ABSCHIED VON LÓRIEN
An jenem Abend wurde die Gemeinschaft wieder in Celeborns Gemach gerufen, und dort begrüßten der Herr und die Herrin sie mit freundlichen Worten. Schließlich sprach Celeborn von ihrem Aufbruch.
»Nun ist die Zeit gekommen«, sagte er, »da jene, die die Reise fortsetzen wollen, ihr Herz stärken müssen, um dieses Land zu verlassen. Diejenigen, die nicht weitergehen wollen, mögen eine Zeitlang hier verweilen. Aber ob sie bleiben oder gehen, niemand kann des Friedens sicher sein. Denn wir nähern uns jetzt der Schwelle des Schicksals. Hier mögen diejenigen, die wollen, die Ankunft der Stunde erwarten, da entweder die Wege der Welt wieder frei sind oder wir sie auffordern, Lórien in höchster Not beizustehen. Dann mögen sie in ihre eigenen Länder zurückkehren oder aber für immer in die ewige Heimat derer gehen, die im Kampfe gefallen sind.«
Es trat Schweigen ein. »Sie haben sich alle entschlossen weiterzugehen«, sagte Galadriel, die ihnen in die Augen schaute.
»Was mich betrifft«, sagte Boromir, »so führt der Weg zu meiner Heimat voran und nicht zurück.«
»Das ist wahr«, sagte Celeborn. »Aber geht die ganze Gemeinschaft mit Euch nach Minas Tirith?«
»Wir haben uns über unseren Weg noch nicht entschieden«, sagte Aragorn. »Ich weiß nicht, was Gandalf über Lothlórien hinaus vorhatte. Ich glaube sogar, dass nicht einmal er einen festen Plan hatte.«
»Das mag sein«, antwortete Celeborn. »Doch wenn ihr dieses Land verlasst, könnt ihr den Großen Strom nicht länger außer Acht lassen. Wie manche von euch sehr wohl wissen, kann er von Wanderern mit Gepäck zwischen Lórien und Gondor nicht überquert werden, außer mit Booten. Und sind nicht die Brücken von Osgiliath zerstört und alle Landeplätze jetzt in der Hand des Feindes?
Auf welcher Seite wollt ihr wandern? Der Weg nach Minas Tirith liegt auf dieser Seite, auf der westlichen; doch der gerade Weg für die Aufgabe verläuft östlich des Stroms, auf dem dunkleren Ufer. Welches Ufer wollt ihr nun wählen?«
»Wenn mein Rat beherzigt wird, dann wird es das westliche Ufer sein und der Weg nach Minas Tirith«, antwortete Boromir. »Doch bin ich nicht der Führer der Gemeinschaft.« Die anderen sagten nichts, und Aragorn sah unsicher und bekümmert aus.
»Ich sehe, dass ihr noch nicht wisst, was ihr tun sollt«, sagte Celeborn. »Es kommt mir nicht zu, für euch die Entscheidung zu treffen; doch will ich euch helfen, so ich kann. Es sind einige unter euch, die mit Booten umzugehen verstehen: Legolas, dessen Volk den raschen Waldfluss kennt, und Boromir von Gondor; und Aragorn der Wanderer.«
»Und ein Hobbit!«, rief Merry. »Nicht alle von uns halten Boote für wilde Pferde. Meine Familie wohnt an den Ufern des Brandyweins.«
»Das ist gut«, sagte Celeborn. »Dann will ich eure Gemeinschaft mit Booten ausrüsten. Sie müssen klein und leicht sein, denn wenn ihr weit auf dem Wasser fahrt, werdet ihr sie an manchen Stellen tragen müssen. Ihr werdet zu den Stromschnellen von Sarn Gebir kommen und schließlich vielleicht sogar zu den großen Wasserfällen von Rauros, wo der Strom herabdonnert von Nen Hithoel; und es gibt noch andere Gefahren. Es mag sein, dass Boote eure Fahrt eine Zeitlang weniger beschwerlich machen. Dennoch werden sie euch keinen Rat bieten: Zuletzt werdet ihr sie und den Fluss verlassen und euch nach Westen wenden müssen – oder nach Osten.«
Aragorn dankte Celeborn vielmals. Dass er ihnen Boote schenkte, erleichterte ihn sehr, nicht zuletzt deswegen, weil nun die Notwendigkeit, eine Entscheidung über den einzuschlagenden Weg zu treffen, um einige Tage hinausgeschoben war. Auch die anderen sahen hoffnungsvoller drein. Welche Gefahren auch immer vor ihnen lagen, es war verlockender, von den breiten Fluten des Anduin getragen ihnen ins Auge zu sehen, als sich mit Lasten auf dem Rücken voranzuschleppen. Nur Sam hatte seine Zweifel: Er jedenfalls hielt Boote noch immer für ebenso schlimm oder sogar noch schlimmer als wilde Pferde, und alle überstandenen Gefahren hatten ihn nicht zu einer besseren Meinung von ihnen bekehren können.
»Alles soll für euch gerichtet werden und morgen vor dem Mittag an der Anlegestätte für euch bereitstehen«, sagte Celeborn. »Ich werde meine Leute in der Frühe zu euch schicken, damit sie euch helfen, euch für die Reise fertig zu machen. Nun wollen wir euch allen eine schöne Nacht und ungetrübten Schlaf wünschen.«
»Gute Nacht, meine Freunde«, sagte Galadriel. »Schlaft in Frieden! Quält eure Herzen heute Nacht nicht übermäßig mit dem Gedanken an euren Weg. Vielleicht liegen die Pfade, die jeder von euch betreten soll, schon vor euren Füßen, obwohl ihr sie nicht seht. Gute Nacht!«
Die Gemeinschaft verabschiedete sich nun und kehrte zu ihrem Zelt zurück. Legolas ging mit ihnen, denn es war ihre letzte Nacht in Lothlórien, und trotz Galadriels Worten wollten sie noch gemeinsam beratschlagen.
