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Als Jakob dann auch noch mit Theresienkron bei Hörsching nahe Linz in Österreich telefoniert und von einer sehr einsilbigen Frau Pröschl erfahren hatte, daß der Hase nicht da war, seit Jahren nicht, wurde er gefährlich böse.
Jetzt war dieser Fromm fällig! Vergebens flehten Theo und Otto den Jakob an, sich zu beherrschen und einen klaren Kopf zu bewahren. Umsonst malten sie ihm die Folgen eines Skandals aus. Es gelang dem listigen Jakob, den beiden zu entwischen. Im Telefonbuch einer Fernsprechzelle fand er dann, was er suchte:
Fromm, Erich, Filmproduzent, Schadowstraße 241 … 435 34 56 Privat: Cecilien-Allee 432 … 765 45 34
Jakob fuhr mit einem Taxi in die Schadowstraße. Das Büro war sehr groß, sehr gediegen, erweckte einen sehr seriösen Eindruck, und Herr Erich Fromm war nicht anwesend, wie eine Sekretärin (die hat er natürlich auch längst aufs Kreuz gelegt, der liebe Fromm, dachte Jakob) bekanntgab.
Wo denn der Herr Fromm sei?
Noch zu Hause, soviel die Sekretärin wisse.
Also fuhr Jakob mit dem Taxi hinaus zur Cecilien-Allee, den Rhein entlang, vorbei an alten Parks und herrlichen Villen, eisigkalte Wut im Bauch.
Die Cecilien-Allee ist eine vornehme Straße, und je weiter Jakob kam, desto feiner wurde sie. Er ließ den Fahrer etwas zu früh halten, bezahlte und schickte das Taxi fort. (Keine unnötigen Zeugen!)
Den Kopf gesenkt, die Hände zu Fäusten geballt, so schritt Jakob fürbaß – wie die Helden in den amerikanischen Krimi-Serien, die das Deutsche Fernsehen seit geraumer Zeit importierte. Die Sonne schien, doch alles, was der sonst so heitere Jakob nunmehr finster denken konnte, war: Rache, Rache, Rache!
432!
Da war das Haus.
Haus?
Ein kleines Schlößchen war das! In einem verwunschenen Park gelegen. Der hat schon gewußt, was er macht, der Lump, dachte Jakob, der hat sich das schon alles fein ausgerechnet, der Schönling, der widerwärtige. Na, lange wird der nicht mehr schön sein, der Schönling. Wenn ich erst mit ihm fertig bin …
Das Gartentor stand halb offen. In dieser feinen Gegend hatte man offenbar keine Angst vor Übeltätern. Tags kommen sie sowieso nicht, und nachts stolpern sicherlich die armen Kerle von der Wach- und Schließgesellschaft hier ihre Runden, dachte Jakob. Er betrat den breiten Kiesweg, der durch den Park zum Haus führte. Blumenbeete, uralte Bäume, ein kleiner Teich …
Nebel bildeten sich vor Jakobs Augen, während er Schritt vor Schritt setzte. Freue dich, Fromm, jetzt ist die Sekunde der Abrechnung gekommen. Du hast den armen Hasen unglücklich gemacht, du hast ihn verlassen, du hast ihn belogen und betrogen – du hast ihm – wie hieß doch gleich dieser Film, ach ja! – die besten Jahre seines Lebens hast du ihm genommen, du Sauhund, dachte Jakob. (Daran, daß er dem armen Hasen ganz Ähnliches angetan hatte, dachte er keine Sekunde. Das kam ihm überhaupt nicht in den Sinn.)
Und links. Und rechts. Und links. Und …
Was war denn das?
Jakob blieb stehen.
Da hatte doch jemand geschrien, jämmerlich und laut! Schrie schon wieder! Noch lauter und jämmerlicher. Achgottachgott, da drüben! Da drüben auf einer sonnenbeschienenen Wiese sah Jakob ein Laufställchen, darin ein winziges Kind, das jämmerlich weinte. Es konnte nicht sprechen, das kleine Wesen, es hatte nur Jakob erblickt und zu schreien begonnen. Und zu winken. Etwas war dem Kleinen aus dem Ställchen gefallen. Ein Spielzeug. Das lag jetzt im Gras. Und das Kleine konnte es nicht greifen.
Jakobs weiches Herz pochte. Das arme Ding. So winzig und hilflos! Er verließ den Kiesweg und ging auf das Laufställchen zu. Das Kind ließ aufgeregte Töne der Freude und Hoffnung ertönen.
