FÜNFZEHN
Tom ging nicht zurück ins Museum. Er hielt es für besser, Wyatt und Yuri die Chance zu geben, das zu tun, was sie tun wollten. So wie er Vik kannte, würde dieser wahrscheinlich so lange dableiben, bis er sicher war, ihre Wette gewonnen zu haben, und sich dann auf die Suche nach Tom machen, um ihm seinen Sieg unter die Nase zu reiben.
Deshalb setzte Tom sich auf den Bordstein, das Kinn auf die Hände gestützt, die Ellbogen auf den Oberschenkeln, und wartete auf Vik. Er war daher völlig überrascht, als eine Limousine vor ihm stehen blieb und aus ihrem piekfeinen Inneren eine Stimme ertönte. »Tom! Tom Raines. Hallo!«
Würg. Diese Stimme kannte er.
Er hob den Kopf. »Was machen Sie denn hier, Dalton?«
»Ich hörte, dass du in der Gegend bist. Da habe ich auf dich gewartet. Nun komm schon rein.« Dalton bedeutete Tom, in die Limousine einzusteigen.
»Ich habe zu tun.«
»Nein, hast du nicht. Dafür beobachte ich dich schon zu lange. Komm schon.«
»Was wollen Sie?«
»Sei nicht unhöflich. Ich habe mir die Mühe gemacht, Karl Marsters auf dein GPS-Signal anzusetzen«, erwiderte er. »Ich wollte wirklich eine Gelegenheit finden, mit dir zu reden.«
Der Fahrer kam um den Wagen herum, um ihm die Tür zu öffnen. Tom erinnerte sich daran, dass Dalton bei Dominion Agra arbeitete. Er konnte ihn nicht einfach abblitzen lassen.
Er schaute in Richtung des Museums – noch keine Spur von Vik – und ließ sich dann auf den Rücksitz fallen. Dort fläzte er sich und steckte sich die Hände in die Hosentaschen. »Viel Zeit habe ich nicht.«
»Kein Problem.« Dalton nickte dem Fahrer zu, und wenig später fuhren sie durch die geschäftigen Straßen von Washington. Dalton schenkte sich eine bräunliche Flüssigkeit ein und bot Tom ebenfalls etwas an. »Scotch?«
Tom schüttelte den Kopf. »Ist nicht erlaubt.«
»Meinst du etwa, die würden dich deswegen aus dem Turm werfen? Ich weiß, dass sie dort ihre Vorschriften haben, aber ein Wort von mir, und sie drücken ein Auge zu.«
»Ich mag keinen Alkohol.« Schon beim Geruch wurde ihm übel.
Dalton beäugte ihn mit wissendem Blick. »Erinnert dich zu sehr an deinen alten Herrn?«
Toms Hände verkrampften sich derart zu Fäusten, dass es in seinen Fingern pochte. Er malte sich aus, wie es wäre, Dalton die Flasche auf dem Kopf zu zerschmettern.
