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Hei, jetzt ging es aber los!
So ein Tempo hatte Jakob noch nie vorgelegt!
Zunächst besetzte er die leer gewordene Stelle des Arnusch Franzl, dieses Schweins, mit dem Wenzel Prill (der seinen Doktor der Rechte noch immer nicht gemacht hatte). Dann trat er in Verhandlung mit einem Mann, der ein Regenbogenpresse-Reich hatte – seine bunten Zeitschriften wurden in Millionenauflagen gierig gekauft. Der Mann hatte einen Drang zum Höheren. Er wollte sich jetzt, wo er so reich geworden war mit dem Mist, den er produzierte, für seinen Monster-Verlag ein Paradepferd zulegen, etwas Seriöses, etwas Feines – eben OKAY.
Die Verhandlungen dauerten Monate, denn Jakob bestand darauf, daß Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen eines jeden seiner OKAY-Redakteure, Reporter, Techniker, Vertriebs- und Versandleute, Telefonistinnen – bis zur letzten Putzfrau – gesichert blieben. Die hundertunddreißig Millionen D-Mark, die unser Freund für die OKAY (samt Redaktion, einigen Häusern und allem Inventar) verlangte, zahlte der Regenbogenpresse-Verleger dann sozusagen mit der linken Hand.
In der Nacht nach dem Verkauf stand Jakob noch einmal vor dem Redaktionsgebäude in München. Er dachte daran, wie es mit dieser OKAY begonnen hatte vor vielen Jahren, an all die Abenteuer und all die Schufterei und all das Gefluche und all das Gelächter. Jetzt, dachte Jakob, ist OKAY in den großen Topf von diesem Kerl mit der Regenbogenpresse gekommen. Gott weiß, was aus ihr werden wird. Was Besseres bestimmt nicht. Eher im Gegenteil. Na ja, dachte Jakob zuletzt, aber es ist ja nicht mehr meine OKAY …
Von dieser Nacht an raste er wieder rund um den Erdball. Und baute Plastikfabriken in der ganzen Welt. Und verhandelte in der ganzen Welt. Und führte seinen Krieg in der ganzen Welt. Natascha, von ihrer Reise zurückgekehrt, begleitete ihn dabei natürlich. Und nun war es ihr schon in kürzeren Abständen immer wieder einmal danach. Jakob konnte nicht klagen. Nur für seine Schlittenfahrt, seine Chinesische, schien ihm die Zeit noch zu früh. Bei einem so wunderbaren, unverdorbenen und unschuldigen Geschöpf mußte er Geduld haben …
Er hatte Geduld, weil er gerade soviel zu tun hatte. 1961 – da wurde die Mauer in Berlin gebaut. Damals hatte Jakob Formann, seiner Zeit immer um zwei Schritte voraus, aus seinen vielen Schiffen durch Hinzunahme von Charter-Flugzeugen und Charter-Eisenbahnzügen und Omnibussen ein internationales Mammut-Reiseunternehmen aufgebaut, dieses gekoppelt mit einem gigantischen Möbelversandhaus, das Pleite gemacht und das er blitzschnell günstigst erworben hatte, um daran noch eine Immobilienfirma zu hängen. Den Werbe-Slogan für das Unternehmen hatte er sich selber ausgedacht und war mächtig stolz darauf. Er lautete: SCHÖNER WOHNEN – SCHÖNER REISEN – SCHÖNER LEBEN! Blödsinniger ging’s kaum noch, und deshalb zog dieser Slogan wie ein Magnet!
Des weiteren besaß Jakob – in der Phase der größten Expansion – bereits ein Anlageberatungsbüro (mit zahlreichen Außenstellen) für Abschreibungsprojekte in Zonenrandgebieten und West-Berlin. Er sah einfach alles voraus.
