auf die Edle zu, einen Zeigefinger vorgestreckt, als wollte er die Blaublüterin durchbohren. Jakob sagte: »Sie …«

Und hier stockte er schon, und Gedanken jagten sich in seinem Kopf. Diese Gedanken: Ich kann die ja gar nicht feuern, gottverdammich. Ich brauche sie doch wie das liebe Brot, diese Bestie. Ich gebe doch mit ihr an! Mit ihr und mit ihrer Nichte! Vor all diesen Arschgesichtern von feinen Leuten! Immer wieder lasse ich durchblicken, daß ich etwas mit der Edlen habe, oder mit der Contessa … oder mit beiden … Das hebt doch mein Prestige so ungeheuerlich! Und außerdem – es braucht ja keiner zu wissen – bin ich wirklich stolz auf meine zwei so aristokratischen Damen! Da kann man ja auch stolz und gebläht sein noch und noch mit zwei solchen Damen, jawohl, Damen! Sollen sie doch treiben, was sie wollen! Welche Würde bewahren sie dabei! Welche Haltung! Und ich, mit meinem Laden, der größer und immer größer wird, ich, Besitzer einer Flotte von fünfundvierzig modernen Hochseeschiffen mit einer Gesamttonnage von dreihundertzweiundachtzigtausend Tonnen, ich brauche die beiden Damen einfach! Besonders jetzt, vor diesen ganz wichtigen Verhandlungen in Hamburg!

»Ja?« Die Edle hatte sich zu ihrer ganzen Größe aufgerichtet und funkelte Jakob an.

Der lächelte charmant (das konnte er ja wirklich!) und erkundigte sich: »Nehmen Sie Eier zum Frühstück, Baronin?«

»Zwei«, sagte die Edle. »Claudia auch zwei.«

»Das wollte ich nur wissen«, sagte Jakob. Dann nahm er den Telefonhörer ab und verlangte den Room-Service. Dem gab er die Frühstücksbestellung auf. Wenn die kleinen Leute wüßten, dachte er dabei wieder, wenn die Kleinen auch nur einen Schimmer davon hätten, in welcher Welt wir Großen eben leben! Wir Großen!

Wenn ich denke, wie schnell das gegangen ist und wie leicht es war! Wer heute in Deutschland noch nicht Millionär ist, der ist selbst dran schuld. Das habe nicht ich gesagt, das hat der Arnusch Franzl gesagt. Vor fünfeinhalb Jahren ist das gewesen, 1951, im Haus vom Jaschke, in Murnau …

Hurra, wir leben noch
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