Kapitel fünfzehn
WASHINGTON D.C., USA
14. November, 09:01 Uhr GMT-5
Als Drake eintrat, war Brandon Gazenga schon da und blätterte nervös die Unterlagen durch, die er auf dem Schoß liegen hatte.
»Guten Morgen, Sir.«
Drake nickte und setzte sich, ehe er das Siegel an einer Akte brach, die den Vermerk Nur für den DCI trug, und den Inhalt durchblätterte. »Sind Sie fertig?«
»Ja, Sir. Ich glaube, man kann es als Endfassung bezeichnen. Es fehlt nur noch, dass Sie und Dave es absegnen.«
Gazengas Eltern waren auf einem Schiff aus dem Kongo gekommen, als er sechs Jahre alt war, und wurden zum leuchtenden Beispiel für die Verwirklichung des amerikanischen Traums. Sein Vater hatte als Tellerwäscher in einem Restaurant begonnen und entwickelte sich zum Inhaber einer Café-Kette, die afrikanische Küche anbot.
Obwohl sie sich hier ein neues Zuhause schufen, ließen Brandons Eltern ihn nie vergessen, wo sie herkamen. Er sprach fließend Kituba, zumal er in seiner Jugend mindestens einen Monat im Jahr bei seinen Cousins in Kinshasa verbracht hatte.
Außerdem hatte er in Yale Internationale Beziehungen studiert, sodass schließlich auch die CIA auf ihn aufmerksam wurde. Er heuerte bei der Agency an und entwickelte sich trotz seiner jungen Jahre rasch zu einem der führenden Analytiker für den afrikanischen Kontinent.
Diese Qualifikationen allein hätten Drake jedoch noch nicht genügt, um ihn für die streng geheime Operation auszuwählen, die er gestartet hatte. Letztlich war es Gazengas Persönlichkeitsprofil, das ihn so perfekt machte.
Der junge Mann stand mit einem Fuß immer noch in einer hierarchisch geprägten Kultur und war stets ein gehorsamer Sohn gewesen. Der plötzliche Tod seines mächtigen Vaters hatte ihn jedoch ein wenig orientierungslos gemacht. Dazu kam eine tiefe Dankbarkeit für die Möglichkeiten, die ihm Amerika geboten hatte, nachdem er aus der Armut Kinshasas hierhergekommen war. All das machte ihn sehr empfänglich für die Manipulation durch Autoritäten.
»Sie sind also zuversichtlich, dass der Präsident und seine Leute damit zufrieden sein werden?«
Gazenga wischte sich kurz den Schweiß von der Stirn. »Ich denke, ich habe die bestmöglichen Argumente angeführt, Sir. Abgesehen von dem Video gibt es über Bahames Überfälle nur Legenden und unzuverlässige Berichte von Überlebenden. Ich habe das gleich am Anfang herausgestrichen. Besonders betont habe ich den Aberglauben dieser Leute und die widersprüchlichen Aussagen der Zeugen. Der Rest sind hauptsächlich Meinungen von Psychologen und Beschreibungen ähnlicher Phänomene aus der Geschichte. Als Beispiel habe ich vor allem ausgeführt, wie Pol Pot in Kambodscha Kinder einer Gehirnwäsche unterzog, um sie zum Massenmord an der eigenen Bevölkerung anzustiften. Zuletzt beschreibe ich noch verschiedene Rituale, die in Afrika praktiziert werden, zum Beispiel das Bemalen der Krieger mit Rinderblut, bevor sie in die Schlacht ziehen.«
»Was ist mit den Iranern?«
»Das steht natürlich nicht in dem Bericht, den wir abliefern werden, aber Ihr Exemplar enthält alle relevanten Informationen dazu. Ich habe das gesamte Material durchgesehen, das es in Geheimdienstkreisen über einen Zusammenhang zwischen den Iranern und Bahame gibt, und ich gebe auch bestimmte Empfehlungen, wie man Fragen des Präsidenten in diese Richtung begegnen kann. Ehrlich gesagt war das gar nicht so schwer. Die Informationslage ist ohnehin ziemlich dürftig.«
Drake überflog kurz den Abschnitt über den Iran und warf dann die Akte auf seinen Schreibtisch. »Wieder mal ausgezeichnete Arbeit, Brandon. Aber von Ihnen bin ich auch gar nichts anderes gewohnt.«
Gazengas Lächeln wirkte etwas gezwungen, und er wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn. »Danke, Sir.«
Drake guckte über den Rand seiner Lesebrille und runzelte die Stirn; ihm war bewusst, dass er seine Rolle als Ersatz für den verstorbenen Vater jederzeit beibehalten musste. »Gibt es irgendein Problem?«
Einen Moment lang blitzte Angst in den Augen des jungen Mannes auf. »Nein, Sir. Warum?«
»Weil das kein leichter Job ist. Sogar ein verdammt kniffliger, das können Sie mir glauben. Aber so ist das nun einmal in unserem Geschäft. Castilla ist ein verdammt guter Mann, aber er ist nun mal ein Politiker. Ich hatte schon fünfzehn Jahre im Geheimdienstgeschäft gearbeitet, als Castilla seine Anwaltskanzlei aufgab und als Lokalpolitiker kandidierte. Wir sind die Experten, und manchmal müssen wir das Land vor dem Personalkarussell im Kongress und im Weißen Haus schützen.«
»Ja, Sir, ich verstehe.« Seine Stimme war von beruhigender Festigkeit, doch da schwang noch immer etwas im Hintergrund mit. Zweifel.
