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»Noch mehr Kaviar, Eure Exzellenz? Ich bitte Sie, nehmen Sie doch, nehmen Sie doch«, bat Jakob eine halbe Stunde später.
»Vergelt’s Gott«, sprach der Violette und schaufelte noch ein paar Löffel Kaviar aus der kristallenen Schale, die der servierende Kellner ihm hinhielt.
Sie waren, nach der schweißtreibenden Einsegnung, inzwischen alle wieder getrocknet, und saßen beim Essen an drei langen Tafeln unter einem sternenbesäten Nachthimmel. Jakob hatte zuvor noch einen Riesenkrach mit den drei Orchesterchefs gehabt, weil keine Kapelle ein Harmonium besaß. Ungeheuerlich, so etwas! Wollten die Kerls dem Violetten vielleicht ›La Cuccaracca‹ oder ›It’s awful nice‹ vorspielen? Wenn man nicht an alles denkt!
Der Violette hatte ihn beruhigt. »Ich bitte Sie, lieber Herr Formann, ich bitte Sie! Ich liebe Jazz. Wirklich! Die Kirche geht mit der Zeit. Das muß sie doch …«
»Ja, wirklich? Ach, da bin ich erleichtert. Was hören Hochwürdigste Exzellenz denn am liebsten?«
»Nun, mein Sohn, am liebsten höre ich Lieder von Frank Sinatra«, war die Antwort des Violetten gewesen. Wie meine Hühner, hatte Jakob erstaunt gedacht und entsprechende Anweisungen gegeben. Der Violette bekam so viele Sinatra-Lieder zu hören, wie die Rhythm & Soul-Kapelle nur kannte, und sie kannte eine Menge. Leider sang nicht Frankie-Boy persönlich, sondern nur ein sehr berühmter europäischer Star.
»Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, Exzellenz, wenn ich die geringste Ahnung gehabt hätte … natürlich stünde jetzt Frank Sinatra da droben auf dem Podium«, sagte Jakob.
»Ich bitte Sie, mein Sohn«, sagte der Violette, Kaviar löffelnd, »dieser Signore ist doch auch hervorragend.« Ein großer Schluck ›Dom Perignon‹. »Entschuldigen Sie, liebe Tochter, Sie haben mir noch nicht alles erzählt. Fahren Sie fort, ich bitte, fahren Sie fort!« Der Violette, an der Spitze eines Tisches, hatte sich dem so fromm gewordenen Woditschka Reserl – Pardon, der Signora Maria Terulli – zugewandt, Gattin des Chefs der italienischen Historischen Sammlungen. Sie saß infolge der von der lieben Natascha umgeschmissenen Tischordnung Jakob gegenüber, auf der anderen Seite des Violetten, und hatte diesem bereits eine Menge über ihre Tätigkeit als Religionslehrerin erzählt.
Es ist nicht zu fassen, dachte Jakob, nein, nein, nein, es ist einfach nicht zu fassen, was diese Stripperin, die in Brüssel allabendlich die ihre gezeigt hat, nun dem Violetten anvertraut, indem sie züchtig den Blick senkt.
»Nun ja, Hochwürdigste Exzellenz, dieser neue Beruf füllt mich vollkommen aus …« Da in Brüssel habe ich dich vollkommen ausgefüllt, dachte der entgeisterte Jakob, nicht mehr richtig laufen hast du können am Morgen danach! Und jetzt …
»… und er bereitet mir unendlich viel Freude!«
»Unterrichten Sie in Schulen, liebe Tochter?«
»Nein, Hochwürdigste Exzellenz. Das wollte ich zuerst. Doch dann lernte ich eine gleichgesinnte Gruppe von Frauen kennen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, anderen Menschen mit Gottes Hilfe beizustehen und Nächstenliebe zu üben. Diesen Frauen schloß ich mich an …«
»Ich beglückwünsche Sie, liebe Tochter. Ja, bitte, gießen Sie mein Glas voll, mein Sohn«, sprach der Violette zu einem Kellner. »Ausgezeichnet, dieser ›Dom Perignon‹. Wie nötig sind Menschen gleich Ihnen in dieser Zeit, liebe Tochter. Ah, das schmeckt! Zum Wohle, lieber Sohn …«
Der Gute hat einen Zug – es ist eine wahre Pracht! dachte Jakob und winkte dem Kellner, der das Glas des Violetten sogleich nachfüllte. Jakob selber trank, gewohnheitsmäßig und sicherheitshalber, nur ›Perrier‹. Er prostete dem so veränderten Woditschka Reserl und dem Violetten zu. Das Reserl (hat die mich wirklich total vergessen, oder will sie einfach nicht, daß von ihrer Vergangenheit gesprochen wird? grübelte Jakob. Sie wird’s wohl nicht wollen. Gott sei Dank!) fuhr inbrünstig fort: »Endlich, Hochwürdigste Exzellenz, habe ich eine Tätigkeit gefunden, die mir zutiefst sinnvoll erscheint und der ich meine ganze Kraft und Zeit widme.«
»Sie kümmern sich um Einzelpersonen, Arme, Elende, Verzweifelte, liebe Tochter?«
»So ist es, Hochwürdigste Exzellenz. Nicht eine Sekunde bereue ich, daß ich meinen Schauspielerberuf aufgegeben habe. Anderen Menschen zu helfen, sie Gott dem Allmächtigen näherzubringen, ist viele Male wichtiger als Karriere und Ruhm. Nur für das, was mich jetzt erfüllt, lohnt es sich zu leben. Es gibt ja so entsetzlich viel Elend auf der Welt …«
»Das ist leider wahr«, sagte der Violette, indessen ein zweiter Kellner seine Teller wechselte und ein dritter ihm eine überbackene Languste servierte. »Wieviel mehr könnten wir tun, wenn wir mehr Geld hätten! Dabei gibt es so viele sehr reiche Leute, für die es eine Kleinigkeit wäre, zu spenden, große Summen meine ich …«
Ojwehkrach, jetzt kommt’s, dachte Jakob. Der Violette ist wirklich keine gute Idee von mir gewesen.
