Kapitel dreizehn

WESTKAP, SÜDAFRIKA

14. November, 01:57 Uhr GMT+2

 

 

Der Tachometer des Land Cruisers zeigte hundertfünfzig km/h an, als die scharfe Linkskurve im Licht der Scheinwerfer auftauchte. Dembe Kaikara trat auf die Bremse und riss das Lenkrad herum, dass die Reifen quietschten und den Halt auf der Straße zu verlieren drohten.

Dieses Miststück hatte ihn mit dem Messer erwischt!

Er drückte die linke Hand auf die klaffende Wunde zwischen den Rippen und spürte, wie das Blut zwischen seinen Fingern durchsickerte. Es war keine schwere Verletzung, aber der Schmerz allein machte ihn wütend.

Als es wieder geradeaus ging, nahm er die Hand vom Lenkrad, ballte sie zur Faust und hämmerte sie einige Male gegen das Armaturenbrett. Er hatte die Anweisung, sie unverletzt zum Treffpunkt zu bringen. Und er wusste, dass man mit einer strengen Bestrafung rechnen musste, wenn man seine Anweisungen nicht genau befolgte.

Aber sie schuldete ihm etwas für das, was sie ihm angetan hatte. Bestimmt würde Bahame ihm das Recht gewähren, sich den Lohn für seine Mühe zu nehmen. Schließlich würde sie ja immer noch leben, wenn er bekommen hatte, was er von ihr wollte.

Ein Auto tauchte vor ihm auf, und er ging vom Gas und drehte sich kurz zu der wehrlos gefesselten Frau auf dem Rücksitz um. Sie war wieder bei Bewusstsein und funkelte ihn trotzig an.

Die Widerspenstigkeit würde ihr schon noch vergehen. Bald würde sich ihr Zorn in Angst und Schrecken verwandeln. Sie würde ihn mit ihrem schönen Mund anflehen, aufzuhören, und ihm schwören, ihm alles zu geben, was er wollte. So war es bei allen.

Er richtete den Blick wieder nach vorne und drosselte die Geschwindigkeit noch etwas mehr. Die Straße war wieder pechschwarz, und er sah sich nach einem Platz um, wo er für vorbeifahrende Autos unsichtbar war. Einem Platz, wo sie ungestört waren.

 

Sarie gab es auf, an dem Klebeband zu zerren, mit dem ihre Hände gefesselt waren. Ihr Kopf wurde klarer, und sie begriff, dass sie sich damit nur die Haut an den Handgelenken wund scheuerte, ohne etwas zu erreichen.

Was wollte dieser Mann? Solche Einbrüche waren durchaus nichts Ungewöhnliches in Afrika, aber dieser Mann hatte es offensichtlich nicht getan, um etwas zu rauben. Er hatte nur den Land Cruiser mitgenommen – und wie es aussah, auch das nur, weil er sie damit am leichtesten entführen konnte.

Auch Vergewaltigungen kamen in Afrika jeden Tag vor, aber warum dieser Aufwand? Ihr Haus war völlig abgelegen, und er hatte sie ja bereits überwältigt.

Nein. Da steckte mehr dahinter. Wie war es ihm gelungen, die Alarmanlage am Tor zu überlisten? Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie an ihre Hunde dachte, aber sie durfte jetzt nicht weinen. Dafür war jetzt keine Zeit. Sie hatte keine Ahnung, was dieser Mann wollte, aber was immer es war – sie glaubte nicht, dass sie es überleben würde. Es hatte vielleicht noch nie in ihrem Leben einen Moment gegeben, in dem es so sehr darauf ankam, richtig zu reagieren und alles in die Waagschale zu werfen.

Der Afrikaner beugte sich aus dem offenen Fenster, stieg auf die Bremse und riss das Fahrzeug so jäh herum, dass sie einen Vorwand hatte, sich auf den Boden hinter seinem Sitz zu rollen.

Er reagierte sofort, wirbelte herum und packte sie mit seiner blutigen Hand an den Haaren. Seine Stimme klang nicht mehr ganz so wütend, und obwohl sie nicht verstand, was er sagte, war ihr doch klar, warum sich seine Laune etwas gebessert hatte. Er hatte gewonnen. Und jetzt wollte er sich seinen Lohn nehmen.

Das Knirschen von Kies unter den Rädern zwang ihn, seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zuzuwenden, doch er sprach weiter, während sie fuhren, und beugte sich immer wieder aus dem Fenster, so als würde er etwas suchen.

Sarie nutzte die Tatsache, dass er abgelenkt war; sie drückte sich mit dem Rücken gegen seinen Sitz und zwängte ihre Hände darunter. Sie hatte aus dem Tod ihrer Eltern ihre Lehren gezogen – und das beschränkte sich nicht nur auf das Haus.

Sie kam zwar mit den Fingerspitzen an die Waffe heran, die sie hier versteckt hatte, doch das Holster lag so, dass man die Pistole vom Fahrersitz aus herausziehen konnte – von der Annahme ausgehend, dass sie den Wagen lenken würde, wenn sie angegriffen wurde. Und dass ihre Hände nicht am Rücken gefesselt sein würden.

Sie drückte sich mit den Knien nach hinten, biss die Zähne zusammen und zwängte ihre Arme noch etwas tiefer unter den Sitz. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Schultern gleich aus dem Gelenk springen würden, doch es reichte immer noch nicht.

