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Die Hochzeit wurde Anfang September in einer kleinen Kapelle im Zentrum Bostons begangen. Es war eine schlichte, aber schöne Zeremonie. Brians Eltern und Peter, Scott, Fernando Fuentes, Noah und Charlotte waren die einzigen Gäste.

Noah führte Hortensia zum Altar. Charlotte und Scott, die sich nicht wiedergesehen hatten, seit sie bei ihm gewesen war, wechselten während der ganzen Zeit keinen einzigen Blick. Beim Mittagessen im Haus in der Beacon Street, das Raymond O’Flanagan dem jungen Paar zur Hochzeit geschenkt hatte, setzte Scott sich so weit von ihr weg, wie es in der kleinen Runde möglich war.

Nach dem Essen stand Charlotte diskret auf und ging in den Garten. Sie lief ein bisschen herum und setzte sich dann allein auf eine Bank.

Eine ganze Weile später setzte Hortensia sich zu ihrer Schwester. «Scott ist gegangen», teilte sie ihr mit.

«Er hat mich nicht einmal angesehen.»

«Er ist verletzt, Charlotte.»

«Ach, er hasst mich wohl eher.»

«Nein, er liebt dich. Er braucht einfach Zeit.»

«Er wird mir nie verzeihen.»

«Doch, das wird er. Das verspreche ich dir.»

«Ich vermisse ihn so, Hortensia», gestand Charlotte. «Warum hat er alles zerstört?»

«Er wollte nichts zerstören.»

«Aber er hat es getan.»

Hortensia wirkte nachdenklich. Sie schwieg einen Moment lang und ergriff dann die Hand ihrer Schwester. «Weißt du was, Charlotte? Ich habe es dir nie gesagt, aber ich habe immer gedacht, dass Richard nicht der richtige Mann für dich ist.»

«Warum sagst du das?»

«Er war viel zu ernst. Zu sehr auf seine Verpflichtungen bedacht. Du brauchst einen Mann, der deine Leidenschaft für das Leben teilt.»

«Richard hat mich verstanden.»

Hortensia schüttelte den Kopf. «Ach, Charlotte. Richard ist wie Brian. Vielleicht kann er dein Wesen verstehen, und vielleicht beneidet er dich sogar darum, aber er könnte es nie mit dir teilen. Mit ihm müsstest du deine wahre Natur immer verstecken. Aber Scott … Scott ist wie du. Und das weißt du auch.»

«Nein …», stritt Charlotte ab.

«Du musst Richard loslassen.»

«Das kann ich nicht», sagte sie verzweifelt.

«Kannst du es nicht, oder willst du nicht?»

Charlotte ließ den Kopf sinken.

«Lass nicht zu, dass dein Stolz dich daran hindert weiterzuleben. Lass ihn los …»

Jetzt trat Brian zu ihnen.

«Hortensia», unterbrach er seine Frau und gab ihr einen Kuss. «Wir müssen aufbrechen.»

Hortensia sah ihre Schwester beunruhigt an.

«Mach dir um mich keine Sorgen», beruhigte Charlotte sie. «Es geht mir gut. Fahrt schon los, sonst verpasst ihr noch euer Schiff.»

«Sobald wir zurück sind, komme ich dich besuchen. Wir sind nur einen Monat weg.»

«Geh nur», ermunterte Charlotte sie und verabschiedete sich mit einem Kuss von ihrer Schwester. «Geh mit deinem Ehemann.» Dann sah sie Brian an. «Pass mir gut auf sie auf!»

«Versprochen.»

Als sie an diesem Abend nach Hause zurückkehrte, kam ihr alles sonderbar vor. Ohne Hortensia im Bett neben ihr war das Zimmer leer. Sie vermisste sie sehr. Ihre Schwester hatte ihr mit ihrer Zärtlichkeit und ihren klugen Worten immer Ruhe vermittelt. Und nun war sie weit weg. Sie würden die Flitterwochen in Kanada verbringen, und auch danach wäre nichts mehr so wie vorher. Charlotte fühlte sich allein. Zum ersten Mal begriff sie, wie sehr ihre Mutter unter der Einsamkeit gelitten haben musste. Würde sie ihr Schicksal teilen? Würde sie für den Rest ihres Lebens allein sein? Bei dem Gedanken traten ihr Tränen in die Augen.