Lange Zeit erörterten sie, was sie tun sollten und wie sie ihr Vorhaben mit dem Ring am besten ausführen wollten; aber sie kamen zu keinem Entschluss. Es war klar, dass die Mehrzahl von ihnen zuerst nach Minas Tirith gehen wollte, um wenigstens für eine Weile der Bedrohung durch den Feind zu entgehen. Sie wären bereit gewesen, einem Führer über den Strom und in den Schatten von Mordor zu folgen; aber Frodo sprach kein Wort, und Aragorn war immer noch unschlüssig.
Solange Gandalf bei ihnen war, hatte Aragorn vorgehabt, mit Boromir mitzugehen und mit seinem Schwert bei der Befreiung von Gondor zu helfen. Denn er glaubte, dass die Botschaft der Träume eine Aufforderung und die Stunde endlich gekommen sei, da Elendils Erbe hervortreten und mit Sauron um die Herrschaft kämpfen sollte. Doch in Moria war ihm Gandalfs Bürde auferlegt worden; und er wusste, dass er jetzt nicht den Ring im Stich lassen konnte, falls Frodo sich weigern sollte, mit Boromir mitzugehen. Und dennoch – welche andere Hilfe konnten er oder irgendeiner aus der Gruppe Frodo gewähren, als blindlings mit ihm in die Dunkelheit zu gehen?
»Ich werde nach Minas Tirith gehen, allein, wenn nötig, denn es ist meine Pflicht«, sagte Boromir; und dann war er eine Weile still, den Blick starr auf Frodo gerichtet, als ob er versuchte, die Gedanken des Halblings zu lesen. Schließlich sprach er weiter, leise, als ob er ein Selbstgespräch führte. »Wenn du nur den Ring vernichten willst«, sagte er, »dann sind Krieg und Waffen wenig nutze; und die Menschen von Minas Tirith können nicht dabei helfen. Willst du aber die bewaffnete Macht des Dunklen Herrschers vernichten, dann ist es Torheit, ohne Streitmacht in sein Reich zu gehen; und Torheit, wegzuwerfen.« Er hielt inne, als ob er gewahr geworden wäre, dass er seine Gedanken laut aussprach. »Es wäre Torheit, Leben wegzuwerfen, meine ich«, fuhr er fort. »Es ist, als wollte man sich entscheiden, ob man eine Festung verteidigen oder einfach dem Tod in die Arme laufen will. Zumindest sehe ich die Sache so.«
Frodo bemerkte etwas Neues und Fremdes in Boromirs Blick, und er sah ihn scharf an. Es war klar, dass Boromir etwas anderes gedacht hatte, als was seine letzten Worte besagten. Es wäre Torheit, wegzuwerfen: was wegzuwerfen? Den Ring der Macht? Er hatte schon etwas Ähnliches bei dem Rat gesagt, aber damals hatte er Elronds Berichtigung hingenommen. Frodo schaute Aragorn an, aber der schien tief in Gedanken versunken und ließ nicht erkennen, ob er Boromirs Worte beachtet hatte. Und damit endete ihre Beratung. Merry und Pippin schliefen bereits, und Sam war im Einnicken begriffen. Es war schon spät in der Nacht.
Am Morgen, als sie gerade begannen, ihre dürftige Habe einzupacken, kamen Elben, die ihre Sprache sprechen konnten, und brachten ihnen viele Geschenke, Vorräte und Kleidung für die Reise. Die Vorräte bestanden hauptsächlich aus sehr dünnen Kuchen; sie waren aus Mehl gemacht, das beim Backen außen leicht braun geworden war, aber innen die Farbe von Sahne hatte. Gimli nahm einen der Kuchen auf und betrachtete ihn zweifelnd.
»Cram«, sagte er leise, als er eine knusprige Ecke abbrach und daran knabberte. Sein Ausdruck änderte sich rasch, und er aß den ganzen Kuchen mit Genuss.
»Nicht mehr, nicht mehr!«, riefen die Elben lachend. »Du hast schon genug gegessen für einen langen Tagesmarsch.«
»Ich dachte, das sei nur eine Art cram, wie sie die Menschen in Thal für Wanderungen in der Wildnis backen«, sagte der Zwerg.
»So ist es«, antworteten sie. »Aber wir nennen die Waffeln lembas oder Wegbrot, und sie sind stärkender als alle von Menschen gemachten Esswaren, und sie schmecken besser als cram, nach allem, was man hört.«
»Das ist richtig«, sagte Gimli. »Sie sind tatsächlich besser als die Honigkuchen der Beorninger, und das ist ein großes Lob, denn die Beorninger sind die besten Bäcker, die ich kenne; aber heutzutage sind sie keineswegs sehr bereit, Fremden von ihren Kuchen etwas abzugeben. Ihr seid freundliche Gastgeber!«
»Dennoch bitten wir euch, sparsam mit diesen Vorräten umzugehen«, sagten sie. »Esst wenig davon auf einmal, und nur, wenn es nötig ist. Denn diese Dinge sollen euch dienlich sein, wenn alles andere versagt. Die Kuchen werden viele, viele Tage frisch bleiben, wenn sie nicht angebrochen sind und in ihrer Blätterverpackung bleiben, wie wir sie euch gebracht haben. Einer davon wird einen Wanderer einen anstrengenden Tag lang auf den Beinen halten, selbst einen der großen Menschen aus Minas Tirith.«
Als Nächstes packten die Elben die Kleidungsstücke aus und gaben jedem von der Gruppe das, was sie ihm mitgebracht hatten. Für jeden hatten sie einen Mantel und eine Kapuze, seiner Körpergröße entsprechend, aus dem leichten, aber warmen Seidenstoff, den die Galadhrim webten. Welche Farbe sie hatten, war schwer zu sagen: Grau schienen sie im Zwielicht unter den Bäumen zu sein; doch wenn man sie hin und her bewegte oder in eine andere Beleuchtung brachte, dann waren sie grün wie schattige Blätter oder braun wie Brachfelder bei Nacht, silbrig dunkel wie Wasser unter den Sternen. Jeder Mantel wurde am Hals mit einer Spange geschlossen, die wie ein grünes Blatt mit silberner Aderung aussah.