Und was er voraussah, traf ein. Ende 1964 traten die Amerikaner fast schon offen an der Seite Südvietnams in den Krieg gegen Nordvietnam. Jakobs Fertighausfabriken in Deutschland arbeiteten rund um die Uhr. Er selber flog dauernd zwischen Deutschland und Amerika hin und her. Immer wieder traf er seinen alten Freund, den Senator Robert Jackson Connelly. (Die liebe Jill hatte geheiratet und bereits einen kleinen Sohn.) Connelly war ziemlich traurig. Cindy, seine entsetzliche, wahrhaft der Hölle entsprungene Gemahlin, hatte ihm einen Drachen von neuer Sekretärin ins Vorzimmer gesetzt.
Jakob flog (mit Natascha) nun auch oft nach Los Angeles, um Misaras zu besuchen und mit diesem den Bau neuer Werke in Südamerika und Mexiko zu besprechen. Am 5. November 1964 wurde er mitten in einer solchen Besprechung aus Washington angerufen. Sein Freund, der Senator, war am Apparat. Seine Stimme klang unglücklich und aufgeregt: »Jake, tut mir leid, daß ich dich stören muß, aber da ist was sehr Unangenehmes passiert …« Nach all der Zeit duzten sie sich.
»Was denn, Bob?« fragte Jakob milde.
»Du lieferst doch jetzt auch Fertighäuser für Truppenunterkünfte nach Südvietnam, von Bremerhaven aus, nicht wahr …«
»Ja!«
»… und zwar sehr große Mengen, nicht wahr?«
»Ja doch! Und?«
»Und ich bin gerade vom Pentagon angerufen worden, Jake. Du kannst natürlich nichts dafür, aber mit deinen Fertighäusern für Südvietnam, mit diesen Truppenunterkünften, die das Pentagon jetzt bei dir bestellt hat, ist eine Sauerei passiert.«
»Was für eine Sauerei?«
»Reg dich nicht auf, Jake! Alles ging glatt, sagen sie im Pentagon, alles ging prima, aber jetzt sind die Ladungen von drei Schiffen verschwunden.«
»Was sind sie?«
»Verschwunden! Geklaut! Von irgendwelchen Lumpen. Unsere Leute kommen nicht dahinter. Die da unten klauen alle wie die Raben. Aber du hast den Auftrag und die Häuser bezahlt gekriegt, und jetzt sind sie nicht mehr da, und deshalb …«
»Schon gut, schon gut, Bob«, sagte Jakob, die Augen schließend, »ich weiß, was du mir sagen sollst.«
»Du weißt, Jake?«
»Ja. Du sollst mir vom Pentagon sagen, daß ich meinen Arsch gefälligst ins nächste Flugzeug zu setzen und nach Saigon zu fliegen habe, weil ich für die Häuser verantwortlich bin und jetzt versuchen muß, sie wiederzufinden.«
»Wie konntest du das bloß ahnen, Jake?« Der Senator war fassungslos.
»Reine Sache der Intuition. Außerdem ist Jakob Formann auch den Gedanken anderer Leute immer um zwei Schritte voraus. Okay, okay, ich fliege in zwei Stunden los, mein Alter!« sagte Jakob und dachte, während er den Hörer niederlegte: Hübsch, hübsch, jetzt kann ich für die Amis da unten, wo es schießt, auch noch Detektiv spielen und rauskriegen, wer sich meine Häuser unter den Nagel gerissen hat!
Natascha und Misaras vernahmen voller Gram, was sich ereignet hatte. »Na ja«, sagte Jakob, »was soll man machen? Pack deine Sachen, Schatz!« Zu seiner Überraschung wollte Natascha ihre Sachen nicht packen.
»Aber warum nicht, Liebste? Du fliegst doch sonst immer mit mir überallhin! Warum nicht diesmal?«
»Mein Gott, Jake, ich würde ja so gerne mit dir fliegen, aber gerade jetzt, morgen, beginnt hier in Los Angeles dieses große Festival.«
»Was für ein Festival?«
»Das Mozart-Festival, Liebster. Mit den berühmtesten Sängern und Solisten!« erwiderte Natascha. »Es dauert zwei Wochen. Im Music Center of Los Angeles. Konzerte und Opern und alles – und, bitte sieh das ein: Meinen Mozart lasse ich mir nicht nehmen!«