Im Nebenzimmer konnte Noah Charlotte weinen hören. Stundenlang schluchzte sie verbittert und verzweifelt. Er hätte sie gern getröstet, aber es wäre ihr nicht recht gewesen. Sie würde wie immer allein darüber hinwegkommen.

Als Charlotte dann nach ein paar Stunden endlich einschlief, konnte Noah trotzdem kein Auge zutun. Am nächsten Morgen würde er wieder früh aufstehen und zum Unterricht gehen.

***

Als Hortensia von ihrer Hochzeitsreise zurückkehrte, hatten sich die Wälder Neuenglands rot gefärbt, und die Einwohner Bostons bereiteten sich auf die Ankunft des Winters vor.

Wie sie versprochen hatte, ging sie sofort zu Charlotte.

«Hortensia», rief Charlotte gerührt, als sie ihre Schwester erblickte. «Ich dachte, ihr würdet erst am Abend ankommen.»

Die Schwestern fielen sich um den Hals.

«Das habe ich auch gedacht, aber der Wind war sehr stark und hat den Fahrplan günstig beeinflusst. Wir sind schon in der Nacht angekommen. Ich wollte sofort zu dir, aber Brian hat mich davon überzeugt, bis zum Morgen zu warten.»

Fragend sah Hortensia ihre Schwester an. «Wo ist Noah?»

«Lernen.»

«Heute ist doch Sonntag.»

«Schon, aber er lernt jeden Tag. Wenn er nicht im Unterricht sitzt, hockt er in der Bibliothek. Er geht bei Morgengrauen aus dem Haus und kommt erst nachts zurück. Ich sehe ihn kaum. Mach dir keine Sorgen. Sobald er zurückkommt, werde ich ihm sagen, dass er dich besuchen soll.»

«Sag ihm, dass ich ihn erwarte.»

Charlotte lächelte. Ihr war der Monat ohne Hortensia lang geworden. Aber jetzt war sie wieder zurück. Endlich waren sie wieder zusammen.

«Ich habe dich so vermisst!»

«Ich dich auch, Charlotte», gestand Hortensia.

Hortensia strahlte vor Glück. Ihre Augen leuchteten, und sie hörte nicht auf zu lächeln.

«Du siehst glücklich aus», sagte Charlotte zufrieden.

«Das bin ich auch. Ich hätte nicht gedacht, dass man so glücklich sein kann. Brian ist ein wundervoller Mann.»

«Ich freue mich so für dich!»

«Ich weiß, Charlotte. Und du? Wie geht es dir?»

«Gut», sagte sie, aber ihr Blick strafte ihre Antwort Lügen.

«Weißt du, dass ich Scott seit eurer Hochzeit nicht gesehen habe?»

Hortensia schwieg.

«Es ist so viel Zeit vergangen. Glaubst du, er hat mir noch immer nicht verziehen?»

«Hat Noah denn nichts gesagt?»

«Was hätte er denn sagen sollen?»

Hortensia senkte den Kopf.

«Was ist los?»

«Nichts», sagte Hortensia, aber sie sah ihrer Schwester noch immer nicht in die Augen.

«Ich kenne dich doch. Ich weiß, dass du mir etwas verheimlichst.»

«Früher oder später bekommst du es ja sowieso heraus», gab Hortensia nach. «Als wir losgefahren sind, ist Scott zum Hafen gekommen, um sich zu verabschieden.»

«So ist er eben. Er hätte euch auch wie alle anderen zu Hause eine gute Reise wünschen können, aber …»

«Nein, Charlotte, du hast mich nicht verstanden. Er selbst hat die Stadt verlassen.»

Seit sie ihn kannte, hatte Scott Boston nur wenige Male verlassen, und immer war es um seine juristischen Feldzüge gegangen.

Aufmerksam beobachtete Hortensia die Reaktion ihrer Schwester.

«Ach, das wusste ich nicht. Weißt du, wann er zurückkommt?»

Hortensia schwieg einen Moment und sah ihrer Schwester in die Augen.

«Scott wird nicht zurückkommen, Charlotte.»

Einen Moment lang stockte ihr der Atem. Es war, als hätte sich ein grauer Schatten um ihre Seele gelegt. Zum zweiten Mal hatte ein Mann sie verlassen. Und Scott hatte sich nicht einmal verabschiedet. Charlotte hatte ihren besten Freund verloren. Langsam wurde ihr klar, dass nichts mehr so sein würde wie früher.