»Sind das Zaubermäntel?«, fragte Pippin, der sie voll Staunen betrachtete.
»Ich weiß nicht, was du damit meinst«, antwortete der Führer der Elben. »Es sind schöne Mäntel, und das Gewebe ist gut, denn es ist in diesem Land hergestellt worden. Gewiss sind es Elbengewänder, wenn es das ist, was du meinst. Blatt und Zweig, Wasser und Stein: Sie haben den Farbton und die Schönheit all dieser Dinge unter dem Zwielicht von Lórien, das wir lieben. Denn bei allem, was wir herstellen, denken wir an all das, was wir lieben. Indes sind es Kleidungsstücke, keine Panzer, und sie werden weder Speer noch Klinge abwehren. Doch sollten sie euch gute Dienste leisten: Sie sind leicht im Tragen und warm oder kühl genug, je nach Bedarf. Und ihr werdet merken, dass sie eine große Hilfe sind, wenn ihr euch dem Blick unfreundlicher Augen entziehen wollt, ob ihr nun zwischen den Steinen oder unter Bäumen steht. Ihr steht wahrlich in hoher Gunst bei der Herrin! Denn sie selbst und ihre Jungfrauen haben den Stoff gewebt; und niemals zuvor haben wir Fremde in die Gewänder unseres eigenen Volkes gekleidet.«
Nach ihrer Morgenmahlzeit nahm die Gemeinschaft Abschied von der Rasenfläche an dem Springquell. Das Herz war ihnen schwer; denn es war ein schöner Ort und gleichsam ein Zuhause für sie geworden, wenn sie auch die Tage und Nächte, die sie hier verbracht hatten, nicht zählen konnten. Als sie einen Augenblick dort standen und auf das weiße Wasser im Sonnenschein blickten, kam Haldir über das grüne Gras der Lichtung auf sie zu. Frodo begrüßte ihn voll Freude.
»Ich bin von den Nordgrenzen zurückgekehrt«, sagte der Elb, »und habe jetzt den Auftrag, wiederum euer Führer zu sein. Das Schattenbachtal ist voll von Dampf und Rauchwolken, und die Berge sind in Unruhe. Es kommen Geräusche aus den Tiefen der Erde. Wenn einer von euch vorgehabt hätte, nach Norden in die Heimat zurückzukehren, dann hätte er auf diesem Wege nicht gehen können. Aber kommt! Ihr wollt ja nun nach Süden.«
Als sie durch Caras Galadhon gingen, waren die grünen Wege leer; doch in den Bäumen hörten sie viele Stimmen murmeln und singen. Sie selbst schwiegen. Schließlich führte Haldir sie die Südhänge des Berges hinab, und sie kamen wieder zu dem großen, mit Lampen behängten Tor und zu der weißen Brücke; und so gingen sie hinaus und verließen die Stadt der Elben. Dann wandten sie sich ab von der gepflasterten Straße und schlugen einen Pfad ein, der zwischen dichtstehenden Mallornbäumen hindurchführte und dann weiter durch welliges Waldland mit silbernen Schatten, und es ging stetig hinab, nach Süden und Osten, den Ufern des Flusses entgegen.
Sie waren etwa zehn Meilen gegangen, und die Mittagszeit war nahe, als sie zu einer hohen grünen Mauer kamen. Durch eine Öffnung schritten sie hindurch und hatten plötzlich die Bäume hinter sich gelassen. Vor ihnen lag eine langgestreckte Wiese von schimmerndem Gras, übersät mit goldenen elanor, die in der Sonne funkelten. Die Wiese lief zwischen leuchtenden Rändern in einer schmalen Landzunge aus: Auf der rechten und westlichen Seite floss glitzernd der Silberlauf; auf der linken und östlichen Seite wogte das tiefe und dunkle Wasser des Großen Stroms. Auf den jenseitigen Ufern erstreckte sich der Wald so weit nach Süden, wie das Auge reichte, aber die Ufer selbst waren kahl und öde. Kein Mallorn reckte außerhalb des Landes Lórien seine goldbehangenen Zweige in den Himmel.
Am Ufer des Silberlaufs, in einiger Entfernung von dem Zusammenfluss der Ströme, war eine Schiffslände aus weißen Steinen und weißem Holz. Viele Boote und Kähne lagen dort vertäut. Manche waren in leuchtenden Farben gestrichen und schimmerten in Silber und Gold und Grün, doch die meisten waren entweder weiß oder grau. Drei kleine Boote waren für die Gemeinschaft bereitgemacht worden, und in diese verstauten die Elben ihre Sachen. Und sie legten auch Seilrollen hinein, drei in jedes Boot. Sie sahen dünn aus, aber kräftig, seidig anzufassen und von grauer Farbe wie die Elbenmäntel.
