14

Danger erwachte von einem Kitzeln an der Nase. Sie schüttelte den Kopf, um es zu verjagen, spürte es aber bereits in der nächsten Sekunde erneut.

Genervt schlug sie die Augen auf – und blickte geradewegs in Alexions Gesicht, der mit einem geradezu verheerend attraktiven Grinsen auf dem Gesicht neben dem Bett kniete. Er legte die Rose, mit der er sie aus dem Schlaf gekitzelt hatte, neben ihr auf das Kissen.

»Guten Abend, meine Schönheit. Ich hatte schon Angst, du schläfst die ganze Nacht durch.«

Lächelnd räkelte Danger sich und gähnte. »Wie spät ist es?«

»Kurz vor acht.«

Sie erstarrte. »Wie bitte?«

Er legte das Kinn auf die Matratze – eine rührende, unschuldige Geste, die wohl niemand von einem Mann vermuten würde, der über derartige Kräfte verfügte. »Ich habe dir doch gleich gesagt, dass du gut schlafen wirst.«

Völlig entgeistert fragte sie sich, wann sie das letzte Mal verschlafen hatte. Eigentlich noch nie, wenn sie jetzt darüber nachdachte. Sechs Stunden waren ihr absolutes Maximum. Und nun hatte sie zwölf Stunden geschlummert, und das noch nicht einmal in ihrem eigenen Bett. Wie um alles in der Welt war das möglich?

Vielleicht bräuchtest du häufiger eine Dosis Sex, der dir das Gehirn rausbläst.

Das verstand sich wohl von selbst.

Gähnend schlang sie das Bettlaken um sich und setzte sich auf, wobei ihr Blick auf einen liebevoll gedeckten Tisch am Fenster fiel. Es war zu schön, um wahr zu sein – ein Mann, der über unglaubliche Kräfte verfügte, ein liebevoller Beschützer und ausgezeichneter Liebhaber war und danach auch noch ein hübsches Abendessen herbeizauberte.

So perfekt war keiner.

Der Gedanke ließ sie zusammenzucken. Oh, klar, einen gewaltigen Nachteil hatte er. Er war ziemlich tot und, gelinde ausgedrückt, ziemlich »anders« als alle anderen. Doch für den Rest der Ewigkeit auf diese Art verwöhnt zu werden wäre es vielleicht wert, über diesen winzigen Makel hinwegzusehen. Schließlich war sie auch nicht gerade ein Hauptgewinn.

Alexion knipste die Lampe neben dem Tisch an. »Ich hoffe, du isst gern chinesisch.«

»Rein zufällig, ja.« Mit einem Anflug unerklärlicher Schüchternheit saß sie im Bett und traute sich nicht, splitternackt aus dem Bett zu steigen, während er vor ihr stand und sie mit diesem eindringlichen Blick ansah. Verlegen sah sie sich im Raum um und überlegte, wie sie sich anziehen konnte, ohne dass er es sah.

Er kratzte sich am Kinn und deutete auf die Zimmertür. »Hast du Lust auf eine Coke? Ich hole dir gern eine.«

Erleichtert, dass er größeres Feingefühl als die meisten Männer besaß, lächelte sie. Er hatte völlig recht mit seiner Behauptung gehabt, er sei »anders«. Kein gewöhnlicher sterblicher Mann würde so etwas tun. »Ja, sehr gern. Das wäre nett.«

Nickend wandte er sich ab und ließ sie allein.

Danger griff nach der Rose und sog ihren Duft ein. Dann ließ sie sich noch einmal in die Kissen sinken, um einen Moment lang in der Erinnerung an die frühen Stunden dieses Tages zu schwelgen.

Und es war herrlich gewesen, auf diese Weise geweckt zu werden.

»Daran könnte man sich gewöhnen«, sagte sie mit einem verträumten Seufzer, während ein ungewohntes Gefühl der Wärme und des Glücks sie durchströmte. »Ich glaube, dieses ›anders‹ gefällt mir allmählich.«

Denn dieses »anders« schenkte ihr eine Befriedigung, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte. Es bescherte ihr Empfindungen, von denen sie nicht geglaubt hatte, sie noch einmal zu durchleben, und allein die Vorstellung, bald eine weitere Nacht mit ihm zu verbringen, machte sie regelrecht zappelig vor Vorfreude.

Ich? Zappelig?

Es war unglaublich. Trotzdem konnte sie es nicht leugnen.

Gäbe es doch nur eine Möglichkeit, dass es noch länger so blieb. Doch sie wusste, dass ihre gemeinsame Zeit begrenzt war.

Seufzend stand sie auf und trat unter die Dusche.

Zögernd blieb Alexion stehen und lauschte dem Rauschen, das aus dem Badezimmer drang. Er sah regelrecht vor sich, wie das heiße Wasser auf ihren nackten Körper prasselte, wie sie sich einseifte, sich überall dort berührte, wo …

Das Bild, wie sie mit leicht gespreizten Beinen ihre Hände über ihre Brüste wandern ließ, schob sich vor sein inneres Auge.

Sein Körper reagierte augenblicklich darauf.

Es war unerträglich. Mit staubtrockenem Mund stellte er die Coke-Dose auf den Tisch und ging zur Badezimmertür. »Brauchst du jemanden, der dir den Rücken schrubbt?«

Sie gab ein erschrockenes Quieken von sich. »Was hast du hier zu suchen?«, blaffte sie.

»Ich wollte dich nur nackt unter der Dusche sehen«, antwortete er ohne jede Scham oder Verlegenheit.

