ACHTZEHN
Was ist los mit dir?«
»Wie meinst du das?«, fragte Tom Vik. Er starrte in seinen neuen Spiegel auf seiner Stube, peinlich darauf bedacht, sich vor dem Morgenappell noch die Haare zu gelen. Mittlerweile waren sie so lang, dass er etwas damit anfangen konnte. Mr Prestwick hatte ihm eine Kreditkarte ausgehändigt und die Anweisung gegeben, sich zurechtzumachen, beginnend mit einer Zweihundert-Dollar-Flasche Haarstyling-Creme, damit er nicht mehr aussähe wie eine Kanalratte.
Er bemühte sich nach Kräften, nicht weiter darauf zu achten, dass Vik ihn so anstarrte, als wäre er gerade nackt beim Morgenappell aufgekreuzt. »Dir ist klar, dass du dich schon seit einer halben Stunde vor dem Spiegel herausputzt?«
Tom runzelte die Stirn, hielt aber sogleich inne, weil er wusste, dass man davon Falten bekam, und es wichtig war, sich sein jugendliches gutes Aussehen zu bewahren. »Du hast mir schon ein Dutzend Mal gesagt, dass du hoffst, es eines Tages in die Camelot Company zu schaffen. Tja, tut mir ja furchtbar leid, aber ich muss es mal sagen: Wenn du es im Leben zu etwas bringen willst, Vik, dann spielt die äußere Erscheinung eine wichtige Rolle.«
»Ach du Scheiße, Tom. Hast du dein Y-Chromosom irgendwo verlegt? Hoffentlich liegt es nicht irgendwo auf dem Boden, wo jemand drauftreten könnte.« Vik tat so, als sähe er sich danach um.
»Mir tut es leid, dass du nicht begreifst, wie wichtig es ist, sich auf die richtige Art zu präsentieren.« Tom empfand Mitleid mit ihm.
Noch vor ein paar Wochen hätte er aller Welt gesagt, dass Vik sein bester Freund war. Doch Vik wurde von Tag zu Tag komischer. Ständig behandelte er ihn so, als wäre er ein Irrer. Er kicherte, wenn Tom noch vor dem morgendlichen Unterricht mit Übungen begann oder der Erste war, der bei den zivilen Lehrern aufzeigte oder sich anbot, einen Ausschuss von Senatoren und Wirtschaftsführern bei einer Führung durch den Turm zu begleiten.
Tom begriff nicht, was für ein Problem Vik damit hatte. Nur so kam man im Leben voran. Man stellte Kontakt mit den richtigen Leuten her, benahm sich anständig, um einen guten Eindruck zu hinterlassen, hielt seine äußere Erscheinung in Schuss und packte Gelegenheiten beim Schopf, wenn sie sich boten. Das war es, was Mr Prestwick immer sagte, und alles, was Mr Prestwick sagte, stimmte.
»Ich verstehe ihn nicht mehr, Mr Prestwick«, erklärte Tom am Mittwochabend, als Mr Prestwick ihn mitnahm, um ihm einen italienischen Elftausenddollar-Anzug maßschneidern zu lassen. Führungskräfte von Dominion Agra veranstalteten am folgenden Samstagabend im Beringer Club eine Gesellschaft – nach einem Monat Downloads war Tom für vorzeigbar erklärt worden.
Der Schneider trat aus dem Umkleideraum hervor, und Mr Prestwick war damit beschäftigt, ein Gestell voller Designerkrawatten durchzusehen. »Vielleicht wird es Zeit für dich, dass du neue Freunde findest, Tom. Es hört sich für mich nicht so an, als wären sie die Art von Leuten, die wir in deiner Nähe haben wollen.«
»Ich mag meine Freunde.«
»Wir werden sehen, ob du nach ein oder zwei Downloads immer noch so empfindest.«
»Ich will sie nicht verlieren.«
Mr Prestwick kam auf ihn zugeschlendert. »Also, Tom, alles, was wir tun, geschieht zu deinem eigenen Wohl.«
»Ich weiß.« Warum er dessen so sicher war, wusste Tom nicht. Er war aber überzeugt davon. Diese Gewissheit ließ ein seltsames Schwindelgefühl in ihm aufkommen.
»Dann müsstest du es doch besser wissen, statt mir zu widersprechen. Probier die mal an.«
Tom nahm die Krawatte und schaute sie an. Er konnte zwar Hinweise auf sechzig verschiedene Knotentypen aufrufen, doch in seinem Neuronalprozessor war nichts darüber zu finden, wie man eine Krawatte band.