»Sie, zum Beispiel, Signore Formann …«
»Ich, bitte, Exzellenz?«
»Wie steht es mit Ihnen? Spenden Sie reichlich?«
»Exzellenz, ich spende reichlich, jawohl«, sagte Jakob und sah zu Natascha hinüber.
»Nun«, sprach der Violette, den Mund halb voll mit überbackener Languste, »und ich bin sicher, Sie tun es fröhlichen Herzens, mein Sohn.«
»Fröhlichen Herzens, Exzellenz!« Ich weiß nicht, auf einmal schmeckt mir meine überbackene Languste überhaupt nicht mehr. Was ist denn das?
»Sie fliegen dauernd um die Welt, Signore Formann. Sie reisen von Stadt zu Stadt. Kennen Sie Rom, mein Sohn? Natürlich kennen Sie Rom! Und den Pincio? Natürlich kennen Sie den Monte Pincio.«
»Natürlich. Warum, Exzellenz?«
»Es ist die wohl vornehmste und schönste Gegend der Heiligen Stadt, mein Sohn. Wie mir eben einfällt, hat der Vatikan vor Jahren da auf dem Pincio-Hügel einen Palazzo erworben, um einem gläubigen, rechtschaffenen Mann zu helfen, der finanzielles Unglück hatte und vor dem Ruin stand.« Jakob bekam einen Hustenanfall. »Was ist, mein Sohn? Ein Stückchen Langustenschale in die falsche Kehle?«
»Ein Stückchen Langustenschale in die … ja, Exzellenz.«
»Ein Stückchen Brot und ein Schlückchen Champagner … Warten Sie, ich klopfe Ihnen auf den Rücken … Da! Es geht wieder, mein Sohn, ja?«
»Es geht wieder, Exzellenz.«
»Sehr schön. Um auf den Palazzo zurückzukommen … Sie haben hier ein so wunderbares Haus, mein Sohn. Sie sind oft in Rom. Haben Sie in Rom ein Haus?«
»Nein, Exzellenz. Nur ein Jahresappartement im BERNINI-BRISTOL.«
»Hotel! Das ist doch nichts für einen Mann Ihrer Position! Kaufen Sie den Palazzo, mein Sohn! Der allein ist Ihnen standesgemäß! Beinahe so groß wie das Haus hier! Und voll wertvollster Gemälde, Möbel, Antiquitäten! Eine einmalige Okkasion! Ich werde mich gleich nach meiner Rückkehr persönlich darum kümmern, daß die entsprechende Stelle des Vatikans mit Ihnen in Verbindung tritt!«
»Wissen Sie, Exzellenz … hrm …, eigentlich brauche ich … hrm, hrm … gar keinen Palazzo in Rom«, sagte Jakob, aber schon mit schwacher Stimme. Na schön, dachte er gottergeben, wieder ein paar Millionen D-Mark im Eimer. Wie diese Woditschka mich anschaut! Ich muß einfach das Ding da auf dem Pincio kaufen. Sonst kriegt das Reserl mir noch einen Schreikrampf.
»Ich danke herzlichst, Exzellenz«, würgte Jakob hervor, indessen er den Teller mit der überbackenen Languste beiseite schob (das Zeug war ja geradezu ungenießbar!). »Wenn ich damit den Armen helfen kann …«
»Vergelt’s Gott, mein Sohn! Natürlich ist der Palazzo nicht billig, hahaha!«
»Hahaha, natürlich nicht!« krächzte Jakob.
Der Violette brach plötzlich in Gesang aus.
»But when you’re smiling, when you’re smiling, the whole world smiles with you!« sang er, im Duett mit dem Show-Star auf dem Podium. Die Kapelle spielte gerade diesen Schlager. »Mein Lieblingslied von Frankie-Boy«, sagte der Violette. »Salute, mein Sohn!« Und abermals hob er sein Champagnerglas.