«Es tut mir leid, Charlotte. Aber ich musste es dir sagen.»

«Es ist in Ordnung. Es macht mir nichts aus», sagte Charlotte. «Wahrscheinlich ist es besser so.»

Doch Hortensia sah das verräterische Glänzen in Charlottes Augen. Sie war tiefer getroffen, als sie zugeben wollte.

«Charlotte? Geht es dir wirklich gut?»

«Entschuldige, was hast du gesagt?»

«Geht es dir gut?»

«Sicher. Es ist nichts», lächelte sie. «Die Nachricht hat mich überrascht, aber mir geht es gleich besser. Versprochen.»

Hortensia war besorgt. «Warum ziehst du nicht zu uns? Das Haus ist groß genug.»

«Ich will euch nicht stören.»

«Du störst nicht. Brian findet auch, dass es eine gute Idee ist.»

«Brian findet, dass es eine gute Idee ist, weil er dich viel zu sehr liebt, um dir etwas abzuschlagen.»

«Kommt beide zu uns», bat Hortensia sie. «So könnten wir uns jeden Tag sehen.»

«Wir können uns auch so jeden Tag sehen. Außerdem werde ich die Tage nicht mehr lange allein verbringen. Ich habe beschlossen, mir eine Arbeit zu suchen.»

Überrascht trat Hortensia einen Schritt zurück und sah ihre Schwester von oben bis unten an.

«Arbeit? Du?»

«Ja», sagte Charlotte entschlossen. «Ich habe in den letzten Wochen oft darüber nachgedacht. Ich glaube, es würde mir guttun. Ich wäre beschäftigt, und obwohl noch etwas von dem Schmuck übrig ist, könnte ein wenig Extrageld nicht schaden, jetzt, wo Noah studiert.»

«Wenn es wegen des Geldes ist, mach dir keine Gedanken. Ich werde mit Brian sprechen. Er wird sich darum kümmern.»

«Tu das nicht. Ich möchte nicht, dass ein Mann unsere Probleme lösen muss, als wären wir hilflose Geschöpfe, die nicht für sich selbst sorgen können. Ich möchte die Gewissheit haben, dass ich auch allein zurechtkomme. Dass ich meinen Weg selbst wählen kann. Es ist nicht nur das Geld, Hortensia. Ich habe einfach Lust, etwas zu tun. Ich muss mich irgendwie beschäftigen.»

«Es gibt tausend Dinge, mit denen du dich beschäftigen könntest, ohne arbeiten zu müssen. Du könntest nähen oder spazieren gehen.»

«Hortensia, bitte. Siehst du mich tatsächlich Taschentücher umhäkeln oder Strümpfe stopfen?»

«Nein», musste sie zugeben. «Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du arbeitest. Du kannst ja nicht einmal dein eigenes Haus in Ordnung halten. Was willst du denn tun?»

«Ich werde Reporter.»

«Reporter!», wiederholte Hortensia. «Das ist ein Beruf für Männer.»

«Aber ich verstehe nicht, warum», protestierte sie. «Als Reporter muss man nur Fragen stellen und schreiben. Ich denke nicht, dass das so schwierig ist.»

Bei der Vorstellung, dass Charlotte ihre Nase in alle möglichen Dinge steckte, standen Hortensia die Haare zu Berge.

«Ich weiß nicht. Eine Frau ganz allein. Wer weiß, wo du überall hinmusst und mit was für Leuten du dich abgeben müsstest. Nein, ich glaube, es ist keine gute Idee», redete sie auf Charlotte ein. «Vielleicht gibt es irgendeine andere Möglichkeit. Und außerdem: Was sollen die Leute denken!»

«Sollen sie denken, was sie wollen. Sollen sie doch reden, wenn sie wollen. Sie tun es doch ohnehin. Dann hätten sie wenigstens etwas zu sagen. Ich mache schließlich nichts Ungehöriges. Es wäre schön, wenn du mich verstehst.»

«Ich verstehe es ja», gab Hortensia zu und stellte sich vor, wie Charlotte mit Block und Bleistift hinterm Ohr durch die Stadt rannte. Sie seufzte. «Eigentlich macht mir am meisten Angst, dass es genau die richtige Arbeit für dich wäre. Trotzdem, denk bitte über mein Angebot nach.»

