16
Stryker grinste höhnisch. »Ich dachte, du vermisst vielleicht deine Seele, Alexion. Natürlich kann ich dir deine eigene nicht zurückgeben, aber mit ein wenig Suchen habe ich einen hübschen Ersatz für dich gefunden.« Sein mitleidiger Ton wurde von der tiefen Befriedigung in seinen silbrig schimmernden Augen Lügen gestraft. »Das arme Ding. Sie ist ein bisschen weinerlich, und du wirst feststellen, dass sie sehr schwach und hilflos ist. Wahrscheinlich wird sie höchstens ein, zwei Tage durchhalten, bevor sie endgültig stirbt.«
Stryker zückte das Messer, das er Alexion in die Brust gerammt hatte. »Du kennst die Regeln. Abgesehen von einem Charonte bist du selbst der Einzige, der deinem Leben ein Ende setzen kann. Also, sei der anständige Kerl, der du zu sein behauptest. Wenn du dich nicht selbst tötest, um diese Seele zu retten, wirst du zusehen müssen, wie sie jämmerlich stirbt. Stell dir nur vor – dieses arme Menschenkind, für immer fort. Ihre Seele unwiederbringlich verloren. So hartherzig kannst du nicht sein, oder etwa doch?«
Das Entsetzen, das Danger empfand, spiegelte sich auf Kyros’ Zügen wider. Doch Sekunden später hatte er sich wieder in der Gewalt.
Wie konnten sie ihm so etwas antun? Das hatte er nicht verdient. Diese beiden Mistkerle sollten verdammt sein!
Zorn wallte in ihr auf. Sie stürzte sich auf Stryker. »Enculé!« – Arschloch!
Er holte aus. Danger tauchte unter dem Hieb durch und wirbelte herum, um ihm die Beine wegzuschlagen. Sie warf sich auf ihn und zückte ihr Messer.
Gerade als sie es ihm in die Brust rammen wollte, zog Kyros sie zurück.
Sie grub ihre Zähne in seinen Arm, worauf er mit einem Fluch von ihr abließ. Augenblicklich stürzte sie sich erneut auf Stryker, der verschwand.
»Feigling!«, schrie sie. »Komm sofort zurück und hol dir den Arschtritt ab, den du verdienst!«
Nichts. Die drei waren allein.
Sie fuhr herum und starrte Kyros an. »Wieso hast du mich festgehalten?«, blaffte sie.
»Du kannst ihn nicht töten, Danger. Kein Dark Hunter kann das.«
»Blödsinn. Wenn er blutet, kann er auch sterben.«
»Er blutet aber nicht, Danger«, erklärte Kyros. »Er ist ein Gott.«
»Und du bist ein genauso großes Arschloch wie er!« Sie stieß ihn abrupt beiseite. »Ias ist hergekommen, um dich zu retten. Und sieh dir an, was du angerichtet hast. Ich hoffe, du kannst heute Nacht ruhig schlafen. Aber Leute wie du haben ja keinerlei Probleme damit.«
Seine Züge verhärteten sich. »Du weißt gar nichts über mich.«
»Du hast völlig recht. Das tue ich nicht. Aber ich weiß, was Ias mir erzählt hat, und er lebt in dem Irrglauben, dass du so eine Art Held und Freund für ihn bist. Der Himmel möge mich vor solchen Täuschungen bewahren.«
Zitternd vor Wut steckte sie ihr Messer ein und ließ ihn stehen, um sich um Alexion zu kümmern, der schweißüberströmt gegen die Wand gelehnt stand.
Ihr Herz schmerzte bei der Vorstellung, welche Qual er erdulden musste. Er war kreidebleich, und seine Haut fühlte sich klamm an. Er sah so verloren aus, so zutiefst verletzt. So voller Qual. Sie hatte noch nie jemanden gesehen, der solche Schmerzen litt. »Komm, mein Herz«, sagte sie leise. »Ich bringe dich hier raus.«
Alexion legte den Arm um ihre Schultern und stützte sich mit seinem vollen Körpergewicht auf sie, so dass Danger leicht ins Schwanken geriet. Nur gut, dass sie als Dark Hunterin mehr Kraft besaß als ein durchschnittlich gebauter Mann.