»Nun«, sagte Dalton und machte eine Handbewegung, wie um ein neues Thema anzuschneiden, »wir hatten ja bereits schon einmal die Möglichkeit angesprochen, dass Dominion Agra dich später einmal sponsert.«
»Ja, und ich kapiere es nicht«, fiel Tom ihm ins Wort. »Ich bin Rekrut und noch nicht einmal im Mittleren Dienst. Ich bin noch meilenweit von CamCo entfernt.«
»So etwas beginnt früher, als du denkst. Dominion war in der Vergangenheit nachlässig beim Anwerben von Kombattanten und hat es bedauert, wenn die anderen Unternehmen sie ihnen vor der Nase weggeschnappt haben. Wir haben daher beschlossen, schon früher Treuebündnisse abzuschließen.«
Plötzlich begriff es Tom, und er musste lachen. »Also, lassen Sie mich das mal klarstellen: Wenn jemand im Begriff steht, Kombattant zu werden, und er eine Wahl bei den Sponsoren hat, dann wählt er in der Regel nicht euch aus, was? Haha. Was, glauben Sie, schreckt sie ab, Dalton? Sie persönlich als Verkaufsvertreter von Dominion oder diese Nummer mit dem Genozid?«
Daltons Finger verkrampften sich um das Glas in seiner Hand. »Glaub mir, wir könnten schon morgen mehr Kombattanten haben, wenn wir nur wollten, Tom. Aber wir wollen die richtigen. Diejenigen, die uns begeistern. Wenn wir zum Beispiel mit jemandem schon anfangen würden zusammenzuarbeiten, wenn er noch Rekrut ist« – diese letzten Worte betonte er – »dann hätten wir mehr als genug Zeit, ihn zu dem veredelten Kombattanten zu schleifen, der uns vorschwebt.«
»Veredelt und geschliffen. So wie Karl Marsters.«
Dalton zuckte merklich zusammen. »Karl steht auf einem ganz anderen Blatt. Und was diese andere Anschuldigung angeht, die du da erhebst …«
»Sie meinen das mit dem Genozid?«
»Was im Mittleren Osten geschehen ist, war wohl kaum ein Genozid.«
»Als ich das letzte Mal recherchiert habe, galt der Mord an einer Milliarde Menschen noch als Genozid.«
»Genozid ist die systematische Vernichtung einer Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse. Das ist bösartig. Was wir taten, war es nicht. Die ganze Region beteiligte sich am bewussten und wiederholten Diebstahl unseres Eigentums. Denn ob es einem gefällt oder nicht, man nimmt es zu sich, und es ist unser Eigentum, und die Bauern in diesen Ländern hätten sich niemals bereit erklärt, eine Lizenzgebühr zu entrichten. Wenn eine Region der Welt damit davonkommt, dann glauben auch alle anderen, sie könnten damit davonkommen, und bald würde es uns als Unternehmen nicht mehr geben. Wir haben es nicht aus Bösartigkeit getan. Es war lediglich eine unternehmerische Entscheidung, um Dominion Agra das Überleben zu sichern.«
»Die Toten sind sicher froh darüber, dass sie nicht aus Bösartigkeit getötet wurden.«
»Und wir gestehen sogar ein, dass es sich um eine schreckliche Tragödie gehandelt hat. Wir bedauern es bis heute, dass die andere Seite es so weit hat kommen lassen. Aber denk mal daran, was dadurch erst möglich wurde: Diese Gegend der Welt war so zerstritten, dass es ohne den Einsatz dieser Bomben nie zum Frieden auf unserem Planeten gekommen wäre. Seit wir diese Region neutralisiert haben, haben wir kein einziges menschliches Leben mehr im Krieg verloren. Diese Neutronenbomben haben die Welt von heute erst ermöglicht.«
»Ja sicher, natürlich fängt keiner mehr einen Krieg an«, stieß Tom hervor. »Wenn die Koalition alle in der Hand hat, die Macht besitzen, gibt es keine Alternative. Und kein Mensch lässt es mehr auf einen Konflikt mit euch ankommen, wenn er dafür ausgelöscht wird.«
»Du hörst dich an wie dein Vater.«
»Nein, ich rede hier. Ich bin es …« Tom begriff es plötzlich. »Ich bin es, der Nein sagt. Nein, auf keinen Fall. Ich würde nie, niemals Dominion Agra unterstützen. Selbst wenn das meine einzige Chance wäre, in die CamCo zu kommen, würde ich es nicht tun.« Er schaute hinaus auf die Straßenschluchten, durch die sie glitten, und begriff, dass so manches extrem verkehrt lief. Außerdem erkannte er, dass sie weiter weg vom Museum waren, als er erwartet hatte. »Lassen Sie mich raus, Dalton. Meine Antwort lautet Nein, und das ist endgültig. Die Sache ist damit erledigt.«
»Mach dich nicht lächerlich, Tom. Ich bin nicht hier, um dich zu bitten, dich heute zu entscheiden.«
»Tja, also ich habe heute entschieden.«
»Schön.« Dalton erhob sein Glas, um ihm zuzuprosten. »Du hast heute entschieden. Aber bei diesem Treffen hier geht es nicht darum, was du für uns tun kannst. Es geht darum, was wir für dich tun können.«
»Es gibt nichts auf der Welt, was Sie tun könnten, damit ich meine Meinung ändere.«
»Natürlich. Natürlich. Sieh dir bloß mal etwas an. Um mehr bitte ich dich gar nicht.«
Die Limousine hielt an, und Dalton wartete, bis der Fahrer zu ihm kam – als wäre das Öffnen einer Wagentür eine zu niedere Tätigkeit für ihn. Tom riss die Tür selbst auf und stieg aus. Dalton folgte ihm und überließ auch das Schließen der Tür dem Fahrer. Sie befanden sich auf einer schattigen Straße mit sattgrünen Bäumen, und die Luft stand vor Feuchtigkeit. In der Ferne sah Tom die Kuppel des Kapitols aufragen.
