VIER
Nach einer schier endlosen Zeit erkannte es, dass sich etwas verändert hatte.
Es hielt inne und versuchte zu begreifen, was gerade vor sich ging.
Sein Gehirn arbeitete jetzt irgendwie auf einer anderen Frequenz, seine Gedankengänge waren bedeutungslos, aber logisch. Es registrierte die merkwürdigen, aber doch vertrauten Symbole, die durch sein Bewusstsein liefen – das Periodensystem der Elemente –, und erkannte durch einen verschwommenen Schleier hindurch die chemische Zusammensetzung des Narkotikums in seinem System. Proparacain.
Da war ein Pfad von Einsen und Nullen, Datensignalen, die sich durch Leitungen bewegten, und es folgte ihnen durch ein schier endloses Labyrinth aus hin und her wechselnden elektrischen Impulsen. Es blickte durch eine Überwachungskamera in Rio de Janeiro, die auf eine große Jesusstatue gerichtet war, deren Arme über eine riesige, hügelige Stadt ausgebreitet waren. Infrarotsensoren warnten die Überwachungskamera vor organischen Lebewesen, die sich in der Nähe der Statue bewegten. Die Nullen und Einsen zogen weiter, und es folgte ihnen in das Navigationssystem eines Fahrzeugs, das eine Schnellstraße in Mumbai hinabfuhr. Eine Regung seines Willens hätte das Auto von der Straße abkommen lassen können, doch es wusste es besser. Das Navigationsgerät des Fahrzeugs hatte strikte Parameter, die seine Handlungen vorschrieben, wenn es dieses Navi war.
Und dann folgte es dem nächsten Datenstrom und drang in das Filtrationssystem eines Stausees im Norden Kaliforniens ein. Durch einen Prozess erleichterter Diffusion absorbierte es organische gelöste Substanzen und band sie an eine träge Mischung. Wasser klatschte und schlug gegen Sensoren zur Erfassung des osmotischen Drucks. Aber auch das war nicht das Richtige.
Es fand den Grand Canyon und schlüpfte dort in das Sicherheitsnetzwerk, erschreckt von dem Wissen, dass auch dies nicht das war, was richtig war. Es verblieb dort, ein sensorischer Geist, der die Perimeter analysierte und sich wie hin und her schießende Neuronen in die Navigationsgeräte in den Autos der Besucher ein- und ausklinkte. Es lauerte in den summenden Wärmesensoren, die einen Blick gewährten auf den schnarchenden Sicherheitsbediensteten, der seine Füße auf den Schreibtisch gelegt hatte. Es beobachtete das Lebewesen und maß seine Körpertemperatur (37,0° C). Es war seltsam, den menschlichen Säuger zu betrachten mit seinem gewaltigen Gewirr an chemischen Prozessen und dem gleichmäßigen Pochen des Herzschlags (76 Schläge pro Minute) und dem …
Menschlich.
Das war richtig.
Es war menschlich.
Es war menschlich. Warum war es … Warum war er so verwirrt? Warum trieb er auf diese Weise dahin?
Er. Er war es. Es war er. Wer »er« war, wusste er.
Tom Raines. Tom. Tom. Tom.
Tom klammerte sich an dieses plötzliche Gewahrwerden seiner selbst, wartete darauf, dass sich die Wirklichkeit wieder in eine reale Existenz verwandelte, die er begriff. Kurz erinnerte er sich zurück an Dinge, an Momente. Als er das Beruhigungsmittel geschluckt hatte. Benommen im OP gelegen hatte. Dass man ihm den Kopf rasiert und gewaschen und ihm gesagt hatte, dies sei ein »antiseptisches Verfahren, um eine Infektion zu vermeiden«. Heather, die gegen die Glasfront des Operationssaals geklopft hatte, um ihm zum Abschied zuzuwinken. Dass ihn ihr Anblick lächeln ließ, während sie ihm eine Maske vor dem Mund befestigten …
Der Gedanke verband ihn mit seinem Körper, seinen sensorischen Rezeptoren, und einen erschreckenden Moment lang war er wie betäubt. Seine Hand zuckte auf dem Metalltisch, und er hörte eine Stimme im Inneren seines Trommelfells, nahm den stechenden Impuls in seiner neuralen Aktivität wahr.
»… eingestellt auf den orbitofrontalen Kortex. Nimmt er uns wahr?«
»Das ist nicht möglich«, sagte eine andere Stimme. »Diese Instrumente können defekt sein. Ich habe neue aus Denver angefordert. Erinnern Sie sich an das kleine Mädchen, an Lily?«
Aber da war noch etwas anderes, etwas mit ihm – etwas, das nicht Tom war.
