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»Hier ist Ihr Paß, lieber Mister Formann«, sagte Senator Connelly zwei Tage später in seinem NS-Museum-Büro. Er hielt Jakob das Dokument mit einem gelösten Gesichtsausdruck hin. A happy old man. »Und bitte, bitte, verzeihen Sie mir! Ich … Ich muß von Sinnen gewesen sein … Ich habe Sie beleidigt … Ich habe Sie gekränkt … Aber Sie waren ja Zeuge des Telefongesprächs mit meiner … hrm … Frau, nicht wahr … Ich habe kein leichtes Leben, Mister Formann … Bitte, so nehmen Sie doch endlich Platz …«

Jakobs Gesicht war versteinert.

»Nein, Senator, so einfach geht das nicht. Sie haben sich – ich muß es leider sagen – skandalös benommen. Ich wäre nie mehr zu Ihnen gekommen, wenn ich nicht meinen Paß brauchte, um dieses Land augenblicklich zu verlassen …«

»Nicht augenblicklich, Mister Formann!«

»Ganz bestimmt augenblicklich, Senator!«

»Das dürfen Sie nicht! Das können Sie nicht!«

»Und ob ich es kann. Mir reicht es!«

»Mein Gott, ich sagte Ihnen doch, meine Frau …«

Jajaja, dachte Jakob. Rede du nur. Er hatte beim Kommen Jill Bennett im Vorzimmer gesehen. Lächelnd und stumm hatte sie ihm beide Hände hingehalten. Die Fingernägel waren gesplittert oder abgebrochen gewesen. Das ist die wahre Liebe, hatte Jakob gedacht und Jill zärtlich in den Nacken geküßt.

»Sie können nicht weg jetzt, Mister Formann, denn ich habe mit dem Pentagon gesprochen!«

»Na ja, und?« Jakob hob eine Augenbraue.

»Sie kommen aus Österreich, habe ich gesagt. Fast alle Wirtschaftsberater des Weißen Hauses sind Österreicher. Österreichische Geschäftsleute waren zu allen Zeiten bei uns sehr beliebt …«

»Jajaja. Und?«

»Und das Pentagon kauft Ihnen erst mal tausend Fertigbau-Truppenunterkünfte ab.«

»So. Na, sehr schön.« Jakob ließ sich gelangweilt in einen Sessel fallen.

»Und was zahlen die Herren?«

»Das hängt von Ihrer Tüchtigkeit ab, Mister Formann! Ich habe gesagt, ich kenne Sie als seriösen Geschäftsmann! Die Herren erwarten Sie. Ich habe noch eigens ein weiteres Empfehlungsschreiben an den Verteidigungsminister diktiert … Moment!« In die Sprechanlage: »Liebe Jill, würden Sie wohl bitte den Brief betreffend Mister Formann hereinbringen?«

»Gerne, Senator«, kam Jills Stimme aus dem Lautsprecher. Sanft und ruhig. So erschien sie gleich darauf auch in persona. Sie legte Connelly ein getipptes Schreiben auf den Tisch. Neben das zierliche Modell eines Do-Raketenwerfers. Und sah dabei lächelnd zu Jakob herab, wobei sie ihm einen Zettel in die Hand gleiten ließ. Der Senator las stehend, was er diktiert hatte. (Er stand die ganze Zeit.)

Jakob entfaltete vorsichtig den Zettel und las: ›Heute abend um 8 Uhr wieder bei mir?‹

Er nickte.

In Jills Gesicht ging die Sonne auf.

Der Senator strahlte Jill an.

»Ich danke Ihnen, liebe Jill. Das haben Sie wunderbar getippt.«

»Danke, Senator.« Jills Hüfte streifte Jakobs Schulter, als sie hinausging. So ist es schön, dachte Jakob. Er sah gerne glückliche Menschen.

Der Senator nahm stehend einen besonders schönen Plastic-Kugelschreiber zur Hand, um seine Unterschrift auf dem Brief anzubringen. Der Stift lag ihm schräg in der Hand. Jakob blinzelte. In dieser Lage sah man auf dem Schaft ein nacktes Mädchen – in Farben! Der Senator stellte den Stift gerade – das Mädchen war verschwunden.