»Ach, natürlich. Ich wette, du hast mit deinem alten Herrn nie einen Anzug gekauft. Auf geht’s.« Mr Prestwick band sie um seinen Nacken und knotete sie dann, wobei er sich so stellte, dass Tom seinen Bewegungen im Spiegel folgen konnte. Schließlich trat er zurück und begutachtete sein Werk. »Da. Ich denke, das ist eine gute Wahl für dich. Lässt dich aussehen, als wärst du etwas Besonderes. Bezahl mit der Kreditkarte.«
Es hört sich für mich nicht so an, als wären sie die Art von Leuten, die wir in deiner Nähe haben wollen …
Die Worte hallten später, als Mr Prestwick ihm einen Lederkoffer mit den neusten Softwareupdates zukommen ließ, in seinem Kopf wider. Er setzte sich mit dem geschlossenen Koffer in die Kantine, verwirrt von dem seltsamen Drang, sich die neuen Updates nicht ins Gehirn hochzuladen. Er lud sich nun schon seit Wochen Updates hoch. Die neuen waren klein, drehten sich um Umgangsformen, Etikette und Vorschläge zur Selbstverbesserung. Er wusste, es war ein Privileg, dass Mr Prestwick ihm erlaubte, an seiner Umerziehung aktiv teilzunehmen. Wenn er das hier nicht herunterlud, würde er Mr Prestwicks Vertrauen missbrauchen.
Trotzdem.
Er bemerkte, dass Vik und Yuri sich am Eingang der Kantine angeregt mit Wyatt unterhielten. Er vertraute Mr Prestwick. Mr Prestwick hatte immer Recht. Dennoch drehte sich ihm der Magen allein bei der Vorstellung um, er würde dies einstöpseln und damit alles auslöschen, was ihm noch vor einem Monat so viel bedeutet hatte. Seine ersten richtigen Freunde. Doch Mr Prestwick hatte ihm vorhergesagt, dass genau dies passieren würde.
In diesem Moment hörte er hinter sich schwere Schritte. Eine Hand umklammerte seinen Nacken, jemand neigte sich zu ihm herunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Geh hoch und installier das, Fiffi.«
Tom seufzte. »Ja, Sir.«
Karl stolzierte davon. Tom schloss den Koffer mit unendlicher Vorsicht und stand auf, um dem Befehl Folge zu leisten. In diesem Moment drückten ihn zwei Paar Hände auf den Sitz zurück. Yuri und Vik glitten rechts und links von ihm auf die Bank, und Wyatt nahm den Platz ihm gegenüber ein.
»Was war das denn gerade?«, rief Vik.
Tom runzelte die Stirn. »Was war was?«
»Du hast Karl Sir genannt!«
»Na und?«
»Thomas Raines«, sagte Wyatt und verschränkte äußerst förmlich die Hände auf dem Tisch. »Wir halten es für unabkömmlich, dein Verhalten in letzter Zeit mit dir zu besprechen.«
»Jetzt komm aber, Böse Hexe«, blaffte Vik, »das hier ist eine Intervention und kein Grund, wie ein Roboter zu sprechen.«
»Tja, für dich ist es aber auch kein Vorwand, so zerbrechliche, winzige Hände zu haben«, erwiderte Wyatt scharf und starrte Vik dabei zornig an.
»Was?«, sagte Vik verwirrt. »Was hat das mit meinen …« Dann schüttelte er den Kopf. »Hör zu, Tom, wir haben lang und breit darüber gesprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass du in den letzten Wochen zu einer Schande für die Männlichkeit geworden bist.«
»Nicht bloß für die Männlichkeit«, sagte Wyatt. »Ich schäme mich auch für dich, Tom.«
»Also schön, ich bin nicht …«, sagte Tom und entzog sich Viks Griff. Er wollte aufstehen, doch Yuri drückte ihn wieder nach unten.
»Sorry, Tim«, sagte Yuri mit Bedauern in der Stimme. »Normalerweise würde ich dich nicht so herumschubsen, aber das muss ich jetzt, weil du so ein Weichei geworden bist.«
»Ein Weichei?«, rief Tom.