Der Afrikaner stieß einen Jubelschrei aus und stieg so abrupt auf die Bremse, dass sie nach vorne gerissen wurde. Ein Ellbogen fühlte sich an, als würde er jeden Moment unter dem Sitz brechen, doch das jähe Bremsmanöver ermöglichte es ihr, die Pistole zu erreichen und das Holster zu sich zu drehen. Er legte den Rückwärtsgang ein, und sie riss die Waffe heraus, doch sie verfing sich unter dem Sitz.

Sie versuchte die Pistole noch einmal nach vorne zu schieben, als ihr klar wurde, dass sie ihren Bewegungsspielraum ausgeschöpft hatte, wenn sie sich nicht den Arm brechen wollte. Eine Welle der Verzweiflung brach über sie herein, doch sie nahm sich zusammen und stützte sich mit den Knien ab. Einmal kräftig drücken. Mehr würde nicht notwendig sein. Es würde nicht das erste Mal sein, dass sie sich den Arm brach, und es war mit Sicherheit besser als das, was der Mann auf dem Fahrersitz mit ihr vorhatte.

Auf drei, sagte sie sich. Eins … Zwei …

Die Räder holperten in eine tiefe Furche, als der Afrikaner den Wagen rückwärts von der Straße fuhr. Ein jäher Ruck – dann das Krachen der Pistole und der Geruch von Schießpulver in der Luft.

In ihrer gekrümmten Haltung konnte sie unmöglich wissen, wohin die Waffe gerichtet war, als der Schuss losging. Sie nahm an, dass die Kugel irgendwo durch den Sitz gegangen war, ohne etwas zu bewirken – bis lautes Geheul in ihre dröhnenden Ohren drang.

Die Kugel hatte ihn getroffen, und das war gut. Aber er war nicht tot, und das war schlecht. Vielleicht sogar sehr schlecht. Aber wie es auch war – es gab keinen Grund, so lange hier zu liegen, bis sie wusste, was los war.

Mit einem Zeh öffnete sie die Tür, was leichter ging, als sie gedacht hatte, doch unter dem Sitz hervorzukommen war schon bedeutend schwieriger. Sie wand sich verzweifelt und spürte den kühlen Wind auf der Haut, während sie sich Zentimeter für Zentimeter in Richtung Freiheit kämpfte.

Auf dem Fahrersitz hatte sich der Schmerz in Wut verwandelt, und der Land Cruiser bebte, als die Fahrertür gewaltsam aufgerissen wurde. Gerade als ihr Fuß die Erde berührte, hörte Sarie, wie der Mann die Tür hinter ihr zu öffnen versuchte und frustriert aufschrie, als er feststellte, dass sie verschlossen war.

Es schien ihm nicht einzufallen, einfach durch die offene Fahrertür zu greifen; stattdessen zerschmetterte er das Fenster mit dem Ellbogen, während sie sich verzweifelt bemühte, durch die Tür auf der anderen Seite zu entkommen.

Doch es war zu spät. Seine Hand packte sie an den Haaren, und im nächsten Augenblick schnitt sich das gezackte Glas im Fensterrahmen in ihren Rücken. Sie hatte keine Möglichkeit, es zu verhindern, also tat sie das Gegenteil – sie stieß sich an einem Sitz ab und katapultierte sich durch das zerschmetterte Fenster gegen ihn.

Er taumelte und stürzte nach hinten, und sie landete ebenfalls am Boden – aber nicht so hart, wie sie befürchtet hatte. Sie rollte sich ab und nutzte den Schwung, um auf die Beine zu kommen. Im Mondlicht sah sie, dass sich das rechte Bein seiner Jeans dunkel verfärbt hatte, durch und durch mit Blut getränkt.

Es war schwer zu sagen, ob ihn die Kugel ins Bein oder ins Gesäß getroffen hatte, aber er würde in jedem Fall deutlich langsamer sein als zuvor im Haus.

Er war offenbar zu derselben Einsicht gekommen, denn er griff nach hinten an seine Hose, um etwas hervorzuholen, von dem Sarie gar nicht wissen wollte, was es war. Sie rannte an einem blühenden Rosenstrauch vor einer Reihe von Weinstöcken vorbei und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten mit ihren gefesselten Händen und ohne Schuhe.

Der erste Schuss schnitt durch die Pflanzen zu ihrer Rechten, und sie duckte sich und flüchtete sich nach links. Der zweite Schuss ging so knapp vorbei, dass sie das Zischen der Kugel hörte, doch als sie tiefer zwischen die Weinstöcke vordrang, wurden seine Schüsse immer blinder.

Schließlich ließ sie sich in einer schmalen Mulde zu Boden sinken und hörte schwer atmend, wie er das Magazin seiner Waffe in ihre Richtung verfeuerte.

Sie rührte sich nicht und wartete auf das Geräusch seiner Schritte, doch stattdessen hörte sie ferne Stimmen, die irgendetwas in Afrikaans riefen. Im nächsten Augenblick brauste der Land Cruiser davon und schlitterte wild über den Asphalt, während eine Gruppe von Farmern von Osten gelaufen kam. Die Männer zählten laut und deutlich die verschiedenen Arten von Gewehren auf, die sie mit sich trugen, damit niemand auf die Idee kam, sie würden es nicht ernst meinen.

Der letzte Rest von Saries Kraft wich aus ihrem Körper, und sie legte die Stirn auf die feuchte Erde. Sie hatte es noch einmal geschafft. Sie hatte überlebt.

Die Ares Entscheidung
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