0100010001111100101001010000101110110001100001001011111001010100 …
Eine Zahl, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. So anders als er selbst, so fremd, dass er ruckartig vor ihr zurückwich. Dann aber fühlte es sich an, als wäre er in einem Tsunami gefangen, denn eine große Welle schlug über ihm zusammen und fegte ihn zurück in dieses Meer aus Maschinen, die Signale miteinander austauschten …
Ein Gefühl unermesslicher Weite drang auf ihn ein. In einem Gewirr unendlicher Komplexität brummte es überall um ihn, die Überwachungskamera in Rio, der Grand Canyon und die Filtrationsanlage am Stausee, vier Milliarden Navigationsgeräte in Autos und Hundertmilliarden von Textnachrichten, verstreuter Datenbits, pingender Computer und Spiele, die Signale austauschten, und Maschinen, die diese versandten aus dem All, von Satelliten und Sicherheitssystemen von einer Milliarde unterschiedlicher …
»Aufhören! Aufhören!«, schrie Tom lautlos. Doch dieser Körper blieb stumm auf dem Tisch liegen, die Lippen verschlossen, die Muskeln wie Blei, die Hände kalt, der Kopf fröstelnd, weil er rasiert worden war. Sich dessen nicht bewusst schwatzten die Stimmen weiter, und dieser Computer in seinem Hirn sortierte alles logisch und ordentlich und fuhr immer weiter damit fort, neu zu strukturieren, ihn neu zu strukturieren … und dieser schreckliche Sog von Signalen drohte ihn in die Unendlichkeit mit fortzureißen …
Dann öffnete Tom auf der Krankenstation die Augen. Er befand sich im Bereich 1C3 im Turm des Pentagons. Das wusste er, weil die rote Zahl einen Sekundenbruchteil unten rechts auf seiner Netzhaut zu sehen war, bevor sie wieder verschwand. Er starrte auf die über ihm hängenden Neonröhren, ein rundes, freundliches Gesicht schwebte über dem seinen.
»Geht es Ihnen heute besser, Mr Raines?«
Tom blinzelte, weil etwas Merkwürdiges geschah. Er sah das Gesicht des Mannes, aber er sah zugleich einen Text, der über seine Netzhaut scrollte.
Name: Jason Chang
Dienstgrad: Lieutenant, Pflegewissenschaftler
Einheit: Luftwaffe der Vereinigten Staaten 0-3, aktiver Dienst
Sicherheitsstatus: Topsecret LANDLOCK-6
Tom blinzelte erneut, und der Text war verschwunden. Hatte er sich ihn nur eingebildet?
»Tom«, sagte Jason Chang und lenkte damit seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart. »Können Sie mir Ihren vollen Namen nennen?«
»Thomas Raines.«
Lieutenant Chang leuchtete ihm mit einer Stiftlampe in die Augen. »Wissen Sie, wo Sie sich befinden?«
»Im Turm des Pentagons.«
»Das ist richtig. Wissen Sie, warum Sie hier sind?«
»Zur chirurgischen Behandlung. Um mir einen Neuronalprozessor implantieren zu lassen.«
»Können Sie mir sagen, wie ich heiße und in welchen Sicherheitsgrad ich eingestuft bin?«
Tom erinnerte sich an die Profilinformation, die er flüchtig gesehen hatte, erinnerte sich an jedes einzelne Wort. »Jason Chang, Pflegewissenschaftler. Topsecret LANDLOCK-6 … Wieso erinnere ich mich daran?«
»Sie besitzen jetzt ein fotografisches Gedächtnis, Mr Raines, und in Ihrem Prozessor befindet sich ein Verzeichnis mit allen Namen. Sobald Sie jemandem vom Personal hier im Turm zum ersten Mal direkt ins Gesicht schauen, werden Sie eine Liste mit Eckdaten sehen und sie nie wieder vergessen. Jetzt wollen wir mal Ihren inneren Zeitmesser überprüfen. Wie spät ist es?«
»Null fünfhundertdreiundfünfzig«, erwiderte Tom wie aus der Pistole geschossen. Überrascht stellte er fest, dass er in der taktischen Uhrzeit des Militärs dachte.
»Alle Achtung.«
Er blinzelte dreimal. Er sah, wie der Lieutenant einen Conferencer neben dem Bett hochhob und 1-380-4198-4885 eingab. Chang sagte: »Dr. Gonzales, Mr Raines ist wach und kann sich orientieren. Ich verstehe. Ich werde den standardisierten Test mit ihm machen.«
»Mir ist irgendwie komisch.« Toms Gehirn registrierte seine Stimme, die sich tiefer anhörte, als er sie in Erinnerung hatte.
