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Aufrecht, bieder, ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, so schritt Jakob durch den Garten vor der Villa des Arnusch Franzl auf die Straße hinaus, wo der gute alte Otto Radtke mit einem Rolls-Royce wartete und nun den Schlag aufriß. Otto bemerkte sofort, daß etwas nicht stimmte. Er fragte erschrocken: »Ist was passiert, Jakob?«
»Das kann man wohl sagen«, antwortete Jakob, auf den Sitz neben Radtke fallend. Otto rannte um den Wagen, kletterte hinter das Steuer und fragte: »Was denn, um Himmels willen? Jakob! Du siehst ja aus wie der Tod!«
»Ganz in der Nähe von dem bin ich auch«, sagte Jakob schwach. »Ich habe die größte Enttäuschung meines Lebens hinter mir. Mich hat’s grauenhaft erwischt. Fahr in den BREIDENBACHER HOF nach Düsseldorf …« Er zuckte zusammen. »Nein, nicht Düsseldorf! Auf keinen Fall Düsseldorf! Fahr nach Köln, ins DOM-HOTEL!«
»Ich habe gedacht, wir bleiben eine Weile in Bonn, Jakob, und du schläfst beim Herrn Arnusch.«
»Nenne diesen Namen nie mehr, ich bitte dich herzlich«, sagte Jakob.
»Diesen Mann gibt es nicht mehr für uns. Dieser Mann ist für uns gestorben!«
»Aber was hat er denn angestellt?«
Jakob erzählte seinem Kriegskameraden und Freund Otto Radtke auf der Fahrt nach Köln, was der Arnusch angestellt hatte. Als er fertig war, sagte Otto gedankenvoll: »Na ja, ich weiß aber gar nicht, was du hast, Jakob. Das waren doch prima Ideen!«
»Otto!« Jakob sah seinen Freund entsetzt an. »Hast du denn keinen Funken Verstand mehr?«
»Wieso Verstand?«
»Mensch, der Arnusch Franzl, der Hund, der hat das alles doch vollkommen idiotisch angefangen!« Jakobs Schläfennarbe pochte heftiger und heftiger. »Der bringt mich um Kopf und Kragen! Der bringt mich ins Loch! Wenn da jetzt die Fahndung auf was draufkommt, ist es aus mit mir! Denn ich, Otto, ich bin immer noch der Verantwortliche! Ein Generalbevollmächtigter tut ja nichts gegen den Willen des Chefs! Weiß Gott, was der Arnusch noch gemacht hat! Und zwanzig Prozent für sich!« Jakob stöhnte, preßte eine Hand gegen das Herz, denn da hatte er einen Stich verspürt. Er dachte scharf nach.
Also seit drei Jahren hat der Franzl diesen Beschiß gemacht und noch weiß Gott wie viele andere dazu. Bevor die Fahndung draufkommt, muß ich mich wenigstens halbwegs schützen. Am besten durch Selbstanzeige! Nehmen wir an, die Steuer ist – ganz niedrig gegriffen – nur um fünfundachtzig Millionen beschissen worden. Dann sind das in drei Jahren …
Zweihundertfünfundfünfzig Millionen!
Großer Gott im Himmel!
Bei einer Selbstanzeige kriege ich die Fahndung auf jeden Fall und dabei kommen dann die ganzen Geschichten raus, die ich angestellt habe … dazu Zinsen und Strafe, das macht gut und gerne … Vierhundert Millionen, gut und gerne.
Gut und gerne?
Das kann ich mir ja nie im Leben leisten! Das bringt mich ja um! Mit meinen Häusern und meinen Flugzeugen und meinen Autos und meinem Aufwand und mit meiner Natascha, die jetzt neuen Schmuck kauft! Herrgott, da muß ich ja Bankdarlehen aufnehmen, um meine Steuern nachzuzahlen! Und mein Ruf in der Branche wäre hin! Also, so geht das nicht! Also …
Also kann ich mich gar nicht selber anzeigen! Sondern muß mit dem ewigen Schrecken leben, daß sie mir von selber draufkommen! Entsetzlich! Unfaßbar, was dieser Schuft, dieser Verbrecher, dieser Arnusch Franzl mir da angetan hat.
Der Schmerz in der Herzgegend wurde stärker und stärker. Und das Atmen fiel Jakob schwerer und schwerer. Er ächzte. Er stöhnte. Er wand sich. Überall brach ihm Schweiß aus. Er konnte gerade noch denken: Jetzt hat der Franzl mir meinen ganzen schönen Krieg versaut.
Nachdem er das gedacht hatte, wurde ihm schwarz vor den Augen, und er kippte gegen Ottos Schulter. Aber das wußte er schon nicht mehr.