Kapitel sechzehn

BEI BLOEMFONTEIN, SÜDAFRIKA

14. November, 16:20 Uhr GMT+2

 

 

Dembe Kaikara verzog das Gesicht, als der alte Volkswagen durch eine tiefe Furche holperte und die Kugel in seinem Oberschenkel gegen den Knochen rieb. Die Blutung im Oberkörper hatte von allein aufgehört, aber die Wunde im Bein war weitaus ernster. Das Tuch, mit dem er die Eintrittswunde verbunden hatte, saß so fest, dass er das Gaspedal unter dem Fuß gar nicht mehr spürte, und dennoch war der ganze Sitz von Blut durchtränkt.

Der schmale Erdweg führte zwischen ein paar Hütten hindurch, die aus weggeworfenem Bauholz, alten Schildern und Draht notdürftig zusammengezimmert waren. Die Leute saßen im Schatten, blickten kurz auf, als er vorbeifuhr, und wandten sich gleich wieder ab. In dieser Gegend überlebte man nicht lange, wenn man nicht rechtzeitig lernte, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Er fühlte sich immer benommener vom Blutverlust und hatte Mühe, sich an den Weg zu erinnern, den man ihm so gründlich eingebläut hatte, bevor er aus Uganda aufgebrochen war. Ein umgestürzter Wasserturm tauchte zu seiner Rechten auf, und er lenkte den Wagen zögernd von der Straße auf die trockene, rissige Erde.

Er hatte kurz daran gedacht, zu flüchten – aber wohin hätte er gehen sollen? Er war illegal hier in Südafrika, und ein Krankenhaus würde seine Schusswunde melden. Van Keuren hatte inzwischen bestimmt die Polizei verständigt, und sie würden nach ihm suchen. Nicht dass er große Angst vor Abschiebung und Gefängnis hatte – er hatte schon als kleines Kind viel Schlimmeres durchgemacht. Nein, das Einzige, was er auf dieser Welt fürchtete, war Caleb Bahame. Es war unmöglich, vor ihm wegzulaufen. Er würde wissen, wo er sich aufhielt. Und er würde ihm seine Dämonen schicken.

Kaikara hielt schließlich vor einer Gruppe von Männern an, die auf den Motorhauben einiger blank polierter Luxusautos saßen, die so gar nicht in diese ärmliche Umgebung zu passen schienen. Er kannte nur das schmale narbige Gesicht von Haidaar – einem von Bahames engsten Gefolgsleuten. Die anderen waren nigerianische Drogendealer, die die umliegenden Siedlungen kontrollierten und wussten, wie man Geschäfte machte, ohne die Aufmerksamkeit der südafrikanischen Polizei zu erregen. Verschiedene Gewehre und befleckte Macheten lehnten an den Stoßstangen, jederzeit in Reichweite.

Einen Moment lang sah er alles verschwommen und stürzte beim Aussteigen beinahe. Das Blut rann ihm am Bein hinunter, als er sich geschwächt gegen die Autotür lehnte. Das Gelächter der Nigerianer war nicht so laut, dass er Haidaars Schritte nicht gehört hätte, und Kaikara versuchte die Kraft aufzubringen, ihm in die Augen zu sehen.

»Was ist mit dir passiert?«

»Die Frau hatte eine Pistole. Sie hat auf mich geschossen.«

Wieder Gelächter von den Nigerianern. Sie reichten eine Schnapsflasche herum, wie um sein Missgeschick zu begießen.

»Ich habe viel Blut verloren.« Kaikaras Stimme klang selbst für ihn so schwach wie die einer Frau. »Ist jemand da, der die Blutung stillen kann?«

Haidaar lächelte spöttisch und riss die hintere Autotür auf. Als er die Decke wegzog, die auf dem Rücksitz lag, machte er einen zögernden Schritt zurück.

»Was soll das?«

Kaikara blickte auf die Leichen des jungen Paares hinunter, dessen Auto er gekapert hatte. »Sie ist entkommen. Ich musste ihren Wagen loswerden …«

Haidaar stand einen Moment lang wie vom Blitz getroffen da, und Angst blitzte kurz in seinem Gesicht auf, um sich rasch in Wut zu wandeln. Er packte Kaikara am Genick, zog ihn vom Auto weg und warf ihn auf den mit Müll übersäten Boden. »Du hast sie verloren?«, brüllte er. »Du hast dir von einer Frau eine Kugel verpassen lassen und sie auch noch abhauen lassen?«

Kaikara versuchte sich aufzurappeln, doch er war zu schwach. Er konnte nur noch die Hände vors Gesicht heben, in dem kläglichen Versuch, sich zu schützen. »Sie hatte eine Pistole. Sie ist weggelaufen. Ich …«

Haidaar trat ihn hart in die Seite, sodass Kaikara auf dem Bauch landete, und stellte den Fuß auf die Schusswunde hinten am Oberschenkel. »Gleich unter dem Arsch, was, Kaikara? Es sieht so aus, als wärst du weggelaufen.«

Die Nigerianer hatten die Szene beobachtet und näherten sich mit ihren Waffen in den Händen. Der Mann mit der Machete trat nach vorne. »Nein!«, platzte Kaikara verzweifelt heraus. »Ich bin gefahren! Das Miststück muss die Pistole unter dem Sitz versteckt haben. Sie …«

Die Machete ging nach oben, und Kaikara wollte davonkriechen, doch mit seinen Schmerzen und dem Blutverlust kam er kaum vom Fleck.

»Nein!«, rief Haidaar. »Holt ihm einen Arzt.«

»Was?«, erwiderte einer der Nigerianer. »Warum soll dieses nutzlose Stück Scheiße noch weiterleben?«

»Weil ich nicht Bahame sagen werde, dass wir die Frau nicht haben.«

Kaikara begriff nun, was für einen schrecklichen Fehler er gemacht hatte. »Nein! Es war nicht meine Schuld. Ich habe Bahame noch nie enttäuscht.«

»Halt’s Maul!«, brüllte Haidaar und versetzte ihm noch einen Tritt, wenn auch nicht mehr so wuchtig. Sein eigenes Leben war plötzlich in Gefahr, und wenn er nicht mit jemandem zurückkam, auf den Bahame seinen Zorn richten konnte, dann war ihm der Tod sicher.

»Los!«, sagte Haidaar. »Holt einen Arzt!«

Kaikara versuchte erneut, zu flüchten, und kroch unter Schmerzen zu einer stinkenden Kloake, während die Nigerianer ihrem Unmut Luft machten. Wenn er ihnen entwischte, konnte er sich vielleicht ertränken. Oder er fand eine Glasscherbe, die er sich ins Herz stoßen konnte. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihn zurück nach Uganda brachten. Zu Bahame.

»Wir bringen Sachen und Leute über die Grenze«, sagte einer der Nigerianer. »Wir sind kein Krankenhaus.«

»Gut«, erwiderte Haidaar. »Dann rufe ich Caleb an und sag ihm, dass ihr ihm nicht helfen könnt. Dass er euch für nichts bezahlt hat.«

Es folgte kurzes Schweigen, bevor die Nigerianer untereinander zu diskutieren begannen. Kaikaras Hand fiel auf die scharfen Spitzen eines Stacheldrahts, doch er spürte keinen Schmerz, nur Erleichterung. Er zog den Draht aus dem Müll, zu seiner Halsschlagader herauf. Ein tiefer Schnitt, und niemand würde ihn mehr retten können. Er würde frei sein.

Das rostige Eisen hatte kaum seine Haut berührt, als ihm jemand den Draht aus der Hand riss und ihn zurück zu den Autos zerrte.

Die Ares Entscheidung
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