»Das ist normal.« Lieutenant Chang warf ihm aus seinen mandelförmigen Augen einen dunklen Blick zu. »Ihr Gehirn muss sich noch an die Software anpassen. Am Anfang wird es Ihnen schwerfallen, den Datenfluss zu sortieren. Aber das gibt sich mit der Zeit.«
Tom schaute auf die Siebzig-Watt-Leuchte, die über ihm hing. Diese Lichtquelle hatte er bereits den ganzen Tag lang angestarrt. Er hatte schon eine Weile wachgelegen und in Abständen von fünfzehn Sekunden geblinzelt. Achtzehn Tage, vier Stunden, neun Minuten, sechsundzwanzig Sekunden, siebenundzwanzig, achtundzwanzig …
»Ich war wach«, erkannte Tom. »Mein Eingriff liegt achtzehn Tage zurück.«
Chang löste eine Blutdruckmanschette von Toms Arm. »Ihr Eingriff liegt achtzehn Tage zurück, aber nein, im herkömmlichen Sinne sind Sie nicht wach gewesen. Ihr Gehirn durchläuft eine Umstrukturierung. Alle Rekruten mit Implantat müssen erst optimiert werden. Sie waren abwechselnd bei Bewusstsein und dann wieder nicht, bekamen das jedoch nicht mit. Ihr Verstand musste sich erst den neuen neuronalen Leitungsbahnen anpassen, welche die Hardware in Ihrem Kopf vorgegeben hat. Nun, da Sie wach sind, wird Ihr Gehirn wieder in die Selbstregulation übergehen. Die zusätzlichen Details werden verschwinden. Schon bald werden Sie sich wieder ganz wie der Alte fühlen. Besser noch als der Alte, um genau zu sein.«
Schon in diesem Moment war es Tom, als erlange er ein Gefühl der Normalität zurück. Er hob die Hand, um seine Kopfhaut zu berühren. Nur eine ganz kleine Narbe konnte er ertasten. Ein kleiner Einschnitt von 3,1 Zentimeter. Er hatte auch wieder Haare, und zwar 0,7 Zentimeter lang. Er hatte so lange hier gelegen, dass sie schon wieder gewachsen war. Seine Hand wanderte hinab zu einer tauben Stelle an seinem Nacken, wo er auf einen flachen, metallenen Anschluss stieß. Ein neuronaler Zugangsport. Er wusste einfach, worum es sich handelte.
»Und jetzt, Rekrut, werden Sie eine Reihe von Prozeduren durchlaufen, mit denen ich teste, ob wir Sie schon entlassen können.«
»Jetzt schon?«, krächzte Tom. »Ziehe ich ins Gefecht?«
Lieutenant Changs Gelächter schallte durch den muffigen, kalten Raum. »So schnell nun auch wieder nicht. Um Kombattant werden zu können, benötigen Sie eine jahrelange Ausbildung.«
»Richtig.« Tom schloss die Augen, weil ihm ein Datenfluss die Antwort durch den Kopf jagte: Standardisierter Aufstiegsweg bei den Intrasolaren Streitkräften im Turm des Pentagons: Einarbeitung als Rekrut, gefolgt von Mittlerem Dienst, Gehobenem Dienst und in Fällen, in denen der Auszubildende sich hervortut, Camelot Company, der Kombattantengruppe. Stellt sich heraus, dass der Rekrut sich nicht für den intrasolaren Kampfeinsatz eignet, kommen Verwendungszwecke bei anderen Regierungsstellen infrage, darunter die NSA, die CIA, das Außenministerium, die …
Tom zwang den Datenstrom mit seiner Willenskraft zum Einhalten, und tatsächlich versiegte er im gleichen Moment. Das war merkwürdig. Er wusste, dass die Information aus dem Neuronalprozessor stammte, doch es hatte sich so angefühlt, als würde er es denken, als wäre es ein ganz normaler Gedanke, der einen Platz in seinem Kopf hatte.
Dass Chang nun einige grundlegende Tests mit ihm machte, bei denen er seine Pupillenbewegung registrierte, seine Berührungsempfindung, seinen Blutdruck, brachte ihn auf andere Gedanken. Dann spielte der Lieutenant eine Aufnahme mit unterschiedlichen Musiknoten ab und bat Tom, diese zu identifizieren.
»Ich kenne mich mit Musik überhaupt nicht aus … «, wollte Tom einwenden.
Aber er kannte sie. Mit seltsamer Betroffenheit erfasste er E, C, D, A.
Als der Pfleger Toms schockiertes Gesicht sah, tätschelte er ihm die Schulter. Dann bedeutete er ihm, sich aufzusetzen. »Wir haben ein paar Gigabyte Informationen hochgeladen, um Sie zu testen, dazu einige Unterrichtsaufgaben, damit Sie nicht von Anfang an hinten liegen. Sie müssten eine Referenzdatenbank für Ihre erste Woche hier haben, richtig?«
Toms Gehirn rief sie auf. »Ja.« In seinem Gehirn war ein Dateimanager. Darin befanden sich drei Dateien: Zivilunterricht, Fitnessübungen, Spezifische Grundausbildungsprogramme. Wieso er wusste, dass er sie mit bloßer Willensanstrengung öffnen und durchsehen konnte, konnte er nicht genau sagen – er wusste einfach nur, dass es so war.
»Und wohin sollten Sie jetzt gehen?«, fragte Chang ihn.