Sie zog den Vorhang zurück und sah ihn an. Ihr Haar klebte ihr am Kopf, doch die Strähnen teilten sich über ihren Brüsten, so dass sich ihre Brustwarzen seinem hungrigen Blick entgegenreckten. »Du musst lernen, dich besser unter Kontrolle zu halten.«

»Kontrolle habe ich mehr als genug.«

Sie warf ihm einen nicht minder leidenschaftlichen Blick zu. »Der Gedanke ist sehr reizvoll, aber ich habe viel zu lange geschlafen. Wir müssen dringend los und sehen, was Kyros und die anderen treiben.«

Sie hatte recht.

»Gut.« Es ging ihm gehörig gegen den Strich, dass er einen Auftrag zu erledigen hatte, der ihm nicht mehr Zeit mit ihr im Bett ließ. »Meine Hormone sind unter Kontrolle.« Er stieß den Atem aus und wandte sich ab.

Sie hielt ihn auf. »Aber irgendwann wird diese Nacht vorbei sein.«

Er nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerknöchel. »Ist das ein Versprechen?«

Sie nickte.

Er schloss die Augen und genoss die Weichheit ihrer Haut, ehe er sie losließ und ihr erlaubte, ihre Dusche zu beenden. Doch es war hart.

Nicht so hart wie ich.

Das stimmte allerdings. Seine Erektion bereitete ihm ernstliche Schwierigkeiten, anständig am Tisch zu sitzen.

Er lenkte sich ab, indem er sich um das Essen kümmerte. Aus einem Impuls heraus griff er nach einem Stück Hühnchenfleisch und schob es sich in den Mund.

Es schmeckte nach nichts. Sein Herz zog sich zusammen. Es war genau dasselbe wie mit dem Popcorn. Keinerlei Unterschied. Nur die Beschaffenheit war eine andere.

»Wie mir das Essen fehlt«, stöhnte er. Als Mensch hatte er nichts so genossen wie ein ausgiebiges Festmahl als krönenden Abschluss einer siegreichen Schlacht – geschmortes, in Wein und Gewürzen mariniertes Lamm- und Rindfleisch und Kelche voller Rotwein und Met.

Seine Mutter hatte das beste mit Honig verfeinerte Brot der ganzen Welt gebacken.

Von all den Dingen, die er mit seiner Verwandlung eingebüßt hatte, war der Verlust seines Geschmackssinns wohl am schlimmsten.

Nein, das stimmte nicht. Der Verlust seiner Seele war noch schmerzlicher, aber unmittelbar gefolgt von der Tatsache, dass er nichts mehr schmecken konnte.

Er hörte, wie die Tür sich öffnete, und als er sich umwandte, stand Danger vollständig angezogen und mit einem weißen Handtuch um den Kopf im Türrahmen. »Wie ist es?«

»Immer noch warm.« Mehr konnte er nicht dazu sagen.

»Isst du auch etwas?«

»Das habe ich schon getan«, log er, in der Gewissheit, dass sie sich bereits argwöhnisch fragte, wovon er sich ernährte. Doch ihr einzugestehen, auf welche Art und Weise Acheron ihn am Leben erhielt, war so ziemlich das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Es gab Dinge, die sie nicht zu wissen brauchte.

Gerade als sie sich setzte, läutete ihr Handy. Sie klappte es auf und sah aufs Display. »Kyros.«

Sie nahm das Gespräch an.

»Ja«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Wir sind noch in Starkville. Wo bist du?«

Alexion schloss die Augen und konzentrierte sich, um Kyros durchs Telefon zu hören.

»Wo bist du genau?«, wollte Kyros wissen.

»In einem Hotel.«

»Ist Ias bei dir?«

Danger räusperte sich. »Wieso willst du das wissen?«

»Ich habe über das nachgedacht, was er gesagt hat, und möchte gern mit ihm reden.«

»Bleib dran.« Sie reichte Alexion das Telefon.

In der Hoffnung, dass sein Freund zur Vernunft gekommen war, nahm er es und hielt es sich ans Ohr. »Ja?«

»Wie nahe stehst du Acheron?«

»Sehr nahe. Wieso?«

»Stimmt es, dass er seinen eigenen Dämon hat?«

Alexion beschloss, vage zu bleiben. Simis Existenz gehörte zu den Dingen, über die nur sehr wenige Dark Hunter Bescheid wussten, und Kyros gehörte definitiv nicht zum Kreis der Eingeweihten. »Was für ein Dämon?«

»Sei ehrlich, Ias«, herrschte Kyros ihn an. »Verdammt, das bist du mir schuldig.«

Alexion biss die Zähne zusammen. Was konnte es schon schaden, die Frage zu beantworten? Schließlich konnte Simi sehr gut auf sich selbst aufpassen, und ein Dark Hunter stellte keinerlei Gefahr für sie dar. »Ja, er hat einen Dämon.«

»Dann würde ich ihn rufen, wenn ich an deiner Stelle wäre.«

»Wieso?«

Kaum war die Frage über seine Lippen gekommen, klopfte jemand an die Tür.

Kyros hatte aufgelegt.

»Seltsam«, sagte Alexion und beendete das Gespräch, während Danger aufstand und zur Tür ging.

Doch bevor sie öffnen konnte, schoss ein kleiner heller Lichtball durch das Holz der geschlossenen Tür und wirbelte in die Mitte des Raums, wo er größer und größer wurde.

Zwei Sekunden später zuckten Lichtblitze auf, während sich die Gestalt eines hochgewachsenen weiblichen Dämons mit Fangzähnen aus dem Schemen löste.

Sie hatte schwarze Hörner, schwarze Lippen, rote Flügel, schwarzes Haar und gelbe Augen. Ihre Haut war rot-schwarz marmoriert, und sie besaß ein Gesicht, das Alexion so vertraut war wie sein eigenes.

