52

Das größte Puff in Antwerpen hieß ›Palais des Nations‹. Die Besitzerin, die eine kleine Brasil rauchte, sagte im Empfangssalon ihres Etablissements in der Beeldhouverstraat, die nahe dem Museum der Schönen Künste an dem Leopold De Waels Plaats liegt: »Also gut, ich übernehme die Pro-Kits.« Sie sprach Deutsch, was natürlich alles ungemein erleichterte.

»Das freut mich, Madame Willemsen.«

Die Dame Willemsen, eine stattliche Person mit vielen Ringen und Ketten und einem gepuderten Teiggesicht, dessen Züge freilich auch stahlhart werden konnten, sagte: »In schweren Zeiten wie diesen ist es gut, einen kleinen Vorrat anzulegen … Und sagen Sie besser Mevrouw zu mir. Das höre ich lieber.«

»Das ist ein lobenswerter Vorsatz, Mevrouw«, sagte Jakob und sah freundlich die braun-, schwarz-, gelb-, rosa- und weißhäutigen Mädchen an, die nackt oder halbnackt im Salon saßen, strickten, Kreuzworträtsel lösten oder an ihre Kinder schrieben. Es war noch zu früh fürs Geschäft. »Ich möchte aber Dollars.«

»Dollars?«

»Wenn’s recht ist, Mevrouw.«

»Da muß ich erst mit Mijnheer Huysman telefonieren.«

»Wer ist Mijnheer Huysman?«

»Mein Steuerberater. Ich habe soviel natürlich nicht in Devisen.«

»Hoffentlich hat Mijnheer Huysman soviel, Mevrouw. Mir liegen drei Angebote von wallonischen Herren vor.«

»Sie werden doch nicht …« Der Busen von Mevrouw Willemsen wogte heftig, sie griff sich an die Kehle. »Die Präservative müssen in flämischer Hand bleiben!«

»Wie Sie meinen, Mevrouw. Aber wenn Mijnheer Huysman, natürlich auch ein Flame, nehme ich an« (Gott segne Österreich), »nicht genügend Dollars hat …«

»Geduld, Mijnheer, ein bißchen Geduld. Dann wird er sich eben mit seinem Kompagnon Mijnheer Vermeylen besprechen. Gemeinsam haben sie genügend Dollars.«

»Wer ist Mijnheer Vermeylen, Mevrouw?«

»Ein reicher Fabrikant hier in Antwerpen, Mijnheer.«

»Aha.«

Mevrouw erhob sich. »Sie wollen die Dollars sofort nach Übernahme durch meine Freunde?«

»Ihre Freunde, Mevrouw, wer ist das?«

»Belgische Polizisten. Die bewachen den Frachtbahnhof, auf dem der Waggon stehen wird.«

»Aha.«

»Es sind natürlich auch amerikanische Posten da. Die werde ich abzulenken wissen, seien Sie beruhigt.«

»Da bin ich ganz beruhigt, Mevrouw.«

»Abtransportieren müssen wir die Dinger in Salatkörben.«

»Salatkörben, eh, hrm?«

»Im Französischen werden die ›Grünen Minnas‹ charmanterweise ›paniers de salade‹ genannt!«

»Wirklich charmant …!«

»Ich werde jetzt schnell telefonieren und alles vorbereiten. Auch meine Knaben muß ich verständigen.«

»Ihre Knaben?«

»Süße Kinderchen. Die helfen mir immer in solchen Fällen. Es sind auch Mädchen darunter. Die Eltern werden von mir natürlich entschädigt.«

»Natürlich.«

»Alle Soldaten – und ganz besonders die Amerikaner – sind doch so kinderliebend, nicht wahr?«

»So ist es, Mevrouw.«

»Ich habe Sie bereits gefragt: Sie benötigen die Dollars sofort, nachdem die Kinderchen und die Polizisten den Waggon geleert haben?«

»Wenn ich darum bitten dürfte, Mevrouw. Sagen wir bis spätestens zwei Uhr nachts. Dann muß ich nämlich abreisen.«

»Es wird klappen, Mijnheer. Auf meine Polizisten ist Verlaß. Die einzigen, auf die man sich in dieser Gangsterstadt noch verlassen kann. Während ich mich umhöre, wollen Sie nicht vielleicht eine kleine Distraktion? … Nein, nein, die Freude müssen Sie mir machen! Wer soll’s denn sein? Was hätten Sie denn gerne? Europäisch, afrikanisch …

»Chinesisch, wenn es nicht zu unverschämt ist, Mevrouw. Chinesisch habe ich noch nie.«

»Aber gerne. Yün-Sin, komm her!« Ein zierliches Geschöpf trat heran. »Yün-Sin heißt Pfirsichblüte, Monsieur. Pfirsichblüte, der Herr will dir die Ehre erweisen. Zeige ihm deine Spezialität, die ›Schlittenfahrt‹!«

»Gewiß, Mevrouw«, zwitscherte Pfirsichblüte englisch mit Piepsstimme. Sie kreuzte die Arme über der bloßen Brust und verbeugte sich tief vor Jakob. »Edlel Tai-Pan, dalf ich bitten, mil zu folgen?« Mit wackelndem Popo ging sie vor Jakob her, die Treppe empor, die zu den Zimmern führte. Die anderen Mädchen nahmen keine Notiz davon.

»Kennt eine von euch eine Sowjetrepublik mit acht Buchstaben?« fragte die Mulattin, die Kreuzworträtsel löste.

 

Um 1 Uhr 30 war alles vorbei.

Jakob saß im Büro der Dame Willemsen und ließ sich fünfundzwanzigtausend Dollar vorzählen. Der Steuerberater und der reiche Fabrikant hatten ihr unter die Arme gegriffen. Die Kondome waren bereits über die ganze Stadt verteilt. Reizende Kinder hatten die Plomben des von Radtke mit einem verabredeten Zeichen (es stand in deutscher Sprache da: ICH LIEBE DICH) versehenen Waggons aufgebrochen und die Kartons zu zwei ›Salatkörben‹ getragen, die unentwegt an- und abfuhren.

Es war zu keinerlei Zwischenfall gekommen. Mevrouw Willemsen hatte Damen aus den Etablissements ›Zum heißen Trichter‹, ›Zur flotten Hendrikje‹ und ›Zum roten Stiefel‹ um Mitarbeit gebeten. Die Damen leisteten ganze Arbeit in den Wachbaracken der amerikanischen Posten, die schon vor Anlaufen der Aktion nicht mehr stehen konnten – entweder infolge Suffs oder Erschöpfung oder von beidem. So waren denn alle zufrieden … Jakob, der mitgezählt hatte, steckte die fünfundzwanzigtausend Dollar ein und küßte Mevrouw Willemsen die Würstchenfinger.

»Es war mir ein Vergnügen, Mijnheer«, sprach Madame.

Schon eine halbe Stunde später hatte Jakob Antwerpen in seinem Mietwagen verlassen und fuhr durch eine Winternacht Brüssel entgegen. Es schneite. Jakob fühlte sich sehr wohl. Fünfundzwanzigtausend Dollar sind besser als in die hohle Hand, dachte er. Und jetzt weiß ich, was eine ›Schlittenfahrt‹ ist, Junge, Junge. Sollten wir unseren nächsten Krieg China erklären, melde ich mich freiwillig!

Hurra, wir leben noch
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