»Vikram Ashwan kennenlernen. Meinen neuen Stubenkameraden.« Tom legte eine Pause ein. Das war wieder etwas gewesen, das er einfach wusste. »Das ist ja total schräg.«
Der Pfleger nickte. »Nach dem, was mir gesagt wurde, werden Sie sich daran gewöhnen. Sie sind entlassen, Rekrut.«
Tom machte den Mund auf, um dem Mann zu erklären, dass er keine Ahnung hatte, wohin er gehen sollte. Doch dieses Mal antwortete ihm ein Großrechner im Turm des Pentagons, der über ein umfassendes Trackingmodul verfügte, das die Bewegungen jedes Rekruten innerhalb des Gebäudes verfolgte und Dateien in Toms Neuronalprozessor einspeiste.
Tom hüpfte vom Bett herunter. Seine Beine knickten nicht ein, und obwohl er drei Wochen lang im Bett gelegen hatte, war ihm nicht einmal schwindelig. Er ging zur Tür.
»Ach, Raines, vergessen Sie das hier nicht«, rief ihm Lieutenant Chang hinterher. Er hielt etwas in der ausgestreckten Hand. »Das gehört jetzt Ihnen.«
Tom streckte die Hand aus und nahm den Metallgegenstand an sich. Er hielt ihn hoch und erkannte, dass es sich um eine Challenge Coin handelte, so eine, wie sie auch General Marsh besaß. In die Münze war das Abzeichen der Intrasolaren Streitkräfte eingeprägt worden. Während Tom sie hielt, blitzte sie grün auf, genau wie es bei der Münze des Generals auch gewesen war.
Während er den weißköpfigen Seeadler anstarrte und begriff, dass sie nun ihm gehörte, ließ ihn ein seltsames, aber auch Ehrfurcht einflößendes Gefühl erschauern.
Er spürte, dass Chang seine dunklen Augen auf ihn gerichtet hatte. »Willkommen im Turm des Pentagons, Mr Raines.«
Mit der Challenge Coin in der Tasche folgte Tom der Karte, die wie von selbst in seinem Bewusstsein auftauchte. Laut Information des Rechners befand sich Vikram 8,6 Meter nordwestlich von ihm. Tom trat durch die Tür in den Flur im Erdgeschoss ein, und tatsächlich, Vikram war 8,6 Meter von der Stelle entfernt, an der er, Tom, vorher gestanden hatte. Toms Neuronalprozessor zählte sogar die Entfernung herunter, die er zurücklegte.
Als er den jungen Inder anschaute, der ihn erwartete, erschien wieder ein Text auf seiner Netzhaut:
Name: Vikram Ashwan
Einheit: US-Intrasolare Streitkräfte, Rekrut, Alexander Division
Herkunft: Neu Delhi, Indien
Besondere Leistungen: Ehrenpreis Jugend und Innovation auf der Internationalen Messe für Wissenschaft und Technik, Stipendiat von Enterprise India
IP: 2053:db7:lj71::338:ll3:6e8
Sicherheitsstatus: Topsecret LANDLOCK-3
Tom musste einen verstörten Eindruck gemacht haben, denn der dunkelhäutige Junge mit den buschigen Augenbrauen und dem borstigen Haar grinste ihn kurz an. »Schräg, nicht wahr?«
»Schräg«, stimmte Tom zu.
»Super daran ist, dass du und ich uns nicht großartig vorstellen müssen, Thomas.«
»Wohl nicht, Vikram.«
»Nenn mich einfach Vik. Nicht Vikram.«
»Tom. Nicht Thomas.«
Vik musterte ihn, während sie zusammen zu den Aufzügen gingen. »Das ist ja komisch. Bei dir steht n/v unter den besonderen Leistungen. Nicht verfügbar?«
Tom begriff, dass Vik gerade sein Profil vor Augen haben musste, so wie er selbst Viks sah. »Eher nicht vorhanden«, erwiderte er wahrheitsgemäß.
Vik zog die Augenbrauen hoch. »Reiß dich zusammen. Jeder hier hat was Besonderes auf Lager. Danach wird man dich noch ein paar Millionen Mal fragen.«
»Okay. Daran kann ich wohl nichts ändern.«
Vik dachte darüber nach. »Wenn du wolltest, könntest du das schon. Hier gibt es so ein Mädchen, das etwas daran drehen könnte. Ich habe gehört, dass sie vor der letzten Beförderungsrunde die Profile von Leuten frisiert hat. Wir werden sie beim Morgenappell treffen.«
Augenblicklich tauchte der Zeitpunkt für das offizielle Frühstück im Turm vor Toms innerem Auge auf. »Um null siebenhundertdreißig.«
»Richtig, um null siebenhundertdreißig. Du hast also noch Zeit, in deine Uniform zu schlüpfen.«
Im gleichen Moment kam die Information: Uniformen. Schwarze Jacken mit einem Abzeichen der Intrasolaren Streitkräfte auf dem Kragen, einem divisionsspezifischem Abzeichen auf dem Ärmel, Tarnanzug, Kampfstiefel, Handschuhe, tragbare Tastatur …
Tom musste ein wenig zu lange auf die plötzlich vor seinen Augen umhertänzelnden Zeichen gestarrt haben, denn Vik wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum, um dann wiederholt energisch mit dem Daumen auf den Aufzug zu deuten. Dessen Tür stand auf, was Tom gar nicht bemerkt hatte. Tom ging hinein, woraufhin Vik energisch auf den Knopf für den fünften Stock drückte.