»Der Tom Raines, den ich kenne«, sagte Vik, »würde nicht eine halbe Stunde damit verbringen, sich das Haar zurechtzumachen. Er würde Karl Marsters nicht Sir nennen. Du hast nicht einmal Elliot Ramirez in Angewandte Simulationen angeschissen. Er ist heute sogar auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob du Depressionen hättest und die Sozialarbeiterin brauchst. Komm schon, Tom. Ausgerechnet Elliot hat eine Bemerkung über dein offenkundig fehlendes Rückgrat gemacht!«
»Elliot deutet die Situation falsch, und du auch… Hey!« Er sah, dass Yuri den Lederkoffer untersuchte, in dem sich der Neuralchip befand, und entriss ihn ihm. »Das ist meiner. Du solltest anderer Leute Eigentum respektieren! Und was Karl angeht« – er wandte sich Vik zu – »ist es deiner Aufmerksamkeit vielleicht entgangen, Vik, aber er ist ein Mitglied der CamCo. Er steht rangmäßig über uns. Er verdient unseren Respekt. Deshalb nenne ich ihn Sir. Wenn ich mich recht entsinne, hast du am letzten Tag der Kriegsspiele genau darüber mit mir gesprochen.«
»Ich habe von Lieutenant Blackburn gesprochen, nicht von Karl!«, rief Vik.
»Weißt du eigentlich, was du da sagst, Tom?«, fragte Wyatt. »Du bist komisch und ganz gruselig.«
»Ich bin weder komisch noch gruselig. Und gerade dir steht es nicht zu, mich darüber zu belehren, was komisch und gruselig ist!«
Yuri packte Tom so unvermittelt am Nacken, dass dieser nach Luft rang. »So redest du nicht mit ihr«, warnte er ihn, und Tom wurde sich plötzlich bewusst, wie viel größer der junge Russe war als er selbst.
»Yuri, ist schon gut«, sagte Wyatt.
Yuri ließ Tom los.
Tom rieb sich den Nacken und bemühte sich, seine Fluchtmöglichkeiten zu checken.
»Ich finde, Lieutenant Blackburn sollte einen Systemscan mit dir durchführen«, schlug Wyatt vor. »Vielleicht ist da ein Wurm in deinem Prozessor, der deine Persönlichkeit verhunzt.«
Tom umklammerte den Koffer noch fester. »Aberwitzig. Vollkommen aberwitzig.«
»Aberwitzig« war zwar kein Wort, das er benutzte. Doch es befand sich in einer Liste mit elf möglichen Antworten, die angeboten wurden, wenn er beschuldigt wurde, neuronal manipuliert worden zu sein. Als Nächstes legte ihm sein Prozessor nahe, die Flucht zu ergreifen, sich aus der Situation zu entfernen.
Tom stand auf, um genau dies zu tun. »Ich denke, ich habe mir jetzt mehr als genug angehört …«, fing er an. Doch Yuri drückte ihn auf die Bank zurück, wobei er entschuldigend etwas von »Weichei« murmelte. »Was ist los mit euch? Ihr könnt mich doch nicht gegen meinen Willen hier festhalten. Das ist Freiheitsberaubung! Zieht die Vorschriften in euren Neuronalprozessoren zurate, wenn ihr mir nicht glaubt …«
»Das reicht jetzt«, verkündete Vik. »Plan B.«
Er schlug Tom so fest auf den Hinterkopf, dass dieser Sternchen sah.
»Hey!«, rief Tom und rieb sich den Kopf. »Was tust du da?«
Vik nickte. »Du brauchst noch einen.« Er hob den Arm, um ihn erneut zu schlagen.
Yuri packte Viks Handgelenke. »Ich mag Plan B nicht.«
»Er braucht eine Tracht Prügel!« Vik befreite seine Arme aus Yuris Umklammerung. »Vielleicht rüttelt ihn das wach!«
»Vielleicht brauchst du ja selbst …« Tom hielt inne, bevor er »eine Tracht Prügel« androhen konnte. Denn öffentliche Temperamentsausbrüche waren ihm nicht erlaubt.
»Vielleicht brauche ich was? Vielleicht was?« Vik breitete die Arme aus, setzte einen irren Blick auf und grinste breit und herausfordernd.
Tom blickte zu den anderen Auszubildenden in der Kantine. »Du solltest dich ein wenig beruhigen. Du ziehst eine Menge Aufmerksamkeit auf uns.«
Vik stöhnte. »Pah. Das ist erbärmlich, Tom.«
Tom schaute zwischen den beiden Jungen, die ihn in ihre Mitte genommen hatten, dann auf das Mädchen, das ihm gegenüberhockte, und erkannte nun genau, warum Mr Prestwick glaubte, dass sie einen schlechten Einfluss auf ihn ausübten. Sie lagen allesamt daneben. Total daneben. Sie begriffen nicht, dass mit ihm alles in Ordnung war. Er lernte, das war alles. Er verbesserte sich.