»Was ist das?«, fragte Sam und nahm eine in die Hand, die auf dem Rasen lag.
»Seile natürlich«, antwortete ein Elb aus den Booten. »Man soll niemals lange ohne ein Seil unterwegs sein! Und eins, das lang und stark und leicht ist. So wie diese sind. Sie mögen eine Hilfe sein in manchen Notlagen.«
»Das braucht Ihr mir nicht zu sagen!«, sagte Sam. »Ich kam ohne eins hierher und war die ganze Zeit darüber beunruhigt. Aber ich frage mich, woraus diese gemacht sind, denn ich weiß ein bisschen Bescheid mit der Seilerei: Es liegt in der Familie, wie man sagen könnte.«
»Sie sind aus hithlain«, sagte der Elb. »Aber jetzt ist keine Zeit mehr, dich in der Kunst ihrer Herstellung zu unterrichten. Hätten wir gewusst, dass dieses Handwerk dir Freude macht, dann hätten wir dir viel beibringen können. Doch nun musst du dich leider, sofern du nicht einmal wieder herkommst, mit unserem Geschenk begnügen. Möge es dir gute Dienste leisten!«
»Kommt!«, sagte Haldir. »Alles ist jetzt bereit für euch. Geht in die Boote. Aber seid zuerst vorsichtig!«
»Beherzigt diese Worte«, sagten die anderen Elben. »Diese Boote sind sehr leicht gebaut und kunstvoll und nicht wie die Boote anderer Leute. Sie sinken nicht, wie schwer ihr sie auch beladen mögt; aber sie sind unberechenbar, wenn sie falsch behandelt werden. Es wäre klug, wenn ihr euch hier beim Landeplatz erst mit dem Ein- und Aussteigen vertraut machtet, ehe ihr euch flussabwärts auf den Weg begebt.«
Die Gemeinschaft wurde folgendermaßen aufgeteilt: Aragorn, Frodo und Sam fuhren in einem Boot; Boromir, Merry und Pippin im zweiten; und im dritten Legolas und Gimli, die jetzt unzertrennliche Freunde geworden waren. In diesem dritten Boot war der größte Teil der Vorräte und Rucksäcke verstaut. Die Boote wurden durch kurzschäftige Paddel mit breiten, blattförmigen Schaufeln fortbewegt und gesteuert. Als alles bereit war, führte Aragorn sie zu einer Übungsfahrt den Silberlauf hinauf. Die Strömung war stark, und sie kamen langsam voran. Sam saß im Bug, klammerte sich an beiden Seiten fest und blickte sehnsüchtig zurück zum Ufer. Die auf dem Wasser glitzernde Sonne blendete ihn. Als sie an der grünen Landzunge vorbei waren, sahen sie, dass hier die Bäume dicht am Rand des Wassers standen. Hier und dort tanzten goldene Blätter auf den Wellen des Flusses. Die Luft war sehr hell und still, und nichts war zu hören als das hohe, ferne Lied der Lerchen.
Sie kamen um eine scharfe Biegung des Flusses, und da schwamm ihnen stolz ein sehr großer Schwan entgegen. Das Wasser kräuselte sich an beiden Seiten der weißen Brust unter seinem gebogenen Hals. Sein Schnabel schimmerte wie poliertes Gold, und seine Augen glänzten wie schwarzer Marmor, eingefasst von gelben Steinen; seine riesigen weißen Schwingen waren halb erhoben. Musik zog den Fluss herab, als er sich näherte; und plötzlich merkten sie, dass es ein Schiff war, das die Geschicklichkeit der Elben als Abbild eines Vogels gearbeitet und geschnitzt hatte. Zwei weißgekleidete Elben steuerten es mit schwarzen Paddeln. In der Mitte des Bootes saß Celeborn, und hinter ihm stand Galadriel, groß und weiß; ein Diadem aus goldenen Blumen trug sie im Haar, und in ihrer Hand hielt sie eine Harfe, und sie sang. Traurig und süß war der Klang ihrer Stimme in der kühlen, klaren Luft.
Ich sang vom Laub, von goldnem Laub, da glänzte es wie Gold,
Ich sang vom Winde, und er kam und war dem Laube hold,
Doch sonnenhin und mondvorbei aufbrandete das Meer;
Vom Strande Ilmarin ein Baum, der winkte golden her,
Er wuchs im dämmerklaren Licht im Lande Eldamar,
Den Mauern nah von Tirion, beglänzt und wunderbar,
So dicht im Laube stand er da wie für die Ewigkeit,
Fern aber in der Fremde klagt das Elbenvolk sein Leid.
O Lórien! Der Winter naht, der lange, tote Tag,
Die Blätter treiben mit dem Strom, wohin er treiben mag,
O Lórien! Ich weile hier zu lang im Lande schon
Und trage welken Elanor in der verblassten Kron.
Doch sänge ich ein Schiff herbei und käm es aber her,
Wie trüg’s mich übers Meer zurück, das weite, weite Meer?