»Dieser Datenfluss ist schon eine Qual, nicht wahr?« Vik schaute ihn mit wissendem Blick an. »Es gibt hier im Turm keine feste Jahreszeit, in der neue Rekruten kommen, und deswegen müssen sich Nachzügler viel mehr Material hochladen, um zu den Auszubildenden aufzuschließen, die schon länger hier sind. Das macht den ohnehin schwierigen Einstieg noch übler.«
»Seit wann bist du dabei?«
Vik zuckte mit den Schultern. »Seit ein paar Monaten. Aber mir ist, als wäre ich gerade erst angekommen. Mir fielen ständig alle möglichen blöden Details auf, und ich konnte die Informationen nicht ausblenden, und der Prozessor hat andauernd jede neue Sache definiert. Ich habe fast drei Stunden gebraucht, bis ich wieder einen klaren Kopf hatte.«
Tom berührte die Narbe auf seinem Kopf. »Ich finde, so schlimm ist das jetzt gar nicht.«
»Echt?« Vik klang skeptisch. »Willst du damit sagen, du kannst besser mit einem Neuronalprozessor umgehen als ich?«
In seiner Stimme schwang ein Anflug von Herausforderung mit, was Toms Mundwinkel zucken ließ. »Ja, hört sich so an.«
In Viks Augen lag ein irres Glänzen. »Also brauchst du kein sy-nap-tisches Pru-ning mehr?«
Der Begriff machte Tom zu schaffen – Synaptisches Pruning: Während der Entwicklung des Gehirns im Kleinkindalter werden überschüssige neuronale Verbindungen aussortiert und zerstört, damit die Welt im menschlichen Gehirn eine logische Darstellung einnimmt …
Tom benötigte eine Weile, um sich seiner zu besinnen und sich daran zu erinnern, wie er den Datenstrom mit seiner Willenskraft beenden konnte.
»Vielleicht hast du ja eine fantastische neu-ro-nale Plas-ti-zi-tät?«, fragte Vik.
Auch dieser Begriff wurde ausgiebig definiert: Neuronale Plastizität bezieht sich auf die Fähigkeit des Gehirns, sich als Ergebnis von neuen Erfahrungen durch Hinzufügen oder Entfernen neuronaler Verbindungen anzupassen. Am elastischsten zeigt sich das Gehirn während der Jugend, bevor …
»Oder vielleicht hast du …«
Tom stupste Vik gegen die Schulter, bevor dieser eine weitere Definition provozieren konnte. »Okay, aufhören!« Er lachte. »Du hast mich drangekriegt, okay?«
Vik stieß ein Lachen aus, das sich wie ein Glucksen anhörte.
»Witzbold«, sagte Tom.
»Ich habe einen ausgesprochenen Sinn für Humor«, stimmte Vik zu. »Man nennt ihn auch sprühend.«
Im fünften Stockwerk glitten die Aufzugstüren auseinander, und die beiden hatten nun den Gemeinschaftsraum der Rekruten vor Augen, den Marsh Tom auf seiner Führung gezeigt hatte.
Vik winkte in alle Richtungen. »Während deiner Führung haben sie dir wahrscheinlich erzählt, das hier wäre der Gemeinschaftsraum der Rekruten, nicht wahr? Ist es auch. Offiziell jedenfalls. Aber wir Rekruten benutzen ihn nie. Es ist der größte und am besten ausgestattete Raum, und deshalb verbringen die Auszubildenden im Gehobenen Dienst ihre Freizeit gern hier und werfen jeden Rekruten raus, der hier abhängen will.«
»Und das lasst ihr ihnen durchgehen?«
»Klar doch«, sagte Vik geradeheraus. »Wir wollen alle eines Tages selbst mal zu den Auszubildenden im Gehobenen Dienst gehören und dann die Rekruten aus deren eigenem Gemeinschaftsraum werfen. Für mich gilt das jedenfalls.«
Sie traten durch die Tür mit der Aufschrift »Alexander Division« in einen menschenleeren Korridor, der sich in drei Gänge gabelte.
»Das hier ist dein Zuhause, solange du hier bist. Ich würde es ja gerne Schlafsaal nennen, aber ich finde, selbst die primitivsten Schlafsäle sind schöner als das hier. Sieht nach nichts aus, was? Komm, wir sind da drüben untergebracht.«
Im dritten Gang, ziemlich am Ende der Räume, die dieser Division zugeteilt waren, traten sie in eine Stube mit zwei niedrigen Betten, einem nüchternen grauen Teppich und schmutzig weißen Wänden. Ein kleines Fenster, das etwa die Größe von Toms Kopf hatte, gewährte einen Blick auf das Dach des alten Teils des Pentagons, ein Stockwerk unter ihnen.