In einem baufälligen Gebäude war eine nicht gekennzeichnete Tür. An einer Wand des Gebäudes hing ein Schild mit der Aufschrift »Sicherheitsüberwacht«.
»Komm, Tom.« Dalton klopfte auf das Schild. »Das bedeutet, es ist heute geöffnet. Wenn ›Vorsicht vor dem Hund‹ draufsteht, ist geschlossen. Ganz schön spießige Mittelklasse, hm? Kleiner interner Witz von uns.«
Würg. Jetzt reichte es. Er wollte nur noch weg hier.
Dalton ging das Treppenhaus hinunter, wobei seine Schritte ein Echo verursachten. Tom schaute sich auf der Straße um, sah aber weder eine U-Bahn-Station noch ein Taxi. Er stieß den Atem aus und stapfte die Stufen hinter ihm her. Er würde einen Blick auf das werfen, was Dalton ihm zeigen wollte, und sich anschließend direkt zurück zu seinen Freunden fahren lassen.
Sie stiegen weiter hinab in den Keller des Gebäudes. Umso mehr Türen sie durchschritten, desto schöner wurden die Stufen. Aus knarrendem altem Holz wurde Marmor, aus Gipsputz an den Türen wurde geschnitzte Eiche. Am Fuß der Treppen legte Dalton sein Auge gegen einen Netzhautscanner. Die Wandpaneele wurden erleuchtet, und mit einem quietschenden Geräusch rasselte ein Fallgitter nach oben und gab den Weg frei.
Sie traten in einen ausgedehnten Raum mit einer Bar aus geschliffenem Kristallglas, einem riesigen Deckenbildschirm und Wänden, auf denen das Bild einer sich ausbreitenden grünen Landschaft projiziert wurde; hier und da standen in gemauerten Nischen Tische, an denen schattenhafte Umrisse von Menschen zu erkennen waren, die sich miteinander unterhielten.
Mit einer ausladenden Handbewegung umfasste Dalton alles. »Das ist der Beringer Club, Tom. Hierher kommt die Elite von Washington, um sich zu entspannen. Hochrangige Politiker, Mitglieder der Koalition, wenn sie in der Stadt sind, ausländische Botschafter und Machtmenschen aus aller Welt, von denen du vielleicht noch nie etwas gehört hast. Im Grunde genommen ist hier die Crème de la Crème. Und du darfst ab jetzt auch herkommen. Als Rekrut hast du doch eine Challenge Coin, nicht wahr?«
Tom vergrub die Hand in seiner Tasche und holte die Münze mit dem Stempel der Intrasolaren Streitkräfte hervor.
Dalton tippte elegant mit dem Finger darauf. »Das hier ist deine Eintrittskarte. Komm her, wann immer dir danach zumute ist. Was immer du haben willst, lass es dir kommen, ich begleiche die Rechnung. Es geht alles auf mich. Betrachte es als die erste von vielen Gelegenheiten, Umgang mit den richtigen Leuten zu pflegen.«
»Ich bin eher jemand, der mit den falschen Leuten Umgang pflegt«, bemerkte Tom, während er sich umsah. Schilder wiesen die Gäste auf die hier gebotenen Annehmlichkeiten hin: eine Sauna, Tennisplätze, einen Wellnessbereich sowie andere Dinge, an denen Tom nicht im Geringsten interessiert war.
