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Schweigen herrschte im Innern des Mercedes, während er von der Spitze der Halbinsel herabkurvte zur Anse de la Scalette, jener Straße, die den Badestrand entlanglief.
Niemand wagte zu sprechen, nicht ein Wort.
Dann, auf der Straße am Meer, wagte es Claudia.
»Das hast du ja fein gemacht«, sagte Claudia Contessa della Cattacasa.
»Halt den Mund!« sagte Jakob, mühsam beherrscht.
»Glaubst du, du wirst von diesen Leuten jemals wieder eingeladen?«
»Das ist mir völlig wurscht!«
»Ja, jetzt!« Nun wurde auch BAMBI lebhaft, die, ebenso wie Claudia, verzweifelt an sich herumwischte, um wenigstens das Ärgste zu entfernen (das Ärgste tropfte auf den Boden des Mercedes). »Vorher hast du dir sämtliche Beine ausgerissen, um eine Einladung zu bekommen!«
»Du halt auch den Mund, verflucht!«
»Ich denke nicht daran! Wer bist du denn? Der Hitler? Ich, ich habe auch einen internationalen Namen! Und Claudia erst! Was hat die für einen Namen?«
»Herrgott noch mal, warum nehmen die auch so beschissene Damast-Tischtücher?«
»Vorher haben dir die Tischtücher ungeheuer imponiert!«
»Ja, da bist du fast in die Knie gegangen! Äähh, das ist ja eklig, jetzt habe ich das klebrige Zeug auch noch an den Beinen und an der …«
»Du hast das Tischtuch runtergerissen!«
»Sehr richtig! Weil du nämlich blau warst!«
»Was war ich?«
»Blau! Und nicht warst, immer noch bist! Eine Schande!«
»Hört mal, ihr Schlampen, es ist euch doch klar, daß ihr von mir lebt und nicht ich von euch, was?«
»Du hast«, schrie Claudia Contessa della Cattacasa in maßlosem Zorn, »nach allem, was ich für dich getan habe, die Stirn, uns Schlampen zu nennen?«
»Jawohl! Und überhaupt: Jetzt reicht es mir endgültig! Otto!«
»Jakob?«
»Bleib stehen.«
Der Mercedes hielt an der Uferstraße, die Stelle war besonders idyllisch vom Mond beschienen. Über Claudia glitschend, riß Jakob einen Schlag auf. »Raus!«
»Was?«
Jakob glitschte über BAMBI und riß den zweiten Schlag auf. »Du auch! Raus!«
»Sag mal, du bist wohl wahnsinnig geworden!«
»Ich lasse mich von euch Schlampen doch nicht beschimpfen! Aussteigen habe ich gesagt!« Das brüllte Jakob mit so fürchterlicher Stimme, daß die beiden Mädchen schluchzend ins Freie stolperten. Es war fast zwei Uhr früh und kein Mensch zu sehen.
»Du bist ja irre!« schrie BAMBI. »Du ßetzt uns hier aus? Um diese Sseit?«
»Jawohl, um diese Zeit setze ich euch hier aus!«
»Und wie, stellst du dir vor, sollen wir nach Cannes kommen?«
»Das interessiert mich einen Dreck! Lauft!«
»Bis Cannes? Weißt du, wie weit das ist?«
»Ich weiß es nicht, und es ist mir auch scheißegal! Ihr werdet schon heimkommen!« Jakob schlug die beiden Wagentüren zu und brüllte Otto an: »Fahr los!«
»Mit mir brauchst du nicht zu brüllen, Mensch«, sagte der Chauffeur Otto Radtke und gab Gas. Der Mercedes schoß davon. Weinend blieben die beiden Mädchen zurück. Sie stolperten auf ihren hohen Stöckelschuhen und in ihren besudelten Abendkleidern dem Wagen nach. Otto nahm eine kleine Biegung. Die Mädchen waren verschwunden.
Jakob begann zu fluchen. Er fluchte sich halbtot. Otto ließ ihn. Immer lassen, das war Otto Radtkes Devise. Endlich schwieg Jakob erschöpft. Auf der zum Festland führenden Straße sprach er dann endlich weiter.
»Bleib stehen!«
»Ist dir schlecht?«
»Nein.«
»Warum soll ich dann stehenbleiben? Willst du auf die beiden Gören warten?«
»Ich denke nicht daran!«
»Also warum dann?«
»Weil ich endlich aus diesen verdreckten Klamotten raus will, Mensch! Weil mir das große Kotzen kommt, wenn ich den Erdbeersirup noch lange überall an mir habe! Weil ich mich ausziehen will!«
»Kannst du ja auch gleich sagen.« Otto hielt. Jakob kletterte ins Freie, nahm Geld und Personaldokumente aus seiner Smokingjacke und schleuderte diese dann ins Gebüsch. Die Smokingsfliege folgte als nächstes. Jakob riß den Hemdkragen auf. Das Hemd hatte noch am wenigsten abbekommen.
»Die Hose rinnt nur so«, konstatierte Otto, der ebenfalls ausgestiegen war. »Warte, ich habe einen Monteuranzug im Kofferraum. Nicht ganz sauber, aber …«
»Hol ihn!« Jakob zog bereits die Smokinghose aus und feuerte sie in das stachelige Gebüsch. Der Monteuranzug, den Otto dem Kofferraum entnahm, war blau, ölverschmiert und ein bißchen zu klein für Jakob. Die Hosen zum Beispiel gingen ihm nur bis über die Knöchel. Das machte ihm nicht das geringste. Selig knöpfte er sich zu.
»So, jetzt fühle ich mich schon viel besser. Fahr weiter, Otto.«
»Okay, Kamerad, fahren wir weiter.«
Kurze Zeit später erreichten sie Nizza.
»In die Altstadt.«
»Was?«
»Du sollst in die Altstadt fahren!«
»Was willst du in der Altstadt?«
»Da gibt es so Kneipen, die haben noch offen! In die gehen die Musiker und die Kellner und die Huren aus anderen Lokalen, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig sind und essen noch was und trinken noch was.«
»Sag mal, hast du noch immer nicht genug gegessen und getrunken?«
»Ich will noch was! Fahr schon!«
»Mensch, mit diesem dicken Mercedes in die Altstadt, und dann in so eine Stampe, in deinem Aufzug!«
»Das ist mir alles scheißegal!« behauptete Jakob. »Ich muß mich beruhigen! Ich muß mich abreagieren! Ich muß wieder zu mir selber finden! In diesen Kneipen kriege ich sie, das weiß ich!«
»Kriegst du was?«
»Schmalzbrote!« flüsterte Jakob.