Aragorn hielt sein Boot an, als das Schwanenschiff auf gleicher Höhe mit ihm war. Die Herrin beendete ihr Lied und begrüßte sie. »Wir sind gekommen, um euch ein letztes Lebewohl zu sagen und euch mit Segenswünschen unseres Landes zu verabschieden.«
»Obwohl ihr unsere Gäste gewesen seid«, sagte Celeborn, »habt ihr noch keine Mahlzeit mit uns gehalten, und wir bitten euch daher zu einem Abschiedsfest, hier zwischen den fließenden Gewässern, die euch von Lórien davontragen werden.«
Der Schwan schwamm langsam weiter zur Schiffslände, und sie wendeten ihre Boote und folgten ihm. Dort, auf dem letzten Zipfel von Egladil, wurde auf dem grünen Gras das Abschiedsfest gefeiert; aber Frodo aß und trank wenig, denn er hatte nur Auge und Ohr für Frau Galadriels Schönheit und ihre Stimme. Sie erschien ihm nicht mehr gefährlich oder furchterregend noch voll verborgener Macht. Ihm erschien sie schon so, wie Menschen einer späteren Zeit noch dann und wann die Elben sehen: gegenwärtig und doch fern, ein lebendes Bild dessen, was die fließenden Ströme der Zeit bereits weit zurückgelassen haben.
Nachdem sie, auf dem Grase sitzend, gegessen und getrunken hatten, sprach Celeborn wieder mit ihnen über ihre Reise. Er hob die Hand und deutete nach Süden auf die Wälder hinter der Landzunge.
»Wenn ihr flussabwärts fahrt«, sagte er, »werdet ihr sehen, dass die Bäume zurückbleiben und ihr in ein ödes Land kommt. Dort fließt der Strom in steinigen Tälern zwischen Hochmooren, bis er schließlich nach vielen Wegstunden zu der hohen Insel Zinnenfels kommt, die wir Tol Brandir nennen. Er schlingt seine Arme um die steilen Ufer des Eilands und stürzt dann unter großem Tosen und Sprühen über die Katarakte von Rauros hinunter in das Nindalf, das Fennfeld, wie es in eurer Sprache genannt wird. Es ist ein weites Sumpfgebiet, durch das sich der Fluss mit vielen Armen hindurchschlängelt. Die Entflut aus dem Wald von Fangorn im Westen ergießt sich dort in vielen Mündungen in den Strom. An diesem Fluss, auf dieser Seite des Großen Stroms, liegt Rohan. An dem anderen Ufer erheben sich die kahlen Berge des Emyn Muil. Der Wind bläst dort von Osten, denn die Berge blicken über die Totensümpfe und die Niemandslande nach Cirith Gorgor und zu den schwarzen Toren von Mordor.
Boromir und alle, die mit ihm nach Minas Tirith gehen wollen, werden gut daran tun, bei Rauros den Großen Strom zu verlassen und die Entflut schon zu überqueren, ehe sie die Sümpfe erreicht. Indes sollten sie an diesem Fluss nicht zu weit hinaufgehen oder es darauf ankommen lassen, in den Wald von Fangorn zu geraten. Das ist ein seltsames Land und jetzt wenig bekannt. Doch bedürfen Boromir und Aragorn gewiss dieser Warnung nicht.«
»Wir in Minas Tirith haben allerdings von Fangorn gehört«, sagte Boromir. »Aber das, was ich gehört habe, scheinen mir zum größten Teil Ammenmärchen zu sein, wie wir sie unseren Kindern erzählen. Alles, was nördlich von Rohan liegt, ist jetzt so weit entfernt für uns, dass sich die Phantasie dort ungehindert ergehen kann. Einstmals lag Fangorn an den Grenzen unseres Reichs; doch ist es jetzt viele Menschenalter her, dass einer von uns es besuchte, um die Sagen zu bestätigen oder zu widerlegen, die aus alter Zeit auf uns gekommen sind.
Ich selbst war bisweilen in Rohan, bin aber nie weiter nach Norden gekommen. Als man mich als Sendboten ausschickte, habe ich den Weg entlang der Ausläufer des Weißen Gebirges durch die Pforte genommen und dann den Isen und die Grauflut überschritten, und so kam ich nach Norderland. Es war eine lange und beschwerliche Wanderung. Vierhundert Wegstunden schätze ich, und ich brauchte viele Monate; denn ich verlor mein Pferd in Tharbad, an der Furt der Grauflut. Nach jener Wanderung und dem Weg, den ich mit dieser Gemeinschaft zurückgelegt habe, hege ich kaum Zweifel, dass ich mich in Rohan durchschlagen kann und notfalls auch in Fangorn.«
»Dann brauche ich nichts mehr zu sagen«, meinte Celeborn. »Aber achtet die Überlieferung, die aus alter Zeit auf uns gekommen ist, nicht gering; denn oft mag es sein, dass alte Frauen noch Berichte von Dingen im Gedächtnis haben, die einstmals für die Weisen wissenswert waren.«
Jetzt erhob sich Galadriel vom Gras, ließ sich von einer ihrer Jungfrauen einen Becher reichen, füllte ihn mit weißem Met und gab ihn Celeborn.
»Nun ist es Zeit für den Abschiedstrunk«, sagte sie. »Trinkt, Herr der Galadhrim! Und lasst eure Herzen nicht traurig sein, wenngleich Nacht auf Mittag folgen muss und schon unser Abend naht.«
Dann brachte sie den Becher jedem von der Gemeinschaft und bot ihm Trunk und Abschiedsgruß. Doch als sie getrunken hatten, hieß Galadriel sie, sich wieder auf dem Gras niederzulassen, und für sie und Celeborn wurden Sessel hingestellt. Ihre Jungfrauen standen schweigend um sie, und eine Weile schaute sie ihre Gäste an. Schließlich sprach sie.
»Wir haben den Abschiedsbecher geleert«, sagte sie, »und die Schatten fallen zwischen uns. Doch habe ich in meinem Schiff Geschenke mitgebracht, die euch der Herr und die Herrin der Galadhrim zur Erinnerung an Lothlórien nun überreichen wollen, ehe ihr scheidet.« Dann rief sie einen nach dem anderen zu sich.