»Simi?«, rief er überrascht.

Mit einem zornigen Fauchen stürzte sie sich auf ihn, packte ihn und drückte ihn gegen die Wand.

Alexion prallte zurück, fing sich jedoch augenblicklich. Was zum Teufel war hier los? Simi würde ihm doch niemals wehtun. Nicht auf diese Weise.

Wieder machte der Dämon Anstalten, auf ihn loszugehen.

Er machte einen Schritt zur Seite. »Was ist los mit dir, Sim?«, fragte er auf Charonte.

»Wage es nicht, meine Sprache zu benutzen, menschlicher Abschaum«, fauchte das Wesen zornig.

Zumindest glaubte er diese Worte gehört zu haben, denn die Wortwahl und Aussprache unterschieden sich von dem Charonte, das Simi normalerweise sprach. Es hörte sich wie ein anderer Dialekt an.

Danger machte Anstalten, einen Schritt vorzutreten.

»Nein«, herrschte er sie an. Er musste wissen, was hier los war. Wie konnte dieser Dämon genauso aussehen wie Acherons?

»Wer bist du?«, fragte er sie.

Sie legte den Kopf schief und starrte ihn voll ungezügeltem Hass an. Ihre weißen Vampirzähne hoben sich leuchtend weiß von ihrer dunklen Haut ab. »Ich bin der Tod und die Zerstörung, und ich bin hier, um dein Leben zu fordern, du Wurm.«

Danger gab ein tiefes Knurren von sich. »Alexion …«

»Bitte, Danger, vertrau mir.«

Kaum waren die Worte über seine Lippen gekommen, packte ihn der Dämon erneut am Hals und riss ihn zu Boden.

»Protula akri gonatizum, vlaza!«

Der Dämon verzog verächtlich den Mund. »Du bist kein Gott, der mir Befehle erteilen könnte, Diener. Xirena beugt sich niemandem!«

Er hätte gern etwas erwidert, doch ihre Klauen hatten sich so fest um seine Kehle gelegt, dass er keinen Laut hervorbrachte. Sie zerrte an seinem Pullover, als hätte sie vor, ihm das Herz herauszureißen.

»Ich glaube, ich muss eingreifen, Alexion«, sagte Danger und trat näher. »Es sieht so aus, als wärst du ernsthaft in Bedrängnis.«

»Nein«, presste er erstickt hervor, aus Angst, der Dämon würde ihn sofort zerfetzen, wenn sie ihm zu Hilfe eilte.

Der Dämon zückte ein Messer, bei dessen Anblick Alexion sich mit aller Kraft zu wehren begann. Es war genau das, was er befürchtet hatte – ein Messer der Zerstörerin.

Damit könnte sie ihn tatsächlich töten.

Doch so erbittert er sich auch wehrte, sie machte keine Anstalten, ihren Griff auch nur ein winziges bisschen zu lösen.

Bis ihr Blick auf seine Schulter fiel, auf der Acherons Zeichen prangte.

Ihre Augen glühten auf. Sie ließ ihn los und zog den Stoff ein Stück zurück, um die Tätowierung in Augenschein zu nehmen.

Dennoch gelang es ihm nicht, sich von ihr zu befreien.

Sie legte den Kopf schief und musterte das Tattoo eingehend. »Du dienst dem, der verflucht ist?«

»Ja.«

Die Antwort schien sie noch mehr zu verwirren. »Du hast mich in Kindersprache Simi genannt. Kennst du mein Simi etwa?«

Alexion machte einige tiefe, mühsame Atemzüge. Seine Kehle brannte wie Feuer. Er war nicht sicher, ob der Schmerz jemals wieder nachlassen würde.

»Simis Mutter ist tot. Man sagte uns, es gäbe keine Charontes mehr. Wer zum Teufel bist du?«

Drohend musterte sie ihn mit zusammengekniffenen Augen, als wäre es eine Beleidigung, dass er sie nicht kannte. »Ich bin Xirena, der älteste Spross von Xiamara und Pistriphe – den obersten Wächtern in der großen Halle der Götter. Ich war die Beschützerin der Simi meiner Mutter … ihrem Baby. Aber Apollymi, diese elende Miststück-Göttin, hat mir mein Simi nach dem Tod unserer Mutter weggenommen. Sie sollte ein Geschenk für den verfluchten Gott sein. Weißt du, wo mein Simi ist?«

Alexion starrte den Dämon an, der auf seiner Brust hockte.

Simi war also das Charonte-Wort für Baby?

Heiliger Strohsack. Er fragte sich, ob Acheron das wusste. »Du bist Simis Schwester

»Sie heißt Xiamara«, zischte Xirena. »Nach unserer Mutter.«

»Das weiß sie aber nicht.«

Sie lockerte ihren Griff kaum merklich. Verwirrung spiegelte sich auf ihren Zügen. »Du kennst sie also?«

»Ich kümmere mich um sie.«

Zu seinem Entsetzen beobachtete er, wie sich die Augen des Dämons mit Tränen füllten, die rot wie Blut waren. »Du kümmerst dich um meine Schwester?«

Er nickte. »Ständig. Sie ist wie eine Tochter für mich.«

Eine einzelne rote Träne kullerte Xirena über die Wange. »Mein Simi lebt? Und wächst und gedeiht?«

»Wie eine Königin auf ihrem Thron.«

Sie warf den Kopf in den Nacken und stieß einen unmenschlichen Schrei aus, der wie eine bizarre Mischung aus Freude und Qual klang, ehe sie endgültig von ihm abließ. Sie kauerte sich zusammen und schlang ihre Flügel wie einen Umhang um sich. »Bitte, ruf sie für mich her.«

Er sah Danger an, die so verwirrt dreinsah, wie er sich fühlte.