»Da wären wir«, sagte Vik. »Nackte Wände, und schmink dir das mit Postern, Fotos und so weiter direkt ab – das ist gegen die Vorschriften. Wenn du dich die Ränge hocharbeitest, kannst du dir Privilegien, was die persönliche Note deiner Schlafstelle angeht, verdienen.«
»Das ist voll in Ordnung«, meinte Tom ohne jede Ironie und drehte sich langsam im Kreis, um das Zimmer in Augenschein zu nehmen. Sein Zimmer. Er hatte vorher noch nie ein Zimmer für sich gehabt, nicht einmal teilweise.
»Wenig Ansprüche. Gut für dich. Es wird dir hier gefallen.«
Tom erspähte ein Bein, das unter einem der Betten hervorlugte. Er trat einen Schritt vor und sah, dass das Bein zu einem uniformierten Jungen mit orangefarbenem Haar gehörte, der ausgestreckt auf dem Boden lag.
»Dein Bett ist das da drüben«, erklärte Vik Tom und wies dabei auf die gegenüberliegende Seite ihrer Stube.
»Da liegt ein Toter auf dem Fußboden«, gab Tom zu bedenken.
»Tja, das ist Beamer, unser Nachbar.« Vik ging zu Toms Bett hinüber und öffnete mit dem Fuß den Bettkasten unter der Matratze. Er bückte sich und zog ein Bündel Klamotten hervor. »Deine Uniform.«
»Da liegt ein toter Beamer auf dem Fußboden«, wiederholte Tom.
Vik warf die Uniform auf Toms Bett. »Nicht tot. Er macht bloß voll einen auf Beamer.«
Der Junge mit den orangefarbenen Haaren drehte sich im Schlaf und bewies damit, dass er nicht tot war, sondern eher in einer Art Starrezustand verharrte. Das runde, mit Sommersprossen übersäte Gesicht ließ auf Toms neuem Infoscreen im Kopf Informationen auftauchen.
Name: Stephen Beamer
Einheit: US-Intrasolare Streitkräfte, Rekrut, Alexander Division
Herkunft: Seattle, Washington
Besondere Leistungen: Gewinner des Jungunternehmerstipendiums des National Foreign Intelligence Board (NFIB), Mitglied der National Association of Young Business Owners
IP: 2053:db7:lj71::342:ll3:6e8
Sicherheitsstatus: Topsecret LANDLOCK-3
»Weißt du«, erklärte Vik, »Beamer hat vor ein paar Monaten Mist gebaut. Er hat sich aus der Grünen Zone herausgeschlichen, um sich mit seiner Freundin von zuhause zu treffen.«
»Marsh hat davon gesprochen!«, rief Tom. »Das Militär ist auf DEFCON-2 gegangen, stimmt’s?«
»Ja.« Vik lachte. »Da sind sie mit Hubschraubern, Panzern und, ich glaube, einem Kanonenboot über das Haus der Freundin hergefallen und haben ihrem Dad einen Herzkasper beschert. Im wahrsten Sinne des Wortes. Deswegen leistet Beamer immer noch Wiedergutmachung bei seiner Freundin. Er verbringt die ganze Nacht damit, online mit ihr zu reden, statt sich die Hausarbeiten herunterzuladen. Sie haben ihm nach dieser Sache seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt, deswegen weiß ich noch nicht einmal, wo er hingeht, um das zu tun. Allerdings führt er das mit den Neuronalprozessoren ad absurdum. Wir haben ein rechnergestütztes Gedächtnis. Wir können uns alles, was wir wollen, in den Kopf stecken. Aber diese ganze Info ist nutzlos, wenn man sie nicht abarbeitet. Man muss sich Zeit nehmen, damit das Gehirn diese ganzen Daten auch verarbeiten kann.«
Tom trat über Beamer hinweg und ging auf die Kleider zu, die Vik ihm auf sein Bett geworfen hatte.
Vik versetzte Beamers reglosem Bein einen leichten Tritt, um zu testen, wie wach er war. »Die meisten schließen sich während des Schlafs an den Hausaufgaben-Download an. Beamer aber knallt sich alles innerhalb weniger Stunden turbomäßig ins Hirn, sodass er kein bisschen davon schnallt. Dann wankt er frühmorgens hier rein und macht voll die Grätsche, damit ich morgens entweder auf dem Weg hinaus über ihn stolpere und ihn aufwecke oder ihn gleich zum Morgenappell mitschleppe.«
Der reglose Junge mit den orangefarbenen Haaren schlug die Augen auf. Beamer setzte sich so abrupt auf, dass Tom verblüfft einen Schritt zurückwich.
»Ich erhebe Einspruch gegen den Inhalt dieser Unterhaltung«, protestierte Beamer. Auf seinem blassen Gesicht lag ein finsterer Ausdruck, was ihn so aussehen ließ wie jemand, der im Schlaf sprach. »Vik gibt Verleumdungen in Bezug auf meinen Charakter von sich. Abbauvorgänge entziehen kohlenstoffhaltigen Baustoffen Elektronen.«
»Bitte was?«, fragte Tom verwirrt.