Und falls sie das nicht verstanden, dann hatte Mr Prestwick todsicher recht, was sie betraf. Er musste für immer mit ihnen Schluss machen.
Nach dieser Begegnung war Tom noch lange aufgeregt. Immer wieder öffnete und schloss er den Koffer mit dem Neuralchip. Er wusste, dass der Chip das Einzige war, was seine Probleme lösen konnte. Er würde ihn dauerhaft davon abhalten, sich Sorgen darüber zu machen, was seine Freunde von ihm hielten. Doch jedes Mal, wenn er ihn anschaute, machte sich eine grummelnde Übelkeit in ihm breit. Der Griff des Koffers schien glühend heiß zu sein, und Tom hatte einen irren Augenblick lang den sehnlichen Wunsch, den Koffer samt Inhalt zu zerschmettern.
Er dachte gerade wieder darüber nach, als jemand das Schloss an der Tür seiner Stube überbrückte.
Vik! Tom versteckte den Neuralchip unter seinem Kissen und sprang auf, bereit für eine Konfrontation. Die Tür glitt auf.
Es war Wyatt.
»Wie hast du …«, fing Tom an und fragte sich, wie sie das Schloss der Tür überwunden hatte. Doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, denn direkt hinter ihr stand Lieutenant Blackburn in der Tür.
»Mr Raines«, verkündete er, während er ein Neuronalkabel aus der Tasche holte. »Sie haben Glück. Ms Enslow möchte lernen, wie man einen Systemscan durchführt, und sie hat Sie als Versuchskaninchen ausgesucht.«
Toms Blick huschte zu Wyatt. Sie biss sich auf die Lippen. Offensichtlich fühlte sie sich schuldig, Blackburn auf ihn gehetzt zu haben. Ihm war klar, worum es hier ging. Sie benutzte Blackburn, um seinen Prozessor nach dem Wurm abzusuchen, den sie ihm unterstellte.
»Setzen Sie sich, Raines. Es dauert nicht lange. Um einen Scan zu starten, Enslow, öffnen Sie als Erstes …«
»Sir«, unterbrach Tom ihn, «ich möchte kein Versuchskaninchen sein. Mir wäre es lieber, wenn Sie sich einen anderen dafür aussuchen würden.«
Blackburn stieß ein kurzes Lachen aus. »Seltsam, dass Sie glauben, hier eine Wahl zu haben. Jetzt seien Sie ein braves Versuchskaninchen und halten Sie den Mund.« Er steckte das Neuronalkabel in den Zugangsport in der Wand, den gleichen, über den Tom immer seine Hausaufgaben bekam. Dann bedeutete er Wyatt näher zu treten und zuzuschauen, was er in seine Tastatur eingab. »Beginnen Sie mit dem Programm, das ich Ihnen gesendet hatte …«
Während sie sprachen, leuchtete auf Toms Infoscreen immer wieder eine Warnleuchte auf. Das hier war eine Notsituation. Eine Katastrophe. Er musste vermeiden, dass Blackburn etwas mitbekam. Irgendwie musste er das hier verhindern.
»… und Sie müssen die Dateiverzeichnisse mit einbeziehen, damit Sie …«
»Warten Sie!«, protestierte Tom. »Sie müssen jemand anderen als Testperson nehmen. Ich muss woandershin.«
»Und wohin genau?«, hakte Blackburn nach.
Tom versuchte, sich etwas auszudenken, wo er dringend benötigt werden konnte, doch es fiel ihm nichts ein.
»Oh, dass muss ja dann wirklich dringend sein«, sagte Blackburn sarkastisch, als Tom stumm blieb. »Nun, zwanzig Minuten werden Sie schon noch aufbringen können. Je länger Sie sich mit mir streiten, desto länger dauert die Sache hier.«
»Ich streite nicht mit Ihnen, Sir.«
»Doch, genau das tun Sie. Hören Sie damit auf. Sofort.«
Plötzlich wusste Tom es: Diese Sache konnte er nicht gewinnen. Er hatte keine Chance, den Scan zu vermeiden.
Vielleicht war es diese Erkenntnis, die den Ausschlag gab und etwas in den Tiefen seines Gehirns aktivierte. Ein Reservealgorithmus, der genau für diese Situation geschrieben worden war.
Er schloss die Augen und stellte fest, dass es dieses Mal keine elf möglichen Reaktionen gab wie noch zuvor beim Mittagessen. Nur ein einziges Wort blinkte in seinem Gehirn auf. Nur eines, doch irgendwie wusste Tom, dass dies die einzige Waffe war, die er benötigte.
