25

»Noch mehr Kaviar, Eure Exzellenz? Ich bitte Sie, nehmen Sie doch, nehmen Sie doch«, bat Jakob eine halbe Stunde später.

»Vergelt’s Gott«, sprach der Violette und schaufelte noch ein paar Löffel Kaviar aus der kristallenen Schale, die der servierende Kellner ihm hinhielt.

Sie waren, nach der schweißtreibenden Einsegnung, inzwischen alle wieder getrocknet, und saßen beim Essen an drei langen Tafeln unter einem sternenbesäten Nachthimmel. Jakob hatte zuvor noch einen Riesenkrach mit den drei Orchesterchefs gehabt, weil keine Kapelle ein Harmonium besaß. Ungeheuerlich, so etwas! Wollten die Kerls dem Violetten vielleicht ›La Cuccaracca‹ oder ›It’s awful nice‹ vorspielen? Wenn man nicht an alles denkt!

Der Violette hatte ihn beruhigt. »Ich bitte Sie, lieber Herr Formann, ich bitte Sie! Ich liebe Jazz. Wirklich! Die Kirche geht mit der Zeit. Das muß sie doch …«

»Ja, wirklich? Ach, da bin ich erleichtert. Was hören Hochwürdigste Exzellenz denn am liebsten?«

»Nun, mein Sohn, am liebsten höre ich Lieder von Frank Sinatra«, war die Antwort des Violetten gewesen. Wie meine Hühner, hatte Jakob erstaunt gedacht und entsprechende Anweisungen gegeben. Der Violette bekam so viele Sinatra-Lieder zu hören, wie die Rhythm & Soul-Kapelle nur kannte, und sie kannte eine Menge. Leider sang nicht Frankie-Boy persönlich, sondern nur ein sehr berühmter europäischer Star.

»Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, Exzellenz, wenn ich die geringste Ahnung gehabt hätte … natürlich stünde jetzt Frank Sinatra da droben auf dem Podium«, sagte Jakob.

»Ich bitte Sie, mein Sohn«, sagte der Violette, Kaviar löffelnd, »dieser Signore ist doch auch hervorragend.« Ein großer Schluck ›Dom Perignon‹. »Entschuldigen Sie, liebe Tochter, Sie haben mir noch nicht alles erzählt. Fahren Sie fort, ich bitte, fahren Sie fort!« Der Violette, an der Spitze eines Tisches, hatte sich dem so fromm gewordenen Woditschka Reserl – Pardon, der Signora Maria Terulli – zugewandt, Gattin des Chefs der italienischen Historischen Sammlungen. Sie saß infolge der von der lieben Natascha umgeschmissenen Tischordnung Jakob gegenüber, auf der anderen Seite des Violetten, und hatte diesem bereits eine Menge über ihre Tätigkeit als Religionslehrerin erzählt.

Es ist nicht zu fassen, dachte Jakob, nein, nein, nein, es ist einfach nicht zu fassen, was diese Stripperin, die in Brüssel allabendlich die ihre gezeigt hat, nun dem Violetten anvertraut, indem sie züchtig den Blick senkt.

»Nun ja, Hochwürdigste Exzellenz, dieser neue Beruf füllt mich vollkommen aus …« Da in Brüssel habe ich dich vollkommen ausgefüllt, dachte der entgeisterte Jakob, nicht mehr richtig laufen hast du können am Morgen danach! Und jetzt …

»… und er bereitet mir unendlich viel Freude!«

»Unterrichten Sie in Schulen, liebe Tochter?«

»Nein, Hochwürdigste Exzellenz. Das wollte ich zuerst. Doch dann lernte ich eine gleichgesinnte Gruppe von Frauen kennen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, anderen Menschen mit Gottes Hilfe beizustehen und Nächstenliebe zu üben. Diesen Frauen schloß ich mich an …«

»Ich beglückwünsche Sie, liebe Tochter. Ja, bitte, gießen Sie mein Glas voll, mein Sohn«, sprach der Violette zu einem Kellner. »Ausgezeichnet, dieser ›Dom Perignon‹. Wie nötig sind Menschen gleich Ihnen in dieser Zeit, liebe Tochter. Ah, das schmeckt! Zum Wohle, lieber Sohn …«

Der Gute hat einen Zug – es ist eine wahre Pracht! dachte Jakob und winkte dem Kellner, der das Glas des Violetten sogleich nachfüllte. Jakob selber trank, gewohnheitsmäßig und sicherheitshalber, nur ›Perrier‹. Er prostete dem so veränderten Woditschka Reserl und dem Violetten zu. Das Reserl (hat die mich wirklich total vergessen, oder will sie einfach nicht, daß von ihrer Vergangenheit gesprochen wird? grübelte Jakob. Sie wird’s wohl nicht wollen. Gott sei Dank!) fuhr inbrünstig fort: »Endlich, Hochwürdigste Exzellenz, habe ich eine Tätigkeit gefunden, die mir zutiefst sinnvoll erscheint und der ich meine ganze Kraft und Zeit widme.«

»Sie kümmern sich um Einzelpersonen, Arme, Elende, Verzweifelte, liebe Tochter?«

»So ist es, Hochwürdigste Exzellenz. Nicht eine Sekunde bereue ich, daß ich meinen Schauspielerberuf aufgegeben habe. Anderen Menschen zu helfen, sie Gott dem Allmächtigen näherzubringen, ist viele Male wichtiger als Karriere und Ruhm. Nur für das, was mich jetzt erfüllt, lohnt es sich zu leben. Es gibt ja so entsetzlich viel Elend auf der Welt …«

»Das ist leider wahr«, sagte der Violette, indessen ein zweiter Kellner seine Teller wechselte und ein dritter ihm eine überbackene Languste servierte. »Wieviel mehr könnten wir tun, wenn wir mehr Geld hätten! Dabei gibt es so viele sehr reiche Leute, für die es eine Kleinigkeit wäre, zu spenden, große Summen meine ich …«

Ojwehkrach, jetzt kommt’s, dachte Jakob. Der Violette ist wirklich keine gute Idee von mir gewesen.