Wortlos sah Kyros zu, wie die beiden sein Haus verließen. Nicht dass sie einen Kommentar von ihm erwartet hätte. Er hatte sich bereits entschieden, und sie konnte nur hoffen, dass er irgendwann bitter bereuen würde, was er diesem Mann angetan hatte, der hergekommen war, um ihn zu retten.
»Ich will dir ja nicht zu nahe treten«, sagte sie, als sie Alexion die Stufen hinunterbugsierte, »aber dein Geschmack im Hinblick auf deine Freunde steht meinem offenbar in nichts nach. Jetzt weißt du, wieso ich keine habe, denen ich jederzeit blind vertrauen würde.«
Alexion brachte keinen Laut heraus. Sie half ihm beim Einsteigen, während die Schreie einer Frau ununterbrochen in seinem Kopf widerhallten. Schreie um Hilfe und Unterstützung, so laut und gellend, dass ihm übel und schwindlig wurde. Er konnte sich kaum konzentrieren. Wäre die Frau doch nur ein paar Minuten still, damit er einen klaren Gedanken fassen konnte!
So etwas hatte er noch nie erlebt.
Kein Wunder, dass Acheron so häufig an Kopfschmerzen litt. Wie kam er nur damit zurecht?
Alexion hatte nur eine Stimme in seinem Innern, mit der er sich herumschlagen musste, Acheron hingegen Millionen.
»Es wird alles wieder gut, Alexion.«
Er spürte Dangers kühle Hand auf seinem glühend heißen Gesicht. Spürte, dass sie ihm half … Die Erkenntnis durchfuhr ihn wie eine Gewehrkugel und traf ihn ins Innerste seines Wesens. Niemand hatte ihm je auf diese Weise geholfen. Nicht einmal Acheron. Andererseits war er seit seinem Tod nicht mehr krank gewesen.
Während seines Daseins als Mensch hatte er nur seine Ehefrau gehabt, die jedoch zu nichts zu gebrauchen gewesen war, wenn es ihm einmal schlecht ging. Sie hatte jahrelang ihre Eltern gepflegt, ehe sie gestorben waren, und alles darangesetzt, ihm bloß nicht zur Seite stehen zu müssen, wenn er sie brauchte.
Und auch wenn Kyros ihm in all den Schlachten beigestanden hatte, war er niemals sanft und behutsam mit ihm umgesprungen, was wahrscheinlich besser war.
Doch Danger zeigte keinerlei Scheu, sondern war freundlich und versuchte, ihn zu beruhigen. In diesem Moment gab es nichts Schöneres.
Danger hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, um Alexions Schmerzen zu lindern. Sie raste nach Tupelo zurück, während sie fieberhaft ihr Hirn nach etwas durchforstete, nach irgendetwas, womit sie ihm helfen konnte.
Leider war der Plan, Stryker aufzusuchen und ihm die Seele aus dem Leib zu prügeln, das Einzige, was ihr einfiel.
Sie fuhr in die Garage, sprang aus dem Wagen und lief zur Beifahrerseite, um Alexion beim Aussteigen zu helfen. Mittlerweile sah er noch schlechter aus als zuvor.
Sie strich ihm eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und wischte ihm den Schweiß von der Stirn.
»Komm, mein Schatz, ich bringe dich ins Haus.«
Er nickte und hievte sich mühsam aus dem Wagen, ehe er sich krümmte, als leide er grauenvolle Schmerzen.
