Kapitel neun
WESTKAP, SÜDAFRIKA
12. November, 17:01 GMT+2
In der Ferne war die Stadt Paarl zu erkennen, überragt von dem Granitberg und umgeben von unzähligen Weinstöcken, die bis weit in die sanften Hügel hinaus leuchteten.
Sarie van Keuren lenkte ihren Land Cruiser auf eine leere Landstraße und blinzelte in die Nachmittagssonne. Sie hätte in Springbok anhalten und übernachten sollen, doch sie hatte sich einfach nicht dazu überwinden können. Nach einundzwanzig Stunden, in denen sie dreizehn Becher Kaffee und einen riesigen Beutel Würstchen vertilgt hatte, war sie nur noch einen Kilometer von zu Hause entfernt.
Sie wurde langsamer und bog auf einen Kiesweg ein, um schließlich vor der jahrhundertealten Mauer anzuhalten, die sie in zweijähriger Arbeit restauriert hatte. Ein Knopfdruck – und das mit Blumen geschmückte Tor schwang auf. Sie fuhr hinein und hielt vor einem makellos weiß getünchten kapholländischen Farmhaus an.
Ihre Freunde konnten nicht verstehen, warum sie allein hier draußen lebte, und manchmal wusste sie es selbst nicht so genau. Ungefähr alle sechs Monate fragte sie sich ernsthaft, ob sie nicht nach Kapstadt gehen sollte, um sich die dreiviertelstündige Fahrt zur Universität, an der sie arbeitete, zu sparen. Doch dann konnte sie sich doch nie dazu durchringen, einen Immobilienmakler anzurufen.
Zwei der vielen Gründe, die sie davon abhielten, kamen soeben um das Haus gestürmt, als sie den Motor abstellte. Sie sprangen an der Autotür hoch und fügten den vielen Kratzern, die sie mit ihren Krallen über die Jahre hinterlassen hatten, ein paar neue hinzu. Im nächsten Augenblick tauchten ihre Gesichter im offenen Fenster auf. Sarie wich zurück, aber zu langsam, um der feuchten Zunge zu entgehen, die es auf ihr Ohr abgesehen hatte. »Halla! Ingwe! Platz!«
Sie ignorierten sie und bellten fröhlich, als sie die Tür mit dem Fuß aufdrückte, gegen das Gewicht der beiden Rhodesian Ridgebacks, die sich dagegen stemmten. Auf dem Beifahrersitz stand ein Gestell mit Gläsern, in denen die Ameisen immer noch an den Stängeln hingen, und sie nahm es und trug es über dem Kopf, während sie sich zur Haustür durchkämpfte.
Sie stellte die Gläser neben die Post, die ihre Haushälterin auf ein altes Sideboard gelegt hatte, dann ging sie in die Knie und kraulte den Hunden die Köpfe, um sie davon abzuhalten, sie anzusabbern.
»Hat Mandisa euch heute schon gefüttert?«, sagte sie auf Afrikaans. »Nein? Okay, dann wollen wir euch Störenfrieden mal etwas zu futtern geben.«
Vielleicht gab es da etwas, was ihre Freunde nicht wussten, dachte sie, als sie einen schweren Sack mit Hundefutter aus der Speisekammer schleppte. Vielleicht hatte das Leben hier draußen auf dem Land gewisse Vorteile, auf die sie einfach nicht verzichten wollte. Hier war sie ungestört, und es fiel ihr leicht, sich in ihre Arbeit zu versenken. Blieb natürlich die Frage, ob das Alleinsein auf Dauer gut für sie war.
Dembe Kaikara blickte über den Rand des Bewässerungsgrabens durch das Tor auf der anderen Straßenseite. Er sah die Frau aus dem Haus kommen und zu ihrem Wagen gehen. Sie fing an, ihre Sachen auszuladen – Kameras, Campingausrüstung und wissenschaftliche Utensilien.
Als er gehört hatte, dass sie Universitätsprofessorin sei, hatte er sie sich als alte Frau mit grauen Haaren und einer dicken Brille vorgestellt – mit dem strengen Gesicht jener belgischen Nonne, die einst vor vielen Jahren zu ihnen ins Dorf gekommen war, um ihnen lesen beizubringen und sie die Religion der Weißen zu lehren.
Doch Sarie van Keuren war ganz anders. Selbst aus der Ferne erkannte er die Muskeln in ihren Armen und die athletische Anmut, mit der sie sich bewegte. Ihr Haar war zwar genauso staubig wie ihr Land Cruiser, aber wenn es sauber war, würde es wieder diesen blonden Glanz haben, den er so exotisch fand.
Sie würde sich wehren. Er konnte sie fast schon unter sich spüren – sie würde ihre Kraft einsetzen, bis sie schließlich begriff, dass sie nichts gegen ihn ausrichten konnte, und sich ihm ergab. Vielleicht würde er sie später einmal, wenn sie nicht mehr gebraucht wurde, ganz bekommen, als Belohnung für seine treuen Dienste.
Kaikara zog sich in den Graben zurück, holte ein Telefon aus der Tasche und wählte eine Nummer aus dem Gedächtnis.
»Ja.«
»Sie ist da.«
»Und die Straße?«
»Kein Verkehr, und die nächsten Häuser sind über einen Kilometer entfernt. Es wird ganz leicht.«
»Nichts ist leicht!«
Der plötzliche Zorn in der Stimme jagte ihm einen Adrenalinstoß durch die Adern. »Sie ist nur eine Frau. Ich habe dich noch nie enttäuscht. Und das werde ich auch nie.«
»Warte, bis es Nacht wird und sie schläft.«
Die Stimme war wieder ruhig, und Kaikara atmete erleichtert aus. »Ich verstehe.«
»Der Code für ihr Tor ist vier-drei-neun-sechs. Hast du verstanden?«
Er zog eine Pistole und schrieb die Ziffern mit dem Lauf in die Erde, so wie es ihm die belgische Frau beigebracht hatte. »Ja, ich habe verstanden.«