»Sie, zum Beispiel, Signore Formann …«

»Ich, bitte, Exzellenz?«

»Wie steht es mit Ihnen? Spenden Sie reichlich?«

»Exzellenz, ich spende reichlich, jawohl«, sagte Jakob und sah zu Natascha hinüber.

»Nun«, sprach der Violette, den Mund halb voll mit überbackener Languste, »und ich bin sicher, Sie tun es fröhlichen Herzens, mein Sohn.«

»Fröhlichen Herzens, Exzellenz!« Ich weiß nicht, auf einmal schmeckt mir meine überbackene Languste überhaupt nicht mehr. Was ist denn das?

»Sie fliegen dauernd um die Welt, Signore Formann. Sie reisen von Stadt zu Stadt. Kennen Sie Rom, mein Sohn? Natürlich kennen Sie Rom! Und den Pincio? Natürlich kennen Sie den Monte Pincio.«

»Natürlich. Warum, Exzellenz?«

»Es ist die wohl vornehmste und schönste Gegend der Heiligen Stadt, mein Sohn. Wie mir eben einfällt, hat der Vatikan vor Jahren da auf dem Pincio-Hügel einen Palazzo erworben, um einem gläubigen, rechtschaffenen Mann zu helfen, der finanzielles Unglück hatte und vor dem Ruin stand.« Jakob bekam einen Hustenanfall. »Was ist, mein Sohn? Ein Stückchen Langustenschale in die falsche Kehle?«

»Ein Stückchen Langustenschale in die … ja, Exzellenz.«

»Ein Stückchen Brot und ein Schlückchen Champagner … Warten Sie, ich klopfe Ihnen auf den Rücken … Da! Es geht wieder, mein Sohn, ja?«

»Es geht wieder, Exzellenz.«

»Sehr schön. Um auf den Palazzo zurückzukommen … Sie haben hier ein so wunderbares Haus, mein Sohn. Sie sind oft in Rom. Haben Sie in Rom ein Haus?«

»Nein, Exzellenz. Nur ein Jahresappartement im BERNINI-BRISTOL

»Hotel! Das ist doch nichts für einen Mann Ihrer Position! Kaufen Sie den Palazzo, mein Sohn! Der allein ist Ihnen standesgemäß! Beinahe so groß wie das Haus hier! Und voll wertvollster Gemälde, Möbel, Antiquitäten! Eine einmalige Okkasion! Ich werde mich gleich nach meiner Rückkehr persönlich darum kümmern, daß die entsprechende Stelle des Vatikans mit Ihnen in Verbindung tritt!«

»Wissen Sie, Exzellenz … hrm …, eigentlich brauche ich … hrm, hrm … gar keinen Palazzo in Rom«, sagte Jakob, aber schon mit schwacher Stimme. Na schön, dachte er gottergeben, wieder ein paar Millionen D-Mark im Eimer. Wie diese Woditschka mich anschaut! Ich muß einfach das Ding da auf dem Pincio kaufen. Sonst kriegt das Reserl mir noch einen Schreikrampf.

»Ich danke herzlichst, Exzellenz«, würgte Jakob hervor, indessen er den Teller mit der überbackenen Languste beiseite schob (das Zeug war ja geradezu ungenießbar!). »Wenn ich damit den Armen helfen kann …«

»Vergelt’s Gott, mein Sohn! Natürlich ist der Palazzo nicht billig, hahaha!«

»Hahaha, natürlich nicht!« krächzte Jakob.

Der Violette brach plötzlich in Gesang aus.

»But when you’re smiling, when you’re smiling, the whole world smiles with you!« sang er, im Duett mit dem Show-Star auf dem Podium. Die Kapelle spielte gerade diesen Schlager. »Mein Lieblingslied von Frankie-Boy«, sagte der Violette. »Salute, mein Sohn!« Und abermals hob er sein Champagnerglas.

Hurra, wir leben noch
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
chapter152.html
chapter153.html
chapter154.html
chapter155.html
chapter156.html
chapter157.html
chapter158.html
chapter159.html
chapter160.html
chapter161.html
chapter162.html
chapter163.html
chapter164.html
chapter165.html
chapter166.html
chapter167.html
chapter168.html
chapter169.html
chapter170.html
chapter171.html
chapter172.html
chapter173.html
chapter174.html
chapter175.html
chapter176.html
chapter177.html
chapter178.html
chapter179.html
chapter180.html
chapter181.html
chapter182.html
chapter183.html
chapter184.html
chapter185.html
chapter186.html
chapter187.html
chapter188.html
chapter189.html
chapter190.html
chapter191.html
chapter192.html
chapter193.html
chapter194.html
chapter195.html
chapter196.html
chapter197.html
chapter198.html
chapter199.html
chapter200.html
chapter201.html
chapter202.html
chapter203.html
chapter204.html
chapter205.html
chapter206.html
chapter207.html
chapter208.html
chapter209.html
chapter210.html
chapter211.html
chapter212.html
chapter213.html
chapter214.html
chapter215.html
chapter216.html
chapter217.html
chapter218.html
chapter219.html
chapter220.html
chapter221.html
chapter222.html
chapter223.html
chapter224.html
chapter225.html
chapter226.html
chapter227.html
chapter228.html
chapter229.html
chapter230.html
chapter231.html
chapter232.html
chapter233.html
chapter234.html
chapter235.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html