»Hier ist die Gabe von Celeborn und Galadriel für den Führer eurer Gemeinschaft«, sagte sie zu Aragorn, und sie gab ihm eine Scheide, die passend für sein Schwert angefertigt worden war. Sie war überzogen mit Flechtwerk aus goldenen und silbernen Blüten und Blättern, und darauf stand in Elbenrunen, die aus vielen Edelsteinen gebildet waren, der Name Andúril und die Herkunft des Schwertes.
»Die Klinge, die aus dieser Scheide gezogen wird, soll nicht befleckt werden und nicht bersten, selbst bei der Niederlage«, sagte sie. »Aber gibt es nicht noch etwas, das Ihr bei unserem Abschied von mir begehrt? Denn Dunkelheit wird zwischen uns aufsteigen, und vielleicht werden wir uns nicht wieder begegnen, es sei denn, weit von hier auf einem Weg, bei dem es keine Umkehr gibt.«
Und Aragorn antwortete: »Herrin, Ihr kennt all mein Sehnen, und lange habt Ihr den einzigen Schatz bewahrt, nach dem ich trachte. Doch vermögt Ihr ihn mir nicht zu geben, selbst wenn Ihr wolltet; und nur durch Dunkelheit werde ich zu ihm gelangen.«
»Indes wird vielleicht dieses Euer Herz erleichtern«, sagte Galadriel. »Denn es war in meiner Obhut gelassen worden, damit ich es Euch gebe, wenn Ihr durch unser Land kommen solltet.« Dann nahm sie von ihrem Schoß einen großen Stein von klarem Grün; er war in einer silbernen Brosche gefasst, die die Form eines Adlers mit ausgebreiteten Schwingen hatte; und als sie sie hochhob, funkelte der Edelstein wie Sonne, die durch die Blätter des Frühlings scheint. »Diesen Stein gab ich Celebrían, meiner Tochter, und sie gab ihn ihrer Tochter; und nun kommt er zu Euch als ein Zeichen der Hoffnung. Nehmt in dieser Stunde den Namen an, der Euch vorausgesagt war, Elessar, der Elbenstein aus dem Hause Elendil!«
Dann nahm Aragorn den Stein und heftete sich die Brosche auf die Brust, und Staunen erfüllte die, die ihn sahen; denn sie hatten vorher nicht bemerkt, wie hochgewachsen und königlich er war, und es schien ihnen, als seien viele Jahre der Mühsal von seinen Schultern gefallen. »Für die Geschenke, die Ihr mir gegeben habt, danke ich Euch«, sagte er, »o Herrin von Lórien, von der Celebrían und Arwen Abendstern stammen. Welch größeres Lob könnte ich spenden?«
Frau Galadriel senkte den Kopf, und dann wandte sie sich an Boromir, und ihm schenkte sie einen Gürtel aus Gold; und Merry und Pippin schenkte sie schmale silberne Gürtel, jeder mit einer Spange, die wie eine goldene Blüte geformt war. Legolas schenkte sie einen Bogen, wie ihn die Galadhrim benutzen, länger und handfester als die Bögen von Düsterwald und bespannt mit einer Sehne aus Elbenhaar. Dazu gehörte ein Köcher mit Pfeilen.
»Für dich, kleiner Gärtner und Freund der Bäume«, sagte sie zu Sam, »habe ich nur ein geringes Geschenk.« Sie gab ihm ein Kästchen aus einfachem grauem Holz, unverziert bis auf eine einzige Silberrune auf dem Deckel. »Hier steht G, und das soll Galadriel bedeuten«, sagte sie. »Aber in eurer Sprache könnte es Garten bedeuten. In diesem Kästchen ist Erde aus meinem Obstgarten, und was Galadriel noch an Segen zu vergeben hat, ruht darauf. Es wird dich nicht auf den rechten Weg führen oder vor irgendwelchen Gefahren beschützen; aber wenn du es aufhebst und zu guter Letzt wieder in deine Heimat kommst, dann mag es dich vielleicht belohnen. Selbst wenn du alles unfruchtbar und verwüstet vorfinden solltest, wird es wenige Gärten in Mittelerde geben, die so blühen und gedeihen wie dein Garten, wenn du diese Erde dort verstreust. Dann magst du dich an Galadriel erinnern und einen flüchtigen Blick des fernen Lóriens erhaschen, das du nur in unserem Winter gesehen hast. Denn unser Frühling und unser Sommer sind vorbei, und man wird sie nie wieder auf Erden sehen, es sei denn in der Erinnerung.«
Sam wurde rot bis über beide Ohren und murmelte etwas Unverständliches, als er das Kästchen krampfhaft umklammerte und sich verbeugte, so gut er konnte.
»Und welches Geschenk würde ein Zwerg von den Elben erbitten?«, fragte Galadriel, an Gimli gewandt.