Simi war also nicht ganz allein auf der Welt? Es gab zwei von ihrer Sorte? Er war nicht sicher, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht war. »Das würde ich gern tun, aber so einfach ist das nicht.«

»Doch, ist es«, widersprach der Dämon in einem Tonfall, der ihn sehr an Simi erinnerte. »Sag ihr, sie soll herkommen, und dann muss sie dir gehorchen.«

»Schon klar«, gab er in einer Mischung aus nervöser Belustigung und gewaltigem Zweifel zurück. »Simi gehorcht niemandem – nur sich selbst.«

Xirena schüttelte den Kopf. »Sie gehorcht ihrem akri. Das muss sie.«

»Tja«, meinte Alexion langsam, aus Angst, der Charonte-Dämon könnte jederzeit wieder in Kampfmodus verfallen, »in ihrem Fall gehorcht wohl eher ihr akri ihr. Und im Augenblick hört keiner von den beiden auf mich.«

Sie starrte ihn finster an. »Das ist nicht richtig. Wenn ein Charonte erst einmal an jemanden gebunden ist, muss er seinem akri auch gehorchen. Ich habe das Band verweigert und bin frei, aber mein Simi wurde schon als Kind an den verfluchten Gott gebunden. Sie muss ihm gehorchen. Sie hat keine andere Wahl.«

Theoretisch vielleicht. Alexion hatte jedenfalls noch nie erlebt, dass es funktionierte.

»Im Fall von Simi ist es wohl eher so, dass Acheron an sie gebunden ist und nicht umgekehrt.«

Sie schien nicht zu begreifen. »Aber kannst du mich zu meinem Simi bringen?«

»Ja.«

Sie warf die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich. Doch sofort löste sie sich wieder und packte ihn erneut am Hals. »Wenn du mich anlügst, Wurm, werde ich dir das Hirn rausreißen und es fressen.«

Alexion verzog das Gesicht. Ja, sie war eindeutig Simis Schwester. Gewisse Verhaltensweisen lagen wohl in der Familie. »Das ist abscheulich, und ich lüge dich nicht an. Nicht was Simi angeht.«

Sie wandte sich Danger zu. »Ist das dein Weib?«

»Nein.«

»Ich bringe sie trotzdem um, wenn du Xirena anlügst.«

»Ich lüge nicht.«

Danger, die außer dem Namen Acheron kein Wort der Unterhaltung verstand, sah beklommen zu, wie der Dämon sich erhob und Alexion auf die Füße half.

»Was passiert jetzt?«, fragte sie.

Alexion sah ein wenig nervös und angespannt aus. »Es sieht ganz so aus, als hätten wir eine neue Freundin. Danger, darf ich dir Xirena vorstellen?«

Xirena trat vor sie, um sie zu beschnüffeln. Sie umschwirrte sie wie ein Vogel, mit kurzen, abrupten Bewegungen und mit schief gelegtem Kopf.

»Du bist nicht menschlich«, stellte sie schließlich fest. »Du hast keine Seele.«

»Danke, dass du noch mal sagst, was ohnehin alle wissen. Wusstest du, dass du Hörner hast?«

Dangers Sarkasmus schien dem Dämon zu entgehen.

»Das ist ein gutes Stichwort. Xirena, kannst du menschliche Gestalt annehmen?«

Der Dämon verzog das Gesicht, als wäre allein der Gedanke verabscheuungswürdig. »Weshalb sollte Xirena das wollen?«

»Damit die Menschen nicht in Panik verfallen, wenn sie dich sehen«, erklärte Alexion. »Simi tut das ständig.«

Sie starrte ihn entsetzt an. »Ihr akri zwingt sie, menschliche Gestalt anzunehmen? Das ist die schlimmste Qual, die man sich vorstellen kann. Mein armes Simi – schändlich missbraucht.«

»Ehrlich gesagt tut Simi es gern.«

Sie schlug sich die Hände vor den Mund, als leide sie schreckliche Schmerzen. »Was habt ihr mit meinem Simi gemacht?«

Alexion griff nach ihrer Hand und sah sie eindringlich an. »Wir lieben sie, als wäre sie das kostbarste Geschöpf, das je geboren wurde.«

Seine Worte schienen Xirena noch mehr aus dem Konzept zu bringen. Doch zwei Sekunden später stand eine wunderschöne junge Frau mit blondem Haar vor ihnen.

Bis auf einen Makel.

»Äh«, schaltete sich Danger ein und zeigte auf ihren Kopf, »die Hörner müssen weg.«

Augenblicklich verschwanden auch sie.

Xirena trat vor den Spiegel und machte einen erschrockenen Satz rückwärts. »Ich sehe wie diese atlantäische Miststück-Göttin aus.« Ihr Haar wurde schwarz. »Schon besser.«

Danger starrte sie an. »Bilde ich es mir nur ein, oder sieht sie Acheron verblüffend ähnlich?«

»Frag lieber nicht«, warnte Alexion. »Xirena, stimmt es, dass du geschickt wurdest, um mich zu töten?«

»Ja.«

»Und wer hat dich geschickt?«

Sie schnaubte abfällig. »Dieser schwachköpfige Halbgott-Daimon Strykerius. Er sagte, du seist ein Diener, trügest aber nicht das Mal eines Dieners. Sondern das einer königlichen Familie.«

Alexion horchte auf. Acheron hatte ihm nie verraten, was das Zeichen zu bedeuten hatte, sondern sich stets auf die Erklärung beschränkt, er brauche es, um zu überleben. »Wirklich?«

»Wusstest du das etwa nicht?«, fragte der Dämon.