Er wandte sich Dalton zu, um ihm dies zu sagen, doch genau in diesem Moment erblickte er an einer etwas weiter entfernten Wand eine VR-Konsole.
Dalton grinste. »Ach ja, und das natürlich auch. Die sind für die Kinder der Kongressabgeordneten. Ab und zu kommen auch welche aus dem Turm hier zu uns. Deswegen haben wir private Räumlichkeiten mit VR-Zugang eingerichtet. Sogar Ports für Neuronalprozessoren gibt es.«
»Was denn, ich kann mich von hier aus einklinken?«
»Manche Mitglieder der Camelot Company kommen ständig hierher, Tom. Ihnen gefällt die vertrauliche Atmosphäre. Im Turm wird jede Übertragung registriert. Das engt einen ziemlich ein, wenn man, sagen wir mal, seine Freundin treffen oder gewisse Simulationen erkunden möchte.« Mit einem anzüglichen Grinsen beugte er sich weiter vor. »Schließlich weiß ich doch auch noch, wie es als Teenager so war.«
Tom verstand die Anspielung. Das schmierige Grinsen auf Daltons Gesicht gefiel ihm ganz und gar nicht. Das ist der Typ, der mit meiner Mutter rummacht, dachte er angeekelt.
»Und Sie versorgen mich aus Herzensgüte damit?«
»So ist es«, erwiderte Dalton. »Ich glaube, dass eine großzügige Tat eine andere nach sich zieht.«
Mit anderen Worten wollte er, dass Tom hier Stammgast wurde, Schulden anhäufte und sich verpflichtet fühlte, sie zurückzubezahlen, wahrscheinlich mit Zinsen. Tom blickte zurück in den Raum mit dem Zugangsport. Bestimmt war es nützlich, eine Möglichkeit zu besitzen, sich ohne Überwachung in das Internet einzuklinken, doch er war sich nicht sicher. Irgendetwas an diesem Ort hier war ihm nicht geheuer. Das Fehlen von Fenstern, die im Halbdunkel sitzenden Gestalten, die sich in privaten Nischen mit gedämpfter Stimme unterhielten, und die stählernen Stäbe des Fallgitters führten dazu, dass Tom diesen finsteren Ort für etwas ganz anderes hielt als einen Club für Reiche.
»Na schön, danke fürs Zeigen. Ich mach mich dann mal wieder auf die Socken.«
Doch Dalton hielt einen der Angestellten des Betriebs an, einen großen Mann mit Igelfrisur und massigem Nacken. »Hayden, würden Sie Mr Raines den privaten neuronalen Zugangsport zeigen? Danach möchte er zurück ins Pentagon gefahren werden.«
Der Mann nickte.
Gereizt folgte Tom dem Hünen. »Ich brauche keinen Chauffeur. Ich kann die U-Bahn nehmen.«
Der Riese trat beiseite, damit Tom in den Raum mit dem privaten neuronalen Zugangsport eintreten konnte. Tom warf einen flüchtigen Blick darauf. Ja, das war nett. Netter jedenfalls als der Turm mit seinen behelfsmäßigen Feldbetten. Hier gab es Liegesessel, die nach seiner Einschätzung so viel kosteten, wie ein normaler Mensch im Jahr verdiente.
»Toll. Aber jetzt sollte ich wieder …«
Doch Hayden drängte Tom mit seiner massigen Gestalt weiter vor, sodass dieser in den Raum stolperte. Hayden war so etwas wie eine sich bewegende Wand. Als Tom versuchte, sich von ihm zu befreien, beförderte ihn dieser unsanft in Richtung der Liegesessel.
