2
»…daß der Herr Bundeskanzler auf dem Weg zu Ihnen ist, mein lieber Herr Formann«, sagte Österreichs Außenminister Dr. Bruno Kreisky. »Das ist aber lieb von ihm«, antwortete Jakob gerührt. Die Damen und Herren in seiner Loge erstarrten vor Ehrfurcht. Jakob zog an seiner Frackweste. Er besaß ein Dutzend Fräcke, und obwohl sein Schneider ihm immer wieder versicherte, der Frack sei der Anzug des Gentleman und so bequem zu tragen wie kein anderer, hatte Jakob sich niemals an diese Art von Kleidung gewöhnen können. Er haßte es, wenn er einen Frack anziehen mußte, und so war er denn mit den Jahren immer tiefer in das Hassen seiner Fräcke hineingeraten. Nur ein Sadist konnte so ein Ding erfunden haben! Der Metallknopf, der einem am Kragen die Luft nahm! Der beinharte Hemdeinsatz unter der Frackweste, der einen nicht leger sitzen ließ, sondern immer nur absolut aufrecht und steif, damit man das untere Ende nicht in die … in den Leib bekam! Die Bänder, mit denen Hemd und Weste festgezurrt werden mußten, als wäre man eine Rennjacht! Und die anderen Bänder, die verhinderten, daß die Hose hinunter und die Frackweste hinauf rutschten, indem sie beide verbanden! Die – ach was! Am schlimmsten war die entsetzliche Hitze, die so ein Frack entfachte – und dazu noch ein Opernhaus mit sechstausend Menschen und keiner Airconditioning.
Wann immer er einen Frack tragen mußte, trank Jakob, ehe er sich ins Vergnügen stürzte, ein großes Glas Salzwasser. Das verhinderte Schweißausbrüche – eine Zeitlang wenigstens. Dafür mußte er dann aber auch stets Traubenzuckertäfelchen mit sich tragen. Wegen des Kreislaufs. Ach, dachte Jakob, waren das noch schöne Zeiten damals, 1945, als wir nichts zu fressen und keinen Groschen und nur alte Fetzen und durchlöcherte Schuhe hatten! Und noch nicht wußten, was Ährkondischenning ist …
1965 kostete eine Loge für den Opernball im Ersten Rang offiziell 60 000 Schilling. Im ›Schleich‹ kostete sie das Dreifache. Jakob hatte, nachdem er das erfuhr, freiwillig pro Loge 180 000 Schilling bezahlt, denn er wußte, wie seine liebe, langjährige Freundin Christi Gräfin Schönfeldt, Arrangeurin aller Opernbälle, stets dafür sorgte, daß der Reinertrag dieses großen Festes denen zugute kam, die sehr alt oder sehr jung, auf alle Fälle aber sehr arm und sehr hilflos waren. Vor zwanzig Jahren war Jakob Formann das selber gewesen: sehr jung und sehr arm und sehr hilflos. So wie wir alle 1945 eben. Nein, noch etwas mehr! Danach allerdings war Jakob einiges passiert. Exemplarisches. Darum erzählen wir ja diese Geschichte.