Doch Beamer ließ sich wieder auf den Fußboden fallen und sagte nichts mehr. Tom brauchte eine ganze Weile, um zu begreifen, dass er wieder bewusstlos war.
»Matschbirne«, sagte Vik herzlich. »Keine Verarbeitung, verstehst du? Diese ganzen Informationen in seinem Gehirn stehen noch in keinem Zusammenhang.«
»So hört es sich auch an«, murmelte Tom. Was das anging, hatte er Verständnis für Beamer. Auch er selbst fühlte sich derzeit ziemlich überfrachtet mit Informationen.
»Jetzt leg mal einen Zahn zu mit dieser Uniform, bevor der Android vorbeischaut, um uns zum Morgenappell abzuholen.«
»Ein echter Android?«, wollte Tom wissen. Er vermochte nicht mehr zu sagen, was echt und was Science-Fiction war.
»Nee. So nennen wir bloß Beamers Stubenkameraden Yuri. Der joggt jeden Morgen, obwohl wir dreimal die Woche Fitnessübungen machen müssen, und er hat immer traumhaft gute Laune. Er wird dir bei den Hausaufgaben helfen oder schwere Sachen für dich schleppen, und er versucht ständig, sich mit diesem schrägen Mädchen, Wyatt Enslow, anzufreunden, weil sie ihm leidtut. Er ist der netteste Kerl, dem du je begegnen wirst. Beamer und ich haben beschlossen, dass er ein Android sein muss. Android Schrägstrich Spion.«
»Spion?« Tom zerrte an der schwarzen Uniformjacke, an deren Kragen ein Adlerabzeichen prangte, darunter war eine einzelne dreieckige Spitze befestigt. Auf dem Arm war zudem das Schwert der Alexander Division zu sehen. Tom schlängelte sich in die motorradfahrermäßigen Handschuhe und erblickte dann noch ein letztes Detail, eine flache Kleintastatur.
Sein Neuronalprozessor wies ihn an, die Metallstifte unter der Tastatur an den Steckplätzen auf dem Handschuh seiner nichtführenden Hand zu befestigen.
»Schieb den Ärmel drüber«, instruierte ihn Vik. »Du brauchst die Tastatur erst später.«
Tom presste sich die Tastatur gegen den Unterarm und stellte dabei fest, dass sie aus einem flexiblen Kunststoff bestand, der sich den Bewegungen seines Arms anpasste. Er hakte die Stecker in die Steckplätze am Handschuh seiner linken Hand und zog den Hemdsärmel herunter, um sie zu fixieren.
»Jedenfalls ist Beamers Stubenkamerad Yuri Russe«, fuhr Vik fort. »Außerdem stammt er aus einer einflussreichen Familie. Sein Dad kennt den Kerl, der die Intrasolaren Streitkräfte praktisch gegründet hat. Er hat dafür gesorgt, dass Yuri in den Turm kommt, ob das US-Militär es nun wollte oder nicht. Da Yuri in Russland geboren wurde und dort aufgewachsen ist, halten ihn viele für einen Spion. Das Militär tut das auf jeden Fall, denn Yuri wurde vor drei Jahren Rekrut und ist es heute immer noch. Die meisten Rekruten werden ungefähr nach einem Jahr befördert. Alle anderen, die das Programm mit ihm begonnen haben, sind mittlerweile im Gehobenen Dienst oder arbeiten für andere Regierungsstellen.«
Tom zog sich die Kampfstiefel an, schnürte die Senkel zu und stopfte die Beine seines Tarnanzugs hinein, wie er es bei Vik gesehen hatte. »Glaubst du, er ist ein Spion?«
»Nä. Sagte ich doch, Mann. Er ist ein Android.«
Die Tür glitt auf. Ein riesiger, knapp zwei Meter großer Junge mit gewelltem Haar kam hereingehüpft. Sein Körper war muskelbepackt, und auf seinem dunkelhäutigen, hübschen Gesicht lag ein gutmütiges Grinsen.
Name: Yuri Sysevich
Einheit: US-Intrasolare Streitkräfte, Rekrut, Alexander Division
Herkunft: St. Petersburg, Russland
Besondere Leistungen: Chris Canning Award für herausragende schulische Leistungen, Elsevier Woods Award für junge Vertreter des Humanitätsgedankens
IP: 2053:db7:lj71::236:ll3:6e8
Sicherheitsstatus: Confidential LANDLOCK-1
Tom starrte ihn an. Er besaß tatsächlich einen niedrigeren Sicherheitsstatus als die anderen.
»Hallo, Leute. Seid ihr fertig fürs Frühstück?« Yuris Blick fiel auf Tom. »Ah. Da bist du also. Du bist der neue Rekrut. Timothy Rodale.«
Tom machte Anstalten, ihn zu korrigieren, doch Vik zog seinen Blick auf sich und formte mit den Lippen die Worte »Frag nicht«.
»Du hast’s erfasst«, antwortete Tom perplex.
