16

Um einen Brummer zu bekommen, der noch größer war als der, den Natascha schon hatte, mußte Jakob, der wegen der Verhandlungen und Verhöre, die nun folgten, Los Angeles nicht verlassen konnte, den Chef der New Yorker Filiale von ›Cartier‹ per Flugzeug holen lassen. Der New Yorker Direktor hatte mit Paris telefoniert, und dort gab es das Trumm, das Jakob wünschte. Es kam über den Ozean und mit dem New Yorker Direktor von ›Cartier‹ nach Los Angeles. So einen Smaragd gab es kein zweites Mal in der Welt. Dafür kostete er auch dreieinhalb Millionen Dollar. (Und Jakob bekam bei ›Cartier‹ schon ›Special Prices‹!) Mit dem kleinen Angebinde suchte unser Freund die schöne Natascha auf und überreichte es ihr mit der geistvollen Bemerkung, er hoffe, sie damit ein wenig in ihrem Schmerz um den eingesperrten Lebensgefährten Corbett trösten zu können.

»Das kann ich auf keinen Fall annehmen, mein Herr«, sagte Natascha.

»Aber warum denn nicht?«

»Es ist nicht meine Art, Mister Formann. Meine Vorfahren – besonders die meiner armen Mutter – würden sich in ihren Gräbern umdrehen, wenn ich es täte.«

»Die Vorfahren Ihrer armen Mutter …«

Natascha nickte ernst.

»Meine Mutter war eine russische Aristokratin. Direkt verwandt mit den Romanoffs. 1918 verließ sie Rußland und gelangte nach langen Irrfahrten nach Graz. Das ist eine Stadt im Westen des Landes Österreich, wissen Sie. Österreich liegt südlich von Bayern und ist …«

»Ich bin Österreicher, Miß Ashley.«

»Oh, was für eine angenehme Überraschung. Dann wissen Sie also, wo Graz liegt.«

»Hrm … rrrmm …« (Gott, gib mir Kraft und Stärke!) »… ja, gewiß doch, verehrte Miß Ashley, weiß ich, wo Graz liegt. Ich war schon oft dort.«

»How charming. Sehen Sie, und mein Vater war da Offizier und Leiter der Niederlassung einer großen britischen Firma. Aus einer ganz alten englischen Adelsfamilie. Meine Mutter und er lernten einander kennen und lieben und …«

»Russisches und britisches Adelsblut also, Miß Ashley!«

»So ist es, Mister Formann.« Nataschas Busen wogte. Die Hasenpfote, die gar nicht die Hasenpfote war, desgleichen. »Und da haben Sie die Kühnheit, mir das da …« Sie wies mit einer Kinnbewegung auf den Fünfundneunzigkaräter. »… ins Haus zu bringen? Wo ist Ihre Erziehung, Mister Formann? Oder wollen Sie mich absichtlich beleidigen? Das wäre infam … Eine schutzlose Frau …« Der Busen wogte noch heftiger.

»Aber ich bitte Sie, verehrteste Miß Ashley, nichts lag mir ferner.«

»Dann nehmen Sie das Ding hier weg. Sofort! Ich will es nicht sehen.«

»Es sollte doch nur ein ganz kleiner Beweis meiner Verehrung für Sie …« Das ging so eine halbe Stunde.

Dann hatte Natascha einen Weg gefunden, Jakob in seiner Not zu helfen. »… Gott, ich will Sie schließlich auch nicht beleidigen, Mister Formann. Dieser Mensch, dieser Corbett, dem ich mich anvertraut habe, weil ich immer an die Ehrenhaftigkeit von Männern glaubte, die sich mir näherten – die sich mir zu nähern wagten –, dieser Mensch hat mich entsetzlich verletzt durch seine Untat. Und es ist ja auch sehr rührend von Ihnen, daß Sie mir diesen kleinen Trost bringen wollen. Der natürlich nie einer sein kann …«

»Natürlich nicht, Miß Ashley …« Zum ersten Mal in seinem Leben ließ Jakob Formann einen Idioten aus sich machen und merkte es gar nicht.

»… aber um Ihnen eine Freude zu bereiten, und weil Sie es doch gut gemeint haben – nun, also, ich nehme das Geschenk an.«

»Danke! Ich danke, ich danke, Miß Ashley.«

»Sie dürfen Natascha zu mir sagen.«

»Natascha …« Er fühlte heiße Erregung in sich aufsteigen – nicht die ihm schon bekannte in Gefahrensituationen (leider nicht die!). Nein, eine ganz andere, wilde, wüste und hitzige Erregung war das. Er preßte Natascha an sich und wollte sie küssen. Im nächsten Moment hatte er eine Ohrfeige weg.

»Sie sind wohl vollkommen verrückt geworden, Mister Formann«, sprach die russisch-englische Aristokratin mit eisiger Stimme.

»Verrückt, ja«, lallte er blödsinnig, »verrückt nach Ihnen, Natascha …«

»Wenn Sie noch einmal so etwas tun, müssen Sie gehen, Mister Formann!«

»Um Gottes willen … Ich will es ganz gewiß nicht mehr tun! Nur lassen Sie mich in Ihrer Nähe bleiben, Natascha, ich bitte Sie, ich bitte Sie flehentlich …«

»Es sei«, sagte die Dame.