Mitfühlend sog sie den Atem ein. »Ich weiß, dass es wehtut, mein Herz, aber kotz mir bitte bloß nicht auf meine neuen Manolo-Blahnik-Stiefel, sondern sag rechtzeitig Bescheid.«
Sein Stöhnen schlug in ein schmerzerfülltes halbes Lachen um, das ihm jedoch im Halse stecken blieb. Er stützte sich schwer auf sie und ließ sich von ihr zum Haus schleppen. Was nicht gerade leicht war, denn er hatte offenbar mehr und mehr Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
In der Küche stießen sie auf Keller, der dabei war, einen Topf Chili zu kochen, und sie entgeistert ansah. »Was ist passiert?«
»Lange Geschichte«, erwiderte sie und ging weiter in Richtung Diele. »Was tust du überhaupt hier? Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst zu Hause bleiben.«
»Ja, weiß ich, aber ich bin zufällig vorbeigekommen. Und in deinem Wohnzimmer saß ein echt heißes Mädchen und hat sich QVC im Fernsehen angesehen. Ich wusste ja gar nicht, dass du auch Freundinnen hast, die keine Dark Hunterinnen sind.«
Wäre das hier kein Notfall, hätte sie das Missverständnis auf der Stelle aufgeklärt. »Und wieso machst du Chili?«
»Xirena hatte Hunger und wollte etwas Scharfes zu essen.«
Alexion zischte, als sie ihn versehentlich gegen die Wand stieß. »Tut mir leid.«
Er gab keine Antwort.
Keller folgte ihnen durchs Haus nach oben in das Gästezimmer, wo sie Alexion aufs Bett legte.
»Er sieht nicht gut aus. Er wird doch nicht etwa kotzen oder so was?«
»Ich hoffe nicht.« Trotzdem stellte sie den kleinen Plastikpapierkorb neben das Bett. Nur für alle Fälle.
Keller war völlig durcheinander. »Was fehlt ihm denn?«
»Er hört eine Stimme. Sie ist in seinem Kopf.«
»Das ist so wie die Stimme in meinem Kopf, auf die ich aber nicht höre, weil sie mir sagt, dass es nicht gut ist, mich nackt mit einer fremden Frau ins Bett zu legen.«
Danger schnaubte abfällig. »So genau wollte ich es nicht wissen, Keller. Erspar mir die Details deines kranken Privatlebens.«
»Wenn das so ist – da unten sitzt ein heißes Babe, das auf mich wartet«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
»Tu dir selbst einen Gefallen, Keller«, rief sie ihm nach, »und komm ihr nicht zu nahe.«
Er blieb im Türrahmen stehen. »Wieso nicht?«
»Sie ist kein Mensch.«
»Mag sein, aber das bist du auch nicht, und trotzdem bin ich ständig in deiner Nähe.«
»Nein, Keller«, sagte sie mit Nachdruck. »Sie hat gar nichts Menschliches an sich. Hatte es nie und wird es auch nie haben.«
Er runzelte die Stirn.
»Gib ihr nur etwas zu essen und sieh zu, dass sie gute Laune hat«, stieß Alexion mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Und sorg dafür, dass ihr beide angezogen bleibt und sie das Haus nicht verlässt.«
Keller nickte und verschwand.
Danger wandte sich Alexion zu, der sich vor Schmerzen wand. »Soll ich dir irgendetwas holen?«
»Ich muss nur ganz ruhig und leise sein.«
Danger hielt es nicht für ratsam, ihn darauf hinzuweisen, dass er alles andere als ruhig war.
»Okay.« Danger verließ den Raum, um eine kühle Kompresse zu holen. Als sie zurückkam, lag er reglos auf dem Bett. Es war lange her, seit sie das letzte Mal mit jemandem mitgelitten hatte. Sie hasste den Schmerz, den er erdulden musste, und hätte Stryker und Kyros am liebsten dafür getötet.
Sie berührte seine Schulter, spürte die betonharten Muskeln darunter. Sie strich ihm das Haar aus der Stirn und legte das feuchte Tuch darauf.
Alexion schlug die Augen auf, als er den kühlen Stoff spürte, und blickte in dieses Gesicht von exquisiter Schönheit.