Yuri stieß ein herzhaftes Lachen aus. »Es ist wirklich schön, dich kennenzulernen. Ich bin Yuri – aber das weißt du ja.« Er tippte sich an die Schläfe.
»Ja, das weiß ich«, sagte Tom.
»Ich sehe bei dir gar keine besonderen Leistungen aufgeführt.«
»Das ist ein Versehen. Wir lassen das korrigieren«, beschied Vik Yuri.
»Äh, ja«, pflichtete Tom ihm bei.
In seinem Kopf pingte es. Morgenappell in fünf Minuten. Tom wurde von der plötzlichen Mitteilung, die da in seinem Gehirn wie einer seiner eigenen Gedanken auftauchte, überrascht. Die anderen Jungen im Zimmer reagierten auf die gleiche Nachricht, indem sie allesamt aufsprangen. Nur Beamer geriet beim Versuch, sich aufzurichten, ins Taumeln und wäre beinahe wieder umgekippt. Yuri fing ihn im letzten Moment auf.
»Fertig?«, fragte Vik Tom.
Tom nickte erwartungsvoll und ignorierte das flaue Gefühl in seinem Magen. »Fertig.«
Yuri zerrte Beamer hoch und schleppte ihn auf seinen breiten Schultern den langen Korridor entlang zum Fahrstuhl. Während des gesamten Wegs summte er vergnügt.
»Ich kann allein gehen«, protestierte Beamer mit trüben Augen.
»Das hast du beim letzten Mal auch gesagt, und dann hast du dir den Kopf gestoßen«, hielt Yuri ihm vor. »Das ist kein Problem, Stefan.«
Beamer hob erschöpft den Kopf und schaute Tom mit zusammengekniffenen Augen an. »Hä? Bei dem Neuen stehen ja gar keine besonderen Leistungen.«
Dieses bescheuerte Profil.
Vik näherte sich Tom verstohlen. »Sagte ich dir ja, dass es nervig werden würde. Willst du nun was dran ändern oder nicht?«
»Du hast gesagt, da wäre ein Mädchen, das so etwas kann?«
»Wyatt Enslow«, erwiderte Vik. »Das wird eine schwere Geburt, aber ich kann sie dazu überreden.«
»Wieso hält er mich für Timothy Rodale?« Tom deutete mit dem Kopf auf Yuris breiten Rücken.
Vik erwiderte in normaler Lautstärke, so als könnte Yuri sie beide nicht hören: »Tja, eine offizielle Erklärung dazu hat es nie gegeben, aber Yuri haben sie wohl ein Downgrade aufs Auge gedrückt. Jedenfalls stimmt mit seiner Software etwas nicht, und keiner der Offiziere hat die Absicht, daran etwas zu ändern. Deswegen glauben wir, dass man ihn absichtlich chiffriert hat. Wir nehmen an, das Militär hält Yuri für einen Spion, konnte aber nicht verhindern, dass er in den Turm kommt, weil seine Familie so ihre Beziehungen hat. Deswegen haben sie ihn angenommen und einen Wurm in seinem Neuronalprozessor platziert, damit er nichts hören kann, was der Geheimhaltung unterliegt.«
Tom warf einen Blick auf Yuris breiten Rücken, doch Yuri summte nur, und nichts deutete darauf hin, dass er sie gehört hatte. »Sein Neuronalprozessor filtert die Informationen, die er hört?«
»Genau. So wie Beamer und ich uns das vorstellen, versteht er wohl die wesentlichen Dinge hier im Turm, kennt aber nicht unsere Identitäten, IPs, Strategien oder sonst etwas, das die Kriegsanstrengungen beeinträchtigen könnte. Sein Prozessor ist manipuliert, sodass er unsere richtigen Namen nicht hört, falls jemand sie erwähnt. Und vertrauliche Informationen kannst du vergessen. Wenn ich ihm zum Beispiel beim Programmmierunterricht einen Code zeige, dann schaut er ihn sich an und weiß zwar, was das ist, behält ihn aber ganz falsch in Erinnerung. Und jetzt, da wir gerade wortwörtlich hinter seinem Rücken über ihn reden? Tja, der Prozessor übersetzt das bestimmt als etwas völlig Harmloses.«
»Ernsthaft?« Tom war beeindruckt und beunruhigt zugleich. Das war etwas, worüber er noch gar nicht nachgedacht hatte. Er hätte begreifen müssen, dass einen die Tatsache, einen Computer im Gehirn zu haben, anfällig dafür machte, wie ein Computer fehlprogrammiert zu werden. »Vik, wenn sie an Yuris Software herumgepfuscht haben, woher wisst ihr dann, dass sie es mit unserer nicht auch tun können?«
Vik grinste ihn unheimlich und beunruhigend an, und seine Augen glänzten wie die eines Irren. »Tja, Tom, das wissen wir nicht.«
»Das ist ja beruhigend. Vielen Dank auch.«
»Gern geschehen, Kumpel. Dafür bin ich hier.«