Er schüttelte den Kopf.

Xirena seufzte. »Menschen. Selbst diejenigen, die keine mehr sind, bleiben doch immer Dummköpfe.«

Er ignorierte die Worte, die klangen, als stammten sie aus Simis Mund. Hinter ihrer Anwesenheit stand noch viel mehr, und er wollte alles begreifen. »Und wieso will Stryker meinen Tod?«, fragte er weiter.

»Das weiß ich nicht. Spielt es eine Rolle? Tot ist tot. Wen kümmert es schon, wenn an erster Stelle steht, diesem Schicksal zu entgehen?«

Das war ein Argument. »Und wieso hast du dich bereiterklärt, mich zu töten?«

Xirena richtete sich auf und starrte ihn finster an. »Ich dachte, der verfluchte Gott hätte meiner Schwester wehgetan oder sie schlecht behandelt. Sie war noch nicht alt genug, um fortgeschickt zu werden. Die Miststück-Göttin wusste das, aber sie hat sie mir trotzdem weggenommen, während ich darum gekämpft habe, dass mein Simi in Sicherheit ist. Mein Simi war kaum mehr als ein Säugling und konnte sich nicht wehren. Und seitdem hasse ich die Göttin.«

Danger hob die Hand. »Nur aus Neugier – Acheron ist also ein verfluchter Gott?«

Alexion wand sich unbehaglich.

»Ja«, antwortete Xirena, ehe er sie daran hindern konnte.

»Und die Miststück-Göttin?«

»Apollymi.«

Alexion warnte Xirena auf Charonte, den Mund zu halten, doch sie ließ sich nicht beirren.

»Die Daimon-Königin?«, hakte Danger nach.

»Daimon-Königin?« Xirena schnaubte verächtlich. »Nein. Sie ist die große Zerstörerin, die nichts als Pest und Verderben bringt. Sie ist die Macht, die die Welt für alle Zeit zerstören wird. Niemand ist mächtiger und zerstörerischer als sie. Ihr Wille ist göttliches Gesetz.«

Danger war entzückt. »Oh, prima. Genau das wollte ich hören.«

»Beruhige dich«, meinte Alexion. »Apollymi ist unter Kontrolle. In nächster Zukunft wird sie überhaupt nichts zerstören … das hoffe ich zumindest.«

Doch Danger war mit den Gedanken bei etwas, was Xirena wenige Minuten zuvor gesagt hatte. »Also ist Ash ein Gott und kein Dark Hunter. Ist es das, was du geheim halten wolltest?«

Ein Muskel zuckte an seinem Kiefer.

»Los, gib es ruhig zu. Das hat der Dämon doch gerade gesagt, und wenn ich nicht völlig dämlich bin, was ich definitiv nicht bin, dann ist er ein Gott.«

Alexion starrte sie durchdringend an. »Niemand darf je etwas davon erfahren. Wenn doch, bekommt er einen Wutanfall von geradezu titanischem Ausmaß, und eines kann ich dir mit Gewissheit sagen – ein zorniger Gott ist nichts, womit man es gern zu tun bekommen will.«

Danger stieß verärgert den Atem aus. Schlagartig war alles klar.

»Tja, dass Ash ein Daimon ist, klang durchaus einleuchtend. Aber das … das erklärt natürlich alles, oder etwa nicht?«

Er wandte den Blick ab. Kein Wunder, dass er einen Eid hatte leisten müssen, Stillschweigen zu bewahren.

Aber wieso wollte Ash ihnen die Wahrheit nicht verraten? Welchen Sinn hatte es, diese Tatsache für sich zu behalten?

Während sie versuchte, die Information zu verarbeiten, fiel ihr wieder ein, was Alexion über Ash und seine Beziehung zu Artemis gesagt hatte. »Das ist also der Grund, weshalb Artemis uns braucht. Ohne ein massives Druckmittel kann sie keinen anderen Gott herumkommandieren.«

»Nein, das kann sie nicht.«

Und es war alles andere als lustig, besagtes Druckmittel zu sein. Der arme Acheron. Sie hatten ihn gewissermaßen in der Hand. Es war ein Wunder, dass er sie nicht alle ausnahmslos hasste. »Wir sind ihr Druckmittel, solange sie und Acheron dieses Spielchen miteinander spielen.«

»Nein«, widersprach Alexion mit Nachdruck. »Acheron würde niemals ein menschliches Leben als Druckmittel benutzen. Niemals. Es macht ihm nicht den geringsten Spaß, mit dem Leben von Menschen zu spielen.«

Er seufzte. »Aber bei Artemis sieht das Ganze etwas anders aus. Sie versteht die menschliche Natur nicht so, wie Acheron es tut.«

»Woher kommt das?«

»Weil er als Mensch gelebt hat«, erwiderte Alexion schlicht. »Das ist der Fluch, den Xirena vorhin erwähnte. Er wurde als Mensch geboren und starb auf höchst brutale Weise als erwachsener Mann.«

Das klang völlig unlogisch. »Aber er ist doch ein Gott.«

»Ein verfluchter Gott.«

»Und weshalb wurde er verflucht?«, wollte Danger wissen.