»Warten Sie, warten Sie«, schrie Tom den Mann an, während er sich gegen seine Umklammerung wehrte. »Was machen Sie da? Lassen Sie mich los!«
Über seiner Schulter konnte Tom Dalton im Türeingang sehen. »Soll Ihnen noch jemand zur Hand gehen, Hayden? Ich kann noch jemanden rufen.«
»Ich habe alles im Griff.« Hayden drückte Tom so fest in den Liegesessel, dass er kaum Luft bekam. Dann packte er mit seiner fleischigen Hand Toms Kinn, bevor dieser den Kopf zurückziehen konnte. Tom trat nach Hayden, doch es war tatsächlich so, als träte er gegen eine Wand. Und dann stieß etwas Vertrautes gegen seinen Nacken. Das Kabel klickte sich in den Anschluss an seinem Stammhirn ein.
Tom wurde schwarz vor Augen, und jedes Gefühl wich aus seinen Gliedmaßen. Es war wie beim Einklinken in Angewandte Simulationen, doch Tom versank nicht in einer anderen Welt. Es lief keine Simulation, in die er hätte gleiten können. Vertraut hingegen waren die Lähmung seiner Muskeln und die Trübung seiner Sinne. Hayden drehte ihn auf den Rücken. Tom schnürte es vor Schrecken die Brust zu. Was machten sie da mit ihm?
Als Hayden ihn endlich losließ, zwang Tom sich dazu, die Augen aufzureißen. »Was ist … was ist …«
»Soll ich anfangen, Sir?« Haydens Stimme klang leise und knurrend.
»Bereiten Sie es vor«, sagte Dalton. »Der Junge ist nicht kooperativ, also kümmern Sie sich um dieses Problem zuerst. Als Erstes importieren Sie am besten ein paar Verhaltensänderungen.« Er beugte sich vor, um zu sehen, was Hayden eintippte. »Genau, zu Beginn den Leitfaden. Das hier. Das dauert ungefähr vier Stunden?«
»In etwa. Mehr würde ich für den Moment nicht empfehlen. Sie wollen ja nicht, dass er zu lange aus dem Turm wegbleibt.«
»Gut. Wenn er wieder im Turm ist, können wir noch mehr hochladen. Ich habe dort jemanden, den ich dafür einsetzen kann. Und achten Sie darauf, dass Sie ein Unterprogramm installieren, das ihn zwingt, nächste Woche wieder hierherzukommen und sich sein nächstes Softwarepaket abzuholen.«
Tom spürte, wie ihn Panik überfiel. Zu gern hätte er wild um sich geschlagen, doch er konnte nicht. »Dalton, was tun Sie da mit mir?«
Dalton zog eine Zigarre aus seiner Tasche. »Immer nennst du mich nur Dalton. Das lässt einen Mangel an Respekt erkennen, Tom. Von jetzt an heißt es für dich Mr Prestwick.«
»Lassen Sie mich los, Dalton, sonst bringe ich Sie um!«
Dalton zündete sich die Zigarre an, deren glühende Spitze im Halbdunkel leuchtete. Neben Tom quietschten Räder, als jemand einen Stuhl für Dalton hereinrollte. Dalton setzte sich neben Tom und schlug die Beine übereinander. »Kein Grund zur Panik, Tom. Es wird nicht wehtun.« Er zuckte lässig mit den Schultern. »Hat man mir jedenfalls gesagt.«
»Warum tun Sie das?« Tom strengte sich an, um zu erkennen, was Hayden eintippte. Etwas, das in seinem Gehirn landen würde. Der Gedanke verursachte ihm Übelkeit. Was verpassten sie ihm da?