Einsatzbereit öffnete er die Augen wieder.
»Ich streite nicht mit Ihnen, Sir«, sagte Tom in Richtung von Blackburns Rücken und sah zu, wie sich der Lieutenant verärgert wieder zu ihm umdrehte »Sehen Sie, wenn ich mich mit Ihnen streiten wollte, nun, dann würden Sie es mitbekommen. Wahrscheinlich würde ich Dinge ansprechen wie, ich weiß nicht … Roanoke vielleicht?«
Und das war es. Das Wort hatte eine merkwürdige Wirkung auf Blackburn. Sein Gesicht wurde absolut starr und hart, so als wäre es in Stein gemeißelt.
Tom wartete mit pochendem Herzen, unsicher, was er getan hatte. Er sah, dass auch Wyatt die Stirn runzelte.
Dann stürzte Blackburn so plötzlich auf ihn zu, dass Tom wusste, dass er ihn schlagen würde. Er hob die Hände vor das Gesicht, um sich zu schützen, und wich zurück, bis er gegen die Wand stieß. Als er die Augen öffnete, sah er Blackburn dicht vor sich stehen; seine grauen Augen glühten, sein Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Grimasse. Er schlug seine großen, zitternden Fäuste gegen die Wand über Toms Kopf.
»Sie haben in meiner Personalakte herumgeschnüffelt, nicht wahr, Raines? Haben Sie das, Raines?«
Tom starrte auf das verzerrte Gesicht, das von rasender Wut so entstellt war, dass er es kaum wiedererkannte. »Nein, ich nicht«, brachte er hervor.
Blackburn begriff die Anspielung sofort. Sein Blick weitete sich, und die Erkenntnis ließ alle Farbe aus seinem Gesicht weichen. Tom blieb, wo er war, während Blackburn erst einen, dann einen weiteren Schritt zurückwich. Er wandte sich Wyatt zu.
»Sie«, presste Blackburn leise hervor. »Sie waren es, nicht wahr?«
Wyatt zählte sofort eins und eins zusammen. »Was? Nein! Ich habe nicht in Ihre Personalakte geschaut.«
»Sie sind in genau diese Datenbank eingebrochen«, sagte Blackburn leise. »Zweimal.«
»Aber …«
»Sagen Sie, hat das Lesen Spaß gemacht? Das muss es ja wohl, wenn Sie es den anderen Auszubildenden weitererzählt haben.«
»Das würde ich nie tun.«
»Woher weiß er dann von Roanoke? Dann hat er die Akte wohl selbst gehackt« – Wut erfüllte seine Stimme – »mit seinen erstaunlichen Hackerfähigkeiten?«
»Bitte, ich weiß nicht, wie er sie bekommen hat«, beharrte Wyatt. »Ich weiß ja nicht einmal, wovon Sie sprechen.«
»Ich sagte es Ihnen bereits, Enslow, Vertrauen ist alles. Der Tag, an dem Sie anfangen, mich zu belügen, ist der Tag, an dem ich endgültig fertig mit Ihnen bin.«
»Ich lüge nicht! Bitte, Sir, das tue ich wirklich nicht.«
Blackburn starrte sie eine ganze Weile lang an. Dann wich die Wut aus seinem Gesicht, und ein seltsamer, resignierter Ausdruck trat an ihre Stelle. Ohne ein weiteres Wort ließ er sie beide stehen und ging.
Vollkommen verstört sah Wyatt ihm nach. Sie hatte die Arme um ihren Körper geschlungen, und Tom erkannte, dass sie zitterte. Eine Woge irrsinniger Erleichterung überschwemmte ihn. Er hatte ganz dicht vor der Katastrophe gestanden, und das hatte er ihr zu verdanken.
Er wandte sich dem Spiegel zu und glättete seine Uniform, vollkommen überzeugt davon, gerade etwas Furchtbares abgewendet zu haben, auch wenn er nicht begriff, was es gewesen war.
»Warum hat er so reagiert, Tom?«, fragte Wyatt mit bebender Stimme »Was ist Roanoke?«
Tom wusste keine Antwort darauf. Es spielte aber auch keine Rolle. »Ich würde sagen, es ist der Grund dafür, warum du dich nie hättest mit mir anlegen sollen«, erwiderte er kühl, während er sie im Spiegel betrachtete. »Und jetzt verzieh dich aus meinem Zimmer.«