»Keins, Herrin«, antwortete Gimli. »Für mich ist es genug, die Herrin der Galadhrim gesehen und ihre freundlichen Worte gehört zu haben.«
»Hört das, all ihr Elben!«, rief sie denen zu, die um sie standen. »Niemand soll mehr sagen, dass Zwerge habgierig und unhöflich seien! Doch gewiss wünscht Ihr, Gimli, Glóins Sohn, Euch etwas, das ich gewähren könnte? Nennt es, ich bitte Euch! Ihr sollt nicht der einzige Gast ohne ein Geschenk sein.«
»Es gibt nichts, Frau Galadriel«, sagte Gimli, sich tief verbeugend und stotternd. »Nichts, es sei denn – es sei denn, ich dürfte bitten, nein, es nennen: eine einzige Strähne von Eurem Haar, das das Gold der Erde übertrifft wie die Sterne die Edelsteine der Minen. Ich bitte nicht um ein solches Geschenk. Doch Ihr befahlt mir, meinen Wunsch zu nennen.«
Es ging eine Bewegung durch die Elben und sie murmelten verwundert, und Celeborn sah den Zwerg erstaunt an, aber die Herrin lächelte. »Es heißt, die Zwerge seien geschickt mit den Händen und weniger zungenfertig«, sagte sie. »Indes trifft das auf Gimli nicht zu. Denn niemand hat jemals eine so kühne und doch so höfliche Bitte an mich gerichtet. Und wie soll ich sie ablehnen, da ich ihm befohlen habe, sie auszusprechen? Doch sagt mir, was würdet Ihr mit einem solchen Geschenk tun?«
»Es aufbewahren, Herrin«, antwortete Gimli, »zur Erinnerung an Eure Worte, die Ihr bei unserer ersten Begegnung zu mir spracht. Und wenn ich je zu den Schmieden meiner Heimat zurückkehre, dann soll Euer Geschenk in unvergängliches Bergkristall gefasst werden, um ein Erbstück meines Hauses zu sein und ein Unterpfand der Freundschaft zwischen Berg und Wald bis an das Ende der Zeiten.«
Dann löste Frau Galadriel eine ihrer langen Flechten und schnitt drei goldene Haare ab und legte sie in Gimlis Hand. »Diese Worte sollen das Geschenk begleiten«, sagte sie. »Ich weissage nicht, denn alles Weissagen ist jetzt vergebens: Auf der einen Seite liegt Dunkelheit und auf der anderen nur Hoffnung. Aber wenn die Hoffnung nicht trügen sollte, dann sage ich zu Euch, Gimli, Glóins Sohn, dass Eure Hände überfließen sollen von Gold und doch das Gold über Euch keine Macht haben wird.
Und du, Ringträger«, sagte sie und wandte sich zu Frodo, »zu dir komme ich zuletzt, obwohl du nicht der Letzte in meinen Gedanken bist. Für dich habe ich dies vorbereitet.« Sie hielt eine kleine Phiole aus Kristall hoch: Sie glitzerte, als Galadriel sie bewegte, und Strahlen weißen Lichts sprühten von ihrer Hand. »In dieser Phiole«, sagte sie, »ist das Licht von Earendils Stern eingefangen und in das Wasser meines Springquells gesetzt. Es wird noch heller scheinen, wenn Nacht um dich ist. Möge es dir ein Licht sein an dunklen Orten, wenn alle anderen Lichter ausgehen. Erinnere dich Galadriels und ihres Spiegels!«
Frodo nahm die Phiole, und einen Augenblick lang, während sie zwischen ihnen strahlte, sah er Galadriel wieder wie eine Königin, groß und schön, doch nicht länger schreckenerregend. Er verbeugte sich, fand aber keine Worte.
Jetzt erhob sich die Herrin, und Celeborn geleitete die Gäste wieder zu der Schiffslände. Ein gelber Mittag lag nun auf der grünen Landzunge, und das Wasser glitzerte silbern. Alles war bereit. Die Gefährten nahmen ihre Plätze in den Booten wie vorher ein. Mit langen grauen Stangen stießen die Elben sie in die Strömung des Flusses hinaus und riefen ihnen Lebewohl zu, während die plätschernden Wellen sie langsam davontrugen. Sie saßen ganz still und sprachen nicht. Auf dem grünen Ufer nahe der Spitze der Landzunge stand Frau Galadriel allein und schweigend. Als sie vorbeifuhren, wandten sie sich zu ihr um und sahen zu, wie sie langsam von ihnen forttrieb. Denn so schien es ihnen: Lórien verschwand hinter ihnen wie ein leuchtendes Schiff, dessen Masten verzauberte Bäume waren und das zu vergessenen Ufern segelte, während sie hilflos am Rande der grauen und blattlosen Welt saßen.
Während sie noch schauten, floss der Silberlauf hinaus in die Strömungen des Großen Stroms, und ihre Boote drehten sich und begannen nach Süden zu eilen. Bald war die weiße Gestalt der Herrin klein und fern. Sie schimmerte wie ein Glasfenster auf einem fernen Berg in der untergehenden Sonne oder wie ein See, von einem Berg aus gesehen: ein in den Schoß des Landes gefallener Kristall. Dann schien es Frodo, als habe sie ihre Arme zu einem letzten Abschiedsgruß erhoben, und fern, doch ganz deutlich trug der Wind den Klang ihrer Stimme herüber, als sie sang. Doch jetzt sang sie in der alten Sprache der Elben jenseits der See, und er verstand die Worte nicht: Schön war die Musik, aber sie tröstete ihn nicht.
Indes blieben sie, wie es die Art von Elbenworten ist, in seinem Gedächtnis haften, und viel später deutete er sie, so gut er konnte: Die Sprache war die der Elbenlieder, und sie berichtete von Dingen, die in Mittelerde wenig bekannt waren.
Ai! laurië lantar lassi súrínen,
Yéni únótimë ve rámar aldaron!
Yéni ve lintë yuldar avánier
mi oromardi lisse-miruvóreva
Andúnë pella, Vardo tellumar
nu luini yassen tintilar i eleni
ómaryo airetári-lírinen.
Sí man i yulma nin enquantuva?