Ein Schatten legte sich über seine Züge. »Das ist etwas, worüber wir besser nicht sprechen sollten. Er wird schon wütend sein, dass es überhaupt ans Licht gekommen ist. Reizen wir ihn nicht noch mehr.«

Xirena horchte auf. »Ist er ein zorniger Gott, so wie die Zerstörerin?«

»Nein«, beruhigte Alexion sie. »Zu neunundneunzig Prozent ist er auffallend ruhig. Nur dieses eine Prozent an ihm ist, nun ja, tödlich … im wahrsten Sinne des Wortes.«

Der Dämon nickte und richtete seinen Finger auf den Fernseher. »Deine Warnung ist angekommen.«

»Und was machen wir jetzt mit ihr?«, fragte Danger mit einer Kopfbewegung in Xirenas Richtung.

»Das ist eine gute Frage, auf die ich leider absolut keine Antwort habe. Ich bin offen für jeden Vorschlag.« Alexion seufzte. Was sollten sie mit Xirena machen? Trotz all der Zeit, die Simi in Gegenwart von Menschen zugebracht hatte, konnte man sie nicht einmal ansatzweise als zivilisiert bezeichnen.

Xirena …

Er fuhr zusammen, als sie ausholte und ihre Faust auf den Bildschirm sausen ließ.

Entsetzt starrte Xirena das Gerät an. »Wieso ist das Ding zerplatzt?«

»Du kannst nicht einfach auf den Bildschirm einschlagen«, erklärte er.

»Aber wieso nicht?«, fragte sie in einem Tonfall, der geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit Simis aufwies.

»Weil er kaputtgeht«, erklärte Danger.

»Aber warum?«

Danger presste sich die Hand auf die Schläfe, als spüre sie einen beginnenden Schmerz. »Ist das ein normales Verhalten für einen Dämon?«

Er nickte. »Wart’s ab, das ist erst der Anfang. Mit der Zeit wird es immer schlimmer.«

»Wunderbar. Ich freue mich schon darauf.«

Xirena griff nach der Fernbedienung und machte Anstalten, sie sich in den Mund zu stecken. Alexion riss sie ihr aus der Hand. »Plastik ist nicht gut für Dämonen.«

Xirena starrte ihn finster an. »Woher willst du das wissen?«

»Weil Simi jedes Mal Bauchweh davon bekommt. Glaub mir, das ist kein guter Snack für einen Charonte.«

Während Danger dem Dämon bei seiner Entdeckungsreise durch das Hotelzimmer zusah, kam ihr ein Gedanke. »Ich glaube, wir können zu mir nach Hause zurückgehen.«

»Wie kommst du darauf?«

Sie machte eine Kopfbewegung in Xirenas Richtung. »Jetzt haben wir doch unseren eigenen Dämon, oder?«

Alexion lächelte. »Sollte der andere noch dort sein, kann sie ihm den Garaus machen.«

»Genau. Also los, checken wir aus und gehen auf Dämonjagd.«

Die Rückfahrt nach Tupelo verging in angenehmer Ereignislosigkeit, zumindest so lange, bis der Dämon das Autoradio entdeckte. Danger baute um ein Haar einen Unfall, als Xirena sich über den Sitz beugte und daran herumzuspielen begann.

Bei jedem Lied versuchte sie mitzusingen, obwohl sie die Worte nicht verstand.

Schlimmer noch – sie sang leider sehr falsch.

Danger warf Alexion, der das Ganze mit stoischer Ruhe ertrug, einen Blick zu.

»Bist du etwa taub?«, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nur daran gewöhnt, wobei ich zugeben muss, dass Simi meistens wenigstens die Töne trifft. Sie singt leidenschaftlich gern.«

Nach einer Weile schrumpfte der Dämon unvermittelt, legte sich auf den Rücken, so dass ihr Kopf über die Sitzkante baumelte, und streckte die Beine in die Luft.

Danger betrachtete sie stirnrunzelnd. »Was macht sie da?«

»Sie ruht. Das ist ihre Schlafposition.«

»Ehrlich?«

Er nickte. »Meistens stützt Simi die ganze Nacht die Füße an der Wand ab. Ich habe keine Ahnung, weshalb sie das tut.«

»Weil es bequem ist«, schaltete sich Xirena ein. »Du solltest es auch mal probieren.«

Zwei Sekunden später war der Dämon eingeschlafen.

Danger zuckte zusammen, als ihre grauenhaften Schnarchlaute das Wageninnere erfüllten. »Sag bloß nicht, dass Simi das auch tut.«

»Sie ist noch viel lauter.«

»Und ihr nehmt das einfach so hin?«

»Ja. Schließlich ist sie das Geschöpf, das Acheron am meisten auf der Welt liebt. Ich bin sicher, er würde buchstäblich sterben, wenn ihr etwas zustieße.«

»Was ist mit dir?«

»Ich würde töten oder mein Leben geben, um sie zu beschützen.«

Danger lächelte. »Es gibt nicht viele Männer, die für einen Dämon sterben würden.«

»Das liegt daran, dass sie keinen haben, den sie lieben können.«

Durchaus möglich, doch man musste schon ein ganz besonderer Mann sein, um die schuppige Einzigartigkeit dieses Geschöpfes hinnehmen und es wie sein Kind lieben zu können. »Bestimmt warst du ein hervorragender Vater.«

Ein Anflug von Traurigkeit zeichnete sich auf seiner Miene ab, ehe er sich abwandte und aus dem Fenster sah.

Danger ohrfeigte sich im Geiste. »Es tut mir leid, Alexion. Ich wollte nicht …«

»Schon gut«, erwiderte er sanft. »Das sagt Simi die ganze Zeit zu mir – wenn sie nicht gerade sauer auf mich ist, weil ich ihr Manieren beizubringen versuche.« Er lachte auf. »Sie sagt, ich sei der beste ›andere‹ Daddy, den ein Dämon je hatte.«

Trotzdem sah sie ihm an, dass es ihm schwer zusetzte. Ebenso wie ihr. Zu ihren Lebzeiten hatte sie sich so sehr nach Kindern gesehnt, dass allein der Gedanken daran schmerzte.