Da lag das Spielzeug. Es war – für Symbolträchtigkeit hatte Jakob im Moment, ach, was heißt im Moment, in seinem ganzen Leben! keinen Sinn – ein Bärchen. Mit einem Knopf im Ohr.
Jakob hob das Bärchen auf und reichte es dem Kind. Das Kind hielt das Bärchen mit zwei rosigen Händchen fest, und nun lachte es glücklich über das ganze Gesicht. Und ließ sich im Laufställchen auf eine Decke fallen und streichelte und liebkoste sein Bärchen, ganz in sein zärtliches Tun versunken.
Ach ja, und versunken stand Jakob da, drei Minuten mindestens, und sah dem spielenden Kind zu. Dann fuhr er zusammen. Es war ihm eingefallen, wo er sich befand und was er vorhatte. Nur, fand er, hatte er das jetzt gar nicht mehr vor. In keiner Weise. Das Kind hätte nicht da sein dürfen, das war sein Pech und des Herrn Filmproduzenten Direktor Erich Fromms Glück. Was können in unserer Welt die Kinder dafür?
Den Kopf gesenkt, die Hände geöffnet, die Schultern herabhängend, so schlich Jakob gleich darauf mit schlurfenden Schritten (und in keiner Weise mehr den Helden aus den amerikanischen Krimi-Fernseh-Serien ähnlich) den Kiesweg zurück zum Tor, trat auf die Cecilien-Allee hinaus und ging den Weg, den er gekommen war, mit völlig verwirrten Gefühlen, leicht schwindelig und gänzlich kraftlos, zurück.
Er mußte ein langes Stück gehen, bevor er ein Taxi anhalten konnte.
Der Fahrer betrachtete ihn neugierig.
»Wohin, Herr Formann?«
Jakob blinzelte. »Sie wissen, wer ich bin?«
»Na, sind Sie der Herr Formann?«
»Ja.«
»Na also! Hat Sie noch niemand erkannt? Dauernd sieht man Fotos von Ihnen in den Zeitungen und liest Geschichten über Sie … Ist mir eine große Ehre, Sie fahren zu dürfen, Herr Formann.«
»Hm … danke …« So etwas tut natürlich wohl.
»Wohin soll’s denn gehen?«
»Nach …« Jakob überlegte nicht lange. Der Hase war nicht mehr in Düsseldorf. Nur raus, raus, raus aus dieser Stadt! Was hatte er hier noch verloren?
»Nach Bonn, bitte.« Jakob gab die Adresse des Arnusch Franzl an.
»Okay. Bonn.« Der Fahrer war erfreut über die weite Strecke.
Geschwätzig war er auch. »Apropos okay, Herr Formann, Ihnen gehört doch OKAY. Die Illustrierte, meine ich. Nicht?«
»Ja, die gehört mir.« Wo ist der Hase? »Warum?«
»Weil … Also, meinen Glückwunsch, Herr Formann«, sagte der Chauffeur.
»Glückwunsch wozu?«
»Na, zur neuen Serie!« Der Fahrer geriet außer sich. »So was habe ich in meinem Leben noch nicht gelesen! Und alle meine Freunde und Kollegen sind genauso begeistert wie ich! Na, Sie müssen doch wissen, wie Ihre Auflage steigt!«
Verflucht, ich habe zuviel zu tun, dachte Jakob, ich habe noch keine Zeit gehabt, nach München zu fliegen und mich wieder mal im Verlag sehen zu lassen.
»Klar weiß ich es«, sagte er jovial. »Das ist eine verflucht gute Serie, ja, ja, ich weiß es.« Keine Ahnung hatte er.
»Allein der Titel!« schwärmte der Taxifahrer. »Da soll erst einmal einer draufkommen! ES MUSS NICHT IMMER HUMMER SEIN! Ist aber auch ein phantastischer Schreiber, dieser Klaus Mario Schreiber!«
»Das stimmt. Der beste, den ich habe.«
»Ich habe von Anfang an immer alles gelesen, was der geschrieben hat, und ich bin sicher, der schreibt unter mehreren Namen – Sie werden es mir nicht sagen, Herr Formann –, aber diesmal hat er sein Meisterstück geliefert! Wie das gleich angefangen hat! Und dazu noch die Idee, daß der Kerl kocht und daß die Kochrezepte mitgedruckt werden!«