An sí Tintallë Varda Oiolossëo
ve fanyar máryat Elentári ortanë
ar ilyë tier undulávë lumbulë;
ar sindanóriello caita mornië
i falmalinnar imbë met, ar hísië
untúpa Calaciryo míri oialë.
Si vanwa ná, Rómello vanwa, Valimar!
Namárië! Nai hiruvalyë Valimar.
Nai elyë hiruva. Namárië!
»Ah! wie Gold fallen die Blätter im Wind, lange Jahre zahllos wie die Schwingen der Bäume! Die langen Jahre sind vergangen wie rasche Schlucke des süßen Mets in hohen Hallen jenseits des Westens unter den blauen Gewölben von Varda, worin die Sterne zittern beim Gesang ihrer Stimme, heilig und königlich. Wer nun soll den Becher für mich füllen? Denn nun hat die Entzünderin, Varda, die Königin der Sterne vom Berg Immerweiß, ihre Hände wie Wolken gehoben, und alle Pfade sind tief im Schatten versunken: Und aus einem grauen Land kommend, liegt Dunkelheit auf den schäumenden Wogen zwischen uns, und Nebel deckt die Edelsteine von Calacirya auf immerdar. Verloren nun, verloren für jene aus dem Osten ist Valimar! Lebe wohl! Vielleicht wirst du Valimar finden. Ja, vielleicht wirst du es finden. Lebe wohl!« Varda ist der Name jener Herrin, die die Elben in diesen Landen der Verbannung Elbereth nennen.
Plötzlich zog sich der Fluss um eine Biegung, die Ufer an beiden Seiten wurden steiler, und das Licht von Lórien war verborgen. Niemals sah Frodo das schöne Land wieder.
Die Reisegefährten wandten ihr Gesicht nun ihrem Ziel zu; die Sonne stand vor ihnen, und ihre Augen waren geblendet, denn sie standen alle voll Tränen. Gimli weinte ganz offen.
»Ich habe zum letzten Mal das gesehen, was am schönsten war«, sagte er zu Legolas, seinem Gefährten. »Von nun an werde ich nichts schön nennen, es sei denn ihr Geschenk.« Er legte die Hand auf die Brust.
»Sag mir, Legolas, warum bin ich mitgegangen auf diese Reise? Nicht ahnte ich, worin die größte Gefahr lag! Wahr hat Elrond gesprochen, als er sagte, wir könnten nicht voraussehen, was uns auf unserem Weg bevorstünde. Folterung im Dunkeln war die Gefahr, die ich fürchtete, und das hat mich nicht zurückgehalten. Aber ich wäre nicht mitgekommen, hätte ich die Gefahr des Lichts und der Freude gekannt. Nun habe ich bei diesem Abschied meine schlimmste Wunde erhalten, selbst wenn ich heute Nacht geradewegs zum Dunklen Herrscher gehen sollte. Wehe für Gimli, Glóins Sohn!«
»Nein!«, sagte Legolas. »Wehe für uns alle! Und für alle, die in dieser Nach-Zeit auf der Erde wandeln. Denn so ist ihr Lauf: finden und verlieren, wie es jenen scheint, deren Boot sich auf dem fließenden Strom befindet. Aber ich halte dich für glücklich, Gimli, Glóins Sohn: Denn deinen Verlust erleidest du aus freien Stücken, und du hättest dich anders entscheiden können. Doch hast du deine Gefährten nicht im Stich gelassen, und die mindeste Belohnung, die du haben sollst, ist, dass die Erinnerung an Lothlórien in deinem Herzen immer rein und ungetrübt bleiben und weder verblassen noch schal werden soll.«
»Vielleicht«, sagte Gimli. »Und ich danke dir für deine Worte. Wahre Worte, zweifellos; doch ist all das magerer Trost. Nicht Erinnerungen sind es, die das Herz ersehnt. Das ist nur ein Spiegel, und sei er so klar wie Kheled-zâram. So jedenfalls spricht das Herz von Gimli, dem Zwerg. Elben mögen die Dinge anders sehen. Wie ich gehört habe, ist für sie Erinnerung der wachen Welt ähnlicher als einem Traum. Aber für Zwerge ist das nicht so.
Doch lass uns nicht mehr davon reden. Gib auf das Boot acht. Es liegt zu tief im Wasser mit all dem Gepäck, und der Große Strom fließt rasch. Ich will meinen Kummer nicht in kaltem Wasser ertränken.« Er nahm ein Paddel und steuerte auf das westliche Ufer zu und folgte damit Aragorns Boot, der die Mitte des Flusses schon verlassen hatte.
So begab sich die Gemeinschaft auf das breite, eilende Gewässer, das sie auf ihren langen Weg nach Süden trug. Kahle Wälder an beiden Ufern versperrten ihnen die Sicht auf das Land. Der Wind legte sich, und der Strom floss geräuschlos. Keine Vogelstimme durchbrach die Stille. Die Sonne wurde dunstig, je länger der Tag währte, bis sie an einem fahlen Himmel wie eine hohe weiße Perle glänzte. Dann verblasste sie im Westen, früh kam die Dämmerung und eine graue und sternenlose Nacht. Bis weit in die dunklen, stillen Stunden ließen sie sich treiben und lenkten ihre Boote unter den überhängenden Schatten der westlichen Wälder. Große Bäume glitten vorbei wie Gespenster und streckten ihre knorrigen durstigen Wurzeln durch Nebel in das Wasser. Es war öde und kalt. Frodo saß da und lauschte auf das schwache Plätschern und Gurgeln des Wassers, das gegen Baumwurzeln und Treibholz nahe dem Ufer schlug, bis ihm der Kopf vornübersank und er in einen unruhigen Schlaf fiel.