Das war einer der Vorteile daran, ein Geschöpf der Nacht zu sein – außer im Fernsehen und in Filmen kam man nie mit Kindern in Berührung. Und selbst das tat weh.

Aber nicht so sehr, wie wenn sie sie im wahren Leben spielen sah und ihr fröhliches Lachen hörte.

Was würde sie darum geben, einmal ihr eigenes Kind in den Armen zu halten. Nur ein einziges Mal. Im Kreißsaal zu liegen, während ihr Mann ihre Hand hielt und sie ihn wegen der Schmerzen verfluchte, die es ihr bereitete, neues Leben zu schenken.

Mehr hatte sie sich nie gewünscht.

Sie schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an. Manche Dinge sollten nun einmal nicht sein.

Liebe. Familie …

Sie gehörten nicht länger zu ihrer Zukunft. Aber wenigstens hatte sie etwas, das einem Leben nahekam. Ganz im Gegensatz zu Alexion. Ihm blieb noch viel mehr verwehrt – eine Erkenntnis, die ihr tief im Herzen wehtat.

Danger richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Straße und lenkte den Wagen wortlos in die Auffahrt ihres Hauses, das noch genauso aussah wie vor ihrem überstürzten Aufbruch. Sie fuhr in die Garage, ließ jedoch das Tor offen, für den Fall, dass sie erneut die Flucht ergreifen mussten.

Alexion stieg als Erster aus, hielt jedoch inne. »Xirena?«

Der Dämon grunzte und rollte sich auf die Seite.

Sie tauschten einen belustigten Blick, ehe Alexion sich vorbeugte und behutsam ihre Schulter berührte. »Xirena?«

»Was?«, blaffte der Dämon.

»Wir sind da, und wenn du Simi sehen willst, musst du mit ins Haus kommen und dafür sorgen, dass der andere Dämon nicht mehr da ist.«

Abrupt schlug sie die Augen auf, die nicht länger menschlich wirkten, sondern wieder in ihrem gewohnten unheimlich gelben Schimmer glühten. »Welcher Dämon?«

»Der, der vor dir versucht hat, mich zu töten.«

Sie gab ein seltsam schnaubendes Geräusch von sich. »Er ist nicht mehr hier. Was glaubst du wohl, wieso Strykerius mich geschickt hat? Caradoc ist ein Weichei.«

»Caradoc?«

»Ja, ihr habt ihn doch selbst gesehen«, erwiderte sie in ihrem typischen Singsang. »Ein riesiger, hässlicher Charonte, der fürchterlich stinkt. Er hatte Angst, dich zu töten, weil du Charonte mit ihm gesprochen hast. Wie Xirena sagte – ein Weichei.«

»Aha. Tja, trotzdem musst du mit ins Haus kommen, damit wir dich verstecken können.«

Mit einem genervten Ächzen stieg sie aus und folgte ihnen ins Haus.

»Und? Wie sieht dein Schlachtplan aus?«, fragte Danger, als Xirena durch ihr Wohnzimmer schlenderte.

»Kyros finden und mit ihm reden.«

Sie schüttelte den Kopf. Kyros hatte mehr als deutlich gemacht, wo er stand.

Alexion hatte offensichtlich eine masochistische Ader.

»Warum?«

»Ich will wissen, warum er mich angerufen und vor Xirena gewarnt hat. Wenn er ernsthaft wollte, dass ich sterbe, hätte er sich wohl kaum die Mühe gemacht.«

Danger sah den hoffnungsvollen Ausdruck in seinen Augen, der ihr verriet, dass er noch immer glaubte, Kyros auf seine Seite ziehen zu können, wohingegen sie sich da nicht so sicher war. »Wir könnten ihn ja zurückrufen.«

»Nein. Ich will ihm dabei ins Gesicht sehen. Ich glaube, dass es immer noch möglich ist, ihn zu retten.«

Sie hoffte es um seinetwillen. »Also gut. Was machen wir in der Zwischenzeit mit Xirena?«

»Wir lassen sie hier.«

Die Vorstellung gefiel ihr gar nicht. »Aber was ist, wenn dich andere Dämonen angreifen? Sie kann dir nicht helfen, wenn sie hier ist.«

Er dachte nach. »Ich glaube nicht, dass sie sich die Mühe machen werden. Schließlich haben sie schon zwei Dämonen geschickt, die beide versagt haben. Weshalb sollten sie es noch einmal versuchen?«

»Aus reiner Hartnäckigkeit?«

Er lachte.

Danger machte einen Satz, als eine ihrer teuren Vasen zu Boden fiel und in tausend Scherben zerbarst.

»O je«, sagte Xirena im Tonfall eines Kindes. »Die war wohl nicht aus Plastik.«

»Wir können sie auf keinen Fall unbeaufsichtigt lassen«, erklärte Danger. »Sie legt das ganze Haus in Schutt und Asche.«

Ohne jede Vorwarnung fügten sich die Scherben wieder zusammen, und die Vase kehrte auf ihren Platz auf dem Kaminsims zurück.

Danger sah Alexion stirnrunzelnd an.

Er verzog den Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. »Xirena«, sagte er zu dem Dämon. »Kannst du schreiben?«

»Natürlich kann ich schreiben. Ich bin keiner dieser Analphabeten-Dämonen. Für wen hältst du mich?«

»Gut«, sagte er, ohne auf ihre Empörung einzugehen, und wandte sich an Danger. »Könnte ich einen Block und etwas zu schreiben haben?«

»Wieso?«

»Vertrau mir einfach.«

Unsicher, ob sie ihm glauben konnte, wandte sie sich zum Gehen, während Alexion ihren Fernseher anschaltete, ohne ihn zu berühren.