«Versteh doch, ich will einfach nicht die typische, arme alte Jungfer sein, die ihrer Familie zur Last fällt. Ich möchte gern auf meine eigene Art und Weise zurechtkommen. Ich will keine Almosen.»

«Es sind keine Almosen. Es ist Liebe! Du bist meine Schwester, meine Familie. Wenn es dir nicht gutgeht, geht es mir auch nicht gut.»

«Aber es wird mir gutgehen.»

Hortensia war noch nicht überzeugt.

Offensichtlich hatte Charlotte bereits einen Beschluss gefasst, und Hortensia wusste, dass nichts sie davon abbringen könnte. Sie runzelte die Stirn.

«Meinetwegen», gab sie jetzt widerwillig nach. «Aber wie willst du es anstellen?»

«Ich werde mit Brians Vater sprechen.»

«Mit Raymond O’Flanagan?»

«Er ist der Besitzer der auflagenstärksten Zeitung Bostons!»

«Ich sehe, du hast an alles gedacht.»

Charlotte hob leicht ihre Augenbrauen.

«Ist ja gut», lenkte Hortensia ein. «Ich werde mit Brian sprechen, vielleicht kann er etwas tun.»

«Das ist lieb von dir, aber ich möchte das selbst tun. Wenn ich Reporterin werden möchte, muss ich beweisen, dass ich es auch allein schaffe.»

«Wie du willst», nickte Hortensia, insgeheim davon überzeugt, dass Brians Vater keine Frau bei seiner Zeitung arbeiten lassen würde. «Aber wenn es Schwierigkeiten gibt, denk an mein Angebot.»

«Es wird keine Schwierigkeiten geben.»

***

Als Hortensia gegen Mittag aufbrach, bot sie ihrer Schwester an, sie in der Kutsche mitzunehmen und am Haus ihres Schwiegervaters abzusetzen. Sie selbst wohnte auch in der Beacon Street, allerdings ein paar Querstraßen weiter westlich auf dem ersten Stück Land, das aus den Sümpfen der Back Bay gewonnen worden war.

Aber Charlotte zog es vor zu warten. Sie wollte nicht so unhöflich sein und zur Mittagessenszeit hineinplatzen. Also aß sie erst einmal etwas und wartete geduldig darauf, dass die Uhr fünf schlug, die Zeit, in der man üblicherweise Besuche machte. Dann zog sie sich Stiefel und Mantel an. Ein dunkelblaues, fast schwarzes Modell, das sie günstig am Ende des letzten Winters gekauft hatte. Sie hatte Monate warten müssen, bis die Temperaturen wieder so weit gesunken waren, dass sie ihn anziehen konnte. Dazu hatte sie einen mit gelben Federn geschmückten Filzhut der gleichen Farbe erstanden, dessen Sitz sie nun im Spiegel prüfte. Dann ergriff sie ihre Handtasche und machte sich auf den Weg.

Zwar hätte sie durch den Park gehen können, aber es hatte die ganze Woche geregnet, und auch wenn jetzt die Sonne schien, waren die Sandwege durch die Grünanlagen sicher matschig. Weil sie vor ihrem zukünftigen Arbeitgeber nicht mit dreckigen Stiefeln erscheinen wollte, ging Charlotte also um den Park herum, auch wenn sie das doppelt so viel Zeit kostete.

Als sie vor Raymond O’Flanagans Tür stand, war der Saum ihres Kleides makellos, und kein bisschen Matsch klebte an ihren Stiefeln. Bevor sie klopfte, atmete sie tief ein.

«Guten Tag, Miss», begrüßte sie ein Butler, den Charlotte noch nie gesehen hatte.

«Guten Tag.»

«Womit kann ich dienen?»

«Ich möchte bitte mit Mr. O’Flanagan sprechen.»

«Wen darf ich melden?», fragte der Bedienstete und versperrte die Tür wie ein Wachhund.

«Charlotte Lacroix. Ich bin Hortensia O’Flanagans Schwester.»

Hortensias Name zeigte Wirkung.