In ihren dunklen Augen lag mehr Sorge und Mitgefühl, als er jemals gesehen hatte, doch nach dem heutigen Abend …
Er wagte es nicht, noch jemandem zu trauen. Wie oft musste er noch verraten werden, bevor er seine Lektion endlich lernte? Kein Wunder, dass Acheron so viel daran lag, ihn von anderen fernzuhalten.
Nach all der Zeit war er immer noch schrecklich naiv.
Wie es schien, verfügte er über die schlechteste Menschenkenntnis aller Zeiten.
Und doch war da ein Teil von ihm, der nicht hören wollte und der ihm sagte, dass er Danger trauen konnte. Immerhin war sie um seinetwillen auf Stryker losgegangen. Sie hatte ihn in Sicherheit gebracht. Doch das hatte Kyros ebenso getan. Zahllose Male, als sie noch Menschen gewesen waren. Er hatte ihn sogar heute Abend angerufen und ihn gewarnt, und doch hatte er ihn verraten.
Nein, Danger half ihm nur, weil sie miteinander geschlafen hatten. Es bedeutete keineswegs, dass sie Gefühle für ihn hatte. Oder dass er nicht morgen beim Aufwachen feststellen könnte, dass sie auf die andere Seite übergewechselt war. Wie oft war er in der Vergangenheit von der Verlässlichkeit eines Dark Hunters überzeugt gewesen, nur um mit ansehen zu müssen, wie er in letzter Sekunde seine Meinung änderte, sich gegen Acheron stellte und sterben musste.
Nein, man konnte niemandem trauen.
Und noch immer schrie die Stimme dieser Frau in seinem Kopf um Gnade und Befreiung.
»Halt endlich das Maul!«, bellte er – innerlich und laut zugleich.
Mit dem Ergebnis, dass sie in ohrenbetäubendes Geheul ausbrach, das sich wie eine Machete durch seine Gehirnwindungen schnitt. Der Schmerz war unerträglicher als alles, was er je erlebt hatte.
Wie zum Teufel hielten die Daimons so etwas aus?
Alexion stöhnte vor Schmerz und rollte sich zusammen. Er presste sich die Handballen in die Augenhöhlen, trotzdem hämmerte sein Schädel von den durchdringenden Schreien der Frau.
Danger legte sich neben ihn, schloss ihn in die Arme und wiegte ihn behutsam. Sie strich ihm durchs Haar, während er spürte, dass sein Widerstand zu erlahmen begann. Keine Frau hatte ihn je so gehalten. Nicht einmal seine Mutter.
Es war der zärtlichste Moment seiner gesamten Existenz. Und der schmerzlichste.
Danger legte ihre Wange auf Alexions blondes Haar. Es fühlte sich so herrlich an, einem Mann, den sie kannte, so nahe zu sein. Die Wölbungen seines muskulösen Rückens pressten sich gegen ihre Brüste und Schenkel und erinnerten sie daran, wie verschieden ihre Körper doch waren. Er war so sehnig und hart. Wie Stahl. Festes Fleisch. Dicke, kräftige Männerhaut. Und sie liebte es, wie er sich anfühlte. Ihn dicht an ihrem Körper zu spüren.
Sie wünschte, sie hätte gewusst, wie sie ihm helfen konnte.
Sie beugte sich vor und sog seinen warmen Duft tief in ihre Lunge, während sie ein altes französisches Schlaflied anstimmte, das ihre Mutter ihr immer vorgesungen hatte, wenn sie sich aufgeregt hatte. Wie sehr wünschte sie sich, die gellende Stimme in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen. Sie strich ihm über die Wange und spürte seine Stoppeln in ihrer Handfläche.
Obwohl sie beide angezogen waren, wohnte diesem Moment eine unglaubliche Intimität inne.