Dalton grinste hämisch. Der Geruch seiner Zigarre waberte durch die Luft. »Nun komm schon, kleiner Mann. Hast du wirklich geglaubt, ich würde dir hier eine echte Wahl lassen? Wirklich? Bist du so naiv?«
Tom kochte vor Wut. Er würde Dalton umbringen. Ja, das würde er. Sobald er sich wieder bewegen konnte. »Lassen Sie mich gehen, oder ich ramme Ihnen Ihre Zigarre in den Hals!«
»Du wirst freikommen, Tom, sehr bald sogar schon. Und dann wirst du ein viel braverer Junge sein. Wenn du für uns arbeiten willst, muss sich eine Menge bei dir ändern.«
»Ich arbeite nicht für Sie!«
»Sachte, Tom. Das wirst du, das versichere ich dir. Es ist ein großes Glück, dass du ein wertvoller Aktivposten geworden bist. Und ich weiß, dass da jemand im Turm ist, der deinen Kurs steigen lässt. General Marsh hat dem Verteidigungsausschuss bereits deinen Namen genannt und dich als vielversprechenden Auszubildenden empfohlen, den man im Auge behalten sollte.«
Tom war einen Moment so verblüfft, dass er seine Angst vergaß.
»Also, bei diesen Skrupeln, die du in Bezug auf unser Unternehmen hast, würden wir dich niemals bitten, Dominion Agra zu repräsentieren.« Dalton tippte Tom gegen die Stirn. »Daher wird Hayden einige Dateien bei dir installieren, um die fehlerhaften Ansichten zu korrigieren, die du von deinem alten Herrn geerbt hast. Und was dich und mich danach angeht, Tom? Wenn das hier vorbei ist, werden wir beide gute Kumpel sein.«
»Nein, werden wir nicht.«
»O doch, das werden wir. Und hey« – er knuffte ihn leicht und neckisch gegen den Arm – »wenn wir hinter dir stehen, dann wirst du garantiert in die Camelot Company kommen, und wir werden dafür sorgen, dass es schnell geschieht. Du wirst ein echter Held werden. Denk an die Mädchen, Tom. Du hast doch noch nie eine Freundin gehabt, nicht wahr? Sie werden dann über dich herfallen.«
»Halten Sie das Maul. Halten Sie einfach das Maul.«
»Der erste Schub wäre dann so weit, Mr Prestwick«, sagte Hayden.
Nein, dachte Tom, in dem nun nackte Panik hochkam. Nein, nein, nein …
Dalton gluckste. »Erteilen Sie unserem Jungen seine Lektion.«
Und dann strömte die Information in Toms Gehirn. Dalton fläzte sich auf seinen Stuhl, zog an seiner Zigarre und beobachtete Toms Gesicht, während die Programmierungen sich mit dem Neuronalprozessor verknüpften und begannen, die Daten in Toms Gehirn zu implantieren. Tom kämpfte dagegen an. Er biss die Zähne zusammen und wies die Daten zurück. Vorerst. Eine Zeit lang.
Irgendwann wusste er nicht mehr, was dort hingehörte und was nicht. Und er wusste nicht mehr, was zu ihm gehörte und was nicht. Schrecken übermannte ihn, und Toms Widerstand verebbte. Sein Blick glitt zur Decke, während die sanfte Woge von Befehlen und Codes ihn immer wieder überschwemmte. Er konnte sich schon nicht mehr erinnern, warum er noch vor einer Minute eine solche Angst gehabt hatte. Er lag nur da und spürte, wie sein Gehirn bearbeitet wurde.
Dalton beobachtete ihn die ganze Zeit, heftete den Blick auf sein Gesicht, während Tom sich in einen anderen Menschen verwandelte.
Nach einer Stunde sagte Hayden: »Die erste Stufe ist installiert.«
Dalton erhob sich. »Ja? Gute Arbeit. Und du bist ein guter Junge, Tom. Schon bald werden wir richtige Freunde sein, du und ich. Ist es nicht so?«
Tom erwiderte: »Ich … ja.« Er war verwirrt von dem, was hier vor sich ging, war sich aber ziemlich sicher, dass Dalton recht hatte.