«Treten Sie bitte ein», bat der Butler zuvorkommend, nachdem er einmal festgestellt hatte, dass die Unbekannte würdig war, die Schwelle zu übertreten. «Wenn Sie mich entschuldigen würden, ich sage Mr. O’Flanagan Bescheid. Sie können im kleinen Salon warten.» Mit einer eleganten Handbewegung wies er ihr den Weg.

Charlotte bedankte sich und trat ein.

Eine Minute später erschien Raymond O’Flanagan in Hemdsärmeln.

«Was für eine angenehme Überraschung», sagte er, kam ihr entgegen und begrüßte sie herzlich mit einem Kuss auf die Wange.

«Guten Tag, Mr. O’Flanagan», sagte Charlotte. «Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Vielleicht hätte ich Ihnen eine Nachricht schicken und mein Kommen ankündigen sollen.»

«Ich bitte dich! Die Familie ist immer willkommen. Aber ich fürchte, dass du zu spät bist. Beatriz ist gerade zu Brian und Hortensia gefahren. Diese Frauen!», seufzte er. «Sie ist vor Neugierde beinahe gestorben und wollte unbedingt wissen, wie es ihnen ergangen ist. Eine Mutter vermisst ihre Kinder immer. Du kannst dir vorstellen, jetzt, wo Brian und Peter umgezogen sind und Scott weg ist …»

«Ich verstehe», sagte sie.

«Es ist wirklich schade», klagte O’Flanagan. «Beatriz hätte sich sehr gefreut, dich zu sehen.»

«Ich hätte mich auch gefreut, aber eigentlich bin ich gekommen, um mit Ihnen zu sprechen.»

«Mit mir?»

Charlotte nickte.

«Ich wollte Sie um etwas bitten.»

Mr. O’Flanagan setzte sich in einen Sessel und bat Charlotte, neben ihm Platz zu nehmen.

«Ich möchte in Ihrer Zeitung arbeiten.»

Klar und direkt, dachte Raymond. Ihm gefielen Menschen mit Charakter und Entschlusskraft. Seit sie öffentlich verkündet hatte, dass Noah ihr Bruder war, hatte er diese Frau gemocht. Dafür brauchte man viel Mut. Mit einem einzigen Satz hatte sie es diesen Heuchlern am Tisch gezeigt. Und das mit Stil. Außerdem hatte er Gerüchte über die etwas zu innige Beziehung gehört, die Scott und Charlotte verbunden hatte.

Eigentlich hatte er nichts darauf gegeben, aber als die beiden auf Hortensias und Brians Hochzeit kein einziges Wort miteinander gesprochen hatten, war er sich sicher gewesen, dass doch etwas dran war. Sein Sohn war in Charlotte verliebt. Und sicher hatte diese leidenschaftliche Frau mit den grünen Augen einiges damit zu tun, dass er so plötzlich die Stadt verlassen hatte. Einen Moment lang hatte er sogar angenommen, dass die Bitte der jungen Frau etwas mit Scott zu tun haben könnte, und wiederholte nun überrascht: «In meiner Zeitung arbeiten?»

«Ich weiß», kam Charlotte ihm zuvor. «Eigentlich ist es nicht üblich, dass eine Frau Reporterin werden will. Vielleicht schockiert Sie das. Aber ich versichere Ihnen, dass ich es kann. Ich möchte nur eine Chance bekommen. Ich werde Sie bestimmt nicht enttäuschen.»

Die Leidenschaft, mit der Charlotte ihr Anliegen vorbrachte, erinnerte ihn an Scott. An den ungestümen Träumer, der er bis zum Tod seines Onkels gewesen war, bevor der Zynismus ihn mit seinen scharfen Klauen gepackt hatte.

«Ich werde mit dem Herausgeber sprechen.»

«Wirklich? Sie wollen es mir nicht ausreden? Sie sind nicht schockiert?»

«Mich schockiert so leicht nichts», lachte er. «Nun, dir sollte klar sein, dass du nicht bevorzugt behandelt wirst, weil du eine Frau bist und zur Familie gehörst. Aber du sollst deine Chance bekommen», versprach er. «Natürlich musst du wie alle anderen erst eine Probezeit überstehen. Wenn der Herausgeber nach dem ersten Monat der Meinung ist, dass du deine Arbeit gut machst, hast du den Job.»

Charlotte sprang auf und fiel Raymond um den Hals.

«Sie werden es nicht bereuen, Mr. O’Flanagan.»

Fesseln des Schicksals
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