»Danger?«
Sie verfluchte Keller im Stillen, als er die Tür aufriss, machte jedoch keine Anstalten, Alexion loszulassen. »Ja?«
»Rafael ist am Telefon und sagt, er muss dich unbedingt sprechen. Gleich. Es sei dringend.«
Das konnte sie sich vorstellen. Dieser Kerl hatte ein echt mieses Gefühl für Timing. Man sollte annehmen, dass ein Pirat besser wusste, wann Privatsphäre angesagt war. Schließlich hatte einst sein Leben von seinen Instinkten abgehangen.
»Ich bin sofort wieder da.« Widerstrebend löste sie sich von Alexion. »Es wird nicht lange dauern«, versprach sie leise.
Sie war nicht sicher, ob er sie gehört hatte. Schweren Herzens stand sie auf und ging nach unten, um das Telefonat anzunehmen.
»Okay«, sagte Alexion nach ein paar Minuten zu seiner neu gewonnenen Seele. Wieso auch nicht, zum Teufel? Schließlich hatte er nichts zu verlieren, und hier in diesem Bett herumzuliegen und auf ihren Tod zu warten, schien für keinen von ihnen eine brauchbare Lösung zu sein. »Wenn du frei sein willst, Lady, dann müssen wir einen Pakt schließen.«
Sie heulte weiter.
»Hör mir zu, Frau«, herrschte er sie laut an. »Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, wenn du nicht endlich mit diesem Gejammer aufhörst. Du bringst uns noch beide um, wenn du dich nicht zusammenreißt.«
»Ich will nach Hause. Wo bin ich? Wieso bin ich hier? Wer bist du? Wieso ist es so dunkel hier? Ich verstehe nicht, was mit mir passiert ist. Ich muss sofort nach Hause. Wieso kann ich nicht nach Hause …?«
Ihre Fragen prasselten wie Gewehrfeuer auf ihn ein, so viele, dass er sich kaum konzentrieren konnte.
»Wenn ein Daimon das kann, kriege ich es auch hin«, knurrte er und setzte sich auf. Der Raum begann sich um ihn zu drehen.
Er schüttelte den Kopf. Er musste die Situation unter Kontrolle bekommen. Unbedingt.
»Wer bist du?«, fragte er.
»Carol.«
Das Geheul verebbte, als versuche sie, sich zusammenzureißen. »Also gut, Carol. Alles wird gut. Das verspreche ich dir. Aber du musst dich beruhigen und eine Weile ruhig sein.«
»Wer bist du? Wieso sagst du, ich soll ruhig sein?«
Was sollte er antworten? »Du hast nur einen bösen Traum. Wenn du eine Weile still bist, wird es besser.«
»Ich will nach Hause!«
»Ich weiß, aber du musst mir vertrauen.«
»Ist das wirklich nur ein böser Traum?«
»Ja.«
»Und es wird bald besser?«
»Ja.«
Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass sie sich offenbar beruhigte. Alexion holte tief Luft, während seine Gedanken eine Spur klarer wurden. Er konnte die Seele in seinem Innern rumoren hören, aber wenigstens weinte und schrie sie nicht länger.
Er rieb sich die Augen und atmete tief ein und aus, in der Hoffnung, dass Carol für eine Weile Ruhe gab.
Langsam stand er auf und zog seinen Mantel an. Stryker hatte ihm nur ein paar Tage gegeben, sonst würde Carols Seele unwiederbringlich sterben …
Es gab keine andere Möglichkeit. Wenn er sie befreien wollte, musste er seinem Leben selbst ein Ende setzen. Aber bis dahin hatte er noch eine Menge zu tun. Es war höchste Zeit, diesen Unsinn mit Danger zum Abschluss zu bringen. Schließlich war er hergekommen, weil er eine Aufgabe zu erledigen hatte.
Und dank Stryker wäre dies das Letzte, was er tun würde.