»Und … und … und …«

»Na!«

»… und würden Sie Jake zu mir sagen?«

»Wenn es Sie glücklich macht, meinetwegen. Sie dürfen meine Hand küssen, Jake.« Er stürzte sich auf die Hand. Er preßte seine Lippen auf die Hand. Natascha entzog sie ihm sofort wieder. »Genug«, sagte sie.

(Genug für 3,5 Millionen Dollar! Und damals, 1961, stand der Dollar noch nicht so miserabel wie heute, da wir diese Zeilen schreiben. In seinem ganzen bisherigen Leben hätte Jakob einem weiblichen Wesen, das ihn so behandelte, eine geknallt und es aufs Kreuz gelegt. Mit Natascha schien ein neues Leben für Jakob begonnen zu haben. Diese Göttin … Wie konnte er es wagen zu erwarten, sie mit schnödem Mammon, plump und brutal noch dazu, zu kirren? Das war eine schwere Krise für Jakob, die da begonnen hatte. Jeder Mann kennt so etwas. Jeder Mann hat sich schon ähnlich idiotisch verhalten. Jeder.)

Jakob sah und hörte, wie Natascha, die Unirdische, mit zartem Ächzen in eine Recamière sank.

»Was haben Sie, um Himmels willen, verehrteste Natascha?«

»Luft …«, stöhnte diese, eine Hand an der Gurgel. »Luft! Ich ersticke! Ich kann hier nicht mehr atmen …«

Jakob rannte los und riß ein Fenster auf.

»So habe ich es nicht gemeint, Jake …«

»Wie denn?«

»Ich kann in diesem Hause nicht mehr atmen! Ich bekomme im Hause dieses Schuftes, der mich so betrogen hat, keine Luft mehr …«

»Na, mich hat der Schuft doch auch betrogen …«

»Er hat uns beide betrogen, Jake. Könnten Sie jetzt in diesem Hause noch leben?«

Jakob war erschüttert.

»Nein!« rief er. »Niemals! Und ich verstehe, was für eine Qual es für Sie sein muß, Natascha!«

»Sie verstehen es. Sie haben Verständnis. Das macht mich glücklich.«

»Wenn Sie glücklich sind, bin ich es …«

»Ach, Jake …«, flüsterte Natascha.

»Natascha?« flüsterte Jake, kniend, ihren Arm streichelnd.

»Sie sind so verständnisvoll, Jake …«

»Natascha! Natascha! Was haben Sie jetzt? Warum weinen Sie?«

»Elevado Avenue«, kam es, kaum hörbar, über ihre schönen Lippen.

»Wie bitte?« Er starrte sie an.

»Nummer siebenfünfzwo.«

»Nummer siebenfünfzwo was?«

»Ist zu verkaufen. Schon lange. Ein wunderbarer Besitz. In Beverly Hills. Gar nicht weit von hier. Das Haus doppelt so groß … Der Park doppelt so groß … Der Swimmingpool dreimal so groß … Das alles gehörte dem genialen Regisseur …« Sie nannte einen Namen, den Jakob noch nie gehört hatte. (Aber das bedeutet nichts, dachte er erschauernd, ich bin eben ein ungebildeter Bauer, immer noch.) »Wenn mir jemand helfen würde, hier fort- und dort hinzukommen … Dieser Schuft Corbett hat mir das Haus da überschrieben … Es gehört mir … Man müßte es verkaufen … Aber ich bin ja so hilflos, Jake, ich weiß ja nicht, was Geld ist, was man damit anfängt, was es bedeutet, ein ganz kleines, dummes Mädchen bin ich …«

Drei Tage später hatte Jakob Formann den Palast 752 Elevado Avenue mit Park, Swimmingpool, einfach allem, auch der kostbaren Einrichtung und den herrlichen Kunstschätzen erworben. Um lächerliche sechsundzwanzig Millionen Dollar. Natascha zog um. Sie fühlte sich etwas besser, aber natürlich war sie noch immer sehr deprimiert und schwach. Jakob durfte sie auf den Mund küssen. Kurz! Ein guter Freund halt …

»Sie sind ein Gentleman, Jake. Eine Kreatur wie Corbett hätte vielleicht die Situation ausgenützt … mehr gefordert … Sie nicht, ich weiß, Sie würden das niemals tun!«

»Niemals, Natascha«, stammelte der glückselige Trottel Jakob Formann (der bislang nie im Leben ein Trottel gewesen war), »niemals würde ich auch nur das geringste fordern, was Sie mir nicht freiwillig zu geben bereit sind … Ich liebe Sie! Das kann mir keiner verbieten! Und es wird die Zeit kommen, Natascha, glauben Sie mir, es wird eine Zeit kommen, da werden auch Sie mich lieben!«

»Ach, Jake, bitte, nicht weiter!« Sie preßte die Finger an die Schläfen.

»Ich schweige schon, Natascha. Ich kann warten. Ich kann ein Leben lang warten …«

»Sie sind so gut, Jake.«

»Ach nein, aber ich möchte es gerne sein, Natascha.«

Gleich nachdem dann die hundert roten Rosen, die Jakob bestellt hatte, abgegeben worden waren, ging er. Es war ihm blendend klar, daß er Natascha durch seine Geschenke doch immer wieder nur in Verlegenheit brachte. Und das wollte er nicht!

In den folgenden Tagen versuchte er dann, die Corbett-Villa loszuwerden. Sie war derart mit Hypotheken belastet, daß er sie lieber gleich den Banken überließ.

Hurra, wir leben noch
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