»Sie sehen ja auch, was passiert, Brandon. Die Streitkräfte und das Geheimdienstwesen werden immer stärker von Politik und Bürokratie beherrscht. Alle wollen sie nur im Rampenlicht stehen und zeigen, wie toll sie sind – dabei wäre es ihr Job, das Land zu führen. Unsere Staatsschulden führen uns geradewegs in die nächste schwere Krise. Dieses Land wird nur noch künstlich am Leben erhalten – es tut weh, aber wir müssen uns eingestehen, dass wir ohne das Öl aus dem Mittleren Osten nicht mehr lebensfähig wären. Wenn wir das verlieren, dann stirbt dieses Land.«
»Ich gebe Ihnen voll und ganz recht, Sir«, sagte Gazenga, doch Drake war nicht ganz überzeugt und beschloss, seinem Argument noch etwas mehr Nachdruck zu verleihen.
»Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn wir es zulassen, dass sich der Iran modernisiert und zur Atommacht wird? Dann haben wir keine Möglichkeit mehr, ihren Einfluss im Nahen und Mittleren Osten irgendwie einzudämmen – wir wären zu einem erniedrigenden Wettstreit mit dem Rest der Welt verdammt, wo es darum geht, wer den Persern in Zukunft in den Arsch kriechen darf. Jetzt bietet sich noch eine Chance, das abzuwenden, aber sie wird bald vorbei sein. Wir müssen den Politikern klarmachen, dass die amerikanischen Streitkräfte ein großartiges Werkzeug sind, wenn es darum geht, einen Feind in die Schranken zu weisen – auch wenn sie in ihrem Bemühen, demokratische Strukturen im Mittleren Osten aufzubauen, gescheitert sind.«
Gazenga nickte und schien seine verloren gegangene Entschlossenheit wiederzugewinnen. Aber für wie lange? Drake begann zu erkennen, dass sein Einfluss auf den jungen Mann seine Grenzen hatte, und das machte ihm große Sorgen.
»Okay, das wäre alles, Brandon. Ich gehe Ihren Bericht heute Abend durch und sage Ihnen dann, ob ich irgendwelche Probleme sehe.«
Gazenga schien erleichtert zu sein, dass er das Gespräch hinter sich hatte und das Büro verlassen konnte. Im nächsten Augenblick ging eine Seitentür auf und Dave Collen kam herein.
»Hast du schon Zeit gehabt, dir das anzusehen?«, fragte Drake und zeigte auf den Bericht auf seinem Schreibtisch.
»Ja, Brandon hat ihn mir schon heute früh geschickt. Wie immer absolut gründliche Arbeit. Verdammt, er hätte fast mich damit überzeugt.«
Drake nickte langsam und richtete seinen starren Blick auf die leere Wand vor ihm.
»Das könnte unsere Probleme mit Castilla beseitigen«, fügte Collen hinzu. »Warum machst du so ein skeptisches Gesicht?«
»Es ist wegen Brandon. Er fängt an zu schwanken.«
»So schlimm, dass du etwas unternehmen willst?«
»Nein. Noch nicht. Aber es könnte sein, dass er bald zu einem Unsicherheitsfaktor wird – um einiges früher als wir dachten.«