Nachdem Danger aufgelegt hatte, blieb sie noch eine Minute unten, um nach Keller und Xirena zu sehen, die sich allem Anschein nach prächtig verstanden. Sie sahen sich einen Film an und aßen Chili dazu, während Keller ohne Unterlass auf den Dämon einquasselte.
Aber offenbar teilte Xirena Dangers Bedürfnis nach absoluter Ruhe beim Fernsehen nicht.
Hochzufrieden, dass der Dämon keine Anstalten machte, ihren Squire zu verspeisen, kehrte Danger ins Gästezimmer zurück und öffnete leise die Tür, in der Erwartung, Alexion noch immer auf dem Bett liegen zu sehen.
Ihr blieb der Mund offen stehen, als sie ihn am Schreibtisch sitzen sah, wo er sich offenbar Notizen machte.
»Alles klar mit dir?«, fragte sie und trat langsam ein.
Er nickte, ohne aufzusehen.
Danger trat näher und sah, dass er griechisch schrieb. »Was tust du da?«
»Nichts.«
Sie runzelte die Stirn. Etwas hatte sich an ihm verändert. Er war genauso wie am Abend ihres Kennenlernens. Knapp. Gefühllos. Distanziert.
Selbst die Luft um ihn herum fühlte sich kalt an.
»Hey«, sagte sie und berührte seine Finger, die ebenfalls eiskalt waren. »Was ist passiert?«
Er sah sie mit versteinerter Miene an. »Ich bin nicht hier, um neue Freundschaften zu knüpfen, Danger. Sondern um ein Ultimatum zu stellen. Und ich brauche dich, damit du alle Dark Hunter auf dieser Liste zusammentrommelst.«
Er reichte ihr das oberste Blatt Papier. »Ich kann das aber nicht …« Doch bevor sie zu Ende sprechen konnte, veränderten sich die Buchstaben, und anstelle der griechischen erschienen englische Worte.
Wow. Ziemlich eindrucksvolle Vorstellung.
Er schrieb weiter. »Und was ist das dort?«
»Meine eigene Liste.«
Mit gerunzelter Stirn ließ sie den Blick über die Namen wandern und bemerkte, dass einer fehlte.
»Was ist mit Kyros?«
Alexion gab keine Antwort.
Danger packte seine Hand und wartete, bis er sie endlich ansah. »Was ist hier los?«
»Ich kümmere mich wieder ums Geschäftliche. Wenn Stryker die Wahrheit gesagt hat, und ich glaube, dass er das getan hat, dann habe ich nur drei Tage, um die Dark Hunter, die auf der Kippe stehen, auf Acherons Seite zurückzubringen.«
»Und Kyros?«
Der Ausdruck in seinen unheimlichen grünen Augen war düster und so kalt wie seine Hand. »Ihn habe ich bereits abgeschrieben.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Das kannst du nicht machen. Ihr wart doch Freunde!«
»Ja, wir waren Freunde. Aber jetzt sind wir Feinde.«
Seine Worte bestürzten sie zutiefst. »Aber wie konntest du …«
»Ich habe niemanden auf dieser Welt, dem ich trauen kann«, erklärte er barsch. Es traf sie bis ins Mark, dass er sie nach allem, was sie für ihn getan hatte, ebenfalls dazuzählte. Gütiger Himmel, dabei hatte sie ihm ihr Vertrauen geschenkt – was sie normalerweise bei keinem Mann tat.
»Ich hätte niemals versuchen dürfen, ihn zu retten«, fuhr Alexion fort. »Artemis hat völlig recht. Mitleid ist nur etwas für Schwächlinge.«
»Und das war’s also?«, fragte sie, angewidert von seinem abrupten Umschwung. »Du gibst also deinen besten Freund einfach so auf?«
»Ich gebe ihn nicht auf. Ich sterbe. In mir ist eine arme Seele, die befreit werden muss. Mir bleibt nicht mehr viel …«
Danger kniff die Augen zusammen, dann zog sie ihr Messer aus dem Stiefel und rammte es ihm geradewegs ins Herz.
Er explodierte.