»Es heißt Mr Prestwick.«
»Mr Prestwick.«
»Guter Junge.« Mr Prestwick tätschelte Toms Wange. »Wir sehen uns dann nächsten Samstag.«
Tom war sich nicht sicher, warum Hayden ihm den neuralen Zugangsport gezeigt hatte. Er stand ganz allein da mitten in dem menschenleeren Raum im Beringer Club und starrte auf den Zugangsport. Da war etwas, das ihm entging. Etwas, das er nicht genau ausmachen konnte.
»Mr Raines, Sir?« Hayden steckte seinen großen Kopf durch die Tür. »Ihr Wagen wartet draußen. Wann immer Sie so weit sind.«
»Oh. Okay.« Tom kam sich dumm vor. Er wusste nicht einmal, wohin Mr Prestwick gegangen war. Er musste gegangen sein, nachdem er Hayden gebeten hatte, ihm diesen Raum zu zeigen. Und die innere Uhr in seinem Kopf stand auf 17:00. War so viel Zeit verstrichen? Warum … Wie war das … Oder … Oder war er …?
Etwas in ihm unterbrach diesen Gedankengang.
Zugang verweigert.
Der Gedanke hallte bedrohlich in seinem Kopf wider.
Zugang verweigert. Zugang verweigert.
Ein komisches Gefühl erfüllte ihn, während er diese Worte erfasste, und er begriff, dass er zu einem Segment seines eigenen Gehirns keinen Zugang hatte. Doch noch während er sich bemühte, sich einen anderen Weg dorthin zu bahnen, verblasste sein Kurzzeitgedächtnis, und er konnte sich nicht mehr recht erinnern, was dieses komische Gefühl in ihm verursacht hatte.
Er trat aus dem Treppenhaus in das grelle Sonnenlicht hinaus. Während er auf den Privatwagen zuging, musste er erneut an Mr Prestwick denken. Vielleicht war er, Tom, während der ganzen Zeit nicht fair zu ihm gewesen. Er hatte ihn, ohne darüber nachzudenken, gehasst, und ihm fiel jetzt kein Grund mehr dafür ein.
Er erinnerte sich an den Geruch von Mr Prestwicks Zigarre …
Zugang verweigert.
Was? Die Worte wirkten wie ein elektrischer Schlag, wie etwas Fremdes in seinem eigenen Gehirn. Bestürzt ging er in sich. Was war … Was war …?
Ein nebulöser Gedanke ließ Toms Ängste verblassen, und sein Gehirn wurde erneut von einer Banalität erfüllt. Neil sagte immer, Dominion Agra habe vor, jede natürlich wachsende Feldfrucht durch ihre genetisch hergestellten, nicht fortpflanzungsfähigen Stämme zu ersetzen. Doch das taten sie nicht. Es war Zufall gewesen. Es war geschehen, weil die Feldfrüchte von Dominion Agra dominant waren. Es war ein Zufall, dass ihnen am Ende das gesamte menschliche Nahrungsmittelangebot gehörte. Schlichte Fremdbestäubung. Klar, bei den Bombardierungen mit Neutronenwaffen mochten sie eine Rolle gespielt haben, aber retteten sie denn nicht Tag für Tag Milliarden, indem sie sie ernährten? Und auch wenn sie alle zwangen, eine jährliche Benutzungsgebühr für den Anbau von Feldfrüchten zu entrichten, war das doch nur ein unternehmerisch gutes Geschäft, oder?
Während er sich in dem privaten Wagen mit den verdunkelten Scheiben niederließ, war Tom ein wenig schwindelig. So vieles von dem, was er früher an der Welt gehasst hatte, ergab plötzlich auf wunderbare Weise einen Sinn. Der Beringer Club war schon etwas. Der Fahrer wusste bereits, dass er, Tom, in der kommenden Woche wieder dorthin zurückkehren würde, so als hätte der Kerl übernatürliche Fähigkeiten. Tom vereinbarte mit ihm, dass er ihn am kommenden Samstag um 11:00 am Turm abholen solle.
Tom machte es sich auf dem komfortablen Ledersitz bequem. Während der gesamten Rückfahrt zum Turm staunte er darüber, dass Dalton Prestwick ja vielleicht doch ein super Typ war.