Als sie zurückkam, hatte er QVC eingestellt. Der Dämon hatte sich davor gesetzt und starrte auf den Bildschirm, als hätte er den Heiligen Gral gefunden. Auf ihren wunderschönen Zügen lag ein Ausdruck reiner Freude, wie Danger ihn noch nie gesehen hatte.

»Was ist Diamonique?«, fragte Xirena Alexion voller Ehrfurcht.

»Etwas, das dir ganz bestimmt gefallen wird. Und laut Simi ist es sehr lecker und knusprig, und es schärft die Zähne sehr gut.« Er nahm Danger den Schreibblock aus der Hand und reichte ihn Xirena. »Hier. Schreib alles auf, was du haben willst, und …«

Er hielt inne, als die Stimme einer Anruferin ertönte.

»Hallo!«, sagte eine kecke Singsang-Stimme.

»Hi, Miss Simi«, begrüßte der Moderator die Anruferin. »Wie schön, Sie wieder mal zu hören.«

»Oh, vielen Dank«, gab Simi zurück. »Ich liebe diese Glitzersachen. Und ich brauche ganz viele davon. Wie viele hast du diesmal? Sag den Leuten, sie sollen was anderes kaufen, weil Simi all die Diamoniques für sich allein haben will. Und Simi hat auch eine nagelneue Plastikkarte.«

Xirena hob den Kopf und lauschte verzückt. »Mein Simi? Ist das mein Simi?«

Alexion sah aus, als stünde er kurz vor dem Kollaps. »Akri«, stieß er hervor. »Ich hoffe nur, du bist da und knöpfst ihr sofort dieses Telefon ab.«

Aber offenbar war er nicht da.

»Simi will sieben Dutzend von den Ringen da«, erklärte Simi. »Oh, und die Halsketten auch. Die, die du kürzlich hattest. Ich brauche ganz viele Glitzersachen für mein Zimmer. Sie sind so schön, wenn die Drachen zum Spielen vorbeikommen. Nur der eine, der kleine, frisst ständig meine Diamoniques auf. Obwohl ich ihm sage, dass er das nicht darf. Weil sie für mich sind. Nur ich darf sie essen. Aber hört er auf mich? Nein. Das ist immer das Problem mit diesen kleinen Drachen, die …«

»Tja, Miss Simi«, unterbrach der Moderator, »danke für Ihren Anruf. Wir geben Sie jetzt weiter in die Bestellzentrale, wo Sie Ihre Wünsche durchgeben können.«

Xirena hatte sich mittlerweile vor den Fernseher gekauert und presste die Wange gegen den Bildschirm, als wolle sie hineinsehen. »Wo ist mein Simi?«, fragte sie mit so bekümmerter, schmerzerfüllter Stimme, dass Danger das Herz blutete.

»Sie ist in Katoteros«, antwortete Alexion.

»Aber die Götter dort sind alle tot«, wandte Xirena erstickt ein. »Sie ist ganz allein.«

»Nicht alle sind tot.«

»Simi!«

Danger wand sich, als die laute, schrille Stimme durchs Zimmer hallte, und konnte nur staunen, dass weder ihr Trommelfell noch die Fensterscheiben zerbarsten. Xirena schluchzte und rief nach Simi. Die Sehnsucht nach ihrer Schwester war so groß, dass Danger die Tränen in die Augen schossen.

»Schh«, sagte Alexion und wiegte Xirena beschwichtigend in den Armen. »Ist schon gut, Xirena. Simi geht es gut, sie ist glücklich und kauft ein wie der Teufel. Sie musste noch nie Schmerzen leiden. Nie.«

Xirena löste sich von ihr. »Niemals?«

»Fast nie, und ich schwöre, diejenigen, die ihr wehgetan haben, haben bitter dafür bezahlt.«

»Woher weiß ich, dass du mich nicht belügst?«

Alexion nahm ihre Hand.

Mit gerunzelter Stirn sah Danger zu, wie er die Augen schloss und den Dämon wieder in die Arme nahm. Minutenlang kauerten sie auf dem Boden, ehe der Dämon die Augen aufschlug und Alexion ansah. Grenzenlose Bewunderung und Liebe standen in ihren gelben Augen.

»Ihr seid gute Menschen«, verkündete sie. »Ich werde nicht mehr an euch zweifeln.«

Alexion nickte und erhob sich.

Der Dämon schniefte und wischte sich die Tränen ab.

Danger legte den Kopf schief, als er auf sie zutrat. »Was hast du getan?«

»Ich habe ihr einige meiner Erinnerungen an Simi gezeigt, damit sie sieht, wie ihre Schwester bei uns behandelt wird.«

»Könntest du auch mit mir Erinnerungen teilen?«

Statt einer Antwort wandte er sich um und ging auf die Tür zur Garage zu. »Wir müssen Kyros finden.«

»Antworte mir, Alexion.«

Er blieb stehen. »Ja«, sagte er, ohne sich umzudrehen.

Ein Schauder überlief sie. »Du bist echt unheimlich.«

Als er sich umwandte, sah sie das beinahe vorwurfsvolle Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte. »Du hast keine Ahnung, wie sehr.«

Das mochte sein, aber sie hatte das dumpfe Gefühl, dass Kyros, noch bevor all das hier zu Ende war, eine Kostprobe seiner Kräfte bekäme. Und sie konnte nur hoffen, dass es ihr nicht ebenso erging.