»Toll«, sagte Jakob.

»Was? Ach so, das kleine Spielzeug hier! Ja, das ist schon komisch, hahaha! Wollen Sie mal …?«

Jakob wollte mal.

Er bekam den Kugelschreiber und kippte ihn immer wieder. Immer wieder tauchte die Nackte auf und verschwand.

»Ach, das bringt mich auf eine Idee, Senator …«

»Ja?« Connelly überschlug sich vor Herzlichkeit. »Was für eine Idee, lieber Mister Formann?«

»Ich … äh … ich bin auch hier, um Lizenzen für die Fabrikation von Plastics zu kaufen. Das ist ja eine Riesenindustrie bei Ihnen, habe ich gehört.«

»Stimmt.«

»In Deutschland gibt’s das überhaupt noch nicht …« (Hier irrte Jakob. Auch in Deutschland gab es Plastics – schon seit langer Zeit. Es war Jakob indessen nie aufgefallen, daß zum Beispiel die Gehäuse der ›Volksempfänger‹-Radios, die der ›geliebte Führer‹ dem deutschen Volke beschert hatte, aus Plastic gewesen waren – nur hieß das in Deutschland ›Kunststoff‹. Und Deutschland hinkte in Sachen ›Kunststoff‹ ganz erheblich hinterher.) »Das ist eine hochinteressante Sache und …«

»Warten Sie!« Der Senator wollte sich setzen, schnellte aber mit einem Wehlaut wieder empor. (Junge, muß Jill den bearbeitet haben, dachte Jakob und drückte herzlich die alte Hasenpfote.) »Da kann ich Ihnen weiterhelfen! Ich bin bestens befreundet mit dem Boß eines der größten Plastic-Konzerne in den Staaten. Rufe ihn gleich mal an …«

»Wirklich, Sie machen sich zuviel Mühe, Senator!«

»Mühe? Es ist mir doch eine Freude!« Connelly stand über die Telefon-Sprechanlage gebeugt und flötete: »Ach, liebe Jill, verbinden Sie mich doch mit Boston. Donald … ja, sehr richtig, Donald Atkinson! Ich danke Ihnen, liebe Jill!«

Drei Minuten später war das Gespräch da. Der Senator führte es im Stehen. Ab und zu massierte er mit seiner freien Hand den Rücken dabei. (Der muß auch hübsch aussehen, dachte Jakob.) Es war ein überaus freundschaftliches Gespräch …

»… Jakob Formann! Österreicher! Großartiger Mann, ganz hervorragend … Werdet euch glänzend verstehen … Hat hier noch so zwei Wochen zu tun … Was? … Geschäfte mit dem Pentagon! … Ich sage dir ja, ein toller Kerl!« Connelly blinzelte Jakob zu. »… Riesenauftrag, ja! … Muß noch verhandeln … Aber dann kann er zu dir nach Boston kommen … Wie? … Weiß ich nicht … Lizenzen für die verschiedensten Arten von Plastics! Du wirst was … wie? … Ach so, sehr gut, du wirst ihm deine Werke zeigen … Auf diese Weise sieht er halb Amerika, hahaha! Zwanzig Staaten und … Ja … Nein … Ja … Das wäre natürlich äußerst nützlich … einen Experten! Einen erstklassigen Experten, der mit meinem Freund Formann zurück nach Europa fliegt und das ganze Know-how mitbringt! Prima, Don, prima … Bitte? … Nein, da kannst du ganz beruhigt sein! Für den Mann bürge ich! Der ist okay! Hat tadellose Bankverbindungen. Und verdient ja mehr als genug, wenn er vom Pentagon den Riesenauftrag bekommt. Großer Mann in Deutschland! Übrigens, das ist doch klar, Don, alter Junge: zwanzig Prozent für mich! … Na, ich bringe dir doch diesen Mann! Dieses Geschäft! … Zehn Prozent? Kommt nicht in Frage! Dann schicke ich meinen Freund woanders hin … Wie? Also meinetwegen, fünfzehn Prozent für mich. Okay, Don, okay! Nichts zu danken …«

Hurra, wir leben noch
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